HfG Ulm. Kurze Geschichte der Hochschule für Gestaltung. Anmerkungen zum Verhältnis von Design und Politik (1953–1968)
15. Dezember 2013
Die gesellschaftliche Verantwortung der Gestalter
Warum die HfG Ulm gegründet wurde
Die Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm war vermutlich die weltweit wichtigste Designhochschule des 20. Jahrhunderts. Sie hat wahrscheinlich einen weiteren, tieferen und dauerhafteren Einfluss als jede andere Ausbildungsstätte auf das moderne Design ausgeübt, auch als das Dessauer Bauhaus. Für die internationale Kunst war allerdings das Bauhaus erheblich bedeutsamer als die HfG. Jedoch: Diese Behauptungen lassen sich nicht beweisen, weil Bedeutung in diesem Kontext nicht sinnvoll quantifiziert werden kann, allen Rankings zum Trotz.
Die HfG wurde nicht gegründet, um ein ästhetisches Defizit zu beheben. Ihren Gründern (Otl Aicher, Inge Scholl und Max Bill) ging es nicht in erster Linie darum, schöne Plakate und Lampen zu gestalten. Sie wollten vielmehr die Gesellschaft gestalten. Genauer gesagt: Sie wollten dazu beitragen, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland eine friedliche, demokratische und freie Gesellschaft entstehen konnte.
Dieses Ziel war eine ferne Utopie, als Otl Aicher und Inge Scholl im Frühjahr 1945 damit anfingen, ihre ersten Ideen zu verwirklichen. Es war einfach unvorstellbar, dass die Deutschen jemals von ihrem Kadavergehorsam, Militarismus und fanatischen Rassismus ablassen könnten. Sechs Jahre lang hatten die Deutschen die Welt mit Krieg überzogen, hatten unmenschliche Grausamkeiten mit maschineller Unerbittlichkeit und kaltblütiger Präzision in unfassbarem Ausmaß begangen. Millionen Menschen hatten sie in Gaskammern und auf den Schlachtfeldern ermordet. Ausgerechnet diese Deutschen sollten auf einmal bessere Menschen werden?
Die deutsche Gesellschaft lag 1945 in Trümmern. Die Häuser waren zerstört, die Straßen und Plätze der Städte voller Schutt und Asche. Das Land war von den vier führenden Siegermächten besetzt und aufgeteilt. Die Zerstörung war beinahe total. Sie erstreckte sich nicht nur auf die materielle Umwelt. Die Familien und Freunde beklagten ihre Toten und Vermissten.
Darüber hinaus waren auch die geistigen Grundlagen der Gesellschaft fundamental beschädigt. Die Welt hatte sich durch das Nazi-Regime so grundlegend geändert, dass die Deutschen aus Aichers Sicht nicht nahtlos an die Zeit bis 1933 anknüpfen durften. Er wollte die Katastrophe als Chance nutzen und sämtliche Traditionen und Gewissheiten, welche die deutsche Gesellschaft bis dahin wie selbstverständlich getragen hatten, kritisch hinterfragen. Alle gesellschaftlichen Werte erschienen fragwürdig, weil sie den Menschen nicht die Kraft gegeben hatten, den Nazis zu widerstehen. Diese Chance für einen vollständigen Neuanfang nannte man «Stunde Null».
Wie stolz waren die Deutschen auf ihre hochstehende Kultur gewesen, auf die Werke von Luther, Bach, Beethoven und Goethe. Über die Banausen aus den USA und die Proleten aus Russland hatte man gerne hochmütig die Nase gerümpft. Aber unter Hitler hatte sich binnen weniger Jahre das Land der Dichter und Denker in einen Abgrund voller Scharfrichter und Henker verwandelt. Ihre Wertschätzung von Musik, Dichtkunst und Philosophie hatte die Menschen nicht dafür gewappnet, als mündige Bürger dem Irrsinn Einhalt zu gebieten, als es darauf ankam.
Otl Aicher war der Ansicht, dass die traditionelle bürgerliche Wertschätzung der «Sonntagskultur» über Bord geworfen gehörte. Er hatte nichts gegen Theater, Oper, Konzerte oder Gemälde, er hatte sogar für ein paar Monate in München Bildhauerei studiert. Aber ihre Überhöhung in einen Fetisch hatte zur Geringschätzung des Alltags geführt. Deshalb waren auch die alltäglichen Dinge gering geachtet, die seit der Industrialisierung in großen Stückzahlen hergestellt werden konnten und dadurch für breite Schichten der Bevölkerung erschwinglich waren.
Feines Porzellanservice für den Festtag mit gestalterischen Mitteln zu veredeln, interessierte Aicher nicht. Er war der Meinung, dass eine freie und demokratische Zivilgesellschaft vielmehr Geschirr für jeden Tag des Jahres benötigte. Nicht nur praktisch und bezahlbar sollte es sein. Vor allem sollte es eine eigenständige Form erhalten, also die Erscheinung von vornehmen Luxuswaren nicht imitieren: Weder ihren Stil, noch teure Materialien oder kostbare Verarbeitung vortäuschen. Einge Jahre später, 1959, als die HfG schon einige Jahre existierte, entwarf tatsächlich der Student Nick Roericht in seiner Diplomarbeit eines der berühmtesten Produkte der HfG: das stapelbare Geschirr TC 100, das ausschließlich für Kantinen hergestellt wurde. Jahrzehntelang haben Millionen Menschen es zum Beispiel in Jugendherbergen benutzt.
Den gleichen Anspruch richtete Aicher auch an die Gestaltung von Informationen. Wer zum Beispiel einen übersichtlichen Zugfahrplan entwickelte oder ein sachlich aufklärendes Plakat über die Notwendigkeit gesunder Ernährung, ging aus Aichers Sicht einer Beschäftigung nach, die gesellschaftlich relevanter war als künstlerische Malerei. Deshalb hatte er sein Studium an der Münchner Akademie rasch abgebrochen. Er sah keinen Sinn darin, sich den Bildenden Künsten zu widmen, als ob zwischen 1933 und 1945 nichts gewesen wäre. Die Kunst erschien ihm damals sogar verlogen, weil er meinte, dass sich die Künstler dadurch ihrer Verantwortung entzogen, ihre Talente für den Aufbau einer neuen Nachkriegsgesellschaft zu nutzen – eine radikale Ansicht, typisch für Aichers Kompromisslosigkeit.
Die HfG war eine private Einrichtung, keine staatliche Hochschule. Das klingt heute nicht sonderlich bemerkenswert. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung aber handelte es sich um etwas vollkommen Einzigartiges. Bildung war in Deutschland traditionell eine Aufgabe des Staates. Lehrer und Professoren sind bis heute staatlich alimentierte Beamte. Sie stehen in einem besonderen Loyalitäts- und Dienstverhältnis zum Staat. Anfang der 1950er Jahre war die Überzeugung, dass es damit seine Richtigkeit hatte, in Deutschland noch viel tiefer verwurzelt als heute. Otl Aicher jedoch war anderer Ansicht. Er hatte den Staat als eine Organisation erlebt, die systematisch Unrecht ausübte. Der NS-Staat hatte seine geliebte Freundin Sophie Scholl und ihren älteren Bruder Hans ermordert. Seitdem misstraute Aicher jedem staatlichen Gebilde zutiefst.
Hans und Sophie Scholl zählten zu den wenigen aktiven Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime. Die beiden stammten ebenso wie Otl Aicher aus Ulm. Während ihres Studiums in München gehörten sie zum Kern der Gruppe «Die Weiße Rose». Sie verteilten Flugblätter in der Münchner Universität. Im Februar 1943 wurden sie dabei verhaftet. Wenige Tage später ermordeten die Nazis sie.
Otl Aicher entging seiner eigenen Verhaftung – damit wohl auch seiner Ermordung – nur durch Glück um Haaresbreite. Gemeinsam mit Inge Scholl, der ältesten Schwester von Hans und Sophie, organisierte er schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Ulm Vorträge von Philosophen und Theologen, die den Menschen Hoffnung und Orientierung in ihrer zerstörten Welt bringen sollten. Aus dieser Initiative entwickelten sie 1946 die Ulmer Volkshochschule. Der Impuls der «Stunde Null», etwas von Grund auf neu zu denken, war bei ihnen und ihren Freunden, dem sogenannten «Ulmer Kreis», noch nicht erloschen.
Sie unterschieden sich dadurch von den meisten anderen Menschen in Deutschland. Nachdem die Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren vor allem ums nackte Überleben kämpfen musste, weil Hunger und Mangel den Alltag bestimmten und eiskalte Winter in Häusern ohne Dächer, Fenster und Heizungen die ausgemergelten Körper dahinrafften, ging es zum Ende der 1940er Jahre schrittweise besser. Anfang der 1950er Jahre wurde Wohlstand spürbar. Aus der Rückschau wird die einsetzende «restaurative» Epoche bis zum Ende der 1960er Jahre als Wirtschaftswunder beschrieben. Die deutsche Gesellschaft machte es sich in den angenehmer gewordenen Verhältnissen bequem. Der erste Italien-Urlaub mit dem ersten eigenen Auto lag für jedermann in greifbarer Nähe.
Jetzt, Anfang der 1950er Jahre, mochte sich kaum noch jemand mit gesellschaftspolitischen Utopien beschäftigen. Lag doch mittlerweile das Ende des Zweiten Weltkriegs schon Jahre zurück. Die Erinnerung an die Vergangenheit der braunen SA-Uniformen wurde kollektiv verdrängt. Inge Scholl und Otl Aicher aber arbeiteten mit aller Kraft daran, ihre Idee zu verwirklichen, aus der Ulmer Volkshochschule heraus eine neue, zweite Bildungseinrichtung zu entwickeln. Mit der Hilfe des US-Hochkommissars John J. McCloy und seines Mitarbeiter Shepard Stone erhielten sie die Zusage über 1 Million Deutsche Mark als Spende des amerikanischen Steuerzahlers, wenn es ihnen gelang, eine zweite Million aus anderen Quellen einzusammeln. Weil diese Mittel nicht an Inge Scholl persönlich fließen durften, errichtete sie dafür am 5.12.1950 eine Organisation, die das Geld seinem Verwendungszweck gemäß verwalten sollte: Die Geschwister-Scholl-Stiftung.
Ursprünglich, Ende der 1940er Jahre, wollten Inge Scholl und Otl Aicher gemeinsam mit dem Schriftsteller Hans-Werner Richter eine Geschwister-Scholl-Hochschule gründen. Sie sollte das Angebot der Volkshochschule erweitern, vor allem um gesellschaftspolitische Themen. Weil sich Otl Aicher aber für Architektur, Städtebau und das interessierte, was wir heute Design nennen, wurde er auf den Zürcher Architekten, Künstler und Designer Max Bill aufmerksam. Bill wurde rasch ein wichtiger Mitstreiter der Ulmer und brachte Hans Werner Richter innerhalb weniger Monate dazu, sich aus dem Engagement zurückzuziehen. Bill sorgte dafür, dass das inhaltliche Konzept der in Gründung befindlichen Hochschule auf Gestaltungsthemen eingegrenzt wurde: Städtebau und Architektur, visuelle Gestaltung, Produktgestaltung, Information. Die gesellschaftspolitische Ausrichtung verschwand dadurch nicht. Sie blieb als Basis für die Beschäftigung mit Fragen der Gestaltung der Welt bestehen. Welchen Beitrag muß die Gestaltung leisten, damit die Menschen den Versuchungen eines tyrannischen, menschenverachtenden Regimes widerstehen werden? Damit etwas wie die Nazi-Zeit nicht wieder möglich wird? «Nie wieder!» lautete das Leitmotiv der Ulmer.
Die kulturelle Bewältigung der technischen Zivilisation
Welche Aufgabe sich die HfG Ulm vorgenommen hatte
Welche Verantwortung trägt der Gestalter für die Entwicklung und Stärkung einer freien, unabhängigen und kritischen Gesellschaft? In welcher Gesellschaft wollen wir leben, und welchen Beitrag können wir als Gestalter dazu leisten, dass diese Gesellschaft Wirklichkeit wird? Die gesellschaftliche Verantwortung des Gestalters ist die Antriebskraft, die nicht nur zur Gründung der Hochschule für Gestaltung geführt hat. Sie hat auch während ihres Bestehens von 1953 bis 1968 die intellektuelle Grundlage gebildet. Wie an keinem anderen Ort auf der Welt konzentrierte sich in der HfG die theoretische und praktische Auseinandersetzung auf die Frage, worin die gesellschaftlichen Verantwortung der Gestalter besteht.
Die Antworten, die an der HfG darauf entwickelt wurden, liegen heute schon 40 Jahre und mehr zurück. Ebenso, wie die Antworten des Bauhauses auf diese Frage bei der Gründung der HfG schon 40 Jahre zurückgelegen hatten. Wer es heute für richtig hält, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, sollte deshalb vor allem den Gründungsimpuls der HfG ernst nehmen: Es lohnt sich zwar, wenn man mit die alten Aussagen kennt, weil darin viel Klugheit und Aufrichtigkeit steckt. Aber die Umstände haben sich heute so sehr verändert, dass wir unsere eigenen Wahrheiten finden müssen.
Die HfG Ulm wird heute vor allem auf Oberflächen reduziert: Geräte, die zu Ikonen des modernen Produktdesigns stilisiert wurden; visuelle Erscheinungsbilder, die als Musterbeispiele in Lehrbüchern veröffentlicht sind; die Architektur Max Bills. Die Haltung, die zu diesen Resultaten geführt hat, ist darüber meist in Vergessenheit geraten, so dass das, was die HfG hervorgebracht hat, auf einen formalästhetischen Stil beschränkt wird – ganz zu schweigen vom einfältigen «Funktionalismus»-Etikett. Die HfG beruhte erstens auf der Beobachtung, dass die (westliche) Welt seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch den historischen Prozess der Industrialisierung eine technische geworden ist, und zweitens auf der Annahme, dass diese Welt gestaltet werden kann.
Beides sind fundamentale Bestandteile des Gerüsts der Ideen, Werte und Überzeugungen, welche die Moderne hervorgebracht haben. Eine zentrale Folgerung der Moderne ist die Behauptung, jede Aufgabe können aus sich heraus gelöst werden. Probleme stellen sich unter diesem Blickwinkel als Aufgaben dar, die durch Entwickeln gelöst werden können – um im Bild zu bleiben: Probleme sind Verwicklungen, die in ihrem Kern schon ihre Lösung enthalten. Man müsse «nur» bis dorthin vordringen. Dann ergebe sich die Lösung wie von selbst. Diese Vorstellung, gepaart mit dem festen Glauben an die Gestaltbarkeit der Welt, hat dazu geführt, dass die Moderne mit der Idee aufgeladen wurde, das Erfolgsgeheimnis gelungener Projekte liege im gründlichen Planen und anschließenden linearen Abwickeln von zuvor definierten Aufgabenspulen. Als Ergebnis dieser Konsequenz brachte die Moderne jedoch nur in den seltensten Fällen Orte, Gebäude, Geräte und Dienste mit gesteigerter Qualität hervor, sondern genau die Banalität, die der Moderne schon von Beginn an (spätestens seit der ersten Weltausstellung in London 1851) vorgehalten wird als inhumane Unterwerfung unter das Diktat der Maschinen und der Industrie, ästhetische Verödung und monotone Simplifizierung.
Der Ansatz des Bauhauses unter Walter Gropius bestand darin, diese Herausforderung mit künstlerischen Mitteln zu bewältigen. Die Architektur propagierte er als diejenige Disziplin, die alle Künste zusammenführte. Otl Aicher vertrat eine andere Ansicht: Die technische Zivilisation müsse auf der Grundlage eines neuen Verständnisses von Kultur bewältigt werden. Kultur sei nicht, was nur sonntags angelegt werde wie ein besonderes Kleid und nur wenige Bereiche des Lebens betreffe (insbesondere Lyrik, Theater, Oper, klassische Musik, Malerei, Bildhauerei und Philosophie), sondern umfasse schon längst sämtliche maschinell hergestellten Gegenstände und alltäglichen Handlungen. Die Gestaltung dieser Dinge und Zusammenhänge der Industriegesellschaft müsse deshalb als kulturelle Aufgabe behandelt werden.
Fatal war, dass sich die Nazis der wissenschaftlichen, technischen und logistischen Errungenschaften der Moderne bedient hatten. Ihre Propaganda instrumentalisierte etwa moderne Rundfunktechnik (Volksempfänger), Ingenieursentwicklungen (Volkswagen, Autobahn), Medien (Fotografie, Film) und ästhetische Organisationsprinzipien (Corporate Design avant la lettre). Ganz zu schweigen von der geradezu industriellen Massenvernichtung in den Konzentrationslagern. Der Glaube an den inhärenten, nicht weiter hinterfragbaren Sinn des technischen Fortschritts war dadurch nach dem Zweiten Weltkrieg desavouiert. Welche Prinzipien sollten nun gelten, um die zerstörte Umwelt wieder aufzubauen und dabei neu zu gestalten?
Otl Aicher wollte weder an eine irregeleitete «Maschinenästhetik», noch an romantisch verklärten Historismus anknüpfen (selbst Thomas Mann verzweifelte an der Erkenntnis, dass sehr viel Hitler in Wagner steckt). Die kulturelle Bewältigung der technischen Zivilisation sollte statt dessen auf sachlich begründeter Rationalität beruhen. Jegliche künstlerische Inszenierung oder emotional ergreifende Überwältigung lehnte er radikal ab, denn damit hatten die Bilder von Leni Riefenstahls Propagandafilmen und von Aufmärschen der Nazis im nächtlichen Fackelschein ihre Wirkung erzielt.
An die Stelle von Symbolen und Parolen setzte Aicher das nüchterne, überzeugende Argument. Design sollte eine vernunftbasierte Tätigkeit sein. Es ging dabei nicht um Inspiration und sprudelnde Ideen, sondern um vorurteilfreies und gründliches Untersuchen des Kontexts einer Aufgabe; sachliches Gewichten und Abwägen der Analyseergebnisse; systematisches und interdisziplinäres Hervorbringen von Systemen anstelle von Unikaten. Die Überzeugungskraft der Information war ihm wichtiger als zerstreuende Unterhaltung. Die Verbesserung eines praktischen Nutzens für viele Menschen zog er dem Verfeinern von Gütern für prestigeträchtigen Luxuskonsum vor. Technik war für ihn kein Fetisch (auch wenn Motoren ihn faszinierten), sondern potentiell ein effizientes Instrument für eine demokratische Gesellschaft. Techniker, Wissenschaftler und Ingenieure durften deshalb auch keine Fachidioten sein, die sich nicht für die gesellschaftlichen Zusammenhängen interessierten und nur ihr Spezialwissen abgeschottet anhäuften.
Sobald die Studierenden die Grundlehre bzw. das erste Studienjahr absolviert hatten, beschäftigten sie sich in ihrer Abteilung nach folgendem Muster mit ihrer Aufgabe (typisch waren etwa in der Produktgestaltung: elektrischer Handbohrer, Espressomaschine, Brille, Zeichenmaschine, Diaprojektor, Füllfederhalter). Am Anfang stand eine kritische Analyse der am Markt vorhandenen Dinge. Dann wurden Charakter und Qualitäten des Produkts definiert, um die Funktionen genau bestimmen zu können, die zur Erfüllung dieser Aufgaben notwendig sind. Zugleich gab es Studien der ökonomischen und soziologischen Zusammenhänge, obwohl diese prinzipiell nicht bis zum Ende durchgeführt werden können. Dann wurde die mechanische und konstruktive Struktur untersucht. Nichts, was gegeben war, wurde kritiklos übernommen, sondern es wurden verschiedene Optionen durchgespielt. Am Ende entschieden sich Studierende und Dozent für eine Möglichkeit. Erst danach begann die formalästhetische Gestaltung.
So erhielt die HfG ein Profil, das randschärfer war als das aller anderen Ausbildungsstätten für Design. Die HfG stellte sich selbst die Aufgabe, relevante Beiträge dafür zu liefern, dass die technische Zivilisation des 20. Jahrhunderts kulturell bewältigt werden kann. An keinem anderen Ort auf der Welt gab oder gibt es seither diese Fokussierung.
Kurze Geschichte der HfG Ulm
1953–1968
Um die HfG gründen und betreiben zu können, mussten Inge Scholl, Otl Aicher und Max Bill Geld und Unterstützer finden. Im Ausland waren sie zuerst erfolgreich: Sie konnten den US-amerikanischen Hochkommissar John J. McCloy und seinen Mitarbeiter Shepard Stone für die Idee einer neuen privaten Hochschule begeistern, die zum Aufbau einer modernen, demokratischen und friedlichen Gesellschaft in Wohlstand beitragen sollte. 1950 erhielten sie ihre Zusage, dass der amerikanische Steuerzahler dafür eine Million Deutsche Mark spenden würde, wenn es den Ulmern gelingen sollte, ein zweite Million einzusammeln.
Das Geld konnte Inge Scholl nicht als Privatperson entgegen nehmen. Sie brauchte eine Organisation als Träger der Hochschule und Verwalter der Finanzen. Deshalb errichtete sie am 5. Dezember 1950 die «Geschwister-Scholl-Stiftung». Sie besteht bis heute, allerdings unter dem Namen «Stiftung Hochschule für Gestaltung Ulm».
Die zweite Million einzusammeln, war äußerst schwierig. Es gab nur wenige Menschen, welche die Idee der HfG-Gründung für unterstützenswert hielten. Die meisten Politiker, Beamten, Unternehmer, Architekten, Professoren und Journalisten waren nicht davon überzeugt, dass Deutschland etwas so radikal Neues benötigte. In ihren Augen gab es Wichtigeres, was gefördert werden sollte. Zumindest hätten sie es lieber gesehen, wenn die amerikanische Spende für eine bereits bestehende Hochschule eingesetzt würde, z.B. die Architekturfakultät der TH Stuttgart. Allerdings sprach sich kaum jemand offen dagegen aus, die amerikanische Million anzunehmen. Zähneknirschend und widerwillig ließ man die Ulmer gewähren.
Inge Scholl, Otl Aicher und Max Bill mussten die HfG unter extremem Druck aufbauen: Eiserne Widerstände, Anfeindungen, Intrigen und Unverständnis auf der einen Seite, Geld- und Zeitmangel auf der anderen Seite. Dazu kam noch ein bürokratisch-juristischer Hindernislauf, denn die Stiftung war zwar privat, aber sie war deshalb noch lange nicht unabhängig. Sie war auf Zuschüsse der Stadt Ulm, des Landes Baden-Württemberg und des Bundes angewiesen. Ohne dieses Geld hätte der Gebäudekomplex am Oberen Kuhberg nicht errichtet und der Betrieb der HfG nicht finanziert werden können.
Aber innerhalb von zwei Jahren gelang es vor allem Inge Scholl, wenigstens so viel Hilfe in den Parlamenten, Ministerien und der Wirtschaft zu mobilisieren, dass John J. McCloy ihr am 23. Juni 1952 im Ulmer Rathaus den Scheck über 1 Million Mark überreichte.
Die HfG startete mit ihrem Lehrbetrieb am 3. August 1953, die ersten Dozenten waren ehemalige Bauhaus-Lehrer. Die Bauarbeiten für den Gebäudekomplex begannen aber erst am 8. September 1953. Der Unterricht fand deshalb in Räumen der Ulmer Volkshochschule statt, bis der Rohbau am 10. Januar 1955 bezogen werden konnte. Der Innenausbau der Schul- und Wohnbauten dauerte danach noch 9 Monate. Erst am 1. und 2. Oktober 1955 wurden die Gebäude mit einer Feier eingeweiht. Die Festrede hielt Walter Gropius, der als Architekt, Designer und Direktor des ehemaligen Bauhauses weltweit höchstes Ansehen genoss.
