Am Lichte hängt, zum Lichte drängt doch alles. Zumindest in der Architektur, zumal in der modernen. Das Streben nach Transparenz ist seit fast 200 Jahren ein Dauerthema der führenden Architekten. Sie träumen davon, das Material für den Bau weitestgehend zu reduzieren – als ob ihre Häuser nur noch aus Licht errichtet wären. Konstruktionen aus Stahlskeletten ermöglichen es im 19. Jahrhundert, immer größere Öffnungen in die Wänden zu treiben und entsprechend mehr Scheiben aus Glas zu verwenden. Als es 1851 Joseph Paxton tatsächlich gelingt, seinen riesigen Kristallpalast auf der ersten Weltausstellung in London zu verwirklichen, läutet er damit eine neue Epoche ein. Aber diese Stahl-Glas-Konstruktionen, die im Prinzip Gewächshäuser sind, lösen keineswegs jede Architekturaufgabe. Denn Glasscheiben konnten damals noch viel weniger statische Kräfte aufnehmen als heute. Deshalb ist die grundsätzliche Aufgabe, wie man wirklich mit Glas bauen könnte, als ob es durchscheinendes Mauerwerk wäre, 1851 noch nicht gelöst. Der Schweizer Architekt Gustave Falconnier findet dafür 1886, 35 Jahre nach Paxton, die Lösung. Falconnier entwickelt ein technisches Verfahren, mit dem er doppelwandige Glaskörper herstellen kann, die fast ebenso tragfähig sind wie herkömmliches Baumaterial. Es sind Hohlziegel aus mundgeblasenem Glas, durchsichtige Glassteine in ovaler und sechseckiger Form. In den nächsten Jahren wird sein Verfahren durch Patente in Europa und USA geschützt. Damit kann er Lizenzen an mehrere Fabriken vergeben, unter anderem in Belgien und Frankreich. So können große Stückzahlen hervorgebracht werden, obwohl es sich dabei immer noch um eine handwerkliche Herstellung handelt. Seine Glasbausteine treffen auf eine große Nachfrage. Sie werden auf der Pariser Weltausstellung 1889 ausgezeichnet und sind bei Architekten wie dem jungen Le Corbusier beliebt, weil sie einen erheblichen Fortschritt darstellen. 1914 präsentiert Bruno Taut sein Glashaus auf der Werkbundausstellung in Köln mit den Worten: »Ohne einen Glaspalast ist das Leben eine Last.« Aber erst 40 Jahre später werden Glasbausteine, wie wir sie heute kennen, industriell hergestellt: 1930 gelingt es der Owens Illinois Glass Corporation, hohle Glasziegel zu produzieren, die aus zwei Hälften zusammengefügt werden. Erst diese Produkte sind so tragfähig und kostengünstig, dass sie seitdem Licht in das Dunkel unzähliger Treppenhäuser von Mietshäusern und Behörden tragen. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [234]
Am Lichte hängt, zum Lichte drängt doch alles. Zumindest in der Architektur, zumal in der modernen. Das Streben nach Transparenz ist seit fast 200 Jahren ein Dauerthema der führenden Architekten. Sie träumen davon, das Material für den Bau weitestgehend zu reduzieren – als ob ihre Häuser nur noch aus Licht errichtet wären. Konstruktionen aus Stahlskeletten ermöglichen es im 19. Jahrhundert, immer größere Öffnungen in die Wänden zu treiben und entsprechend mehr Scheiben aus Glas zu verwenden. Als es 1851 Joseph Paxton tatsächlich gelingt, seinen riesigen Kristallpalast auf der ersten Weltausstellung in London zu verwirklichen, läutet er damit eine neue Epoche ein. Aber diese Stahl-Glas-Konstruktionen, die im Prinzip Gewächshäuser sind, lösen keineswegs jede Architekturaufgabe. Denn Glasscheiben konnten damals noch viel weniger statische Kräfte aufnehmen als heute. Deshalb ist die grundsätzliche Aufgabe, wie man wirklich mit Glas bauen könnte, als ob es durchscheinendes Mauerwerk wäre, 1851 noch nicht gelöst. Der Schweizer Architekt Gustave Falconnier findet dafür 1886, 35 Jahre nach Paxton, die Lösung. Falconnier entwickelt ein technisches Verfahren, mit dem er doppelwandige Glaskörper herstellen kann, die fast ebenso tragfähig sind wie herkömmliches Baumaterial. Es sind Hohlziegel aus mundgeblasenem Glas, durchsichtige Glassteine in ovaler und sechseckiger Form. In den nächsten Jahren wird sein Verfahren durch Patente in Europa und USA geschützt. Damit kann er Lizenzen an mehrere Fabriken vergeben, unter anderem in Belgien und Frankreich. So können große Stückzahlen hervorgebracht werden, obwohl es sich dabei immer noch um eine handwerkliche Herstellung handelt. Seine Glasbausteine treffen auf eine große Nachfrage. Sie werden auf der Pariser Weltausstellung 1889 ausgezeichnet und sind bei Architekten wie dem jungen Le Corbusier beliebt, weil sie einen erheblichen Fortschritt darstellen. 1914 präsentiert Bruno Taut sein Glashaus auf der Werkbundausstellung in Köln mit den Worten: »Ohne einen Glaspalast ist das Leben eine Last.« Aber erst 40 Jahre später werden Glasbausteine, wie wir sie heute kennen, industriell hergestellt: 1930 gelingt es der Owens Illinois Glass Corporation, hohle Glasziegel zu produzieren, die aus zwei Hälften zusammengefügt werden. Erst diese Produkte sind so tragfähig und kostengünstig, dass sie seitdem Licht in das Dunkel unzähliger Treppenhäuser von Mietshäusern und Behörden tragen. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.