Zu dieser Publikation Das HfG-Archiv ist seit November 2012 an dem Ort angekommen, an den es gehört: im Gebäude der ehemaligen Hochschule für Gestaltung Ulm. Dort profitiert es von einer neuen, der Sache angemessenen Sichtbarkeit. In der Folge der Sanierungs- und Umbaumaßnahmen des gesamten Gebäudes konnte das Archiv eine zusätzliche Ausstellungsfläche übernehmen: Raum für eine Dauerausstellung zur Geschichte der HfG. Den Wettbewerb um die Gestaltung gewann Ruedi Baur mit seinem Team aus Paris. Er ist schon seit einigen Jahren Mitglied des Fachbeirats des IFG Ulm und hat sich in dieser Funktion als kritischer Engagierter Verdienste erworben. Er vertritt die Ansicht, dass man die gesellschaftspolitische Haltung der HfG-Akteure teilen kann, ohne ihren ästhetischen Konsequenzen folgen zu müssen. Zwei Aspekte der HfG-Geschichte interessieren ihn besonders: Zum einen der Gründungsimpuls der sog. »Stunde Null« als Handlungsoption des radikalen Neuanfangs und zum anderen die Weitsicht, dass die HfG eine eigene Abteilung »Information« eingerichtet hatte. Eine Ausstellung über die Geschichte der HfG in ihrem eigenen Gebäude liegt nicht nur nahe und ist geradezu selbstverständlich. Damit ist auch ein Risiko verbunden: Der historische Ort kann als Kulisse missverstanden werden, dessen Aura der Authentizität die aufklärerische Aufgabe einer Ausstellung überstrahlt. Das Denkmal wird dann zum Freilichttheater. Mit seiner Suggestivkraft kann kein Informationsangebot konkurrieren. Denn man erwartet stets, dass hinter den Werkstätten noch gegipst, geschreinert und geschliffen wird; dass sich an der Theke die internationale Gestalter-Avantgarde austauscht; und dass man hinter der Tür zum Rektorat Max Bill poltern hört. Diesem süßen Sog der sehnsuchtsvollen Erwartung kann man sich kaum entziehen. Es gehört Standhaftigkeit – auch beim Auftraggeber, vertreten duch den Direktor des HfG-Archivs, Martin Mäntele – dazu, sich der Versuchung konsequent zu verweigern, mit einer Ausstellung von genau der Umgebung profitieren zu wollen, die das weithin sichtbare »gebaute Programm« (Marcela Quijano) ihres Gegenstands ist. Wie verlockend wäre es gewesen, die Architektur des Ortes oberflächlich zu imitieren; Bild- und Texttafeln auf der Grundlage eines historischen Rasters (z.B. von der HfG-Wanderausstellung 1963-65) zu entwerfen; die »Akzidenz Grotesk« oder die »rotis« als Schrift zu wählen. Ruedi Baur hat nichts von all dem getan, und das ist eine legitime Entscheidung. Sein gestalterisches Konzept vergrößert die Ausstellungsfläche durch eine Struktur, die einem Regal gleicht. Dieser Körper ist ausschließlich Tragwerk, er ist nicht verkleidet. Er teilt und organisiert nicht nur den Raum. Er bietet dem HfG-Archiv auch die Möglichkeit, die wie Schubladen eingeschobenen Kisten zu verändern. So kann die Dauerausstellung permanent verändert, aber auch eine Sonderausstellung mit realisierbarem Aufwand erzeugt werden. An dieser Stelle darf nicht vergessen werden, dass die finanziellen Mittel des HfG-Archivs extrem eingeschränkt sind und die personelle Ausstattung völlig unangemessen niedrig ist. Die politische Anerkennung, die der HfG-Geschichte in Sonntagsreden zuletzt häufiger zuteil geworden ist, findet hier ihre beschämende Nagelprobe. Dass Ruedi Baur dem HfG-Archiv kein kodifiziertes, ästhetisch wohlfeiles, aber starres Korsett angelegt, sondern einen Werkzeugkasten entwickelt hat, mit dem unter den gegebenen Umständen tatsächlich gearbeitet werden kann, ist eine herausragende Leistung. Von all dem weiß der Besucher nichts, an den sich die Ausstellung hier am Oberen Kuhberg richtet: Schüler, Studenten, die junge Generation der Gestalter. Die Ausstellung ist nicht für die wenigen Experten gemacht. Und auch die meisten, vielleicht sogar alle ehemaligen HfG-Angehörigen finden sich nicht darin wieder. Das ist traurig, vielleicht sogar tragisch, aber unvermeidlich. Jede Generation muss das Recht haben, ihre eigene Geschichtsschreibung zu verfassen, in der sich ihre Sicht auf die Vergangenheit ausdrückt. Ruedi Baur und seine Mannschaft haben sich redlich und aufrichtig der Herausforderung gestellt, das Interesse der jungen Menschen für die Bedeutung der HfG zu wecken. Sie greifen dafür zu anderen gestalterischen Mitteln als es diejenigen getan hätten, deren Biographie mit der HfG Ulm verknüpft ist. Wäre er ihrem Duktus gefolgt, wäre er in die Falle des Marketings getappt, das so gerne einen einen »Ulmer Stil« beschwört, obwohl sich doch die maßgeblichen Protagonisten der HfG explizit gegen jeden stilistischen Kodex und für die Entwicklung gestalterischer Lösungen aus der Sache heraus eingesetzt haben: Jede Aufgabe ist eine »Stunde Null«. Chapeau! Wenn Sie dies kommentieren oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [373]