Es war Teil des Konzeptes, dass die ersten HfG-Studenten im Rahmen ihres Unterrichts wesentlich zum Bau, insbesondere zum Innenausbau beitragen sollten. Genauso, wie die Architektur Max Bills das HfG-Programm in ein Gebäude übersetzte, sollten auch die Gegenstände der Inneneinrichtung den jungen Ulmer Anspruch verkörpern. Maßgeblich war dafür der Dozent Walter Zeischegg verantwortlich. Daraus entstanden Halterungen für Leuchtstoffröhren, Lattenroste für die Betten, Waschbecken, Türgriffe und der «Ulmer Hocker» (ein Ergebnis der gemeinsamen Arbeit von Max Bill mit dem niederländischen Designer Hans Gugelot und dem Meister der Holzwerkstatt Paul Hildinger). Man sitzt darauf nicht bequem, aber es geht leidlich. Man kann ihn herumtragen, aber nicht besonders gut. Angeblich wurden sogar Bücher damit transportiert, aber auch dafür gibt es spürbar bessere Lösungen. Sehr hilfreich ist er als niedriger Tisch und Tritt in zwei verschiedenen Höhen. Vermutlich ist der Hocker so berühmt geworden, weil er a) gegensätzliche Nutzungsoptionen zur Verfügung stellt, b) eine kompromisslos sperrige Form hat und c) sowohl der Materialbedarf als auch die Verarbeitungsschritte minimiert sind. In dieser Kombination erscheint er wie ein Spiegelbild der gesamten HfG in verkleinertem Maßstab.
Die HfG bestand als Lehrinstitution 15 Jahre lang, vom Sommer 1953 bis zum Sommer 1968. Es gab in dieser Zeit keinen Tag ohne finanzielle Sorgen. Die Stiftung krebste entweder knapp oberhalb des Existenzminimums oder bewegte sich sogar unterhalb. Es gab zwar ein paar Jahre lang begründete Hoffnung darauf, dass sich die Situation grundlegend verbessern könnte, aber dieser Fall ist dann doch nicht eingetreten. Ein Resultat der permanenten Existenznot war die Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung: Obwohl die Studenten und Dozenten in der Gewissheit verbunden waren, dass sie einer ungeheuer fortschrittlichen Elite angehörten, wurden sie täglich damit konfrontiert, dass fast die gesamte Gesellschaft den Wert ihrer Arbeit nicht honorierte. Manche setzten sich unbekümmert und selbstbewusst darüber hinweg. Die mangelnde Wertschätzung führte aber vielfach zu Frustration. Daraus speiste sich ein Teil der Energie, die sich in vehementen Spannungen zwischen den Akteuren entlud. (Ein anderer Teil ergab sich aus der Tatsache, dass es sich bei den Menschen meist um Persönlichkeiten von starkem Charakter handelte.) Weil die Streitigkeiten mit unerbittlicher intellektueller Schärfe ausgetragen wurden, entstand für die Öffentlichkeit schnell der Eindruck, auf dem Kuhberg geschehe nichts weiter als ein permanentes Hauen und Stechen.
Darum war es für Außenstehende kaum nachvollziehbar, welche Leistungen in der HfG hervorgebracht wurden. Das ist zweifellos bitter, aber typisch für jede Avantgarde. Als weitere Hürde für ein breiteres Verständnis stellte sich der Jargon der Ulmer heraus, der zum Vorwurf der Arroganz beitrug: Weitgehend unbekannte Begriffe wie Kommunikation, Design oder Kybernetik irritierten mehr, als dass sie Klarheit erzeugten oder Interesse weckten.
Nach der Eröffnungsfeier gab es nur drei Ereignisse, die große öffentliche Aufmerksamkeit auf die HfG lenkten: Erstens die Trennung von Max Bill 1957. Zweitens der Verfassungsputsch Otl Aichers 1962. Und drittens die Schließung 1968. Somit beherrschten unter dem Strich schlechte Nachrichten das Meinungsklima.
Max Bill war seit dem Frühjahr 1950 nicht nur als Architekt des Gebäudekomplexes vorgesehen. Er wollte auch als Rektor die HfG nach außen repräsentieren, verantwortlich sein für den Gesamtlehrplan sowie Leiter der Abteilung Architektur und Leiter der Grundlehre. Dann stellte sich während der Bauphase heraus, dass es schwierig war, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er war kein Teamplayer, und außerdem zu selten in Ulm. Aus der Ferne, von seinem Züricher Büro aus, ließ sich die Aufbauarbeit nicht organisieren. Anfangs waren die Ulmer verzweifelt, dann verärgert. Darum verständigten sich Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher (sie hatten am 7. Juni 1952 geheiratet) mit Max Bill schon 1955 darauf, dass die Tagesgeschäfte nicht mehr in seinen Händen als Rektor liegen sollten, sondern in denen eines Gremiums aus mehreren Dozenten, dem sogenannten Rektoratskollegium. Sein Rektorat endete am 31. März 1956, aber er blieb Dozent an der HfG und ein außerordentliches Mitglied ihres Rektoratskollegiums.
Dann entbrannte ein dreiviertel Jahr später, im Januar 1957 ein heftiger Streit. Sein Anlass war vordergründig eine Kleinigkeit: Max Bill hatte ein Schild vor die von ihm genutzten Unterrichtsräume anbringen lassen, das den Zutritt nur «seinen» Studenten gewährte. Aus Sicht des Rektoratskollegium aber handelte es sich dabei nur um die sichtbare Spitze des gesamten Eisbergs. Insbesondere Otl Aicher, Hans Gugelot und Tomás Maldonado unterstellten Max Bill, dass er beabsichtigte, ein separates «Atelier Bill» wie eine Meisterklasse in der Tradition der Kunstakademien zu etablieren. Der Streit eskalierte. Die Schule spaltete sich in zwei Lager, pro und kontra Bill. Als sich die Stiftung zum 31. März 1957 von Max Bill trennte, waren alle HfG-Unterstützer darüber entsetzt, dass der einzige bekannte Protagonist der jungen, noch im Aufbau befindlichen HfG vor die Tür gesetzt wurde. Die Studenten, die zu Bill hielten, durften ihr Studium bei ihm in Zürich abschließen. Der Vertrag des Dozenten Max Bense, der sich für Bill eingesetzt hatte, wurde nicht verlängert.
Die eigentliche Motivation Aichers und Maldonados für den offenen Bruch mit Bill war ihre Überzeugung, dass sich die HfG mit aller Kraft konsequent der Verwissenschaftlichung des Designs widmen müsse. Dieses Ziel widersprach einer traditionellen künstlerischen Auffassung, die auf dem Geniegedanken und, damit verbunden, einer Ausbildung in Meisterklassen beruhte. Aicher und Maldonado wollten den Künstler durch einen neuen Typus Gestalter ersetzen: Durch den in wissenschaftlichen Disziplinen geschulten Teamplayer, der sich gleichberechtigt mit Ingenieuren in technischen Büros austauschen konnte. Seine Arbeit sollte weit über das Erschaffen einer formal-ästhetischen Oberfläche hinausreichen. Dafür wollten sie an der HfG ein neues Berufsbild entwickeln. Diesen neuen Gestaltertyp nannten sie Designer.
Mit dem neuen Programm der Verwissenschaftlichung war der Versuch gemeint, Design als eine objektive, wertfreie (Natur-) Wissenschaft zu entwickeln. Es führte dazu, dass an der HfG eine Vielzahl ingenieur-, natur- und gesellschaftswissenschaftlicher Fächer unterrichtet wurde, z.B. Kybernetik, Semiotik, Soziologie, Statistik, Stochastik, Mechanik, Materiallehre und Konstruktionslehre. Dadurch unterschied sich die HfG substantiell von den zeitgenössischen Ausbildungsorten für Architekten und Designer (Werkkunstschulen, Technische Hochschulen und Kunstakademien).
Eine Studentengeneration nach der Trennung von Bill, im Studienjahr 1961/62, zog Aicher Bilanz. Sein Fazit fiel erschütternd aus. Die Geister der Wissenschaft, die er selbst gerufen hatte, wollte er nun wieder mit aller Gewalt los werden. Er scheute sich nicht, erneut einen offenen Machtkampf auszutragen. Im Kern ging es bei dieser Auseinandersetzung im Jahr 1962 um die Frage, ob Design eine objektive Wissenschaft sei. Aichers Antagonist war der Mathematiker und intellektuell überragende Dozent Horst Rittel. Aicher war mit den Ergebnissen des seit 1956/57 eingeschlagenen Weges nicht einverstanden und hatte deshalb seine Ansicht geändert. Er war nun zur Überzeugung gelangt, dass Design nur bis zu einem (un-) bestimmten Punkt so betrachtet und betrieben werden könne wie eine Naturwissenschaft. Im Wesen sei Design keine objektive, wertfreie Wissenschaft. Er wollte nun (wieder) den Designer als wertendes und handelndes Subjekt in den Mittelpunkt der HfG-Arbeit rücken. Dadurch erhielt der Designer wieder die Autorität eines Genies, der seine Entscheidungen letztlich aus eigener Vollkommenheit trifft. Allerdings sollten Wissenschaft und Technik ihm als Hilfsmittel dienen.
Um seine Auffassung gegen einen Teil der Dozenten und der Studenten durchsetzen zu können, sorgte Aicher im Hintergrund dafür, dass die HfG eine neue Verfassung erhielt. Darin wurde das Rektoratskollegium durch einen Rektor ersetzt. Die dienende, dem Design zuarbeitende Rolle der Wissenschaft sollte sich in einer Unterordnung dieser Fachdozenten ausdrücken: Der Rektor der HfG durfte künftig nur noch ein Designer sein, die Theoretiker wurden zu Dozenten zweiter Klasse degradiert. So wurde Otl Aicher am 20. Dezember 1962 unter Umständen, die er selbst als Farce bezeichnete, zum Rektor gewählt. Die Hochschulverfassung war unter undemokratischen Umständen entsprechend geändert worden. Auch die Wahl Aichers wahrte allein unter formalen Gesichtspunkten demokratischen Anschein. Der gesamte Prozess ähnelt vielmehr einem Putsch.
Dafür, dass Otl Aicher wiederum seinen Willen durchgesetzt hatte, musste die HfG in der Folgezeit einen hohen Preis bezahlen. Viele einflussreiche Förderer kehrten der HfG den Rücken zu. Sie resignierten enttäuscht oder waren von den häufigen Kursänderungen entnervt, die jedes Mal im Ton der Absolutheit und Unbedingtheit eingeläutet worden waren. Ebenso zermürbend wirkte die Ignoranz der meisten Politiker und Journalisten. Den Tiefpunkt der tendenziösen Berichterstattung bildet eine Reportage im Nachrichtenmagazin Der Spiegel 1963. Sie beschädigte nicht nur das Ansehen der HfG, sondern gefährdete ihre Existenz. Denn daraufhin ließ der Landtag von Baden-Württemberg prüfen, ob es überhaupt noch angemessen war, dass die private HfG staatliche Zuschüsse erhielt.
Die Schließung
1967/1968
Über die Schließung der HfG kursieren überwiegend Falschmeldungen. Selbst in verdienstvollen Publikationen werden Märchen verbreitet. Wider besseres Wissen wird der Mythos von der HfG aufrecht erhalten, die durch den Handstreich eines tumben baden-württembergischen Ministerpräsidenten niedergestreckt worden sei.
Tatsächlich jedoch handelte es sich nicht um eine plötzliche Handlung eines einzelnen Mächtigen, sondern es war ein langjähriger und vielfach verschränkter Prozess, der zur Schließung der HfG führte. Überraschend daran ist, dass dieses Ergebnis keinesfalls den eigentlichen Absichten der meisten Beteiligten entsprach.
Äußerer Anlass der Schließung war fehlendes Geld. Dafür gab es zwei Gründe: Die Einnahmen gingen zurück und die Stiftung tat nichts dagegen, zumindest nichts Erfolgreiches. Eine Folge des programmatischen Wechsels der HfG 1962 («Design ist keine Wissenschaft und die HfG keine wissenschaftliche Hochschule») war, dass der Bund seine Zuschüsse streichen musste. Wegen der Kulturhoheit der Länder durfte der Bund die HfG nicht direkt unterstützen, er konnte nur finanzielle Mittel für Grundlagenforschung zur Verfügung stellen. Deshalb wurde das Ende der Forschungstätigkeit an der HfG schon 1964 mit der Ankündigung quittiert, dass die Bundeszuschüsse 1966 zum letzten Mal angewiesen würden.
Die Stiftung reagierte darauf nur insofern, als sie den Kopf in den Sand steckte und auf eine Verstaatlichung der HfG hoffte. 1965 war die Lage bereits so desolat, dass es niemandem auffiel, dass die HfG in diesem Jahr 420.000 Mark mehr ausgab, als im Etat vorgesehen war.
1966 hob der Stuttgarter Landtag seine jährlichen Zuschüsse auf 900.000 Mark an, um die Lücke teilweise auszugleichen. Zugleich stellte das Parlament klar, dass die HfG keinesfalls verstaatlicht werden sollte. Wenn der Unterrichtsbetrieb auf solider Grundlage stehen sollte, benötigte die HfG aber mindestens 1,3 Mio. Mark pro Jahr. Dafür fehlten jedoch die Unterstützer in Politik und Wirtschaft. Es gab auch keine Akteure innerhalb der HfG mehr, deren Engagement mit dem vergleichbar gewesen wäre, welches zur Gründung der HfG geführt hatte: Die langjährigen Dozenten Hans Gugelot und Friedrich Vordemberge-Gildewart waren gestorben, Otl Aicher und Tomás Maldonado hatten die HfG verlassen, um sich auf neuen Feldern zu betätigen (Aicher: Gestaltungsbeauftragter der Olympischen Spiele in München 1972, Maldonado: Büro in Mailand und Lehre in Princeton).
Im Dezember 1967 war die drohende Insolvenz der Stiftung unübersehbar. Deshalb musste sie allen Angestellten zum 30. September 1968 kündigen. Andernfalls hätten sich die Mitglieder des Stiftungsrats persönlich für die finanziellen Folgen haftbar gemacht. Sie verbanden die Kündigung mit der unrealistischen Anregung, die HfG möge dadurch gerettet werden, dass sie mit der staatlichen Ingenieurschule Ulm fusioniert würde. Aus der Perspektive der HfG-Angehörigen war dieser Vorschlag eine unerträgliche Zumutung. Bewies er doch, dass die Stiftung mittlerweile nichts mehr von dem verstand, was die HfG auszeichnete: Inhaltlich, pädagogisch und weltanschaulich gab es nichts Verbindendes zwischen Ingenieuerschule und HfG.
In den Augen der HfG-Angehörigen bestand die einzige Legitimation der Stiftung darin, finanzielle Verhältnisse zu gewährleisten, die so solide waren, dass der Betrieb der HfG auch nur annähernd unter den Bedingungen möglich gewesen wäre, die allen Beteiligten – Spendern, Studenten, Dozenten, Politikern, Journalisten – versprochen worden waren. Wenn sie diese Aufgabe nicht meisterte, verlor sie ihre Existenzberechtigung. Deshalb lehnten sie jetzt den Anspruch der Stiftung ab, die Geschicke der HfG zu bestimmen und sie in Verhandlungen zu repräsentieren.
Sie forderten, das Land möge die HfG «autonom» verstaatlichen. Sie träumten davon, dass der Staat sämtliche Rechnungen begleichen möge, aber dennoch auf jegliche Kontrolle oder Sanktion verzichtete. Die Landesregierung ging nicht darauf ein. Es war ja nicht einmal 18 Monate her, dass der Landtag gerade eine Verstaatlichung grundsätzlich ausgeschlossen hatte. Trotzig verkündete die HfG-Angehörigen daraufhin am 23. Februar 1968 die «Selbstauflösung». Diese polemisch-pathetische Parole war auch ein Ergebnis der hitzigen Atmosphäre der 68er-Studentenunruhen.
Es fehlte der gemeinsame Kommunikationsrahmen für eine konstruktive, lösungsorientierte Zusammenarbeit. So steckte die HfG im Frühjahr 1968 in einer Sackgasse. Es gab kein integrierendes Energiezentrum mehr, das die gegen einander kämpfenden und sich abstoßenden Kräfte zusammengehalten hätte. Die Stiftung hatte ihre Verantwortung abgegeben, der Staat wollte sie nicht übernehmen; Stiftung und HfG strebten auseinander; Dozenten, Assistenten und Studenten waren sich uneins; die unterschiedlichen Interessen der Politiker in Ulm und Stuttgart sowie der Presse schürten die Konflikte.
Auch für 1969 bewilligte der Stuttgarter Landtag der HfG am 18. Juli 1968 erneut 900.000 Mark. Dieser Zuschuss wurde also nicht gekürzt. Der Landtag von Baden-Württemberg hat niemals beschlossen, die HfG zu schließen. Diese vielfach verbreitete Aussage ist falsch. Die Landesmittel wurden aber auch nicht erhöht. Das Geld reichte nicht, um den Betrieb der HfG aufrecht zu erhalten. Die Bewilligung waren an Auflagen geknüpft, die bis zum 1. Dezember 1968 erfüllt werden mussten. Im Wesentlichen ging es darum, dass die HfG und die Stiftung ein gemeinsames Konzept für die Weiterführung der HfG vorlegen sollten. HfG und Stiftung akzeptierten diese Auflagen.
Als die Sommerferien der HfG endeten, kehrten die meisten Studenten, Assistenten und Dozenten nicht zurück. Lothar Späth bemerkte dazu, die HfG sei auseinander gelaufen wie flüssige Butter.
Diejenigen, die sich am Kuhberg einfanden, konnten sich nicht auf ein gemeinsames Konzept einigen. Es scheiterte übrigens am Geld. Einige Dozenten wollten an den Einnahmen für Aufträge beteiligt werden, die in den Instituten bearbeitet werden sollten. Die meisten Studenten waren dagegen. Deshalb betrachtete die Stuttgarter Landesregierung am 3. Dezember 1968 die Auflagen des Landtags als nicht erfüllt. Die genehmigten Mittel wurden solange gesperrt – also nicht gestrichen –, bis die Stiftung und HfG die Auflagen erfüllt hätten. De facto war damit das Ende der HfG besiegelt.
Der Ministerpräsident Hans Filbinger trat mit der unfassbar dummen Stellungnahme vor die Presse, dass für die Schaffung von etwas Neuem das Alte beseitigt werden müsse. Eine bessere Ablenkung von der eigenen Verantwortung für das Ende konnten sich die verbliebenen HfG-Angehörigen nicht wünschen. Bis heute gibt es kaum eine Darstellung der HfG-Geschichte, die dieses Zitat nicht im Zusammenhang mit der Schließung erwähnt. Dadurch wird suggeriert, der Staat habe die HfG geschlossen – eine Aussage, die in dieser verkürzten Form völlig falsch ist, weil sie den komplexen Prozess ignoriert, der zur Schließung der HfG geführt hat. Wer behauptet, «das Land» habe die HfG geschlossen, verhindert eine kritische Auseinandersetzung mit den wirklichen Ursachen.
Campus
Der Gebäudekomplex der HfG liegt außerhalb Ulms auf dem Oberen Kuhberg. Diese räumliche Trennung von den Bürgern war nicht geplant. Sie ergab sich daraus, dass die Stadt ihren Beitrag zum notwendigen Spendenaufkommen bei der Gründung nicht durch bares Geld aufbringen konnte, sondern nur durch Sachleistungen. Dazu zählte vor allem die Schenkung des Grundstücks.
Es befindet sich unmittelbar neben einer militärischen Festungsanlage aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Den Nazis diente es als KZ. Otl Aicher wollte diesen Bestand nutzen und für die HfG umbauen. Max Bill fegte diesen Gedanken aber vom Tisch. Er bestand auf einem Neubau auf dem benachbarten Gelände.
Für die vorhandene Hanglage entwarf Bill eine Konstellation aus unterschiedlichen Gebäudeteilen: Wohngebäude für Studenten und Dozenten, Seminar- und Vorlesungsräume, Werkstätten, Verwaltung und Bibliothek sowie die Mensa mit ihrer berühmten geschwungenen Theke und der umlaufenden Terrasse, auf der so viele Fotos entstanden sind.
Es gab drei Typen von Wohnungen: Atelierwohnungen, Wohnungen in einem Wohnturm und eigene Häuser für Dozenten. Der Platz reichte aber nicht für alle HfG-Angehörigen aus. Etwa die Hälfte der Studenten musste sich – zumeist im ersten Studienjahr – ein Zimmer in der Stadt mieten. Das galt auch für die meisten Dozenten. Die Studenten der höheren Studienjahre konnten in der Regel auf dem Kuhberg wohnen.
Auf dem Papier entstand das Bild eines Campus, der dem amerikanischem Ideal einer Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden den zusammengehörigen Raum verlieh. Dieser Zusammenhalt wurde nicht nur durch die räumliche Abgeschiedenheit verstärkt. Sie spiegelte auch das Selbstbild des Anders-Seins: Anders als die konventionellen Bürger der Stadt, anders als alle anderen Hochschulen. Was es auch war: Wenn es die Ulmer provozierte, sahen sich die HfG-Angehörigen bestätigt.
Diese Architektur beeindruckte schon die Zeitgenossen «als Manifest, als gebautes Programm der Hochschule für Gestaltung: transparente Rationalität, Verwendung von Grundformen, Klarheit der Gliederung, Serialität. Man spürt, diese Architektur will Beziehungen organisieren.» Die Gebäude der HfG wurden am 1. und 2. Oktober 1955 eingeweiht. Festredner war Walter Gropius, der Direktor des Weimarer und Dessauer Bauhauses. Der Unterricht hatte aber schon am 3. August 1953 in provisorischen Räumen der Volkshochschule begonnen.
Über die Architektur Max Bills schüttelte das deutsche Feuilleton den Kopf. Seine Konfiguration schmuckloser Quader widersprach sämtlichen Erwartungen an einen Hochschulbau. Das Publikum rang mit Worten und bemühte Vergleiche wie, anscheinend habe ein Riese eine Handvoll Bauklötze an den Hang gewürfelt. Insbesondere die Sichtbarkeit von Baustoffen (unverblendete, weiß gestrichene Ziegelsteine, grau gestrichener Stahlbeton) und Installationen provozierte. Ein Teil der Inneneinrichtung – Waschbecken, Halterungen der Leuchtstoffröhren, Ulmer Hocker, Bettgestell mit Lattenrost – hatten 1953 bis 1955 Studenten und Dozenten (v.a. Walter Zeischegg) entwickelt.
Deshalb waren diese Gebäude zwar auf der einen Seite ein Ergebnis des äußerst beschränkten finanziellen Budgets, aber auf der anderen Seite auch gebautes Programm. Die Technik wurde ungeschminkt als Technik bloßgestellt, ohne jegliche Verzierung oder traditionelle Verkleidung. Im Grunde handelte es sich in den Augen der Zeitgenossen um einen Rohbau, um ein Skelett, dem Fleisch und Kleidung fehlten. Der vom Bauhaus bekannte Verzicht auf ästhetischen Reichtum wurde nun als agressive Brutalität empfunden. Die Journalisten spotteten über dieses Ulmer Kloster mit seinen Asketen, die die Welt vom Glauben an den rechten Winkel missionieren wollten. Demgegenüber wurde die Tatsache kaum gewürdigt, dass den Studierenden vor allem in den Werkstätten helle und großzügige Arbeitsräume zur Verfügung standen mit ebensoviel Licht wie Platz.
So befand sich die HfG 1955 in einem kommunikativen Dilemma: Ihre Architektur verkörperte das Programm, noch bevor es richtig begonnen hatte. Obwohl es sich bei den HfG-Bauten – bildlich gesprochen – um einen ersten Prototypen, um ein gebautes Modell zur Überprüfung einer Hypothese handelte, wurden sie kritisiert wie ein längst ausgereiftes Serienprodukt.
