Dieses Portrait Otl Aichers zeichnete Uli Oesterle nach unserem Arbeitstermin.
Otl Aicher habe ich als Genie erlebt »Mit Anfang 20 hatte ich 1988 mit zwei Freunden, Fred Jaeger und Uli Oesterle, in München blauäugig eine Werbeagentur gegründet. Otl Aicher war für uns »jenes höhere Wesen, das wir verehren«, um es mit den Worten Heinrich Bölls zu sagen. Für die Südtiroler Firma durst Phototechnik, Division Farbmesstechnik, brachte er uns ins Spiel. Wir sollten sein Corporate Design in Werbung übersetzen. Das erste gemeinsame, größere Projekt war das Heft »Farbmessung« für die neue »Informationsreihe Technik«. (Soweit ich weiß, wurde die Reihe nach diesem Heft beendet.) Es gab mehrere Besprechungen in Rotis. Federführender Gestalter war sein Mitarbeiter Albrecht Hotz. Otl Aicher blieb im Hintergrund. So auch bei einem Termin, bei dem einige konkrete Details gelöst werden mussten. Da erklärte ich Albrecht Hotz die Aufgabe, die meine beiden Geschäftsparnter schon kannten, für die wir aber bislang keine befriedigende, weil einfache und verständliche Lösung gefunden hatten: Wie veranschaulicht man den Sachverhalt, dass Licht aus Wellen mit unterschiedlichen Längen besteht, aber nur ein kleiner Ausschnit daraus für das menschliche Auge sichtbar ist? Über diese Aufgabe diskutierten wir ohne Ergebnis. Vor Kopf saß Albrecht Hotz, wir Münchner gruppierte uns um ihn herum. Otl Aicher ruhte am Ende des Tisches, reichlich Abstand zu uns, schweigsam, scheinbar abwesend. Nach 20 Minuten schob er ein Blatt zu mir, leise fragend, ob es das ungefähr wäre, was ich suchte. Seine Zeichnung war perfekt. Eine Grafik, die aus nur 3 Strichen bestand, jeder einzelne makellos gezogen: Eine Senkrechte formte die Achse für das Längenmaß, eine nach rechts aufsteigende Kurve visualisierte die abnehmende Länge des Lichts und ein Querstrich am oberen Drittel der Kurve markierte das sichtbare Farbspektrum. Ich habe diesen Moment als Ausdruck von Genialität empfunden: Eine Aufgabe, die sich erst aus dem Gespräch ergab, löste Otl Aicher ohne Vorbereitung und spontan mit einem Höchstmaß an Klarheit im Ausdruck und Sparsamkeit im Aufwand.«
Publikation # [397]
Dieses Portrait Otl Aichers zeichnete Uli Oesterle nach unserem Arbeitstermin.
Otl Aicher habe ich als Genie erlebt »Mit Anfang 20 hatte ich 1988 mit zwei Freunden, Fred Jaeger und Uli Oesterle, in München blauäugig eine Werbeagentur gegründet. Otl Aicher war für uns »jenes höhere Wesen, das wir verehren«, um es mit den Worten Heinrich Bölls zu sagen. Für die Südtiroler Firma durst Phototechnik, Division Farbmesstechnik, brachte er uns ins Spiel. Wir sollten sein Corporate Design in Werbung übersetzen. Das erste gemeinsame, größere Projekt war das Heft »Farbmessung« für die neue »Informationsreihe Technik«. (Soweit ich weiß, wurde die Reihe nach diesem Heft beendet.) Es gab mehrere Besprechungen in Rotis. Federführender Gestalter war sein Mitarbeiter Albrecht Hotz. Otl Aicher blieb im Hintergrund. So auch bei einem Termin, bei dem einige konkrete Details gelöst werden mussten. Da erklärte ich Albrecht Hotz die Aufgabe, die meine beiden Geschäftsparnter schon kannten, für die wir aber bislang keine befriedigende, weil einfache und verständliche Lösung gefunden hatten: Wie veranschaulicht man den Sachverhalt, dass Licht aus Wellen mit unterschiedlichen Längen besteht, aber nur ein kleiner Ausschnit daraus für das menschliche Auge sichtbar ist? Über diese Aufgabe diskutierten wir ohne Ergebnis. Vor Kopf saß Albrecht Hotz, wir Münchner gruppierte uns um ihn herum. Otl Aicher ruhte am Ende des Tisches, reichlich Abstand zu uns, schweigsam, scheinbar abwesend. Nach 20 Minuten schob er ein Blatt zu mir, leise fragend, ob es das ungefähr wäre, was ich suchte. Seine Zeichnung war perfekt. Eine Grafik, die aus nur 3 Strichen bestand, jeder einzelne makellos gezogen: Eine Senkrechte formte die Achse für das Längenmaß, eine nach rechts aufsteigende Kurve visualisierte die abnehmende Länge des Lichts und ein Querstrich am oberen Drittel der Kurve markierte das sichtbare Farbspektrum. Ich habe diesen Moment als Ausdruck von Genialität empfunden: Eine Aufgabe, die sich erst aus dem Gespräch ergab, löste Otl Aicher ohne Vorbereitung und spontan mit einem Höchstmaß an Klarheit im Ausdruck und Sparsamkeit im Aufwand.«