Es gibt wahrscheinlich nur ein einziges Produkt, das alle Eigenschaften vereint, die die Moderne seit hundert Jahren von einem mustergültig demokratischen Produkt verlangt: Der Plastikstuhl, der auf der ganzen Welt zu finden ist. Er ist spottbillig und deshalb für jedermann erschwinglich. Er ist nützlich, weil er seinen praktischen Zweck erfüllt. Es ist federleicht, stapelbar, unverwüstlich, abwaschbar, selbsterklärend und relativ einfach zu produzieren. Und doch ist das, man muss es so deutlich sagen, nicht der Segen, sondern vielmehr der Fluch der Moderne, zumindest aus ästhetischer Sicht. Mit seinen Rücken- und Armlehnen, mit Luftschlitzen in der Sitzfläche und in der Lehne, findet man ihn, meistens in weiß, im Freien bei Bistros, Imbissbuden, Eisdielen, auf Balkonen und Campingplätzen. Der Fachmann spricht vom sogenannten Monoblock. Es ist der Plastik gewordene Inbegriff von Hässlichkeit, der Gipfel der Banalisierung dessen, was sich die Theoretiker des modernen Designs ausgedacht und ihre Meister praktisch vorgemacht haben. Der Monoblock hat seinen Namen vom Herstellungsverfahren: Er wird im Spritzguss aus Polypropylen zu einem einzigen Stück verarbeitet. Genauso werden Bierkästen hergestellt. Das geht vollautomatisch, Menschen werden nur für die Logistik benötigt und um sich drauf zu setzen. Auch der Monoblock hat einen Vorläufer. 1966 wurde auf der Kölner Möbelmesse der Bofinger-Stuhl vorgestellt, der erste, der aus nur einem Stück Kunststoff besteht. Der Architekt Helmut Bätzner hatte ihn so gestaltet, als ob ein rot glänzender, fließender Stoff über ein Drahtgestell gegossen wäre. Das war schick und modern und passte in die Zeit, aber es war kein überragender Verkaufserfolg. Ganz anders der Monoblock. 1982 brachte die norditalienische Firma Progarden, am schönen Comer See gelegen, ihre Variante eines solchen Kunststoffstuhls auf den Markt. Sie gab ihm den schönen Namen Aurora, Morgenröte. Dieser Name enthält das Versprechen von Schönheit, auch wenn das Produkt selbst dieses nicht erfüllt. Ganz im Gegensatz zur Lieblingstheorie des Designs, Hässlichkeit verkaufe sich schlecht, wurden seither schätzungsweise 150 Millionen Exemplare allein von Aurora verkauft. Rechnet man alle Nachahmer und Varianten hinzu, hat eine Flut aus vermutlich einer Milliarde Stück dieses normalst-möglichen Allerwelts-Stuhls den Globus flächendeckend überschwemmt. Die deutsche Design-Legende Dieter Rams bemerkte einmal zu Aurora, daß im Groben eigentlich sehr viel bei diesem Entwurf stimme, aber daß man im Detail an den Materialstärken feilen müsste, um ein auch ästhetisch befriedigendes Produkt zu erhalten. Die Tragik des Designs liegt genau in dieser Detailarbeit. Sie erzeugt Kosten, die am Ende der Verbraucher bezahlen müsste: Für einen hochwertigen wie den Panton-Chair sind das 200 Euro, aber den Monoblock Aurora bekommt man im Baumarkt für 7 Euro 50. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [192]
Es gibt wahrscheinlich nur ein einziges Produkt, das alle Eigenschaften vereint, die die Moderne seit hundert Jahren von einem mustergültig demokratischen Produkt verlangt: Der Plastikstuhl, der auf der ganzen Welt zu finden ist. Er ist spottbillig und deshalb für jedermann erschwinglich. Er ist nützlich, weil er seinen praktischen Zweck erfüllt. Es ist federleicht, stapelbar, unverwüstlich, abwaschbar, selbsterklärend und relativ einfach zu produzieren. Und doch ist das, man muss es so deutlich sagen, nicht der Segen, sondern vielmehr der Fluch der Moderne, zumindest aus ästhetischer Sicht. Mit seinen Rücken- und Armlehnen, mit Luftschlitzen in der Sitzfläche und in der Lehne, findet man ihn, meistens in weiß, im Freien bei Bistros, Imbissbuden, Eisdielen, auf Balkonen und Campingplätzen. Der Fachmann spricht vom sogenannten Monoblock. Es ist der Plastik gewordene Inbegriff von Hässlichkeit, der Gipfel der Banalisierung dessen, was sich die Theoretiker des modernen Designs ausgedacht und ihre Meister praktisch vorgemacht haben. Der Monoblock hat seinen Namen vom Herstellungsverfahren: Er wird im Spritzguss aus Polypropylen zu einem einzigen Stück verarbeitet. Genauso werden Bierkästen hergestellt. Das geht vollautomatisch, Menschen werden nur für die Logistik benötigt und um sich drauf zu setzen. Auch der Monoblock hat einen Vorläufer. 1966 wurde auf der Kölner Möbelmesse der Bofinger-Stuhl vorgestellt, der erste, der aus nur einem Stück Kunststoff besteht. Der Architekt Helmut Bätzner hatte ihn so gestaltet, als ob ein rot glänzender, fließender Stoff über ein Drahtgestell gegossen wäre. Das war schick und modern und passte in die Zeit, aber es war kein überragender Verkaufserfolg. Ganz anders der Monoblock. 1982 brachte die norditalienische Firma Progarden, am schönen Comer See gelegen, ihre Variante eines solchen Kunststoffstuhls auf den Markt. Sie gab ihm den schönen Namen Aurora, Morgenröte. Dieser Name enthält das Versprechen von Schönheit, auch wenn das Produkt selbst dieses nicht erfüllt. Ganz im Gegensatz zur Lieblingstheorie des Designs, Hässlichkeit verkaufe sich schlecht, wurden seither schätzungsweise 150 Millionen Exemplare allein von Aurora verkauft. Rechnet man alle Nachahmer und Varianten hinzu, hat eine Flut aus vermutlich einer Milliarde Stück dieses normalst-möglichen Allerwelts-Stuhls den Globus flächendeckend überschwemmt. Die deutsche Design-Legende Dieter Rams bemerkte einmal zu Aurora, daß im Groben eigentlich sehr viel bei diesem Entwurf stimme, aber daß man im Detail an den Materialstärken feilen müsste, um ein auch ästhetisch befriedigendes Produkt zu erhalten. Die Tragik des Designs liegt genau in dieser Detailarbeit. Sie erzeugt Kosten, die am Ende der Verbraucher bezahlen müsste: Für einen hochwertigen wie den Panton-Chair sind das 200 Euro, aber den Monoblock Aurora bekommt man im Baumarkt für 7 Euro 50. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.