Zulassung zum Studium
Aus den Rückblicken der ehemaligen Studenten ergibt sich durchgängig eine zentrale Motivation dafür, dass sie sich nicht bei einer alteingesessenen staatlichen Hochschule bewarben, sondern bei der jungen Ulmer Schule, über die sie oft nicht viel mehr wussten als das, was in einem Zeitungsartikel oder einer Ausgabe der HfG-eigenen Zeitschrift ulm stand: Die HfG repräsentierte wie keine andere Institution die internationale Moderne. Zu ihrer Zeit war das gleichbedeutend mit neu, unkonventionell, fortschrittlich und kritisch. Anfangs verkörperten Max Bill und der Gebäudekomplex diese Position, nach ein paar Jahren hatte sich ein entsprechender Nimbus gebildet.
Dass es die HfG damit ernst meinte, erwies sich schon daran, dass das Abitur keine Voraussetzung für die Bewerbung war. Es ging um den individuellen Menschen, seine Interessen, Neigungen und seinen Charakter. All dies musste zum Ulmer Selbstbewusstsein passen. Wer vorher eine handwerkliche Ausbildung durchlaufen hatte, brachte meist die gesuchte Disposition, Erfahrungen und Kenntnisse mit. Aber es konnte auch reichen, wenn man nur aufgrund seines Talents und der persönlichen Empfehlung eines Gewährsmanns zum Studium zugelassen wurde. Helmut Schmitt-Siegel zum Beispiel gelangte nach Ulm, weil der HfG-Absolvent Hans G. Conrad telefonisch Otl Aicher ans Herz legte, ihn aufzunehmen.
Bewerber mussten einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen. Darin wurde kein Faktenwissen abgefragt, sondern es wurde versucht, die Persönlichkeit der Bewerber auszuloten. Wer zugelassen wurde, durfte zuerst nur ein Probequartal absolvieren. Einige Studenten mussten dann wieder gehen. Aber erst am Ende des ersten Studienjahres entschieden die Abteilungsleiter abschließend darüber, welche Studenten sie in ihre Abteilungen übernahmen.
Statistik
Die HfG war eine äußerst kleine Hochschule, gemessen an der Zahl aller Immatrikulationen. Sie sollte Kapazität für 150 Studierende bieten, aber diese Zahl wurde nur im vorletzten Studienjahr erreicht.
In den 15 Jahren ihres Bestehens schrieben sich nur 97 Studentinnen und 540 Studenten ein, insgesamt also 637. Etwas weniger als die Hälfte (278) stammte aus dem Ausland, darunter 93 aus der Schweiz. Insgesamt blieben etwas mehr als ein Drittel (238) nicht länger als ein Jahr an der HfG. Etwas mehr als ein Viertel (173) studierten zwei oder drei Jahre. Nur die restlichen 35% (226) verbrachten die vollständige Dauer von vier Studienjahren (Filmabteilung: fünf Jahre) in Ulm.
Das Studium war in Quartale eingeteilt. Das erste Quartal begann am 1. Oktober jeden Jahres. Das vierte Quartal war unterrichtsfrei und für die praktische Arbeit der Studenten in der Industrie vorgesehen. Für den Unterricht bestand Anwesenheitspflicht, die streng kontrolliert wurde. Die geringe Anzahl der Studierenden erleichterte diese Kontrolle und erhöhte den Leistungsdruck.
Am Vormittag arbeiteten sie an praktischen Übungen in den Werkstätten und Abteilungen. In den Werkstätten (Holz, Metall, Gips, Typografie/Druck und Fotografie) sollten keine fertigen Produkte hergestellt werden. Es ging um technisches Verständnis und äußerst sorgfältiges Arbeiten an Modellen, um das Streben nach Perfektion.
Die Mittagspause wurde gemeinsam in der Mensa, an der geschwungenen Theke und auf der Terrasse verbracht. Der Nachmittag war den theoretischen Fächern vorbehalten.
Abends und bis tief in die Nacht hinein mussten die gestellten Aufgaben erledigt werden, um das hohe Pensum zu erfüllen.
Das Studium konnte, aber es musste nicht mit einer Diplomarbeit abgeschlossen werden, die aus einem praktischen und einem theoretischen Teil bestand. Die HfG erteilte 178 Studentinnen und Studenten das Diplom, weitere 53 konnten ihr Diplom am Nachfolgeinstitut IUP (Institut für Umweltplanung der Technischen Universität Stuttgart) absolvieren.
Gemessen an den Zahlen, bot das Studium an der HfG paradiesische Zustände: 282 Dozenten für 637 Studierende. Aber diese Statistik verfälscht die Wirklichkeit. Denn ebenso, wie es viele Studierende gab, die höchstens ein Jahr an der HfG verbrachten, unterrichteten auch fast drei Viertel aller Dozenten höchstens ein Jahr in Ulm. Unter dem Strich aber war das zahlenmäßige Verhältnis von Dozenten zu Studierenden herausragend. Je nachdem, wie man es rechnet, erhält man im besten Fall ein statistisches Ergebnis von 1:1,2 und im schlechtesten 1:7,2. In Worten, ein Dozent auf sieben Studierende als worst case scenario: An welcher Bildungseinrichtung ist das heute Realität?
Die HfG war für ihren stetigen Durchfluss von hochkarätigen Referenten berühmt, die aus aller Welt nur für einen Vortrag oder eine mehrtägige Veranstaltung nach Ulm kamen. Den ersten Grundkurs zum Beispiel (er dauerte drei Monate) gab der ehemalige Bauhaus- Meister Walter Peterhans. 1955 unterrichtete Johannes Itten für nur eine Woche. Und die Lehrtätigkeit von Kapazitäten wie Charles und Ray Eames, Konrad Lorenz, Norbert Wiener, Nikolaus Sombart, Hans Magnus Enzensberger, Anton Stankowski oder Buckminster Fuller beschränkte sich auf Vorträge mit anschließenden Diskussionen. Die intellektuelle Anregung durch permanente, kontroverse Auseinandersetzung mit Input von außen war eine beabsichtigte Eigenheit der HfG.
Blickt man auf die Geschlechterverteilung, so war die Dozentenschaft eine Männergesellschaft. Nur fünf Frauen unterrichteten an der HfG: Käthe Hamburger, Gisela Krammer, Helene Nonné-Schmidt, Helga Pross und Elisabeth Walter.
Entwicklung
Traditionell wird die Tätigkeit einer Hochschule in Forschung und Lehre geteilt. Otl Aicher versuchte, an der HfG eine dritte Komponente hinzuzufügen. Er nannte diese Erweiterung «Entwicklung». Darunter verstand er das Hervorbringen praxisfähiger und serienreifer Prototypen für Auftraggeber. Daraus sollte ein Regelkreislauf hervorgehen, in dem die Abstraktionen der Theorie unmittelbar praktisch auf ihre Richtigkeit überprüft werden könnte, so dass die gewonnenen Erkenntnisse zur Korrektur und Weiterentwicklung der Theorie führen und den Kreislauf erneut in Gang setzen sollten. An der Entwicklung wurden auch fortgeschrittene Studenten beteiligt.
Dieses Konzept nannte Otl Aicher «Ulmer Modell ». Es war die pädagogische Vorwegnahme der Veränderung des Berufsbildes, die er anstrebte. Bis dahin fand die Arbeit der Designer innerhalb von Hierarchien statt, in denen ihnen eine untergeordnete Rolle zugewiesen war. Aicher wollte diese Praxis in eine Teamarbeit von Gestalter mit Wissenschaftlern, Kaufleuten und Ingenieuren überführen. Dafür durfte der Designer nach seinen Worten nicht mehr «übergeordneter künstler, sondern gleichwertiger partner im entscheidungsprozess der industriellen produktion» sein.
Die Auftragsarbeiten wurden ab 1958 im Institut für Produktgestaltung organisiert. Darin konnten alle Dozenten eigene Entwicklungsgruppen eröffnen. Sie wurden numeriert und abgekürzt. E5 war der Name von Otl Aichers Entwicklungsgruppe, in der er z.B. den Auftrag für die Erstellung des visuellen Erscheinungsbildes der Lufthansa bearbeitete. Eine weitere Gruppe wurde von dem Holländer Hans Gugelot geleitet und arbeitete u.a. für die Max Braun AG.
Flair
Die HfG war als internationale Avantgarde konzipiert. Dieses Selbstbewusstsein übertrug sich auf ihre Angehörigen. Nicht nur, dass ihr rasch der Nimbus des Außergewöhnlichen voraus eilte, verbreitet durch die Presseberichte und eigene Veröffentlichungen. Auch wegen des ungewöhnlichen Aufnahmeverfahrens war sich jeder, der zum Studium zugelassen wurde, dessen bewusst, dass er nun zu einer besonderen Gruppe zählte. Die Atmosphäre einer weltläufigen, eigenständigen Einheit wurde durch Merkmale gepflegt, die teilweise offensichtlich, teilweise subtil die Abgrenzung markierten.
Der Journalist Helmut Heissenbüttel hat diese Charakteristika meisterhaft beschrieben. So war die HfG dafür bekannt, einen eigenen Jargon mit technischen Fachbegriffen zu pflegen. Das Neue, was Ulm hervorbringen wollte, brauchte auch eine neue Sprache. Begriffe wie «visuelle Kommunikation» oder «unorientierbare Fläche» sorgten dafür, dass sich nur die hermetisch Eingeweihten verstanden. Dazu zählte auch die ästhetische Erscheinung der Ulmer: Vorzugsweise kurze Haare und schlichte Kleidung innerhalb eines engen Kanons. Besucher berichteten, sie hätten noch nie zuvor eine solche homogene Gruppe von Menschen erlebt, die ihr Auftreten in allen Details bewusst gestalteten.
Die ausgelassenen Feiern an der HfG waren berüchtigt. Sie nährten die Gerüchte in der kleinbürgerlichen Stadt Ulm, dort oben auf dem Kuhberg werde ein zügelloses Sexualleben praktiziert. Schließlich lebten im Studentenwohnturm junge Frauen und Männer aus aller Herren Länder Tür an Tür! Anders gewendet: Das Klima unmittelbarer menschlicher Nähe war typisch für das Leben an der HfG und wurde je nach Persönlichkeit als befruchtender Wettstreit, aber auch als bedrückender Konkurrenzkampf oder sogar als unerträgliche provinzielle, klösterliche Enge wahrgenommen.
Resultate
Grundlehre
Der Beitrag des Bauhauses mit der größten Wirkung für das internationale Design besteht in seinem pädagogischen Konzept, das weltweit von Ausbildungsstätten übernommen wurde. Damit ist insbesondere das vorbereitende erste Studienjahr gemeint, der sogenannte «Vorkurs». Johannes Itten hatte ihn zwischen 1919 und 1923 am Weimarer Bauhaus entwickelt. Darin wurden die für unabdingbar erachteten Grundkenntnisse der einzelnen Fächer vermittelt. Dieser Vorkurs musste von allen Studienanfängern absolviert werden.
Die HfG übernahm diese Struktur: Das Studium begann mit einem propädeutischem Studienjahr, das «Grundlehre» genannt wurde. Unabhängig von ihrer Herkunft, Vorbildung und angestrebten Studiendauer war es für alle Studentinnen und Studenten verpflichtend. Daraus ergab sich ein Dilemma, das nicht vorhergesehen war: Auch die ausländischen Studienanfänger, die wegen eines Stipendiums nur ein Jahr an der HfG studieren konnten oder wollten, mussten die Grundlehre absolvieren, selbst wenn sie bereits ein Studium oder eine Ausbildung abgeschlossen hatten. Die Grundlehre funktionierte auch wie ein Filter: Wer nicht ins Konzept der HfG passte, wurde ausgesiebt.
Aus diesem Auswahlverfahren entstand eine hohe selbstreferentielle Verdichtung bei denjenigen, die weiter studieren durften. Der Begriff «Elite» war nicht verpönt. Ganz im Gegenteil war es die erklärte Absicht der HfG-Gründer, nur wenige Studenten aufzunehmen, die nach ihrem Studium weltweit als Multiplikatoren wirken sollten.
Im Studienjahr 1959/60 begann die Auflösung der Grundlehre. Anfang 1961 wurde der Begriff «Grundlehre» durch «Erstes Studienjahr» ersetzt. Zum 30.9.1961 war die Grundlehre abgeschafft: Das Studienjahr 1961/62 war das erste, bei dem die Studienanfänger sofort in einer der vier Abteilungen (Produktgestaltung, Visuelle Kommunikation, Industrialisiertes Bauen und Information) starteten.
Die Aufgabe der Grundlehre bestand bei weitem nicht nur darin, die Kenntnisse der Studierenden mit ihren höchst unterschiedlichen Vorbildungen auf ein einheitliches Niveau zu bringen. Darüber hinaus ging es erstens darum, die Studierenden auf die Arbeit in den Abteilungen ab dem 2. Studienjahr vorzubereiten, insbesondere methodisch. Zweitens sollten die grundlegenden Herausforderungen des technischen Zeitalters vermittelt werden. Der Horizont war gerade nicht nur auf das praktische Tagesgeschäft beschränkt, sondern es wurden die großen Zusammenhänge in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur thematisiert. Drittens wurde die Zusammenarbeit zwischen den Fächern und im Team trainiert.
Fächer in der Grundlehre waren zum Beispiel:
Visuelle Methodologie: Erkenntnisse aus der Forschung in Bezug auf den zwei- und dreidimensionalen Raum
Theorie der Wahrnehmung
Werkstättenarbeit: Holz, Metall, Druckerei, Fotografie
Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts: Architektur, Literatur, Kunst.
Die Studenten sollten in intellektueller und pragmatischer Hinsicht mit den Gesetzen der Mathematik, Physik, Geometrie und Mechanik vertraut gemacht werden: Von den elementaren festen Körpern wie Kugel, Kegel und Würfel über die Verbindung dieser Körper bis zu komplexen plastischen Strukturen. All diese Themen sind noch fern von formalästhetischen Aufgaben.
Die Studenten sollten in intellektueller und pragmatischer Hinsicht mit den Gesetzen der Mathematik, Physik, Geometrie und Mechanik vertraut gemacht werden: Von den elementaren festen Körpern wie Kugel, Kegel und Würfel über die Verbindung dieser Körper bis zu komplexen plastischen Strukturen. All diese Themen sind noch fern von formalästhetischen Aufgaben.
Abteilung Visuelle Kommunikation
In der Abteilung Visuelle Kommunikation wollte die HfG die wachsenden Tätigkeitsbereiche der Berufe der Massenkommunikation zusammenführen und eine möglichst klare Beziehung zwischen den Errungenschaften der Technik und dem Publikum schaffen. Mit insgesamt 158 Immatrikulationen war sie die drittgrößte Abteilung. Typisch für die Grundlagenarbeit, die hier geleistet wurde, sind Piktogramme, visuelle Leitsysteme, Plakatserien für Veranstaltungen, kulturelle, soziale und politische Themen (gesundes Essen, Sicherheit im Straßenverkehr) und ein einheitliches visuelles Erscheinungsbild für Unternehmen und Behörden, wie es beispielsweise für die Lufthansa umgesetzt wurde.
Theoretische Fächer in der Visuellen Kommunikation waren u.a. Technologie, Komposition, Reproduktion, Druck, Papier, Semiotik, Psychologie, Soziologie, Geschichte der Typographie, des Films und der Ausstellungen im 20. Jahrhundert, Publizistik, Propaganda, öffentliche Meinung, Wissenschaftstheorie, Verhaltenstheorie, Urheberrecht. Praktische Arbeiten im 2. Jahr waren z.B. Buchbinden, Piktogramme, Diagramme, Serienfotografie, Fotolabor. Im 3. Jahr z.B.: Zeitschrift, Buch, Signet, Plakat, Ausstellung, Fotoreportage. Im 4. Jahr ging es um selbständiges Arbeiten, z.B. Plakatserie, Zeitung, Gebrauch des Zeichens in Wissenschaft und Technik, Verkehrszeichen, Ausstellungsarten, Kartografie, Wochenschau, Fernsehen.
Abteilung Produktgestaltung
In der größten Abteilung, der Produktgestaltung, hatten sich ingesamt 249 Studierende immatrikuliert. Als theoretische Fächer stand ein weitgefächertes Spektrum auf dem Studienplan, unter anderem Produktionstheorie, Organisation der Produktion und des Betriebs, Produktionsablauf, Kostenanalyse, Technologie, eisenhaltige und nicht-eisenhaltige Metalle, Holz, Kunststoffe, Verformungstechniken, technische Konstruktion, Theorie der Gruppen und des Ganzen, Statistik, lineare Programmierung, Wissenschaftstheorie, Geschichte des Begriffs vom wissenschaftlichen Experiment, Maschinenkunde, Theorie des Verhaltens, Arbeitsbedingungen, Geschichte des Industrial Design im 20. Jahrhundert. Soziologie, Mechanik, Dynamik, Statik, Patente. Die praktische Arbeit im 2. Jahr sah unter anderem die Analyse von Funktionen und Produktion sowie Montagetechniken vor. Einfache Entwürfe waren z.B. Werkzeuge, Geräte für den Hausgebrauch und für das Büro, Behälter. Die praktische Arbeit im 3. Jahr widmete sich schwierigen Entwürfen, z.B. der Ausarbeitung von Elementen eines Systems, einfache Maschinen, Möbel. Im 4. Jahr ging es in der praktischen Arbeit darum, selbständig ein Industrieprodukt bis zur Herstellung zu entwickeln.
Abteilung Bauen
Die Abteilung Bauen, mit 170 Immatrikulationen zweitgrößte Abteilung der HfG, setzte ihren Schwerpunkt auf die Industrialisierung des Bauens und die Anwendung der modernen Produktionsmethoden auf die Konstruktionstechniken. Die HfG wollte Fachleute ausbilden, die das Bauen wie eine industrielle Serienproduktion behandeln konnten. Teilweise wurden die Studierenden in den gleichen Fächer wie in der Abteilung Produktgestaltung unterrichtet, angepasst ans Bauen. Eigene Theoriefächer waren z.B. Statik, Widerstandsfähigkeit der Stoffe, Klimakunde, Optik, Akustik und die Geschichte der Architektur des 20. Jahrhunderts. Die praktische Arbeit im 2. Jahr enthielt u.a. Projektorganisation, leichte Konstruktionen aus Metall und Kunststoff. Schwere Konstruktionen aus Metall und Stahlbeton. Standardisierung, Koordination, Analyse des Bauplatzes. Verwendung vorgefertigter Teile in der Konstruktion. Die praktische Arbeit im 3. und 4. Jahr umfasste u.a. verbindende Elemente aus Metall und Kunststoff, Montage, Logistik sowie den Entwurf von Gebäuden.
Abteilung Film
Seit 1956 gab es an der HfG Ideen, Film und Fernsehen in das pädagogische Programm der HfG zu integrieren. Als kurz nach der Trennung der HfG von Max Bill viele neue Dozenten berufen wurden, gelangte auch der Fotograf Christian Staub nach Ulm. Er initiierte 1958 ein erstes Filmprojekt an der HfG. Anfang der 1960er Jahre verdichtete sich das Interesse an Film als modernes Medium der Massenkommunikation. Die jungen Filmemacher Alexander Kluge und Edgar Reitz brachten unter dem Titel «Opas Kino ist tot» die Aufbruchstimmung auf den Punkt. Sie verkündeten 1962 gemeinsam mit gleichgesinnten Unterzeichnern auf einer Pressekonferenz bei den 8. Westdeutschen Kurzfilmtagen das «Oberhausener Manifest» als Emanzipierung der jungen Generation vom überholten, antiquierten deutschen Unterhaltungsfilm. Ab 1963 unterrichteten Kluge und Reitz als Dozenten in dem kurz zuvor neu errichteten Institut für Filmgestaltung, das rechtlich selbständig, aber der HfG angegliedert war. Diese sog. Filmabteilung der HfG gilt als erste akademische Institution in der Bundesrepublik für Filmtheorie und -ausbildung. Es wurde von den wesentlichen Überzeugungen getragen, dass erstens Film kein Medium der Illusion sein sollte, sondern der Information, und dass zweitens die Filmemacher keine willfährigen Dienstleister innerhalb der Unterhaltungsindustrie sein sollten, sondern gleichermaßen Gestalter und Produzenten, die ihre Kontrolle über den gesamten Herstellungsprozess nicht aus der Hand geben. Der für die übrigen Abteilungen der HfG gültige aufklärerische Impetus wurde auch auf den Film übertragen: Es ging nicht darum, sich selbst genügende Kunst zu erzeugen oder zur Ablenkung von gesellschaftlich relevanten Themen beizutragen. Formalästhetische Traditionen wurden als unbrauchbar abgelehnt. In den wenigen Jahren bis 1968 schrieben sich immerhin 31 Studierende in der Filmabteilung ein, davon legten 11 ihr Diplom an der HfG ab.
Abteilung Information
Eine der außergewöhnlichsten Eigenheiten der HfG war die Tatsache, dass sie (von 1954/55 bis 1965/66) eine eigenständige Abteilung Information unterhielt. Sie war mit nur 22 Immatrikulationen die kleinste. Doch beweist ihre Existenz das besondere Gespür der HfG-Gründer für die Bedeutung von Informationen in ihrer Beziehung zur Gestaltung. Geplant war die Abteilung zur generalistischen Ausbildung von Autoren und Redakteuren für Massenkommunikation: Presse, Radio, Fernsehen, Kino. Theoretische Fächer waren u.a. Fotografie, Film, Ton, Typografie, Druckverfahren, Informationstheorie, Analyse der Nachrichtenübertragung, Inhaltsanalyse, Codes, Übertragungstechnik, Sprachwissenschaft, Geschichte der Massenmedien, Geschichte der modernen Literatur. Praktische Arbeiten im 2. Jahr waren etwa Stilübungen, Analyse und Produktion von Texten, Übersetzung, Interview, Reportage, Dialog, Layout. Im 3. Jahr beschäftigten sich die Studierenden z.B. mit Werbetext, Semantik, Kommentar, Kritik, Portrait. Das 4. Jahr sah als praktische Arbeiten vor: Radiosendung, Programmgestaltung, akustische Formung, Regie, Bühnenbild.
Fotografie
Die Fotografie war in den 1950er Jahren immer noch ein junges Medium. Fotos wurden konventionell nicht als eigenständige Arbeiten wertgeschätzt, sondern nur als Mittel zum Zweck der Reproduktion in einem Magazin oder einem Buch. An der HfG nahm die Auseinandersetzung mit Fotografie eine zugleich zentrale wie auch subkutane Rolle ein. Besucher berichten von ihrem Staunen darüber, dass an der HfG nicht nur für spezifische Studienarbeiten, sondern permanent fotografiert wurde. Welche Aufgaben die Fotografie im Konzert der massenmedialen Kommunikation spielen sollte, wurde also nicht nur theoretisch erörtert, sondern durch alltägliches Praktizieren ausgelotet. Was ist Information und wie viel davon steckt in einem Foto? Verändert das Fotografieren das Objekt und die Information? Kann sich der Fotograf aus dem Bild zurückziehen? Wie objektiv kann ein Objekt abgelichtet werden? In welchem Verhältnis müssen sich Bild, Schrift und ihre Zuordnung befinden, um eine intendierte Wirkung zu erzielen? Zu denjenigen, die sich intensiv dem Medium Fotografie widmeten, zählte Hans G. Conrad, der erste Student der HfG. Er dokumentierte unzählige Momente des Unterrichts und sozialen Lebens auf dem Kuhberg und portraitierte auch viele Persönlichkeiten, die nach Ulm kamen. Darüber hinaus experimentierte er mit der Kamera als modernem Werkzeug zur Verwirklichung der Ulmer Vorstellungen von Massenkommunikation z.B. mit dynamischen Bildern vom Jahrmarkt und vom Motorradrennen auf dem Nürburgring, Langzeitbelichtungen im nächtlichen Frankfurt am Main, grafischen Strukturen der Weinberge und der Donau oder menschlichen Schatten auf dem Ulmer Münsterplatz.
