Schon oft war der Krieg der Vater vieler Produkte, die in friedlichen Zeiten nutzlos sind. Es sei denn, eine kluge Mutter weist ihnen eine bessere Bestimmung zu. So geschehen beim Papiertuch mit dem Markennamen »Kleenex«. Im ersten Weltkrieg wurde erstmals in der Geschichte der Menschheit tödlich giftiges Gas flächendeckend eingesetzt. Für die Gasmasken der Soldaten benötigte man Baumwolle als Filterstoff. Baumwolle fehlte aber, weil sie noch dringender als Verbandsstoff gebraucht wurde, um die Verletzten medizinisch zu versorgen. Die amerikanische Firma Kimberly-Clark, die sich seit 1872 vorwiegend mit dem Betrieb von Papiermühlen in den USA beschäftigt hatte, entwickelte deshalb im ersten Weltkrieg einen Baumwoll-Ersatzstoff aus Papier. Sie nannte ihn »Cellu-Cotton«. Eine dünnere Version wurde für die Lazarette hergestellt, und eine dickere, watte-ähnliche, für Gasmasken. Als der Krieg 1918 vorbei war, lagerten noch riesige Warenbestände davon in den Kaufhäusern. Was tun? Die Werbung wusste dreifach Rat. Ab 1924 behauptete sie kurzerhand, Hollywoodstars wie Jean Harlow benutzten die Papiertücher anstelle von Handtüchern aus Stoff, um Creme, Lippenstift und Make-up aus dem Gesicht zu entfernen. Die Werbung behauptete auch, dass die Verwendung der Papiertücher hygienischer sei, weil sie ja nach jedem Gebrauch weggeworfen werden. Und schließlich verpasste die Werbung dem Produkt auch einen neuen Namen: »Kleenex Kerchiefs«. 100 Stück für 65 Cent. Als nach 2 Jahren die Verkaufszahlen stetig gewachsen waren, erhielt Kimberly-Clark jedoch vermehrt Briefe von Männern, die sich wunderten, dass man die Kleenex-Tücher nicht auch als Papiertaschentücher bewarb. Zugleich erreichten das Unternehmen auch viele Briefe von Frauen, die sich darüber beschwerten, dass ihre Ehemänner ihre Schönheitstücher zum Naseputzen missbrauchten. Daraufhin stopfte Kimberly-Clark ab 1930 die Tücher in einen neuen Verkaufskarton, der schon 1921 erfunden worden war: Die darin liegenden Papiertücher waren so ineinander gefaltet, dass man beim Herausziehen des obersten Tuchs zugleich das nächste hervorzog. In dieser Verpackung bewarb das Unternehmen die Kleenex-Tücher nun auch als Taschentuch, und damit waren die Konsumenten nun endlich zufrieden und glücklich. Die Verkaufszahlen verdoppelten sich, und Kleenex avancierte in den USA zum Gattungsbegriff für das Papiertaschentuch schlechthin. Als Kimberly-Clark in den 1950er Jahren nach Deutschland expandierte, besetzte »Tempo« schon lange diese Position des Papiertaschentuchs. Aber Kleenex hat auch bei uns seinen Platz gefunden: Als Inbegriff für eine Rolle groben, saugfähigen Küchenpapiers. Und wenn sich der Koch mal versehentlich schneidet, dient es auch als rascher Ersatz für den eigentlich notwendigen Verband aus Baumwolle. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [211]
Schon oft war der Krieg der Vater vieler Produkte, die in friedlichen Zeiten nutzlos sind. Es sei denn, eine kluge Mutter weist ihnen eine bessere Bestimmung zu. So geschehen beim Papiertuch mit dem Markennamen »Kleenex«. Im ersten Weltkrieg wurde erstmals in der Geschichte der Menschheit tödlich giftiges Gas flächendeckend eingesetzt. Für die Gasmasken der Soldaten benötigte man Baumwolle als Filterstoff. Baumwolle fehlte aber, weil sie noch dringender als Verbandsstoff gebraucht wurde, um die Verletzten medizinisch zu versorgen. Die amerikanische Firma Kimberly-Clark, die sich seit 1872 vorwiegend mit dem Betrieb von Papiermühlen in den USA beschäftigt hatte, entwickelte deshalb im ersten Weltkrieg einen Baumwoll-Ersatzstoff aus Papier. Sie nannte ihn »Cellu-Cotton«. Eine dünnere Version wurde für die Lazarette hergestellt, und eine dickere, watte-ähnliche, für Gasmasken. Als der Krieg 1918 vorbei war, lagerten noch riesige Warenbestände davon in den Kaufhäusern. Was tun? Die Werbung wusste dreifach Rat. Ab 1924 behauptete sie kurzerhand, Hollywoodstars wie Jean Harlow benutzten die Papiertücher anstelle von Handtüchern aus Stoff, um Creme, Lippenstift und Make-up aus dem Gesicht zu entfernen. Die Werbung behauptete auch, dass die Verwendung der Papiertücher hygienischer sei, weil sie ja nach jedem Gebrauch weggeworfen werden. Und schließlich verpasste die Werbung dem Produkt auch einen neuen Namen: »Kleenex Kerchiefs«. 100 Stück für 65 Cent. Als nach 2 Jahren die Verkaufszahlen stetig gewachsen waren, erhielt Kimberly-Clark jedoch vermehrt Briefe von Männern, die sich wunderten, dass man die Kleenex-Tücher nicht auch als Papiertaschentücher bewarb. Zugleich erreichten das Unternehmen auch viele Briefe von Frauen, die sich darüber beschwerten, dass ihre Ehemänner ihre Schönheitstücher zum Naseputzen missbrauchten. Daraufhin stopfte Kimberly-Clark ab 1930 die Tücher in einen neuen Verkaufskarton, der schon 1921 erfunden worden war: Die darin liegenden Papiertücher waren so ineinander gefaltet, dass man beim Herausziehen des obersten Tuchs zugleich das nächste hervorzog. In dieser Verpackung bewarb das Unternehmen die Kleenex-Tücher nun auch als Taschentuch, und damit waren die Konsumenten nun endlich zufrieden und glücklich. Die Verkaufszahlen verdoppelten sich, und Kleenex avancierte in den USA zum Gattungsbegriff für das Papiertaschentuch schlechthin. Als Kimberly-Clark in den 1950er Jahren nach Deutschland expandierte, besetzte »Tempo« schon lange diese Position des Papiertaschentuchs. Aber Kleenex hat auch bei uns seinen Platz gefunden: Als Inbegriff für eine Rolle groben, saugfähigen Küchenpapiers. Und wenn sich der Koch mal versehentlich schneidet, dient es auch als rascher Ersatz für den eigentlich notwendigen Verband aus Baumwolle. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.