Zu dieser Publikation Das HfG-Archiv ist seit November 2012 an dem Ort angekommen, an den es gehört: im Gebäude der ehemaligen Hochschule für Gestaltung Ulm. Dort profitiert es von einer neuen, der Sache angemessenen Sichtbarkeit. In der Folge der Sanierungs- und Umbaumaßnahmen des gesamten Gebäudes konnte das Archiv eine zusätzliche Ausstellungsfläche übernehmen: Raum für eine Dauerausstellung zur Geschichte der HfG. Den Wettbewerb um die Gestaltung gewann Ruedi Baur mit seinem Team aus Paris. Er ist schon seit einigen Jahren Mitglied des Fachbeirats des IFG Ulm und hat sich in dieser Funktion als kritischer Engagierter Verdienste erworben. Er vertritt die Ansicht, dass man die gesellschaftspolitische Haltung der HfG-Akteure teilen kann, ohne ihren ästhetischen Konsequenzen folgen zu müssen. Zwei Aspekte der HfG-Geschichte interessieren ihn besonders: Zum einen der Gründungsimpuls der sog. »Stunde Null« als Handlungsoption des radikalen Neuanfangs und zum anderen die Weitsicht, dass die HfG eine eigene Abteilung »Information« eingerichtet hatte. Eine Ausstellung über die Geschichte der HfG in ihrem eigenen Gebäude liegt nicht nur nahe und ist geradezu selbstverständlich. Damit ist auch ein Risiko verbunden: Der historische Ort kann als Kulisse missverstanden werden, dessen Aura der Authentizität die aufklärerische Aufgabe einer Ausstellung überstrahlt. Das Denkmal wird dann zum Freilichttheater. Mit seiner Suggestivkraft kann kein Informationsangebot konkurrieren. Denn man erwartet stets, dass hinter den Werkstätten noch gegipst, geschreinert und geschliffen wird; dass sich an der Theke die internationale Gestalter-Avantgarde austauscht; und dass man hinter der Tür zum Rektorat Max Bill poltern hört. Diesem süßen Sog der sehnsuchtsvollen Erwartung kann man sich kaum entziehen. Es gehört Standhaftigkeit – auch beim Auftraggeber, vertreten duch den Direktor des HfG-Archivs, Martin Mäntele – dazu, sich der Versuchung konsequent zu verweigern, mit einer Ausstellung von genau der Umgebung profitieren zu wollen, die das weithin sichtbare »gebaute Programm« (Marcela Quijano) ihres Gegenstands ist. Wie verlockend wäre es gewesen, die Architektur des Ortes oberflächlich zu imitieren; Bild- und Texttafeln auf der Grundlage eines historischen Rasters (z.B. von der HfG-Wanderausstellung 1963-65) zu entwerfen; die »Akzidenz Grotesk« oder die »rotis« als Schrift zu wählen. Ruedi Baur hat nichts von all dem getan, und das ist eine legitime Entscheidung. Sein gestalterisches Konzept vergrößert die Ausstellungsfläche durch eine Struktur, die einem Regal gleicht. Dieser Körper ist ausschließlich Tragwerk, er ist nicht verkleidet. Er teilt und organisiert nicht nur den Raum. Er bietet dem HfG-Archiv auch die Möglichkeit, die wie Schubladen eingeschobenen Kisten zu verändern. So kann die Dauerausstellung permanent verändert, aber auch eine Sonderausstellung mit realisierbarem Aufwand erzeugt werden. An dieser Stelle darf nicht vergessen werden, dass die finanziellen Mittel des HfG-Archivs extrem eingeschränkt sind und die personelle Ausstattung völlig unangemessen niedrig ist. Die politische Anerkennung, die der HfG-Geschichte in Sonntagsreden zuletzt häufiger zuteil geworden ist, findet hier ihre beschämende Nagelprobe. Dass Ruedi Baur dem HfG-Archiv kein kodifiziertes, ästhetisch wohlfeiles, aber starres Korsett angelegt, sondern einen Werkzeugkasten entwickelt hat, mit dem unter den gegebenen Umständen tatsächlich gearbeitet werden kann, ist eine herausragende Leistung. Von all dem weiß der Besucher nichts, an den sich die Ausstellung hier am Oberen Kuhberg richtet: Schüler, Studenten, die junge Generation der Gestalter. Die Ausstellung ist nicht für die wenigen Experten gemacht. Und auch die meisten, vielleicht sogar alle ehemaligen HfG-Angehörigen finden sich nicht darin wieder. Das ist traurig, vielleicht sogar tragisch, aber unvermeidlich. Jede Generation muss das Recht haben, ihre eigene Geschichtsschreibung zu verfassen, in der sich ihre Sicht auf die Vergangenheit ausdrückt. Ruedi Baur und seine Mannschaft haben sich redlich und aufrichtig der Herausforderung gestellt, das Interesse der jungen Menschen für die Bedeutung der HfG zu wecken. Sie greifen dafür zu anderen gestalterischen Mitteln als es diejenigen getan hätten, deren Biographie mit der HfG Ulm verknüpft ist. Wäre er ihrem Duktus gefolgt, wäre er in die Falle des Marketings getappt, das so gerne einen einen »Ulmer Stil« beschwört, obwohl sich doch die maßgeblichen Protagonisten der HfG explizit gegen jeden stilistischen Kodex und für die Entwicklung gestalterischer Lösungen aus der Sache heraus eingesetzt haben: Jede Aufgabe ist eine »Stunde Null«. Chapeau! Wenn Sie dies kommentieren oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.