Die wichtigsten Dozenten
Otl Aicher
geboren 1922 in Ulm, gestorben 1991 in Günzburg
Der alemannische Gestalter war nach den treffenden Worten Max Bills «ein Künstler, der keiner sein wollte». Er hat durch seine Arbeit die Theorie und Praxis des Designs weltweit beeinflusst: Nicht nur durch die HfG, deren Mitgründer er war, sondern auch durch seine Schriften, die er parallel zu seinen Entwürfen verfasste und die in ihrer suggestiven und argumentativen Überzeugungskraft teilweise die Qualität seiner grafischen Arbeiten übertreffen. Aus seiner Schulzeit kannte Aicher die Geschwister Scholl. Er entging der eigenen Verhaftung durch die Nazis 1943 nur um Haaresbreite und desertierte 1945 vom Kriegsdienst. Ein Studium der Bildhauerei in München brach er 1946 nach wenigen Wochen ab. Statt dessen engagierte er sich mit seiner späteren Ehefrau Inge Scholl für die Gründung der Ulmer Volkshochschule. Bis in die 1960er Jahre entwarf er 327 Plakate für die VH. Seine Lösung von der HfG setzte spätestens 1967 ein, als er zum Gestaltungsbeauftragten der Olympischen Spiele von München 1972 berufen wurde. Diese Arbeit zählt zweifellos zu den bedeutendsten internationalen Designleistungen überhaupt. Aichers Ansatz einer «Corporate Identity», das er zuvor schon für die Lufthansa und danach für viele Großunternehmen realisierte, gehört bis heute zu den einflussreichsten Konzepten im Design. Er wurde dafür allerdings auch kritisiert und sogar als «Design-Faschist» beschimpft, was angesichts seiner Biographie und seiner ethischen Haltung eine obszöne, sich selbst disqualifizierende Unterstellung ist. An diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr der Mensch, seine radikale Konsequenz und seine Arbeit polarisierten, was sich auch an der Rezeption seiner Schriftenfamilie «rotis» zeigt.
Inge Aicher-Scholl
geboren 1917 in Ingersheim-Altenmünster, gestorben 1998 in Leutkirch
Die älteste Schwester von Sophie und Hans Scholl, der beiden studentischen Kämpfer gegen die Nazis, war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine moralische Instanz, deren sanfter, aber unbeugsamer Autorität man nach Auskunft von Zeitzeugen kaum widerstehen konnte. Zusammen mit Otl Aicher initiierte sie 1945 die Ulmer Volkshochschule, die sie 1946 gründete und bis 1978 leitete. Ihr Buch über «Die Weiße Rose» wurde seit dem ersten Erscheinen 1947 vielfach aufgelegt. 1950 gründete sie in Ulm die Geschwister-Scholl-Stiftung als Trägerorganisation der HfG. Es gelang ihr mit übermenschlich anmutender Anstrengung, 2 Mio. Mark für die Gründung der HfG zu sammeln. 1952 heiratete sie Otl Aicher. Bis 1959 leitete sie die Stiftung. Ab Ende der 1960er Jahre engagierte sie sich in den Ostermärschen der Friedensbewegung und in den 1980er Jahren in den Blockaden der Anti-Atomkraft-Bewegung.
Josef Albers
geboren 1888 in Bottrop, gestorben 1976 in New Haven, Connecticut
Der abstrakte Maler Albers zählt zu den vier ehemaligen Bauhaus-Lehrern (bzw. -Meistern), die an der jungen HfG in der Grundlehre unterrichteten. Neben ihm bzw. nacheinander waren dies Walter Peterhans, Helene Nonné-Schmidt und Johannes Itten. Albers war ausgebildeter Volksschullehrer. Er studierte Kunst in Berlin, Essen und München. Schon 1920, ein Jahr nach seiner Gründung, unterrichtete er am Bauhaus in Weimar. Als das Bauhaus 1925 nach Dessau umzog, wurde er dort Baumeister und 1930 stellvertretender Direktor. 1933 emigrierte er mit seiner Frau Anni in die USA, 1939 nahm er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Im legendären Black Mountain College im abgelegenen Hinterland North Carolinas unterrichtete er bis 1949. Wie Vordemberge- Gildewart, so schloss sich auch Albers der Künstlergruppe «abstraction-création» an. Ab 1950 lehrte er vorwiegend in Yale, Harvard, Havanna und Santiago de Chile. Seine Arbeiten wurden 1955 und 1968 auf der ersten und vierten «documenta» ausgestellt. Zu seinen weltweit bekanntesten Kunstwerken gehört die Serie «Hommage to the Square« (ab 1950). Seine farbtheoretische Schrift Interaction of Color (1963) übersetzte Gui Bonsiepe ins Deutsche. Sie wird bis heute rezipiert.
Max Bense
geboren 1910 in Straßburg, gestorben 1990 in Stuttgart
Der Philosoph und Publizist Bense beschäftigte sich damit, die konventionellen Gräben zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu überwinden. Weil er daran arbeitete, naturwissenschaftliche, philosophische und künstlerische Theorie und Praxis unter einem gemeinsamen Begriff von Rationalität zusammenzuführen, passte er hervorragend zur Ulmer Programmatik. Nach seinem Studium der Physik, Chemie, Mathematik, Geologie und Philosophie in Bonn und seiner Promotion durfte er sich als entschiedener Gegner der Nazis nicht habilitieren. Ab 1945 lehrte er kurz in Jena, ab 1949 in Stuttgart als Professor. An der HfG unterrichtete er ab 1953. Weil er beim Streit zwischen Max Bill und der Stiftung Bills Position unterstützte, endete seine Dozentur in Ulm ebenfalls 1957. Mitte der 1960er Jahre unterrichtete er aber erneut an der HfG. Während der Auseinandersetzungen 1967/68 diente Bense den Ulmer Studenten als Vorbild, weil seine Stuttgarter Studenten 1963 auf die Barrikaden gegangen waren, um seine Ernennung zum Ordentlichen Professor gegen den Willen des Kultusministeriums durchzusetzen.
Max Bill
geboren 1908 in Winterthur, gestorben 1994 in Berlin
Der Schweizer wird zu den wichtigsten Künstlern des 20. Jahrhunderts gezählt. Zudem war er Architekt, Designer, Publizist und parteiloser Parlamentsabgeordner. Er war ein unbeugsamer Mann, mal charmant, mal starrköpfig, mit einem starken Willen und sprachlicher Ausdruckskraft, die von wüsten Beschimpfungen bis zu feinsinniger Ironie reichte. Gemeinsam mit Otl Aicher und Inge Aicher-Scholl gründete er ab 1950 die HfG. Er formulierte ihr Gründungsprogramm in wesentlichen Teilen und entwarf den Hochschulcampus. Nach einer Lehre als Silberschmied in Zürich studierte Bill 1927/28 am Dessauer Bauhaus. Ab 1929 unterhielt er sein eigenes Büro in Zürich, wo er vielfältige Aktivitäten entwickelte. Wie Vordemberge- Gildewart und Albers war er ab 1932 Mitglied der Künstlergruppe «abstraction-création». Ab 1936 trat er mit seiner «konkreten Kunst» hervor. 1938 wurde er Mitglied des einflussreichen CIAM. 1961–68 war der politisch stets unbequeme Bill parteiloses Mitglied des Zürcher Gemeinderats, 1967–71 Abgeordneter im Schweizer Nationalrat. 1967–74 lehrte er als Professor in Hamburg. Seine Arbeiten wurden unzählige Male ausgestellt, u.a. dreimal auf der «documenta». Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den «Praemium Imperiale».
Gui Bonsiepe
geboren 1934 in Glücksburg
Der Designtheoretiker Bonsiepe zählt zu den wenigen HfG-Studenten, die nach ihrem Studium an der HfG blieben und dort unterrichteten. Nach seinem Studium (Grafik und Architektur) in München kam Bonsiepe 1955 an die HfG. Er entschied sich für die Abteilung Information. Nach seinem Diplom 1959 lehrte er dort bis zur Schließung 1968. Die Zeitschrift ulm, mit der die HfG über ihre Aktivitäten informierte, wurde maßgeblich von ihm als Redakteur betreut. Danach arbeitete und unterrichtete er in Chile, Argentinien, Brasilien sowie als Professor in Köln. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Interface. Dass heute jeder Studierende weiß, welche Bedeutung dem Thema Interface fürs Design zukommt, ist eines seiner Verdienste.
Hans Gugelot
geboren 1920 in Makassar auf Celebes, gestorben 1965 in Ulm
Gugelot war einer der wenigen Designer, die mit ihrer Arbeit den Weltruhm der HfG begründet haben. Nach seinem Architekturstudium in Lausanne und Zürich arbeitete er Ende der 1940er Jahre unter anderem für Max Bill. Seit 1950 beschäftigte er sich in seinem eigenen Büro u.a. mit der Entwicklung modularer Schranksysteme. Bill sorgte dafür, dass Gugelot 1954 als Dozent für Produktgestaltung an die HfG berufen wurde. Zusammen mit Aicher entwarf er den sog. «Schneewittchensarg», mit dem der Hersteller Braun schlagartig zur programmatischen Verkörperung der nüchternen, sachlichen und systematischen Designhaltung der HfG avancierte. Ein zweiter Meilenstein seiner Arbeit ist der Trockenrasierer Braun «Sixtant» von 1961. Hiermit etablierte Gugelot die Kombination schwarz-silber, die seither als farblicher Ausdruck technischer Eleganz und Perfektion wahrgenommen wird. Ähnlich einflussreich war sein Diaprojektor «Carousel» für Kodak (1963). Seine Arbeiten wurden 1964 auf der «documenta III» in der Abteilung Industrial Design ausgestellt.
Herbert W. Kapitzki
geboren 1925 in Danzig, gestorben 2005 in Berlin
Nach dem Tode Friedrich Vordemberge- Gildewarts wurde 1965 der Designer Kapitzki sein Nachfolger als Leiter der Abteilung Visuelle Kommunikation. Er hatte Kunst in Danzig und Stuttgart studiert und unterhielt seit 1953 ein Büro als Gestalter. Ab 1956 arbeitete er u.a. für das Landesgewerbeamt Stuttgart, dessen Präsident von Amts wegen Mitglied im Stiftungsrat der Geschwister- Scholl-Stiftung war. Ab 1964 unterrichtete Kapitzki an der HfG. Im gleichen Jahr wurden seine Arbeiten auf der «documenta III» in der Abteilung Grafik ausgestellt. Er zählte zu den Gestaltern des deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Montreal 1967. Ab 1970 lehrte er als Professor in Berlin und arbeitete u.a. für die Stadt Frankfurt am Main, die Schering AG und die Stadt Berlin.
Alexander Kluge
geboren 1932 in Halberstadt
Kluge ist dem deutschen Publikum vor allem als einer der Initiatoren des «Oberhausener Manifests» von 1962 sowie als Filmemacher, Fernsehproduzent («dctp») und Schriftsteller ein Begriff. An der HfG entwickelte und leitete er gemeinsam mit Edgar Reitz ab 1963 das Institut für Filmgestaltung. Kluge hat Rechtswissenschaften, Geschichte und Kirchenmusik studiert. 1956 wurde er zum Dr. jur. promoviert. Durch sein Referendariat bei Hellmut Becker, dem juristischen Berater der Geschwister-Scholl-Stiftung, geriet er in Kontakt mit der HfG. Kluge ist einer der wichtigsten Akteure des sog. Neuen Deutschen Films. Er hat aber nicht nur mehr als 30 Filme gemacht (z.B. Abschied von gestern, 1966, oder Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos, 1968), sondern etwa ebenso viele literarische und theoretische Bücher geschrieben. Er gilt als führender Filmtheoretiker und -analytiker.
Georg Leowald
geboren 1908 in Düsseldorf, gestorben 1969
Der Architekt Leowald repräsentiert einen Typus von Architekten, die insbesondere im Nachkriegsdeutschland viele praktische und ansehnliche Möbel und Alltagsprodukte entwarfen, welche jahrzehntelang in hohen Auflagen hergestellt wurden, ohne dass ihre Entwerfer dadurch zu Prominenz gelangten. Leowald war insofern auch ein typischer Vertreter des Deutschen Werkbundes, dessen Mitglieder traditionell die sachliche Qualität ihrer Arbeit in den Vordergrund rückten und deren Person dadurch in den Hintergrund trat. So entwarf er 1955 für Wilkhahn einen reih- und stapelbaren Stuhl mit einer Kunststoffschale als Sitzfläche, auf dem jeder schon einmal in einer deutschen Aula oder Mensa gesessen hat (oder auf einem Plagiat). Leowald betreute in seiner kurzen Zeit an der HfG mehrere Arbeiten von Studenten, die ikonographisch unser Bild von der HfG veranschaulichen: u.a. eine Espressomaschine die der Student Hans von Klier in seinem 2. Studienjahr 1956/57 entworfen hat, oder insbesondere das stapelbare Gro.küchen-Geschirr, dass Nick Roericht 1959 als Diplomarbeit entwickelt hat und das von der Firma Thomas (später: Rosenthal) unter dem Namen TC 100 hergestellt wurde. Es ist eines der berühmtesten praktischen Resultate der HfG, weil es ihr Programm idealtypisch verkörpert.
Tomás Maldonado
geboren 1922 in Buenos Aires, gestorben 2018 in Mailand
Der argentinische Maler und Designtheoretiker Maldonado gehört zu den ersten Gestaltern, die systematisch über Design unter Perspektiven nachgedacht haben, welche wir heute ganz selbstverständlich mit Etiketten wie «ganzheitlich», «nachhaltig» und «ökologisch » verbinden. Als junger Künstler wurde Maldonado von der Kunst Max Bills in den Bann gezogen, die er 1950 auf einer Ausstellung in São Paolo kennenlernte. Daraufhin verfasste er eine Monographie über Bill, die 1955 veröffentlicht wurde. Bill lud ihn in der Folge dazu ein, sich als Dozent für den Aufbau der jungen HfG zu engagieren. Gemeinsam mit Aicher forcierte Maldonado kurze Zeit später die Trennung der HfG von Bill und ihre Hinwendung zur Verwissenschaftlichung des Designs. Maldonado entwickelte sich zu einer der führenden Persönlichkeiten der HfG und zu einem weltweit beachteten Propagandisten der Überzeugungen, die der HfG zugrunde lagen. Seine Beiträge in der Zeitschrift ulm gelten als Standardtexte der Designtheorie. 1967 verließ er die HfG und unterrichtete bis 1970 in Princeton, 1976-84 als Professor für Umweltgestaltung in Bologna.
Abraham Moles
geboren 1920 in Paris, gestorben 1992 in Straßburg
Das Werk des französischen Natur- und Humanwissenschaftlers entzieht sich jedem Bestreben, es in eine einzige Kategorie zu sperren. Moles war nicht nur gelernter Elektrotechniker und Akustiker. Er wurde sowohl in Physik als auch in Philosophie promoviert. An der HfG unterrichtete er ab 1965 u.a. Semiotik, Informations- und Kommunikationstheorie. Er gilt – vergleichbar mit Max Bense – als Vorreiter beim Bemühen, eine Theorie der ästhetischen Wahrnehmung in Verbindung mit Psychologie, Soziologie, Bildtheorie, Informationstheorie und Kybernetik zu formulieren. Nach Ulm lehrte Moles als Professor u.a. in Straßburg. Er veröffentlichte weit über 200 wissenschaftliche Arbeiten.
Herbert Ohl
geboren 1926 in Mannheim, gestorben 2012 in Darmstadt
Der Designer Ohl hatte Malerei, Grafik und Architektur in Karlsruhe studiert, bevor er 1956 als Nachfolger Konrad Wachsmanns in die Abteilung Bauen der HfG berufen wurde. Von 1966 bis zur Schließung war er ihr letzter Rektor. Nach 1968 arbeitete er als Designer u.a. für den Möbelhersteller Wilkhahn. Von 1974 bis 1982 war er Fachlicher Leiter des Rats für Formgebung. Außerdem lehrte er als Professor in Pforzheim und Chicago.
Edgar Reitz
geboren 1932 in Morbach
Der Autor und Filmregisseur entwickelte und leitete ab 1963 gemeinsam mit Alexander Kluge das Institut für Filmgestaltung, das an die HfG angegliedert war. Schon während des Studiums der Germanistik, Publizistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft arbeitete er ab 1953 als Kamera-, Schnittund Produktionsassistent. Reitz zählt zu den Akteuren, die 1962 mit dem «Oberhausener Manifest» die Emanzipation der jungen deutschen Autorenfilmer ins Rollen brachten. An der HfG unterrichtete er Regie und Kameratheorie. Sein Film Mahlzeiten wurde 1967 auf den Filmfestspielen von Venedig als bestes Erstlingswerk ausgezeichnet. Ab Ende der 1970er Jahre arbeitete er fast 30 Jahre lang an dem mehrteiligen Filmprojekt Heimat über den Hunsrück. Ab 1995 lehrte Reitz als Professor für Film an der HfG Karlsruhe.
Horst Rittel
geboren 1930 in Berlin, gestorben 1990 in Heidelberg
Der Naturwissenschaftler Rittel war einer der intellektuell brillantesten Köpfe an der HfG und während seiner Zeit als Dozent in Ulm der schärfste Kritiker und Gegenspieler Otl Aichers. Nach seinem Studium der Mathematik und Theoretischen Physik in Göttingen arbeitete er 1953-57 in der Industrie und 1958 an der Sozialforschungsstelle der Universität Münster. In diesem Jahr wurde er im Zuge der programmatischen Verwissenschaftlichung des Designs als Dozent für theoretische Fächer an die HfG berufen. Nachdem Otl Aicher am 20.12.1962 Rektor der HfG wurde, verließ Rittel Ulm und übernahm die Professur für «Science of Design» in Berkeley. Ab 1973 war er zugleich Professor für Grundlagen der Planung in Stuttgart. Von seinen designtheoretischen und planungsprozessualen Überlegungen hat vor allem die These von den «wicked problems » weltweite Beachtung gefunden.
Claude Schnaidt
geboren 1931 in Genf, gestorben 2007 in Paris
Der HfG wurde von ihren zeitgenössischen Kritikern bisweilen «Inzucht» vorgeworfen. Damit war gemeint, dass manche Studenten nach ihrem Diplom als Dozenten an der HfG arbeiteten, ohne Berufserfahrung außerhalb Ulms gesammelt zu haben. Explizit war damit Claude Schnaidt gemeint, der als Student an der HfG anfing und 1968 Rektor geworden wäre, wenn die HfG nicht ihren Betrieb eingestellt hätte. Schnaidt hatte in Genf Architektur studiert und begann 1954 als Mitarbeiter im Büro Max Bills. Bill brachte ihn sogleich an die HfG. Er absolvierte sein Studium bis 1958 in der Abteilung Bauen, wo er ab 1962 unterrichtete. 1967-68 war er gewählter Prorektor der HfG und sollte die Nachfolge des Rektors Herbert Ohl antreten. Ab 1968 lehrte Schnaidt in Paris Architektur mit dem Schwerpunkt industrialisiertes Bauen. Er engagierte sich für Architekturdidaktik und -theorie und veröffentlichte rege u.a. in der Zeitschrift form + zweck. Schnaidt war ein wahrhaftiger, der Moderne verbundener Marxist und Mitglied der französischen kommunistischen Partei.
Friedrich Vordemberge-Gildewart
geboren 1899 in Osnabrück, gestorben 1962 in Ulm
Vordemberge-Gildewart war ein ebenso bedeutender wie vielseitiger Künstler. Er hat nicht nur Grafiken, Gemälde und Plastiken hervorgebracht, sondern auch Reliefs, Fotomontagen, Bühnenbilder sowie Arbeiten, die landläufig eher dem Design zugeordnet würde: Typografie, Möbel, Interieurs. Um sich von seinem gleichnamigen Cousin zu unterscheiden, hängte Friedrich Vordemberge an seinen Nachnamen den Namen der Osnabrücker Gasse an, wo er aufgewachsen war. Er absolvierte eine Tischlerlehre und studierte ab 1919 Architektur, Plastik und Malerei in Hannover. Dort war er Mitarbeiter der avantgardistischen Zeitschrift Der Sturm. Er geriet in Kontakt mit Künstlern wie Kurt Schwitters, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky und Hans Arp. 1924 wurde er Mitglied von Theo van Doesburgs Gruppe «De Stijl». 1932 schloss er sich er der Gruppe «abstraction-création» in Paris an. Weil die Nazis seine Kunst als «entartet» klassifizierten, emigrierte er 1937 nach Amsterdam. Er kehrte erst 1954 nach Deutschland zurück, als Dozent der HfG und Leiter ihrer Abteilung für visuelle Kommunikation. 1955 und 1959 wurden seine Arbeiten auf den ersten beiden «documenta»-Ausstellungen gezeigt.
Konrad Wachsmann
geboren 1901 in Frankfurt an der Oder, gestorben 1980 in Los Angeles
Der Architekt Wachsmann war einer der Pioniere des modernen Bauens, die versuchten, die Industrialisierung – insbesondere die serielle Vorfertigung – auf die Architektur zu übertragen. Nach einer Tischlerlehre studierte er Architektur in Berlin und Dresden. 1924-25 arbeitete er bei Le Corbusier in Paris, ab 1926 für ein auf Holzbau spezialisiertes Unternehmen. 1932-38 war Wachsmann in Italien, dann emigrierte er nach Paris, zuletzt 1941 in die USA (mit der Hilfe Albert Einsteins, für den er 1929 ein Sommerhaus entworfen hatte). In den USA entwickelte er mit Walter Gropius das «Packaged House System», ein System für Fertighäuser aus Holz, die an einem einzigen Arbeitstag von wenigen ungelernten Arbeitern errichtet werden konnten. Ab 1949 unterrichtete in Chicago, ab 1956 leitete er die Architekturklasse der Salzburger Sommerakademie, dann lehrte er ab 1964 in Los Angeles. Wachsmann hat entscheidende Beiträge zur Frage geliefert, wie mit einer möglichst geringen Anzahl unterschiedlicher Elemente möglichst vielfältige Konstruktionen entwickelt werden können.
Walter Zeischegg
geboren 1917 in Wien, gestorben 1983 in Ulm
Der österreichische Designer stand zeit seines Lebens in der zweiten Reihe, obwohl er als Gestalter und Dozent große Leistungen hervorgebracht hat. Schon während seines Bildhauerstudiums in Wien beschäftigte sich Zeischegg mit Produktgestaltung. 1951 folgte er dem Ruf Max Bills nach Ulm und beteiligte sich an der Aufbauarbeit der in Gründung befindlichen HfG. Für den Innenausbau der HfG-Gebäude entwickelt er u.a. die Halterungen der Leuchtstoffröhren. Zeischegg unterrichtete als einziger Dozent vom ersten bis zum letzten Tag an der HfG. Berühmt geworden sind die farbigen, stapelbaren gewellten Kunststoff-Aschenbecher für die Firma Helit, die 1966/67 aus der Arbeit seiner Entwicklungsgruppe mit den Studenten Dieter Raffler, Tsugio Nachi und Verena Loibl. Nach 1968 betrieb Zeischegg ein Designbüro in Neu-Ulm.
Weitere wichtige Dozenten und Gastdozenten:
Kurd Alsleben, Bruce Archer, Hermann von Baravalle, Horst H. Baumann, Werner Blaser, Lucius Burkhardt, Rodolfo Bonetto, Peter Cornelius, Hans Curjel, Rudolf Doernach, Hans Magnus Enzensberger, Anthony Frøshaug, R. Buckminster Fuller, Roland Fürst, Karl Gerstner, Eugen Gomringer, Tomás Gonda, Ernst Hahn, Chadwick Hall, Bill Huff, Johannes Itten, Walter Jens, Joachim Kaiser, Gerd Kalow, Hanno Kesting, Martin Krampen, Herbert Lindinger, Will McBride, Josef Müller-Brockmann, Hans Neuburg, Helene Nonné-Schmidt, Frei Otto, Walter Peterhans, Erich Podach, Harry Pross, Peter Raacke, Nick Roericht, Bernhard Rübenach, Joseph Ryckwert, Ernst Scheidegger, Nikolaus Sombart, Anton Stankowski, Christian Staub, Kohei Sugiura, Martin Walser, Elisabeth Walther.
Werkstattmeister:
Paul Hildinger, Herbert Maeser, Peter Muthes, Otto Schild, Josef Schlecker, Wolfgang Siol, Cornelius Uittenhout.
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HfG Ulm. Kurze Geschichte der Hochschule für Gestaltung. Anmerkungen zum Verhältnis von Design und Politik (1953–1968)
Die gesellschaftliche Verantwortung der Gestalter
Warum die HfG Ulm gegründet wurde
Die Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm war vermutlich die weltweit wichtigste Designhochschule des 20. Jahrhunderts. Sie hat wahrscheinlich einen weiteren, tieferen und dauerhafteren Einfluss als jede andere Ausbildungsstätte auf das moderne Design ausgeübt, auch als das Dessauer Bauhaus. Für die internationale Kunst war allerdings das Bauhaus erheblich bedeutsamer als die HfG. Jedoch: Diese Behauptungen lassen sich nicht beweisen, weil Bedeutung in diesem Kontext nicht sinnvoll quantifiziert werden kann, allen Rankings zum Trotz.
Die HfG wurde nicht gegründet, um ein ästhetisches Defizit zu beheben. Ihren Gründern (Otl Aicher, Inge Scholl und Max Bill) ging es nicht in erster Linie darum, schöne Plakate und Lampen zu gestalten. Sie wollten vielmehr die Gesellschaft gestalten. Genauer gesagt: Sie wollten dazu beitragen, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland eine friedliche, demokratische und freie Gesellschaft entstehen konnte.
Dieses Ziel war eine ferne Utopie, als Otl Aicher und Inge Scholl im Frühjahr 1945 damit anfingen, ihre ersten Ideen zu verwirklichen. Es war einfach unvorstellbar, dass die Deutschen jemals von ihrem Kadavergehorsam, Militarismus und fanatischen Rassismus ablassen könnten. Sechs Jahre lang hatten die Deutschen die Welt mit Krieg überzogen, hatten unmenschliche Grausamkeiten mit maschineller Unerbittlichkeit und kaltblütiger Präzision in unfassbarem Ausmaß begangen. Millionen Menschen hatten sie in Gaskammern und auf den Schlachtfeldern ermordet. Ausgerechnet diese Deutschen sollten auf einmal bessere Menschen werden?
Die deutsche Gesellschaft lag 1945 in Trümmern. Die Häuser waren zerstört, die Straßen und Plätze der Städte voller Schutt und Asche. Das Land war von den vier führenden Siegermächten besetzt und aufgeteilt. Die Zerstörung war beinahe total. Sie erstreckte sich nicht nur auf die materielle Umwelt. Die Familien und Freunde beklagten ihre Toten und Vermissten.
Darüber hinaus waren auch die geistigen Grundlagen der Gesellschaft fundamental beschädigt. Die Welt hatte sich durch das Nazi-Regime so grundlegend geändert, dass die Deutschen aus Aichers Sicht nicht nahtlos an die Zeit bis 1933 anknüpfen durften. Er wollte die Katastrophe als Chance nutzen und sämtliche Traditionen und Gewissheiten, welche die deutsche Gesellschaft bis dahin wie selbstverständlich getragen hatten, kritisch hinterfragen. Alle gesellschaftlichen Werte erschienen fragwürdig, weil sie den Menschen nicht die Kraft gegeben hatten, den Nazis zu widerstehen. Diese Chance für einen vollständigen Neuanfang nannte man «Stunde Null».
Wie stolz waren die Deutschen auf ihre hochstehende Kultur gewesen, auf die Werke von Luther, Bach, Beethoven und Goethe. Über die Banausen aus den USA und die Proleten aus Russland hatte man gerne hochmütig die Nase gerümpft. Aber unter Hitler hatte sich binnen weniger Jahre das Land der Dichter und Denker in einen Abgrund voller Scharfrichter und Henker verwandelt. Ihre Wertschätzung von Musik, Dichtkunst und Philosophie hatte die Menschen nicht dafür gewappnet, als mündige Bürger dem Irrsinn Einhalt zu gebieten, als es darauf ankam.
Otl Aicher war der Ansicht, dass die traditionelle bürgerliche Wertschätzung der «Sonntagskultur» über Bord geworfen gehörte. Er hatte nichts gegen Theater, Oper, Konzerte oder Gemälde, er hatte sogar für ein paar Monate in München Bildhauerei studiert. Aber ihre Überhöhung in einen Fetisch hatte zur Geringschätzung des Alltags geführt. Deshalb waren auch die alltäglichen Dinge gering geachtet, die seit der Industrialisierung in großen Stückzahlen hergestellt werden konnten und dadurch für breite Schichten der Bevölkerung erschwinglich waren.
Feines Porzellanservice für den Festtag mit gestalterischen Mitteln zu veredeln, interessierte Aicher nicht. Er war der Meinung, dass eine freie und demokratische Zivilgesellschaft vielmehr Geschirr für jeden Tag des Jahres benötigte. Nicht nur praktisch und bezahlbar sollte es sein. Vor allem sollte es eine eigenständige Form erhalten, also die Erscheinung von vornehmen Luxuswaren nicht imitieren: Weder ihren Stil, noch teure Materialien oder kostbare Verarbeitung vortäuschen. Einge Jahre später, 1959, als die HfG schon einige Jahre existierte, entwarf tatsächlich der Student Nick Roericht in seiner Diplomarbeit eines der berühmtesten Produkte der HfG: das stapelbare Geschirr TC 100, das ausschließlich für Kantinen hergestellt wurde. Jahrzehntelang haben Millionen Menschen es zum Beispiel in Jugendherbergen benutzt.
Den gleichen Anspruch richtete Aicher auch an die Gestaltung von Informationen. Wer zum Beispiel einen übersichtlichen Zugfahrplan entwickelte oder ein sachlich aufklärendes Plakat über die Notwendigkeit gesunder Ernährung, ging aus Aichers Sicht einer Beschäftigung nach, die gesellschaftlich relevanter war als künstlerische Malerei. Deshalb hatte er sein Studium an der Münchner Akademie rasch abgebrochen. Er sah keinen Sinn darin, sich den Bildenden Künsten zu widmen, als ob zwischen 1933 und 1945 nichts gewesen wäre. Die Kunst erschien ihm damals sogar verlogen, weil er meinte, dass sich die Künstler dadurch ihrer Verantwortung entzogen, ihre Talente für den Aufbau einer neuen Nachkriegsgesellschaft zu nutzen – eine radikale Ansicht, typisch für Aichers Kompromisslosigkeit.
Die HfG war eine private Einrichtung, keine staatliche Hochschule. Das klingt heute nicht sonderlich bemerkenswert. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung aber handelte es sich um etwas vollkommen Einzigartiges. Bildung war in Deutschland traditionell eine Aufgabe des Staates. Lehrer und Professoren sind bis heute staatlich alimentierte Beamte. Sie stehen in einem besonderen Loyalitäts- und Dienstverhältnis zum Staat. Anfang der 1950er Jahre war die Überzeugung, dass es damit seine Richtigkeit hatte, in Deutschland noch viel tiefer verwurzelt als heute. Otl Aicher jedoch war anderer Ansicht. Er hatte den Staat als eine Organisation erlebt, die systematisch Unrecht ausübte. Der NS-Staat hatte seine geliebte Freundin Sophie Scholl und ihren älteren Bruder Hans ermordert. Seitdem misstraute Aicher jedem staatlichen Gebilde zutiefst.
Hans und Sophie Scholl zählten zu den wenigen aktiven Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime. Die beiden stammten ebenso wie Otl Aicher aus Ulm. Während ihres Studiums in München gehörten sie zum Kern der Gruppe «Die Weiße Rose». Sie verteilten Flugblätter in der Münchner Universität. Im Februar 1943 wurden sie dabei verhaftet. Wenige Tage später ermordeten die Nazis sie.
Otl Aicher entging seiner eigenen Verhaftung – damit wohl auch seiner Ermordung – nur durch Glück um Haaresbreite. Gemeinsam mit Inge Scholl, der ältesten Schwester von Hans und Sophie, organisierte er schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Ulm Vorträge von Philosophen und Theologen, die den Menschen Hoffnung und Orientierung in ihrer zerstörten Welt bringen sollten. Aus dieser Initiative entwickelten sie 1946 die Ulmer Volkshochschule. Der Impuls der «Stunde Null», etwas von Grund auf neu zu denken, war bei ihnen und ihren Freunden, dem sogenannten «Ulmer Kreis», noch nicht erloschen.
Sie unterschieden sich dadurch von den meisten anderen Menschen in Deutschland. Nachdem die Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren vor allem ums nackte Überleben kämpfen musste, weil Hunger und Mangel den Alltag bestimmten und eiskalte Winter in Häusern ohne Dächer, Fenster und Heizungen die ausgemergelten Körper dahinrafften, ging es zum Ende der 1940er Jahre schrittweise besser. Anfang der 1950er Jahre wurde Wohlstand spürbar. Aus der Rückschau wird die einsetzende «restaurative» Epoche bis zum Ende der 1960er Jahre als Wirtschaftswunder beschrieben. Die deutsche Gesellschaft machte es sich in den angenehmer gewordenen Verhältnissen bequem. Der erste Italien-Urlaub mit dem ersten eigenen Auto lag für jedermann in greifbarer Nähe.
Jetzt, Anfang der 1950er Jahre, mochte sich kaum noch jemand mit gesellschaftspolitischen Utopien beschäftigen. Lag doch mittlerweile das Ende des Zweiten Weltkriegs schon Jahre zurück. Die Erinnerung an die Vergangenheit der braunen SA-Uniformen wurde kollektiv verdrängt. Inge Scholl und Otl Aicher aber arbeiteten mit aller Kraft daran, ihre Idee zu verwirklichen, aus der Ulmer Volkshochschule heraus eine neue, zweite Bildungseinrichtung zu entwickeln. Mit der Hilfe des US-Hochkommissars John J. McCloy und seines Mitarbeiter Shepard Stone erhielten sie die Zusage über 1 Million Deutsche Mark als Spende des amerikanischen Steuerzahlers, wenn es ihnen gelang, eine zweite Million aus anderen Quellen einzusammeln. Weil diese Mittel nicht an Inge Scholl persönlich fließen durften, errichtete sie dafür am 5.12.1950 eine Organisation, die das Geld seinem Verwendungszweck gemäß verwalten sollte: Die Geschwister-Scholl-Stiftung.
Ursprünglich, Ende der 1940er Jahre, wollten Inge Scholl und Otl Aicher gemeinsam mit dem Schriftsteller Hans-Werner Richter eine Geschwister-Scholl-Hochschule gründen. Sie sollte das Angebot der Volkshochschule erweitern, vor allem um gesellschaftspolitische Themen. Weil sich Otl Aicher aber für Architektur, Städtebau und das interessierte, was wir heute Design nennen, wurde er auf den Zürcher Architekten, Künstler und Designer Max Bill aufmerksam. Bill wurde rasch ein wichtiger Mitstreiter der Ulmer und brachte Hans Werner Richter innerhalb weniger Monate dazu, sich aus dem Engagement zurückzuziehen. Bill sorgte dafür, dass das inhaltliche Konzept der in Gründung befindlichen Hochschule auf Gestaltungsthemen eingegrenzt wurde: Städtebau und Architektur, visuelle Gestaltung, Produktgestaltung, Information. Die gesellschaftspolitische Ausrichtung verschwand dadurch nicht. Sie blieb als Basis für die Beschäftigung mit Fragen der Gestaltung der Welt bestehen. Welchen Beitrag muß die Gestaltung leisten, damit die Menschen den Versuchungen eines tyrannischen, menschenverachtenden Regimes widerstehen werden? Damit etwas wie die Nazi-Zeit nicht wieder möglich wird? «Nie wieder!» lautete das Leitmotiv der Ulmer.
Die kulturelle Bewältigung der technischen Zivilisation
Welche Aufgabe sich die HfG Ulm vorgenommen hatte
Welche Verantwortung trägt der Gestalter für die Entwicklung und Stärkung einer freien, unabhängigen und kritischen Gesellschaft? In welcher Gesellschaft wollen wir leben, und welchen Beitrag können wir als Gestalter dazu leisten, dass diese Gesellschaft Wirklichkeit wird? Die gesellschaftliche Verantwortung des Gestalters ist die Antriebskraft, die nicht nur zur Gründung der Hochschule für Gestaltung geführt hat. Sie hat auch während ihres Bestehens von 1953 bis 1968 die intellektuelle Grundlage gebildet. Wie an keinem anderen Ort auf der Welt konzentrierte sich in der HfG die theoretische und praktische Auseinandersetzung auf die Frage, worin die gesellschaftlichen Verantwortung der Gestalter besteht.
Die Antworten, die an der HfG darauf entwickelt wurden, liegen heute schon 40 Jahre und mehr zurück. Ebenso, wie die Antworten des Bauhauses auf diese Frage bei der Gründung der HfG schon 40 Jahre zurückgelegen hatten. Wer es heute für richtig hält, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, sollte deshalb vor allem den Gründungsimpuls der HfG ernst nehmen: Es lohnt sich zwar, wenn man mit die alten Aussagen kennt, weil darin viel Klugheit und Aufrichtigkeit steckt. Aber die Umstände haben sich heute so sehr verändert, dass wir unsere eigenen Wahrheiten finden müssen.
Die HfG Ulm wird heute vor allem auf Oberflächen reduziert: Geräte, die zu Ikonen des modernen Produktdesigns stilisiert wurden; visuelle Erscheinungsbilder, die als Musterbeispiele in Lehrbüchern veröffentlicht sind; die Architektur Max Bills. Die Haltung, die zu diesen Resultaten geführt hat, ist darüber meist in Vergessenheit geraten, so dass das, was die HfG hervorgebracht hat, auf einen formalästhetischen Stil beschränkt wird – ganz zu schweigen vom einfältigen «Funktionalismus»-Etikett.
Die HfG beruhte erstens auf der Beobachtung, dass die (westliche) Welt seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch den historischen Prozess der Industrialisierung eine technische geworden ist, und zweitens auf der Annahme, dass diese Welt gestaltet werden kann.
Beides sind fundamentale Bestandteile des Gerüsts der Ideen, Werte und Überzeugungen, welche die Moderne hervorgebracht haben. Eine zentrale Folgerung der Moderne ist die Behauptung, jede Aufgabe können aus sich heraus gelöst werden. Probleme stellen sich unter diesem Blickwinkel als Aufgaben dar, die durch Entwickeln gelöst werden können – um im Bild zu bleiben: Probleme sind Verwicklungen, die in ihrem Kern schon ihre Lösung enthalten. Man müsse «nur» bis dorthin vordringen. Dann ergebe sich die Lösung wie von selbst. Diese Vorstellung, gepaart mit dem festen Glauben an die Gestaltbarkeit der Welt, hat dazu geführt, dass die Moderne mit der Idee aufgeladen wurde, das Erfolgsgeheimnis gelungener Projekte liege im gründlichen Planen und anschließenden linearen Abwickeln von zuvor definierten Aufgabenspulen. Als Ergebnis dieser Konsequenz brachte die Moderne jedoch nur in den seltensten Fällen Orte, Gebäude, Geräte und Dienste mit gesteigerter Qualität hervor, sondern genau die Banalität, die der Moderne schon von Beginn an (spätestens seit der ersten Weltausstellung in London 1851) vorgehalten wird als inhumane Unterwerfung unter das Diktat der Maschinen und der Industrie, ästhetische Verödung und monotone Simplifizierung.
Der Ansatz des Bauhauses unter Walter Gropius bestand darin, diese Herausforderung mit künstlerischen Mitteln zu bewältigen. Die Architektur propagierte er als diejenige Disziplin, die alle Künste zusammenführte. Otl Aicher vertrat eine andere Ansicht: Die technische Zivilisation müsse auf der Grundlage eines neuen Verständnisses von Kultur bewältigt werden. Kultur sei nicht, was nur sonntags angelegt werde wie ein besonderes Kleid und nur wenige Bereiche des Lebens betreffe (insbesondere Lyrik, Theater, Oper, klassische Musik, Malerei, Bildhauerei und Philosophie), sondern umfasse schon längst sämtliche maschinell hergestellten Gegenstände und alltäglichen Handlungen. Die Gestaltung dieser Dinge und Zusammenhänge der Industriegesellschaft müsse deshalb als kulturelle Aufgabe behandelt werden.
Fatal war, dass sich die Nazis der wissenschaftlichen, technischen und logistischen Errungenschaften der Moderne bedient hatten. Ihre Propaganda instrumentalisierte etwa moderne Rundfunktechnik (Volksempfänger), Ingenieursentwicklungen (Volkswagen, Autobahn), Medien (Fotografie, Film) und ästhetische Organisationsprinzipien (Corporate Design avant la lettre). Ganz zu schweigen von der geradezu industriellen Massenvernichtung in den Konzentrationslagern. Der Glaube an den inhärenten, nicht weiter hinterfragbaren Sinn des technischen Fortschritts war dadurch nach dem Zweiten Weltkrieg desavouiert. Welche Prinzipien sollten nun gelten, um die zerstörte Umwelt wieder aufzubauen und dabei neu zu gestalten?
Otl Aicher wollte weder an eine irregeleitete «Maschinenästhetik», noch an romantisch verklärten Historismus anknüpfen (selbst Thomas Mann verzweifelte an der Erkenntnis, dass sehr viel Hitler in Wagner steckt). Die kulturelle Bewältigung der technischen Zivilisation sollte statt dessen auf sachlich begründeter Rationalität beruhen. Jegliche künstlerische Inszenierung oder emotional ergreifende Überwältigung lehnte er radikal ab, denn damit hatten die Bilder von Leni Riefenstahls Propagandafilmen und von Aufmärschen der Nazis im nächtlichen Fackelschein ihre Wirkung erzielt.
An die Stelle von Symbolen und Parolen setzte Aicher das nüchterne, überzeugende Argument. Design sollte eine vernunftbasierte Tätigkeit sein. Es ging dabei nicht um Inspiration und sprudelnde Ideen, sondern um vorurteilfreies und gründliches Untersuchen des Kontexts einer Aufgabe; sachliches Gewichten und Abwägen der Analyseergebnisse; systematisches und interdisziplinäres Hervorbringen von Systemen anstelle von Unikaten. Die Überzeugungskraft der Information war ihm wichtiger als zerstreuende Unterhaltung. Die Verbesserung eines praktischen Nutzens für viele Menschen zog er dem Verfeinern von Gütern für prestigeträchtigen Luxuskonsum vor. Technik war für ihn kein Fetisch (auch wenn Motoren ihn faszinierten), sondern potentiell ein effizientes Instrument für eine demokratische Gesellschaft. Techniker, Wissenschaftler und Ingenieure durften deshalb auch keine Fachidioten sein, die sich nicht für die gesellschaftlichen Zusammenhängen interessierten und nur ihr Spezialwissen abgeschottet anhäuften.
Sobald die Studierenden die Grundlehre bzw. das erste Studienjahr absolviert hatten, beschäftigten sie sich in ihrer Abteilung nach folgendem Muster mit ihrer Aufgabe (typisch waren etwa in der Produktgestaltung: elektrischer Handbohrer, Espressomaschine, Brille, Zeichenmaschine, Diaprojektor, Füllfederhalter). Am Anfang stand eine kritische Analyse der am Markt vorhandenen Dinge. Dann wurden Charakter und Qualitäten des Produkts definiert, um die Funktionen genau bestimmen zu können, die zur Erfüllung dieser Aufgaben notwendig sind. Zugleich gab es Studien der ökonomischen und soziologischen Zusammenhänge, obwohl diese prinzipiell nicht bis zum Ende durchgeführt werden können. Dann wurde die mechanische und konstruktive Struktur untersucht. Nichts, was gegeben war, wurde kritiklos übernommen, sondern es wurden verschiedene Optionen durchgespielt. Am Ende entschieden sich Studierende und Dozent für eine Möglichkeit. Erst danach begann die formalästhetische Gestaltung.
So erhielt die HfG ein Profil, das randschärfer war als das aller anderen Ausbildungsstätten für Design. Die HfG stellte sich selbst die Aufgabe, relevante Beiträge dafür zu liefern, dass die technische Zivilisation des 20. Jahrhunderts kulturell bewältigt werden kann. An keinem anderen Ort auf der Welt gab oder gibt es seither diese Fokussierung.
Kurze Geschichte der HfG Ulm
1953–1968
Um die HfG gründen und betreiben zu können, mussten Inge Scholl, Otl Aicher und Max Bill Geld und Unterstützer finden. Im Ausland waren sie zuerst erfolgreich: Sie konnten den US-amerikanischen Hochkommissar John J. McCloy und seinen Mitarbeiter Shepard Stone für die Idee einer neuen privaten Hochschule begeistern, die zum Aufbau einer modernen, demokratischen und friedlichen Gesellschaft in Wohlstand beitragen sollte. 1950 erhielten sie ihre Zusage, dass der amerikanische Steuerzahler dafür eine Million Deutsche Mark spenden würde, wenn es den Ulmern gelingen sollte, ein zweite Million einzusammeln.
Das Geld konnte Inge Scholl nicht als Privatperson entgegen nehmen. Sie brauchte eine Organisation als Träger der Hochschule und Verwalter der Finanzen. Deshalb errichtete sie am 5. Dezember 1950 die «Geschwister-Scholl-Stiftung». Sie besteht bis heute, allerdings unter dem Namen «Stiftung Hochschule für Gestaltung Ulm».
Die zweite Million einzusammeln, war äußerst schwierig. Es gab nur wenige Menschen, welche die Idee der HfG-Gründung für unterstützenswert hielten. Die meisten Politiker, Beamten, Unternehmer, Architekten, Professoren und Journalisten waren nicht davon überzeugt, dass Deutschland etwas so radikal Neues benötigte. In ihren Augen gab es Wichtigeres, was gefördert werden sollte. Zumindest hätten sie es lieber gesehen, wenn die amerikanische Spende für eine bereits bestehende Hochschule eingesetzt würde, z.B. die Architekturfakultät der TH Stuttgart. Allerdings sprach sich kaum jemand offen dagegen aus, die amerikanische Million anzunehmen. Zähneknirschend und widerwillig ließ man die Ulmer gewähren.
Inge Scholl, Otl Aicher und Max Bill mussten die HfG unter extremem Druck aufbauen: Eiserne Widerstände, Anfeindungen, Intrigen und Unverständnis auf der einen Seite, Geld- und Zeitmangel auf der anderen Seite. Dazu kam noch ein bürokratisch-juristischer Hindernislauf, denn die Stiftung war zwar privat, aber sie war deshalb noch lange nicht unabhängig. Sie war auf Zuschüsse der Stadt Ulm, des Landes Baden-Württemberg und des Bundes angewiesen. Ohne dieses Geld hätte der Gebäudekomplex am Oberen Kuhberg nicht errichtet und der Betrieb der HfG nicht finanziert werden können.
Aber innerhalb von zwei Jahren gelang es vor allem Inge Scholl, wenigstens so viel Hilfe in den Parlamenten, Ministerien und der Wirtschaft zu mobilisieren, dass John J. McCloy ihr am 23. Juni 1952 im Ulmer Rathaus den Scheck über 1 Million Mark überreichte.
Die HfG startete mit ihrem Lehrbetrieb am 3. August 1953, die ersten Dozenten waren ehemalige Bauhaus-Lehrer. Die Bauarbeiten für den Gebäudekomplex begannen aber erst am 8. September 1953. Der Unterricht fand deshalb in Räumen der Ulmer Volkshochschule statt, bis der Rohbau am 10. Januar 1955 bezogen werden konnte. Der Innenausbau der Schul- und Wohnbauten dauerte danach noch 9 Monate. Erst am 1. und 2. Oktober 1955 wurden die Gebäude mit einer Feier eingeweiht. Die Festrede hielt Walter Gropius, der als Architekt, Designer und Direktor des ehemaligen Bauhauses weltweit höchstes Ansehen genoss.
Es war Teil des Konzeptes, dass die ersten HfG-Studenten im Rahmen ihres Unterrichts wesentlich zum Bau, insbesondere zum Innenausbau beitragen sollten. Genauso, wie die Architektur Max Bills das HfG-Programm in ein Gebäude übersetzte, sollten auch die Gegenstände der Inneneinrichtung den jungen Ulmer Anspruch verkörpern. Maßgeblich war dafür der Dozent Walter Zeischegg verantwortlich. Daraus entstanden Halterungen für Leuchtstoffröhren, Lattenroste für die Betten, Waschbecken, Türgriffe und der «Ulmer Hocker» (ein Ergebnis der gemeinsamen Arbeit von Max Bill mit dem niederländischen Designer Hans Gugelot und dem Meister der Holzwerkstatt Paul Hildinger). Man sitzt darauf nicht bequem, aber es geht leidlich. Man kann ihn herumtragen, aber nicht besonders gut. Angeblich wurden sogar Bücher damit transportiert, aber auch dafür gibt es spürbar
bessere Lösungen. Sehr hilfreich ist er als niedriger Tisch und Tritt in zwei verschiedenen Höhen. Vermutlich ist der Hocker so berühmt geworden, weil er a) gegensätzliche Nutzungsoptionen zur Verfügung stellt, b) eine kompromisslos sperrige Form hat und c) sowohl der Materialbedarf als auch die Verarbeitungsschritte minimiert sind. In dieser Kombination erscheint er wie ein Spiegelbild der gesamten HfG in verkleinertem Maßstab.
Die HfG bestand als Lehrinstitution 15 Jahre lang, vom Sommer 1953 bis zum Sommer 1968. Es gab in dieser Zeit keinen Tag ohne finanzielle Sorgen. Die Stiftung krebste entweder knapp oberhalb des Existenzminimums oder bewegte sich sogar unterhalb. Es gab zwar ein paar Jahre lang begründete Hoffnung darauf, dass sich die Situation grundlegend verbessern könnte, aber dieser Fall ist dann doch nicht eingetreten. Ein Resultat der permanenten Existenznot war die Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung: Obwohl die Studenten und Dozenten in der Gewissheit verbunden waren, dass sie einer ungeheuer fortschrittlichen Elite angehörten, wurden sie täglich damit konfrontiert, dass fast die gesamte Gesellschaft den Wert ihrer Arbeit nicht honorierte. Manche setzten sich unbekümmert und selbstbewusst darüber hinweg. Die mangelnde Wertschätzung führte aber vielfach zu Frustration. Daraus speiste sich ein Teil der Energie, die sich in vehementen Spannungen zwischen den Akteuren entlud. (Ein anderer Teil ergab sich aus der Tatsache, dass es sich bei den Menschen meist um Persönlichkeiten von starkem Charakter handelte.) Weil die Streitigkeiten mit unerbittlicher intellektueller Schärfe ausgetragen wurden, entstand für die Öffentlichkeit schnell der Eindruck, auf dem Kuhberg geschehe nichts weiter als ein permanentes Hauen und Stechen.
Darum war es für Außenstehende kaum nachvollziehbar, welche Leistungen in der HfG hervorgebracht wurden. Das ist zweifellos bitter, aber typisch für jede Avantgarde. Als weitere Hürde für ein breiteres Verständnis stellte sich der Jargon der Ulmer heraus, der zum Vorwurf der Arroganz beitrug: Weitgehend unbekannte Begriffe wie Kommunikation, Design oder Kybernetik irritierten mehr, als dass sie Klarheit erzeugten oder Interesse weckten.
Nach der Eröffnungsfeier gab es nur drei Ereignisse, die große öffentliche Aufmerksamkeit auf die HfG lenkten: Erstens die Trennung von Max Bill 1957. Zweitens der Verfassungsputsch Otl Aichers 1962. Und drittens die Schließung 1968. Somit beherrschten unter dem Strich schlechte Nachrichten das Meinungsklima.
Max Bill war seit dem Frühjahr 1950 nicht nur als Architekt des Gebäudekomplexes vorgesehen. Er wollte auch als Rektor die HfG nach außen repräsentieren, verantwortlich sein für den Gesamtlehrplan sowie Leiter der Abteilung Architektur und Leiter der Grundlehre. Dann stellte sich während der Bauphase heraus, dass es schwierig war, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er war kein Teamplayer, und außerdem zu selten in Ulm. Aus der Ferne, von seinem Züricher Büro aus, ließ sich die Aufbauarbeit nicht organisieren. Anfangs waren die Ulmer verzweifelt, dann verärgert. Darum verständigten sich Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher (sie hatten am 7. Juni 1952 geheiratet) mit Max Bill schon 1955 darauf, dass die Tagesgeschäfte nicht mehr in seinen Händen als Rektor liegen sollten, sondern in denen eines Gremiums aus mehreren Dozenten, dem sogenannten Rektoratskollegium. Sein Rektorat endete am 31. März 1956, aber er blieb Dozent an der HfG und ein außerordentliches Mitglied ihres Rektoratskollegiums.
Dann entbrannte ein dreiviertel Jahr später, im Januar 1957 ein heftiger Streit. Sein Anlass war vordergründig eine Kleinigkeit: Max Bill hatte ein Schild vor die von ihm genutzten Unterrichtsräume anbringen lassen, das den Zutritt nur «seinen» Studenten gewährte. Aus Sicht des Rektoratskollegium aber handelte es sich dabei nur um die sichtbare Spitze des gesamten Eisbergs. Insbesondere Otl Aicher, Hans Gugelot und Tomás Maldonado unterstellten Max Bill, dass er beabsichtigte, ein separates «Atelier Bill» wie eine Meisterklasse in der Tradition der Kunstakademien zu etablieren. Der Streit eskalierte. Die Schule spaltete sich in zwei Lager, pro und kontra Bill. Als sich die Stiftung zum 31. März 1957 von Max Bill trennte, waren alle HfG-Unterstützer darüber entsetzt, dass der einzige bekannte Protagonist der jungen, noch im Aufbau befindlichen HfG vor die Tür gesetzt wurde. Die Studenten, die zu Bill hielten, durften ihr Studium bei ihm in Zürich abschließen. Der Vertrag des Dozenten Max Bense, der sich für Bill eingesetzt hatte, wurde nicht verlängert.
Die eigentliche Motivation Aichers und Maldonados für den offenen Bruch mit Bill war ihre Überzeugung, dass sich die HfG mit aller Kraft konsequent der Verwissenschaftlichung des Designs widmen müsse. Dieses Ziel widersprach einer traditionellen künstlerischen Auffassung, die auf dem Geniegedanken und, damit verbunden, einer Ausbildung in Meisterklassen beruhte. Aicher und Maldonado wollten den Künstler durch einen neuen Typus Gestalter ersetzen: Durch den in wissenschaftlichen Disziplinen geschulten Teamplayer, der sich gleichberechtigt mit Ingenieuren in technischen Büros austauschen konnte. Seine Arbeit sollte weit über das Erschaffen einer formal-ästhetischen Oberfläche hinausreichen. Dafür wollten sie an der HfG ein neues Berufsbild entwickeln. Diesen neuen Gestaltertyp nannten sie Designer.
Mit dem neuen Programm der Verwissenschaftlichung war der Versuch gemeint, Design als eine objektive, wertfreie (Natur-) Wissenschaft zu entwickeln. Es führte dazu, dass an der HfG eine Vielzahl ingenieur-, natur- und gesellschaftswissenschaftlicher Fächer unterrichtet wurde, z.B. Kybernetik, Semiotik, Soziologie, Statistik, Stochastik, Mechanik, Materiallehre und Konstruktionslehre. Dadurch unterschied sich die HfG substantiell von den zeitgenössischen Ausbildungsorten für Architekten und Designer (Werkkunstschulen, Technische Hochschulen und Kunstakademien).
Eine Studentengeneration nach der Trennung von Bill, im Studienjahr 1961/62, zog Aicher Bilanz. Sein Fazit fiel erschütternd aus. Die Geister der Wissenschaft, die er selbst gerufen hatte, wollte er nun wieder mit aller Gewalt los werden. Er scheute sich nicht, erneut einen offenen Machtkampf auszutragen. Im Kern ging es bei dieser Auseinandersetzung im Jahr 1962 um die Frage, ob Design eine objektive Wissenschaft sei. Aichers Antagonist war der Mathematiker und intellektuell überragende Dozent Horst Rittel. Aicher war mit den Ergebnissen des seit 1956/57 eingeschlagenen Weges nicht einverstanden und hatte deshalb seine Ansicht geändert. Er war nun zur Überzeugung gelangt, dass Design nur bis zu einem (un-) bestimmten Punkt so betrachtet und betrieben werden könne wie eine Naturwissenschaft. Im Wesen sei Design keine objektive, wertfreie Wissenschaft. Er wollte nun (wieder) den Designer als wertendes und handelndes Subjekt in den Mittelpunkt der HfG-Arbeit rücken. Dadurch erhielt der Designer wieder die Autorität eines Genies, der seine Entscheidungen letztlich aus eigener Vollkommenheit trifft. Allerdings sollten Wissenschaft und Technik ihm als Hilfsmittel dienen.
Um seine Auffassung gegen einen Teil der Dozenten und der Studenten durchsetzen zu können, sorgte Aicher im Hintergrund dafür, dass die HfG eine neue Verfassung erhielt. Darin wurde das Rektoratskollegium durch einen Rektor ersetzt. Die dienende, dem Design zuarbeitende Rolle der Wissenschaft sollte sich in einer Unterordnung dieser Fachdozenten ausdrücken: Der Rektor der HfG durfte künftig nur noch ein Designer sein, die Theoretiker wurden zu Dozenten zweiter Klasse degradiert. So wurde Otl Aicher am 20. Dezember 1962 unter Umständen, die er selbst als Farce bezeichnete, zum Rektor gewählt. Die Hochschulverfassung war unter undemokratischen Umständen entsprechend geändert worden. Auch die Wahl Aichers wahrte allein unter formalen Gesichtspunkten demokratischen Anschein. Der gesamte Prozess ähnelt vielmehr einem Putsch.
Dafür, dass Otl Aicher wiederum seinen Willen durchgesetzt hatte, musste die HfG in der Folgezeit einen hohen Preis bezahlen. Viele einflussreiche Förderer kehrten der HfG den Rücken zu. Sie resignierten enttäuscht oder waren von den häufigen Kursänderungen entnervt, die jedes Mal im Ton der Absolutheit und Unbedingtheit eingeläutet worden waren. Ebenso zermürbend wirkte die Ignoranz der meisten Politiker und Journalisten. Den Tiefpunkt der tendenziösen Berichterstattung bildet eine Reportage im Nachrichtenmagazin Der Spiegel 1963. Sie beschädigte nicht nur das Ansehen der HfG, sondern gefährdete ihre Existenz. Denn daraufhin ließ der Landtag von Baden-Württemberg prüfen, ob es überhaupt noch angemessen war, dass die private HfG staatliche Zuschüsse erhielt.
Die Schließung
1967/1968
Über die Schließung der HfG kursieren überwiegend Falschmeldungen. Selbst in verdienstvollen Publikationen werden Märchen verbreitet. Wider besseres Wissen wird der Mythos von der HfG aufrecht erhalten, die durch den Handstreich eines tumben baden-württembergischen Ministerpräsidenten niedergestreckt worden sei.
Tatsächlich jedoch handelte es sich nicht um eine plötzliche Handlung eines einzelnen Mächtigen, sondern es war ein langjähriger und vielfach verschränkter Prozess, der zur Schließung der HfG führte. Überraschend daran ist, dass dieses Ergebnis keinesfalls den eigentlichen Absichten der meisten Beteiligten entsprach.
Äußerer Anlass der Schließung war fehlendes Geld. Dafür gab es zwei Gründe: Die Einnahmen gingen zurück und die Stiftung tat nichts dagegen, zumindest nichts Erfolgreiches. Eine Folge des programmatischen Wechsels der HfG 1962 («Design ist keine Wissenschaft und die HfG keine wissenschaftliche Hochschule») war, dass der Bund seine Zuschüsse streichen musste. Wegen der Kulturhoheit der Länder durfte der Bund die HfG nicht direkt unterstützen, er konnte nur finanzielle Mittel für Grundlagenforschung zur Verfügung stellen. Deshalb wurde das Ende der Forschungstätigkeit an der HfG schon 1964 mit der Ankündigung quittiert, dass die Bundeszuschüsse 1966 zum letzten Mal angewiesen würden.
Die Stiftung reagierte darauf nur insofern, als sie den Kopf in den Sand steckte und auf eine Verstaatlichung der HfG hoffte. 1965 war die Lage bereits so desolat, dass es niemandem auffiel, dass die HfG in diesem Jahr 420.000 Mark mehr ausgab, als im Etat vorgesehen war.
1966 hob der Stuttgarter Landtag seine jährlichen Zuschüsse auf 900.000 Mark an, um die Lücke teilweise auszugleichen. Zugleich stellte das Parlament klar, dass die HfG keinesfalls verstaatlicht werden sollte. Wenn der Unterrichtsbetrieb auf solider Grundlage stehen sollte, benötigte die HfG aber mindestens 1,3 Mio. Mark pro Jahr. Dafür fehlten jedoch die Unterstützer in Politik und Wirtschaft. Es gab auch keine Akteure innerhalb der HfG mehr, deren Engagement mit dem vergleichbar gewesen wäre, welches zur Gründung der HfG geführt hatte: Die langjährigen Dozenten Hans Gugelot und Friedrich Vordemberge-Gildewart waren gestorben, Otl Aicher und Tomás Maldonado hatten die HfG verlassen, um sich auf neuen Feldern zu betätigen (Aicher: Gestaltungsbeauftragter der Olympischen Spiele in München 1972, Maldonado: Büro in Mailand und Lehre in Princeton).
Im Dezember 1967 war die drohende Insolvenz der Stiftung unübersehbar. Deshalb musste sie allen Angestellten zum 30. September 1968 kündigen. Andernfalls hätten sich die Mitglieder des Stiftungsrats persönlich für die finanziellen Folgen haftbar gemacht. Sie verbanden die Kündigung mit der unrealistischen Anregung, die HfG möge dadurch gerettet werden, dass sie mit der staatlichen Ingenieurschule Ulm fusioniert würde. Aus der Perspektive der HfG-Angehörigen war dieser Vorschlag eine unerträgliche Zumutung. Bewies er doch, dass die Stiftung mittlerweile nichts mehr von dem verstand, was die HfG auszeichnete: Inhaltlich, pädagogisch und weltanschaulich gab es nichts Verbindendes zwischen Ingenieuerschule und HfG.
In den Augen der HfG-Angehörigen bestand die einzige Legitimation der Stiftung darin, finanzielle Verhältnisse zu gewährleisten, die so solide waren, dass der Betrieb der HfG auch nur annähernd unter den Bedingungen möglich gewesen wäre, die allen Beteiligten – Spendern, Studenten, Dozenten, Politikern, Journalisten – versprochen worden waren. Wenn sie diese Aufgabe nicht meisterte, verlor sie ihre Existenzberechtigung. Deshalb lehnten sie jetzt den Anspruch der Stiftung ab, die Geschicke der HfG zu bestimmen und sie in Verhandlungen zu repräsentieren.
Sie forderten, das Land möge die HfG «autonom» verstaatlichen. Sie träumten davon, dass der Staat sämtliche Rechnungen begleichen möge, aber dennoch auf jegliche Kontrolle oder Sanktion verzichtete. Die Landesregierung ging nicht darauf ein. Es war ja nicht einmal 18 Monate her, dass der Landtag gerade eine Verstaatlichung grundsätzlich ausgeschlossen hatte. Trotzig verkündete die HfG-Angehörigen daraufhin am 23. Februar 1968 die «Selbstauflösung». Diese polemisch-pathetische Parole war auch ein Ergebnis der hitzigen Atmosphäre der 68er-Studentenunruhen.
Es fehlte der gemeinsame Kommunikationsrahmen für eine konstruktive, lösungsorientierte Zusammenarbeit. So steckte die HfG im Frühjahr 1968 in einer Sackgasse. Es gab kein integrierendes Energiezentrum mehr, das die gegen einander kämpfenden und sich abstoßenden Kräfte zusammengehalten hätte. Die Stiftung hatte ihre Verantwortung abgegeben, der Staat wollte sie nicht übernehmen; Stiftung und HfG strebten auseinander; Dozenten, Assistenten und Studenten waren sich uneins; die unterschiedlichen Interessen der Politiker in Ulm und Stuttgart sowie der Presse schürten die Konflikte.
Auch für 1969 bewilligte der Stuttgarter Landtag der HfG am 18. Juli 1968 erneut 900.000 Mark. Dieser Zuschuss wurde also nicht gekürzt. Der Landtag von Baden-Württemberg hat niemals beschlossen, die HfG zu schließen. Diese vielfach verbreitete Aussage ist falsch. Die Landesmittel wurden aber auch nicht erhöht. Das Geld reichte nicht, um den Betrieb der HfG aufrecht zu erhalten. Die Bewilligung waren an Auflagen geknüpft, die bis zum 1. Dezember 1968 erfüllt werden mussten. Im Wesentlichen ging es darum, dass die HfG und die Stiftung ein gemeinsames Konzept für die Weiterführung der HfG vorlegen sollten. HfG und Stiftung akzeptierten diese Auflagen.
Als die Sommerferien der HfG endeten, kehrten die meisten Studenten, Assistenten und Dozenten nicht zurück. Lothar Späth bemerkte dazu, die HfG sei auseinander gelaufen wie flüssige Butter.
Diejenigen, die sich am Kuhberg einfanden, konnten sich nicht auf ein gemeinsames Konzept einigen. Es scheiterte übrigens am Geld. Einige Dozenten wollten an den Einnahmen für Aufträge beteiligt werden, die in den Instituten bearbeitet werden sollten. Die meisten Studenten waren dagegen. Deshalb betrachtete die Stuttgarter Landesregierung am 3. Dezember 1968 die Auflagen des Landtags als nicht erfüllt. Die genehmigten Mittel wurden solange gesperrt – also nicht gestrichen –, bis die Stiftung und HfG die Auflagen erfüllt hätten. De facto war damit das Ende der HfG besiegelt.
Der Ministerpräsident Hans Filbinger trat mit der unfassbar dummen Stellungnahme vor die Presse, dass für die Schaffung von etwas Neuem das Alte beseitigt werden müsse. Eine bessere Ablenkung von der eigenen Verantwortung für das Ende konnten sich die verbliebenen HfG-Angehörigen nicht wünschen. Bis heute gibt es kaum eine Darstellung der HfG-Geschichte, die dieses Zitat nicht im Zusammenhang mit der Schließung erwähnt. Dadurch wird suggeriert, der Staat habe die HfG geschlossen – eine Aussage, die in dieser verkürzten Form völlig falsch ist, weil sie den komplexen Prozess ignoriert, der zur Schließung der HfG geführt hat. Wer behauptet, «das Land» habe die HfG geschlossen, verhindert eine kritische Auseinandersetzung mit den wirklichen Ursachen.
Campus
Der Gebäudekomplex der HfG liegt außerhalb Ulms auf dem Oberen Kuhberg. Diese räumliche Trennung von den Bürgern war nicht geplant. Sie ergab sich daraus, dass die Stadt ihren Beitrag zum notwendigen Spendenaufkommen bei der Gründung nicht durch bares Geld aufbringen konnte, sondern nur durch Sachleistungen. Dazu zählte vor allem die Schenkung des Grundstücks.
Es befindet sich unmittelbar neben einer militärischen Festungsanlage aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Den Nazis diente es als KZ. Otl Aicher wollte diesen Bestand nutzen und für die HfG umbauen. Max Bill fegte diesen Gedanken aber vom Tisch. Er bestand auf einem Neubau auf dem benachbarten Gelände.
Für die vorhandene Hanglage entwarf Bill eine Konstellation aus unterschiedlichen Gebäudeteilen: Wohngebäude für Studenten und Dozenten, Seminar- und Vorlesungsräume, Werkstätten, Verwaltung und Bibliothek sowie die Mensa mit ihrer berühmten geschwungenen Theke und der umlaufenden Terrasse, auf der so viele Fotos entstanden sind.
Es gab drei Typen von Wohnungen: Atelierwohnungen, Wohnungen in einem Wohnturm und eigene Häuser für Dozenten. Der Platz reichte aber nicht für alle HfG-Angehörigen aus. Etwa die Hälfte der Studenten musste sich – zumeist im ersten Studienjahr – ein Zimmer in der Stadt mieten. Das galt auch für die meisten Dozenten. Die Studenten der höheren Studienjahre konnten in der Regel auf dem Kuhberg wohnen.
Auf dem Papier entstand das Bild eines Campus, der dem amerikanischem Ideal einer Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden den zusammengehörigen Raum verlieh. Dieser Zusammenhalt wurde nicht nur durch die räumliche Abgeschiedenheit verstärkt. Sie spiegelte auch das Selbstbild des Anders-Seins: Anders als die konventionellen Bürger der Stadt, anders als alle anderen Hochschulen. Was es auch war: Wenn es die Ulmer provozierte, sahen sich die HfG-Angehörigen bestätigt.
Diese Architektur beeindruckte schon die Zeitgenossen «als Manifest, als gebautes Programm der Hochschule für Gestaltung: transparente Rationalität, Verwendung von Grundformen, Klarheit der Gliederung, Serialität. Man spürt, diese Architektur will Beziehungen organisieren.»
Die Gebäude der HfG wurden am 1. und 2. Oktober 1955 eingeweiht. Festredner war Walter Gropius, der Direktor des Weimarer und Dessauer Bauhauses. Der Unterricht hatte aber schon am 3. August 1953 in provisorischen Räumen der Volkshochschule begonnen.
Über die Architektur Max Bills schüttelte das deutsche Feuilleton den Kopf. Seine Konfiguration schmuckloser Quader widersprach sämtlichen Erwartungen an einen Hochschulbau. Das Publikum rang mit Worten und bemühte Vergleiche wie, anscheinend habe ein Riese eine Handvoll Bauklötze an den Hang gewürfelt. Insbesondere die Sichtbarkeit von Baustoffen (unverblendete, weiß gestrichene Ziegelsteine, grau gestrichener Stahlbeton) und Installationen provozierte. Ein Teil der Inneneinrichtung – Waschbecken, Halterungen der Leuchtstoffröhren, Ulmer Hocker, Bettgestell mit Lattenrost – hatten 1953 bis 1955 Studenten und Dozenten (v.a. Walter Zeischegg) entwickelt.
Deshalb waren diese Gebäude zwar auf der einen Seite ein Ergebnis des äußerst beschränkten finanziellen Budgets, aber auf der anderen Seite auch gebautes Programm. Die Technik wurde ungeschminkt als Technik bloßgestellt, ohne jegliche Verzierung oder traditionelle Verkleidung. Im Grunde handelte es sich in den Augen der Zeitgenossen um einen Rohbau, um ein Skelett, dem Fleisch und Kleidung fehlten. Der vom Bauhaus bekannte Verzicht auf ästhetischen Reichtum wurde nun als agressive Brutalität empfunden. Die Journalisten spotteten über dieses Ulmer Kloster mit seinen Asketen, die die Welt vom Glauben an den rechten Winkel missionieren wollten. Demgegenüber wurde die Tatsache kaum gewürdigt, dass den Studierenden vor allem in den Werkstätten helle und großzügige Arbeitsräume zur Verfügung standen mit ebensoviel Licht wie Platz.
So befand sich die HfG 1955 in einem kommunikativen Dilemma: Ihre Architektur verkörperte das Programm, noch bevor es richtig begonnen hatte. Obwohl es sich bei den HfG-Bauten – bildlich gesprochen – um einen ersten Prototypen, um ein gebautes Modell zur Überprüfung einer Hypothese handelte, wurden sie kritisiert wie ein längst ausgereiftes Serienprodukt.
Zulassung zum Studium
Aus den Rückblicken der ehemaligen Studenten ergibt sich durchgängig eine zentrale Motivation dafür, dass sie sich nicht bei einer alteingesessenen staatlichen Hochschule bewarben, sondern bei der jungen Ulmer Schule, über die sie oft nicht viel mehr wussten als das, was in einem Zeitungsartikel oder einer Ausgabe der HfG-eigenen Zeitschrift ulm stand: Die HfG repräsentierte wie keine andere Institution die internationale Moderne. Zu ihrer Zeit war das gleichbedeutend mit neu, unkonventionell, fortschrittlich und kritisch. Anfangs verkörperten Max Bill und der Gebäudekomplex diese Position, nach ein paar Jahren hatte sich ein entsprechender Nimbus gebildet.
Dass es die HfG damit ernst meinte, erwies sich schon daran, dass das Abitur keine Voraussetzung für die Bewerbung war. Es ging um den individuellen Menschen, seine Interessen, Neigungen und seinen Charakter. All dies musste zum Ulmer Selbstbewusstsein passen. Wer vorher eine handwerkliche Ausbildung durchlaufen hatte, brachte meist die gesuchte Disposition, Erfahrungen und Kenntnisse mit. Aber es konnte auch reichen, wenn man nur aufgrund seines Talents und der persönlichen Empfehlung eines Gewährsmanns zum Studium zugelassen wurde. Helmut Schmitt-Siegel zum Beispiel gelangte nach Ulm, weil der HfG-Absolvent Hans G. Conrad telefonisch Otl Aicher ans Herz legte, ihn aufzunehmen.
Bewerber mussten einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen. Darin wurde kein Faktenwissen abgefragt, sondern es wurde versucht, die Persönlichkeit der Bewerber auszuloten. Wer zugelassen wurde, durfte zuerst nur ein Probequartal absolvieren. Einige Studenten mussten dann wieder gehen. Aber erst am Ende des ersten Studienjahres entschieden die Abteilungsleiter abschließend darüber, welche Studenten sie in ihre Abteilungen übernahmen.
Statistik
Die HfG war eine äußerst kleine Hochschule, gemessen an der Zahl aller Immatrikulationen. Sie sollte Kapazität für 150 Studierende bieten, aber diese Zahl wurde nur im vorletzten Studienjahr erreicht.
In den 15 Jahren ihres Bestehens schrieben sich nur 97 Studentinnen und 540 Studenten ein, insgesamt also 637. Etwas weniger als die Hälfte (278) stammte aus dem Ausland, darunter 93 aus der Schweiz. Insgesamt blieben etwas mehr als ein Drittel (238) nicht länger als ein Jahr an der HfG. Etwas mehr als ein Viertel (173) studierten zwei oder drei Jahre. Nur die restlichen 35% (226) verbrachten die vollständige Dauer von vier Studienjahren (Filmabteilung: fünf Jahre) in Ulm.
Das Studium war in Quartale eingeteilt. Das erste Quartal begann am 1. Oktober jeden Jahres. Das vierte Quartal war unterrichtsfrei und für die praktische Arbeit der Studenten in der Industrie vorgesehen.
Für den Unterricht bestand Anwesenheitspflicht, die streng kontrolliert wurde. Die geringe Anzahl der Studierenden erleichterte diese Kontrolle und erhöhte den Leistungsdruck.
Am Vormittag arbeiteten sie an praktischen Übungen in den Werkstätten und Abteilungen. In den Werkstätten (Holz, Metall, Gips, Typografie/Druck und Fotografie) sollten keine fertigen Produkte hergestellt werden. Es ging um technisches Verständnis und äußerst sorgfältiges Arbeiten an Modellen, um das Streben nach Perfektion.
Die Mittagspause wurde gemeinsam in der Mensa, an der geschwungenen Theke und auf der Terrasse verbracht. Der Nachmittag war den theoretischen Fächern vorbehalten.
Abends und bis tief in die Nacht hinein mussten die gestellten Aufgaben erledigt werden, um das hohe Pensum zu erfüllen.
Das Studium konnte, aber es musste nicht mit einer Diplomarbeit abgeschlossen werden, die aus einem praktischen und einem theoretischen Teil bestand. Die HfG erteilte 178 Studentinnen und Studenten das Diplom, weitere 53 konnten ihr Diplom am Nachfolgeinstitut IUP (Institut für Umweltplanung der Technischen Universität Stuttgart) absolvieren.
Gemessen an den Zahlen, bot das Studium an der HfG paradiesische Zustände: 282 Dozenten für 637 Studierende. Aber diese Statistik verfälscht die Wirklichkeit. Denn ebenso, wie es viele Studierende gab, die höchstens ein Jahr an der HfG verbrachten, unterrichteten auch fast drei Viertel aller Dozenten höchstens ein Jahr in Ulm. Unter dem Strich aber war das zahlenmäßige Verhältnis von Dozenten zu Studierenden herausragend. Je nachdem, wie man es rechnet, erhält man im besten Fall ein statistisches Ergebnis von 1:1,2 und im schlechtesten 1:7,2. In Worten, ein Dozent auf sieben Studierende als worst case scenario: An welcher Bildungseinrichtung ist das heute Realität?
Die HfG war für ihren stetigen Durchfluss von hochkarätigen Referenten berühmt, die aus aller Welt nur für einen Vortrag oder eine mehrtägige Veranstaltung nach Ulm kamen. Den ersten Grundkurs zum Beispiel (er dauerte drei Monate) gab der ehemalige Bauhaus- Meister Walter Peterhans. 1955 unterrichtete Johannes Itten für nur eine Woche. Und die Lehrtätigkeit von Kapazitäten wie Charles und Ray Eames, Konrad Lorenz, Norbert Wiener, Nikolaus Sombart, Hans Magnus Enzensberger, Anton Stankowski oder Buckminster Fuller beschränkte sich auf Vorträge mit anschließenden Diskussionen. Die intellektuelle Anregung durch permanente, kontroverse Auseinandersetzung mit Input von außen war eine beabsichtigte Eigenheit der HfG.
Blickt man auf die Geschlechterverteilung, so war die Dozentenschaft eine Männergesellschaft. Nur fünf Frauen unterrichteten an der HfG: Käthe Hamburger, Gisela Krammer, Helene Nonné-Schmidt, Helga Pross und Elisabeth Walter.
Entwicklung
Traditionell wird die Tätigkeit einer Hochschule in Forschung und Lehre geteilt. Otl Aicher versuchte, an der HfG eine dritte Komponente hinzuzufügen. Er nannte diese Erweiterung «Entwicklung». Darunter verstand er das Hervorbringen praxisfähiger und serienreifer Prototypen für Auftraggeber. Daraus sollte ein Regelkreislauf hervorgehen, in dem die Abstraktionen der Theorie unmittelbar praktisch auf ihre Richtigkeit überprüft werden könnte, so dass die gewonnenen Erkenntnisse zur Korrektur und Weiterentwicklung der Theorie führen und den Kreislauf erneut in Gang setzen sollten. An der Entwicklung wurden auch fortgeschrittene Studenten beteiligt.
Dieses Konzept nannte Otl Aicher «Ulmer Modell ». Es war die pädagogische Vorwegnahme der Veränderung des Berufsbildes, die er anstrebte. Bis dahin fand die Arbeit der Designer innerhalb von Hierarchien statt, in denen ihnen eine untergeordnete Rolle zugewiesen war. Aicher wollte diese Praxis in eine Teamarbeit von Gestalter mit Wissenschaftlern, Kaufleuten und Ingenieuren überführen. Dafür durfte der Designer nach seinen Worten nicht mehr «übergeordneter künstler, sondern gleichwertiger partner im entscheidungsprozess der industriellen produktion» sein.
Die Auftragsarbeiten wurden ab 1958 im Institut für Produktgestaltung organisiert. Darin konnten alle Dozenten eigene Entwicklungsgruppen eröffnen. Sie wurden numeriert und abgekürzt. E5 war der Name von Otl Aichers Entwicklungsgruppe, in der er z.B. den Auftrag für die Erstellung des visuellen Erscheinungsbildes der Lufthansa bearbeitete. Eine weitere Gruppe wurde von dem Holländer Hans Gugelot geleitet und arbeitete u.a. für die Max Braun AG.
Flair
Die HfG war als internationale Avantgarde konzipiert. Dieses Selbstbewusstsein übertrug sich auf ihre Angehörigen. Nicht nur, dass ihr rasch der Nimbus des Außergewöhnlichen voraus eilte, verbreitet durch die Presseberichte und eigene Veröffentlichungen. Auch wegen des ungewöhnlichen Aufnahmeverfahrens war sich jeder, der zum Studium zugelassen wurde, dessen bewusst, dass er nun zu einer besonderen Gruppe zählte. Die Atmosphäre einer weltläufigen, eigenständigen Einheit wurde durch Merkmale gepflegt, die teilweise offensichtlich, teilweise subtil die Abgrenzung markierten.
Der Journalist Helmut Heissenbüttel hat diese Charakteristika meisterhaft beschrieben. So war die HfG dafür bekannt, einen eigenen Jargon mit technischen Fachbegriffen zu pflegen. Das Neue, was Ulm hervorbringen wollte, brauchte auch eine neue Sprache. Begriffe wie «visuelle Kommunikation» oder «unorientierbare Fläche» sorgten dafür, dass sich nur die hermetisch Eingeweihten verstanden. Dazu zählte auch die ästhetische Erscheinung der Ulmer: Vorzugsweise kurze Haare und schlichte Kleidung innerhalb eines engen Kanons. Besucher berichteten, sie hätten noch nie zuvor eine solche homogene Gruppe von Menschen erlebt, die ihr Auftreten in allen Details bewusst gestalteten.
Die ausgelassenen Feiern an der HfG waren berüchtigt. Sie nährten die Gerüchte in der kleinbürgerlichen Stadt Ulm, dort oben auf dem Kuhberg werde ein zügelloses Sexualleben praktiziert. Schließlich lebten im Studentenwohnturm junge Frauen und Männer aus aller Herren Länder Tür an Tür! Anders gewendet: Das Klima unmittelbarer menschlicher Nähe war typisch für das Leben an der HfG und wurde je nach Persönlichkeit als befruchtender Wettstreit, aber auch als bedrückender Konkurrenzkampf oder sogar als unerträgliche provinzielle, klösterliche Enge wahrgenommen.
Resultate
Grundlehre
Der Beitrag des Bauhauses mit der größten Wirkung für das internationale Design besteht in seinem pädagogischen Konzept, das weltweit von Ausbildungsstätten übernommen wurde. Damit ist insbesondere das vorbereitende erste Studienjahr gemeint, der sogenannte «Vorkurs». Johannes Itten hatte ihn zwischen 1919 und 1923 am Weimarer Bauhaus entwickelt. Darin wurden die für unabdingbar erachteten Grundkenntnisse der einzelnen Fächer vermittelt. Dieser Vorkurs musste von allen Studienanfängern absolviert werden.
Die HfG übernahm diese Struktur: Das Studium begann mit einem propädeutischem Studienjahr, das «Grundlehre» genannt wurde. Unabhängig von ihrer Herkunft, Vorbildung und angestrebten Studiendauer war es für alle Studentinnen und Studenten verpflichtend. Daraus ergab sich ein Dilemma, das nicht vorhergesehen war: Auch die ausländischen Studienanfänger, die wegen eines Stipendiums nur ein Jahr an der HfG studieren konnten oder wollten, mussten die Grundlehre absolvieren, selbst wenn sie bereits ein Studium oder eine Ausbildung abgeschlossen hatten. Die Grundlehre funktionierte auch wie ein Filter: Wer nicht ins Konzept der HfG passte, wurde ausgesiebt.
Aus diesem Auswahlverfahren entstand eine hohe selbstreferentielle Verdichtung bei denjenigen, die weiter studieren durften. Der Begriff «Elite» war nicht verpönt. Ganz im Gegenteil war es die erklärte Absicht der HfG-Gründer, nur wenige Studenten aufzunehmen, die nach ihrem Studium weltweit als Multiplikatoren wirken sollten.
Im Studienjahr 1959/60 begann die Auflösung der Grundlehre. Anfang 1961 wurde der Begriff «Grundlehre» durch «Erstes Studienjahr» ersetzt. Zum 30.9.1961 war die Grundlehre abgeschafft: Das Studienjahr 1961/62 war das erste, bei dem die Studienanfänger sofort in einer der vier Abteilungen (Produktgestaltung, Visuelle Kommunikation, Industrialisiertes Bauen und Information) starteten.
Die Aufgabe der Grundlehre bestand bei weitem nicht nur darin, die Kenntnisse der Studierenden mit ihren höchst unterschiedlichen Vorbildungen auf ein einheitliches Niveau zu bringen. Darüber hinaus ging es erstens darum, die Studierenden auf die Arbeit in den Abteilungen ab dem 2. Studienjahr vorzubereiten, insbesondere methodisch. Zweitens sollten die grundlegenden Herausforderungen des technischen Zeitalters vermittelt werden. Der Horizont war gerade nicht nur auf das praktische Tagesgeschäft beschränkt, sondern es wurden die großen Zusammenhänge in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur thematisiert. Drittens wurde die Zusammenarbeit zwischen den Fächern und im Team trainiert.
Fächer in der Grundlehre waren zum Beispiel:
Die Studenten sollten in intellektueller und pragmatischer Hinsicht mit den Gesetzen der Mathematik, Physik, Geometrie und Mechanik vertraut gemacht werden: Von den elementaren festen Körpern wie Kugel, Kegel und Würfel über die Verbindung dieser Körper bis zu komplexen plastischen Strukturen. All diese Themen sind noch fern von formalästhetischen Aufgaben.
Die Studenten sollten in intellektueller und pragmatischer Hinsicht mit den Gesetzen der Mathematik, Physik, Geometrie und Mechanik vertraut gemacht werden: Von den elementaren festen Körpern wie Kugel, Kegel und Würfel über die Verbindung dieser Körper bis zu komplexen plastischen Strukturen. All diese Themen sind noch fern von formalästhetischen Aufgaben.
Abteilung Visuelle Kommunikation
In der Abteilung Visuelle Kommunikation wollte die HfG die wachsenden Tätigkeitsbereiche der Berufe der Massenkommunikation zusammenführen und eine möglichst klare Beziehung zwischen den Errungenschaften der Technik und dem Publikum schaffen. Mit insgesamt 158 Immatrikulationen war sie die drittgrößte Abteilung. Typisch für die Grundlagenarbeit, die hier geleistet wurde, sind Piktogramme, visuelle Leitsysteme, Plakatserien für Veranstaltungen, kulturelle, soziale und politische Themen (gesundes Essen, Sicherheit im Straßenverkehr) und ein einheitliches visuelles Erscheinungsbild für Unternehmen und Behörden, wie es beispielsweise für die Lufthansa umgesetzt wurde.
Theoretische Fächer in der Visuellen Kommunikation waren u.a. Technologie, Komposition, Reproduktion, Druck, Papier, Semiotik, Psychologie, Soziologie, Geschichte der Typographie, des Films und der Ausstellungen im 20. Jahrhundert, Publizistik, Propaganda, öffentliche Meinung, Wissenschaftstheorie, Verhaltenstheorie, Urheberrecht. Praktische Arbeiten im 2. Jahr waren z.B. Buchbinden, Piktogramme, Diagramme, Serienfotografie, Fotolabor. Im 3. Jahr z.B.: Zeitschrift, Buch, Signet, Plakat, Ausstellung, Fotoreportage. Im 4. Jahr ging es um selbständiges Arbeiten, z.B. Plakatserie, Zeitung, Gebrauch des Zeichens in Wissenschaft und Technik, Verkehrszeichen, Ausstellungsarten, Kartografie, Wochenschau, Fernsehen.
Abteilung Produktgestaltung
In der größten Abteilung, der Produktgestaltung, hatten sich ingesamt 249 Studierende immatrikuliert. Als theoretische Fächer stand ein weitgefächertes Spektrum auf dem Studienplan, unter anderem Produktionstheorie, Organisation der Produktion und des Betriebs, Produktionsablauf, Kostenanalyse, Technologie, eisenhaltige und nicht-eisenhaltige Metalle, Holz, Kunststoffe, Verformungstechniken, technische Konstruktion, Theorie der Gruppen und des Ganzen, Statistik, lineare Programmierung, Wissenschaftstheorie, Geschichte des Begriffs vom wissenschaftlichen Experiment, Maschinenkunde, Theorie des Verhaltens, Arbeitsbedingungen, Geschichte des Industrial Design im 20. Jahrhundert. Soziologie, Mechanik, Dynamik, Statik, Patente. Die praktische Arbeit im 2. Jahr sah unter anderem die Analyse von Funktionen und Produktion sowie Montagetechniken vor. Einfache Entwürfe waren z.B. Werkzeuge, Geräte für den Hausgebrauch und für das Büro, Behälter. Die praktische Arbeit im 3. Jahr widmete sich schwierigen Entwürfen, z.B. der Ausarbeitung von Elementen eines Systems, einfache Maschinen, Möbel. Im 4. Jahr ging es in der praktischen Arbeit darum, selbständig ein Industrieprodukt bis zur Herstellung zu entwickeln.
Abteilung Bauen
Die Abteilung Bauen, mit 170 Immatrikulationen zweitgrößte Abteilung der HfG, setzte ihren Schwerpunkt auf die Industrialisierung des Bauens und die Anwendung der modernen Produktionsmethoden auf die Konstruktionstechniken. Die HfG wollte Fachleute ausbilden, die das Bauen wie eine industrielle Serienproduktion behandeln konnten. Teilweise wurden die Studierenden in den gleichen Fächer wie in der Abteilung Produktgestaltung unterrichtet, angepasst ans Bauen. Eigene Theoriefächer waren z.B. Statik, Widerstandsfähigkeit der Stoffe, Klimakunde, Optik, Akustik und die Geschichte der Architektur des 20. Jahrhunderts. Die praktische Arbeit im 2. Jahr enthielt u.a. Projektorganisation, leichte Konstruktionen aus Metall und Kunststoff. Schwere Konstruktionen aus Metall und Stahlbeton. Standardisierung, Koordination, Analyse des Bauplatzes. Verwendung vorgefertigter Teile in der Konstruktion. Die praktische Arbeit im 3. und 4. Jahr umfasste u.a. verbindende Elemente aus Metall und Kunststoff, Montage, Logistik sowie den Entwurf von Gebäuden.
Abteilung Film
Seit 1956 gab es an der HfG Ideen, Film und Fernsehen in das pädagogische Programm der HfG zu integrieren. Als kurz nach der Trennung der HfG von Max Bill viele neue Dozenten berufen wurden, gelangte auch der Fotograf Christian Staub nach Ulm. Er initiierte 1958 ein erstes Filmprojekt an der HfG. Anfang der 1960er Jahre verdichtete sich das Interesse an Film als modernes Medium der Massenkommunikation. Die jungen Filmemacher Alexander Kluge und Edgar Reitz brachten unter dem Titel «Opas Kino ist tot» die Aufbruchstimmung auf den Punkt. Sie verkündeten 1962 gemeinsam mit gleichgesinnten Unterzeichnern auf einer Pressekonferenz bei den 8. Westdeutschen Kurzfilmtagen das «Oberhausener Manifest» als Emanzipierung der jungen Generation vom überholten, antiquierten deutschen Unterhaltungsfilm. Ab 1963 unterrichteten Kluge und Reitz als Dozenten in dem kurz zuvor neu errichteten Institut für Filmgestaltung, das rechtlich selbständig, aber der HfG angegliedert war. Diese sog. Filmabteilung der HfG gilt als erste akademische Institution in der Bundesrepublik für Filmtheorie und -ausbildung. Es wurde von den wesentlichen Überzeugungen getragen, dass erstens Film kein Medium der Illusion sein sollte, sondern der Information, und dass zweitens die Filmemacher keine willfährigen Dienstleister innerhalb der Unterhaltungsindustrie sein sollten, sondern gleichermaßen Gestalter und Produzenten, die ihre Kontrolle über den gesamten Herstellungsprozess nicht aus der Hand geben. Der für die übrigen Abteilungen der HfG gültige aufklärerische Impetus wurde auch auf den Film übertragen: Es ging nicht darum, sich selbst genügende Kunst zu erzeugen oder zur Ablenkung von gesellschaftlich relevanten Themen beizutragen. Formalästhetische Traditionen wurden als unbrauchbar abgelehnt. In den wenigen Jahren bis 1968 schrieben sich immerhin 31 Studierende in der Filmabteilung ein, davon legten 11 ihr Diplom an der HfG ab.
Abteilung Information
Eine der außergewöhnlichsten Eigenheiten der HfG war die Tatsache, dass sie (von 1954/55 bis 1965/66) eine eigenständige Abteilung Information unterhielt. Sie war mit nur 22 Immatrikulationen die kleinste. Doch beweist ihre Existenz das besondere Gespür der HfG-Gründer für die Bedeutung von Informationen in ihrer Beziehung zur Gestaltung. Geplant war die Abteilung zur generalistischen Ausbildung von Autoren und Redakteuren für Massenkommunikation: Presse, Radio, Fernsehen, Kino. Theoretische Fächer waren u.a. Fotografie, Film, Ton, Typografie, Druckverfahren, Informationstheorie, Analyse der Nachrichtenübertragung, Inhaltsanalyse, Codes, Übertragungstechnik, Sprachwissenschaft, Geschichte der Massenmedien, Geschichte der modernen Literatur. Praktische Arbeiten im 2. Jahr waren etwa Stilübungen, Analyse und Produktion von Texten, Übersetzung, Interview, Reportage, Dialog, Layout. Im 3. Jahr beschäftigten sich die Studierenden z.B. mit Werbetext, Semantik, Kommentar, Kritik, Portrait. Das 4. Jahr sah als praktische Arbeiten vor: Radiosendung, Programmgestaltung, akustische Formung, Regie, Bühnenbild.
Fotografie
Die Fotografie war in den 1950er Jahren immer noch ein junges Medium. Fotos wurden konventionell nicht als eigenständige Arbeiten wertgeschätzt, sondern nur als Mittel zum Zweck der Reproduktion in einem Magazin oder einem Buch. An der HfG nahm die Auseinandersetzung mit Fotografie eine zugleich zentrale wie auch subkutane Rolle ein. Besucher berichten von ihrem Staunen darüber, dass an der HfG nicht nur für spezifische Studienarbeiten, sondern permanent fotografiert wurde. Welche Aufgaben die Fotografie im Konzert der massenmedialen Kommunikation spielen sollte, wurde also nicht nur theoretisch erörtert, sondern durch alltägliches Praktizieren ausgelotet. Was ist Information und wie viel davon steckt in einem Foto? Verändert das Fotografieren das Objekt und die Information? Kann sich der Fotograf aus dem Bild zurückziehen? Wie objektiv kann ein Objekt abgelichtet werden? In welchem Verhältnis müssen sich Bild, Schrift und ihre Zuordnung befinden, um eine intendierte Wirkung zu erzielen? Zu denjenigen, die sich intensiv dem Medium Fotografie widmeten, zählte Hans G. Conrad, der erste Student der HfG. Er dokumentierte unzählige Momente des Unterrichts und sozialen Lebens auf dem Kuhberg und portraitierte auch viele Persönlichkeiten, die nach Ulm kamen. Darüber hinaus experimentierte er mit der Kamera als modernem Werkzeug zur Verwirklichung der Ulmer Vorstellungen von Massenkommunikation z.B. mit dynamischen Bildern vom Jahrmarkt und vom Motorradrennen auf dem Nürburgring, Langzeitbelichtungen im nächtlichen Frankfurt am Main, grafischen Strukturen der Weinberge und der Donau oder menschlichen Schatten auf dem Ulmer Münsterplatz.
Die wichtigsten Dozenten
Otl Aicher
geboren 1922 in Ulm, gestorben 1991 in Günzburg
Der alemannische Gestalter war nach den treffenden Worten Max Bills «ein Künstler, der keiner sein wollte». Er hat durch seine Arbeit die Theorie und Praxis des Designs weltweit beeinflusst: Nicht nur durch die HfG, deren Mitgründer er war, sondern auch durch seine Schriften, die er parallel zu seinen Entwürfen verfasste und die in ihrer suggestiven und argumentativen Überzeugungskraft teilweise die Qualität seiner grafischen Arbeiten übertreffen. Aus seiner Schulzeit kannte Aicher die Geschwister Scholl. Er entging der eigenen Verhaftung durch die Nazis 1943 nur um Haaresbreite und desertierte 1945 vom Kriegsdienst. Ein Studium der Bildhauerei in München brach er 1946 nach wenigen Wochen ab. Statt dessen engagierte er sich mit seiner späteren Ehefrau Inge Scholl für die Gründung der Ulmer Volkshochschule. Bis in die 1960er Jahre entwarf er 327 Plakate für die VH. Seine Lösung von der HfG setzte spätestens 1967 ein, als er zum Gestaltungsbeauftragten der Olympischen Spiele von München 1972 berufen wurde. Diese Arbeit zählt zweifellos zu den bedeutendsten internationalen Designleistungen überhaupt. Aichers Ansatz einer «Corporate Identity», das er zuvor schon für die Lufthansa und danach für viele Großunternehmen realisierte, gehört bis heute zu den einflussreichsten Konzepten im Design. Er wurde dafür allerdings auch kritisiert und sogar als «Design-Faschist» beschimpft, was angesichts seiner Biographie und seiner ethischen Haltung eine obszöne, sich selbst disqualifizierende Unterstellung ist. An diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr der Mensch, seine radikale Konsequenz und seine Arbeit polarisierten, was sich auch an der Rezeption seiner Schriftenfamilie «rotis» zeigt.
Inge Aicher-Scholl
geboren 1917 in Ingersheim-Altenmünster, gestorben 1998 in Leutkirch
Die älteste Schwester von Sophie und Hans Scholl, der beiden studentischen Kämpfer gegen die Nazis, war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine moralische Instanz, deren sanfter, aber unbeugsamer Autorität man nach Auskunft von Zeitzeugen kaum widerstehen konnte. Zusammen mit Otl Aicher initiierte sie 1945 die Ulmer Volkshochschule, die sie 1946 gründete und bis 1978 leitete. Ihr Buch über «Die Weiße Rose» wurde seit dem ersten Erscheinen 1947 vielfach aufgelegt. 1950 gründete sie in Ulm die Geschwister-Scholl-Stiftung als Trägerorganisation der HfG. Es gelang ihr mit übermenschlich anmutender Anstrengung, 2 Mio. Mark für die Gründung der HfG zu sammeln. 1952 heiratete sie Otl Aicher. Bis 1959 leitete sie die Stiftung. Ab Ende der 1960er Jahre engagierte sie sich in den Ostermärschen der Friedensbewegung und in den 1980er Jahren in den Blockaden der Anti-Atomkraft-Bewegung.
Josef Albers
geboren 1888 in Bottrop, gestorben 1976 in New Haven, Connecticut
Der abstrakte Maler Albers zählt zu den vier ehemaligen Bauhaus-Lehrern (bzw. -Meistern), die an der jungen HfG in der Grundlehre unterrichteten. Neben ihm bzw. nacheinander waren dies Walter Peterhans, Helene Nonné-Schmidt und Johannes Itten. Albers war ausgebildeter Volksschullehrer. Er studierte Kunst in Berlin, Essen und München. Schon 1920, ein Jahr nach seiner Gründung, unterrichtete er am Bauhaus in Weimar. Als das Bauhaus 1925 nach Dessau umzog, wurde er dort Baumeister und 1930 stellvertretender Direktor. 1933 emigrierte er mit seiner Frau Anni in die USA, 1939 nahm er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Im legendären Black Mountain College im abgelegenen Hinterland North Carolinas unterrichtete er bis 1949. Wie Vordemberge- Gildewart, so schloss sich auch Albers der Künstlergruppe «abstraction-création» an. Ab 1950 lehrte er vorwiegend in Yale, Harvard, Havanna und Santiago de Chile. Seine Arbeiten wurden 1955 und 1968 auf der ersten und vierten «documenta» ausgestellt. Zu seinen weltweit bekanntesten Kunstwerken gehört die Serie «Hommage to the Square« (ab 1950). Seine farbtheoretische Schrift Interaction of Color (1963) übersetzte Gui Bonsiepe ins Deutsche. Sie wird bis heute rezipiert.
Max Bense
geboren 1910 in Straßburg, gestorben 1990 in Stuttgart
Der Philosoph und Publizist Bense beschäftigte sich damit, die konventionellen Gräben zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu überwinden. Weil er daran arbeitete, naturwissenschaftliche, philosophische und künstlerische Theorie und Praxis unter einem gemeinsamen Begriff von Rationalität zusammenzuführen, passte er hervorragend zur Ulmer Programmatik. Nach seinem Studium der Physik, Chemie, Mathematik, Geologie und Philosophie in Bonn und seiner Promotion durfte er sich als entschiedener Gegner der Nazis nicht habilitieren. Ab 1945 lehrte er kurz in Jena, ab 1949 in Stuttgart als Professor. An der HfG unterrichtete er ab 1953. Weil er beim Streit zwischen Max Bill und der Stiftung Bills Position unterstützte, endete seine Dozentur in Ulm ebenfalls 1957. Mitte der 1960er Jahre unterrichtete er aber erneut an der HfG. Während der Auseinandersetzungen 1967/68 diente Bense den Ulmer Studenten als Vorbild, weil seine Stuttgarter Studenten 1963 auf die Barrikaden gegangen waren, um seine Ernennung zum Ordentlichen Professor gegen den Willen des Kultusministeriums durchzusetzen.
Max Bill
geboren 1908 in Winterthur, gestorben 1994 in Berlin
Der Schweizer wird zu den wichtigsten Künstlern des 20. Jahrhunderts gezählt. Zudem war er Architekt, Designer, Publizist und parteiloser Parlamentsabgeordner. Er war ein unbeugsamer Mann, mal charmant, mal starrköpfig, mit einem starken Willen und sprachlicher Ausdruckskraft, die von wüsten Beschimpfungen bis zu feinsinniger Ironie reichte. Gemeinsam mit Otl Aicher und Inge Aicher-Scholl gründete er ab 1950 die HfG. Er formulierte ihr Gründungsprogramm in wesentlichen Teilen und entwarf den Hochschulcampus. Nach einer Lehre als Silberschmied in Zürich studierte Bill 1927/28 am Dessauer Bauhaus. Ab 1929 unterhielt er sein eigenes Büro in Zürich, wo er vielfältige Aktivitäten entwickelte. Wie Vordemberge- Gildewart und Albers war er ab 1932 Mitglied der Künstlergruppe «abstraction-création». Ab 1936 trat er mit seiner «konkreten Kunst» hervor. 1938 wurde er Mitglied des einflussreichen CIAM. 1961–68 war der politisch stets unbequeme Bill parteiloses Mitglied des Zürcher Gemeinderats, 1967–71 Abgeordneter im Schweizer Nationalrat. 1967–74 lehrte er als Professor in Hamburg. Seine Arbeiten wurden unzählige Male ausgestellt, u.a. dreimal auf der «documenta». Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den «Praemium Imperiale».
Gui Bonsiepe
geboren 1934 in Glücksburg
Der Designtheoretiker Bonsiepe zählt zu den wenigen HfG-Studenten, die nach ihrem Studium an der HfG blieben und dort unterrichteten. Nach seinem Studium (Grafik und Architektur) in München kam Bonsiepe 1955 an die HfG. Er entschied sich für die Abteilung Information. Nach seinem Diplom 1959 lehrte er dort bis zur Schließung 1968. Die Zeitschrift ulm, mit der die HfG über ihre Aktivitäten informierte, wurde maßgeblich von ihm als Redakteur betreut. Danach arbeitete und unterrichtete er in Chile, Argentinien, Brasilien sowie als Professor in Köln. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Interface. Dass heute jeder Studierende weiß, welche Bedeutung dem Thema Interface fürs Design zukommt, ist eines seiner Verdienste.
Hans Gugelot
geboren 1920 in Makassar auf Celebes, gestorben 1965 in Ulm
Gugelot war einer der wenigen Designer, die mit ihrer Arbeit den Weltruhm der HfG begründet haben. Nach seinem Architekturstudium in Lausanne und Zürich arbeitete er Ende der 1940er Jahre unter anderem für Max Bill. Seit 1950 beschäftigte er sich in seinem eigenen Büro u.a. mit der Entwicklung modularer Schranksysteme. Bill sorgte dafür, dass Gugelot 1954 als Dozent für Produktgestaltung an die HfG berufen wurde. Zusammen mit Aicher entwarf er den sog. «Schneewittchensarg», mit dem der Hersteller Braun schlagartig zur programmatischen Verkörperung der nüchternen, sachlichen und systematischen Designhaltung der HfG avancierte. Ein zweiter Meilenstein seiner Arbeit ist der Trockenrasierer Braun «Sixtant» von 1961. Hiermit etablierte Gugelot die Kombination schwarz-silber, die seither als farblicher Ausdruck technischer Eleganz und Perfektion wahrgenommen wird. Ähnlich einflussreich war sein Diaprojektor «Carousel» für Kodak (1963). Seine Arbeiten wurden 1964 auf der «documenta III» in der Abteilung Industrial Design ausgestellt.
Herbert W. Kapitzki
geboren 1925 in Danzig, gestorben 2005 in Berlin
Nach dem Tode Friedrich Vordemberge- Gildewarts wurde 1965 der Designer Kapitzki sein Nachfolger als Leiter der Abteilung Visuelle Kommunikation. Er hatte Kunst in Danzig und Stuttgart studiert und unterhielt seit 1953 ein Büro als Gestalter. Ab 1956 arbeitete er u.a. für das Landesgewerbeamt Stuttgart, dessen Präsident von Amts wegen Mitglied im Stiftungsrat der Geschwister- Scholl-Stiftung war. Ab 1964 unterrichtete Kapitzki an der HfG. Im gleichen Jahr wurden seine Arbeiten auf der «documenta III» in der Abteilung Grafik ausgestellt. Er zählte zu den Gestaltern des deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Montreal 1967. Ab 1970 lehrte er als Professor in Berlin und arbeitete u.a. für die Stadt Frankfurt am Main, die Schering AG und die Stadt Berlin.
Alexander Kluge
geboren 1932 in Halberstadt
Kluge ist dem deutschen Publikum vor allem als einer der Initiatoren des «Oberhausener Manifests» von 1962 sowie als Filmemacher, Fernsehproduzent («dctp») und Schriftsteller ein Begriff. An der HfG entwickelte und leitete er gemeinsam mit Edgar Reitz ab 1963 das Institut für Filmgestaltung. Kluge hat Rechtswissenschaften, Geschichte und Kirchenmusik studiert. 1956 wurde er zum Dr. jur. promoviert. Durch sein Referendariat bei Hellmut Becker, dem juristischen Berater der Geschwister-Scholl-Stiftung, geriet er in Kontakt mit der HfG. Kluge ist einer der wichtigsten Akteure des sog. Neuen Deutschen Films. Er hat aber nicht nur mehr als 30 Filme gemacht (z.B. Abschied von gestern, 1966, oder Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos, 1968), sondern etwa ebenso viele literarische und theoretische Bücher geschrieben. Er gilt als führender Filmtheoretiker und -analytiker.
Georg Leowald
geboren 1908 in Düsseldorf, gestorben 1969
Der Architekt Leowald repräsentiert einen Typus von Architekten, die insbesondere im Nachkriegsdeutschland viele praktische und ansehnliche Möbel und Alltagsprodukte entwarfen, welche jahrzehntelang in hohen Auflagen hergestellt wurden, ohne dass ihre Entwerfer dadurch zu Prominenz gelangten. Leowald war insofern auch ein typischer Vertreter des Deutschen Werkbundes, dessen Mitglieder traditionell die sachliche Qualität ihrer Arbeit in den Vordergrund rückten und deren Person dadurch in den Hintergrund trat. So entwarf er 1955 für Wilkhahn einen reih- und stapelbaren Stuhl mit einer Kunststoffschale als Sitzfläche, auf dem jeder schon einmal in einer deutschen Aula oder Mensa gesessen hat (oder auf einem Plagiat). Leowald betreute in seiner kurzen Zeit an der HfG mehrere Arbeiten von Studenten, die ikonographisch unser Bild von der HfG veranschaulichen: u.a. eine Espressomaschine die der Student Hans von Klier in seinem 2. Studienjahr 1956/57 entworfen hat, oder insbesondere das stapelbare Gro.küchen-Geschirr, dass Nick Roericht 1959 als Diplomarbeit entwickelt hat und das von der Firma Thomas (später: Rosenthal) unter dem Namen TC 100 hergestellt wurde. Es ist eines der berühmtesten praktischen Resultate der HfG, weil es ihr Programm idealtypisch verkörpert.
Tomás Maldonado
geboren 1922 in Buenos Aires, gestorben 2018 in Mailand
Der argentinische Maler und Designtheoretiker Maldonado gehört zu den ersten Gestaltern, die systematisch über Design unter Perspektiven nachgedacht haben, welche wir heute ganz selbstverständlich mit Etiketten wie «ganzheitlich», «nachhaltig» und «ökologisch » verbinden. Als junger Künstler wurde Maldonado von der Kunst Max Bills in den Bann gezogen, die er 1950 auf einer Ausstellung in São Paolo kennenlernte. Daraufhin verfasste er eine Monographie über Bill, die 1955 veröffentlicht wurde. Bill lud ihn in der Folge dazu ein, sich als Dozent für den Aufbau der jungen HfG zu engagieren. Gemeinsam mit Aicher forcierte Maldonado kurze Zeit später die Trennung der HfG von Bill und ihre Hinwendung zur Verwissenschaftlichung des Designs. Maldonado entwickelte sich zu einer der führenden Persönlichkeiten der HfG und zu einem weltweit beachteten Propagandisten der Überzeugungen, die der HfG zugrunde lagen. Seine Beiträge in der Zeitschrift ulm gelten als Standardtexte der Designtheorie. 1967 verließ er die HfG und unterrichtete bis 1970 in Princeton, 1976-84 als Professor für Umweltgestaltung in Bologna.
Abraham Moles
geboren 1920 in Paris, gestorben 1992 in Straßburg
Das Werk des französischen Natur- und Humanwissenschaftlers entzieht sich jedem Bestreben, es in eine einzige Kategorie zu sperren. Moles war nicht nur gelernter Elektrotechniker und Akustiker. Er wurde sowohl in Physik als auch in Philosophie promoviert. An der HfG unterrichtete er ab 1965 u.a. Semiotik, Informations- und Kommunikationstheorie. Er gilt – vergleichbar mit Max Bense – als Vorreiter beim Bemühen, eine Theorie der ästhetischen Wahrnehmung in Verbindung mit Psychologie, Soziologie, Bildtheorie, Informationstheorie und Kybernetik zu formulieren. Nach Ulm lehrte Moles als Professor u.a. in Straßburg. Er veröffentlichte weit über 200 wissenschaftliche Arbeiten.
Herbert Ohl
geboren 1926 in Mannheim, gestorben 2012 in Darmstadt
Der Designer Ohl hatte Malerei, Grafik und Architektur in Karlsruhe studiert, bevor er 1956 als Nachfolger Konrad Wachsmanns in die Abteilung Bauen der HfG berufen wurde. Von 1966 bis zur Schließung war er ihr letzter Rektor. Nach 1968 arbeitete er als Designer u.a. für den Möbelhersteller Wilkhahn. Von 1974 bis 1982 war er Fachlicher Leiter des Rats für Formgebung. Außerdem lehrte er als Professor in Pforzheim und Chicago.
Edgar Reitz
geboren 1932 in Morbach
Der Autor und Filmregisseur entwickelte und leitete ab 1963 gemeinsam mit Alexander Kluge das Institut für Filmgestaltung, das an die HfG angegliedert war. Schon während des Studiums der Germanistik, Publizistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft arbeitete er ab 1953 als Kamera-, Schnittund Produktionsassistent. Reitz zählt zu den Akteuren, die 1962 mit dem «Oberhausener Manifest» die Emanzipation der jungen deutschen Autorenfilmer ins Rollen brachten. An der HfG unterrichtete er Regie und Kameratheorie. Sein Film Mahlzeiten wurde 1967 auf den Filmfestspielen von Venedig als bestes Erstlingswerk ausgezeichnet. Ab Ende der 1970er Jahre arbeitete er fast 30 Jahre lang an dem mehrteiligen Filmprojekt Heimat über den Hunsrück. Ab 1995 lehrte Reitz als Professor für Film an der HfG Karlsruhe.
Horst Rittel
geboren 1930 in Berlin, gestorben 1990 in Heidelberg
Der Naturwissenschaftler Rittel war einer der intellektuell brillantesten Köpfe an der HfG und während seiner Zeit als Dozent in Ulm der schärfste Kritiker und Gegenspieler Otl Aichers. Nach seinem Studium der Mathematik und Theoretischen Physik in Göttingen arbeitete er 1953-57 in der Industrie und 1958 an der Sozialforschungsstelle der Universität Münster. In diesem Jahr wurde er im Zuge der programmatischen Verwissenschaftlichung des Designs als Dozent für theoretische Fächer an die HfG berufen. Nachdem Otl Aicher am 20.12.1962 Rektor der HfG wurde, verließ Rittel Ulm und übernahm die Professur für «Science of Design» in Berkeley. Ab 1973 war er zugleich Professor für Grundlagen der Planung in Stuttgart. Von seinen designtheoretischen und planungsprozessualen Überlegungen hat vor allem die These von den «wicked problems » weltweite Beachtung gefunden.
Claude Schnaidt
geboren 1931 in Genf, gestorben 2007 in Paris
Der HfG wurde von ihren zeitgenössischen Kritikern bisweilen «Inzucht» vorgeworfen. Damit war gemeint, dass manche Studenten nach ihrem Diplom als Dozenten an der HfG arbeiteten, ohne Berufserfahrung außerhalb Ulms gesammelt zu haben. Explizit war damit Claude Schnaidt gemeint, der als Student an der HfG anfing und 1968 Rektor geworden wäre, wenn die HfG nicht ihren Betrieb eingestellt hätte. Schnaidt hatte in Genf Architektur studiert und begann 1954 als Mitarbeiter im Büro Max Bills. Bill brachte ihn sogleich an die HfG. Er absolvierte sein Studium bis 1958 in der Abteilung Bauen, wo er ab 1962 unterrichtete. 1967-68 war er gewählter Prorektor der HfG und sollte die Nachfolge des Rektors Herbert Ohl antreten. Ab 1968 lehrte Schnaidt in Paris Architektur mit dem Schwerpunkt industrialisiertes Bauen. Er engagierte sich für Architekturdidaktik und -theorie und veröffentlichte rege u.a. in der Zeitschrift form + zweck. Schnaidt war ein wahrhaftiger, der Moderne verbundener Marxist und Mitglied der französischen kommunistischen Partei.
Friedrich Vordemberge-Gildewart
geboren 1899 in Osnabrück, gestorben 1962 in Ulm
Vordemberge-Gildewart war ein ebenso bedeutender wie vielseitiger Künstler. Er hat nicht nur Grafiken, Gemälde und Plastiken hervorgebracht, sondern auch Reliefs, Fotomontagen, Bühnenbilder sowie Arbeiten, die landläufig eher dem Design zugeordnet würde: Typografie, Möbel, Interieurs. Um sich von seinem gleichnamigen Cousin zu unterscheiden, hängte Friedrich Vordemberge an seinen Nachnamen den Namen der Osnabrücker Gasse an, wo er aufgewachsen war. Er absolvierte eine Tischlerlehre und studierte ab 1919 Architektur, Plastik und Malerei in Hannover. Dort war er Mitarbeiter der avantgardistischen Zeitschrift Der Sturm. Er geriet in Kontakt mit Künstlern wie Kurt Schwitters, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky und Hans Arp. 1924 wurde er Mitglied von Theo van Doesburgs Gruppe «De Stijl». 1932 schloss er sich er der Gruppe «abstraction-création» in Paris an. Weil die Nazis seine Kunst als «entartet» klassifizierten, emigrierte er 1937 nach Amsterdam. Er kehrte erst 1954 nach Deutschland zurück, als Dozent der HfG und Leiter ihrer Abteilung für visuelle Kommunikation. 1955 und 1959 wurden seine Arbeiten auf den ersten beiden «documenta»-Ausstellungen gezeigt.
Konrad Wachsmann
geboren 1901 in Frankfurt an der Oder, gestorben 1980 in Los Angeles
Der Architekt Wachsmann war einer der Pioniere des modernen Bauens, die versuchten, die Industrialisierung – insbesondere die serielle Vorfertigung – auf die Architektur zu übertragen. Nach einer Tischlerlehre studierte er Architektur in Berlin und Dresden. 1924-25 arbeitete er bei Le Corbusier in Paris, ab 1926 für ein auf Holzbau spezialisiertes Unternehmen. 1932-38 war Wachsmann in Italien, dann emigrierte er nach Paris, zuletzt 1941 in die USA (mit der Hilfe Albert Einsteins, für den er 1929 ein Sommerhaus entworfen hatte). In den USA entwickelte er mit Walter Gropius das «Packaged House System», ein System für Fertighäuser aus Holz, die an einem einzigen Arbeitstag von wenigen ungelernten Arbeitern errichtet werden konnten. Ab 1949 unterrichtete in Chicago, ab 1956 leitete er die Architekturklasse der Salzburger Sommerakademie, dann lehrte er ab 1964 in Los Angeles. Wachsmann hat entscheidende Beiträge zur Frage geliefert, wie mit einer möglichst geringen Anzahl unterschiedlicher Elemente möglichst vielfältige Konstruktionen entwickelt werden können.
Walter Zeischegg
geboren 1917 in Wien, gestorben 1983 in Ulm
Der österreichische Designer stand zeit seines Lebens in der zweiten Reihe, obwohl er als Gestalter und Dozent große Leistungen hervorgebracht hat. Schon während seines Bildhauerstudiums in Wien beschäftigte sich Zeischegg mit Produktgestaltung. 1951 folgte er dem Ruf Max Bills nach Ulm und beteiligte sich an der Aufbauarbeit der in Gründung befindlichen HfG. Für den Innenausbau der HfG-Gebäude entwickelt er u.a. die Halterungen der Leuchtstoffröhren. Zeischegg unterrichtete als einziger Dozent vom ersten bis zum letzten Tag an der HfG. Berühmt geworden sind die farbigen, stapelbaren gewellten Kunststoff-Aschenbecher für die Firma Helit, die 1966/67 aus der Arbeit seiner Entwicklungsgruppe mit den Studenten Dieter Raffler, Tsugio Nachi und Verena Loibl. Nach 1968 betrieb Zeischegg ein Designbüro in Neu-Ulm.
Weitere wichtige Dozenten und Gastdozenten:
Kurd Alsleben, Bruce Archer, Hermann von Baravalle, Horst H. Baumann, Werner Blaser, Lucius Burkhardt, Rodolfo Bonetto, Peter Cornelius, Hans Curjel, Rudolf Doernach, Hans Magnus Enzensberger, Anthony Frøshaug, R. Buckminster Fuller, Roland Fürst, Karl Gerstner, Eugen Gomringer, Tomás Gonda, Ernst Hahn, Chadwick Hall, Bill Huff, Johannes Itten, Walter Jens, Joachim Kaiser, Gerd Kalow, Hanno Kesting, Martin Krampen, Herbert Lindinger, Will McBride, Josef Müller-Brockmann, Hans Neuburg, Helene Nonné-Schmidt, Frei Otto, Walter Peterhans, Erich Podach, Harry Pross, Peter Raacke, Nick Roericht, Bernhard Rübenach, Joseph Ryckwert, Ernst Scheidegger, Nikolaus Sombart, Anton Stankowski, Christian Staub, Kohei Sugiura, Martin Walser, Elisabeth Walther.
Werkstattmeister:
Paul Hildinger, Herbert Maeser, Peter Muthes, Otto Schild, Josef Schlecker, Wolfgang Siol, Cornelius Uittenhout.
Bibliografie
Stand: 31.5.2017