»Das Produkt: Ein Regal. Material: Sperrholz, mit weißem Acryllack ummantelt. Außenmaße 2,02 Meter Höhe, 40 Zentimeter Breite, 28 Zentimeter Tiefe. Fünf Regalböden, bis 15 Kilo belastbar. Ein Boden in der Mitte festgeschraubt. Die übrigen liegen auf je 4 Metallknöpfen, welche in vorgebohrte Löcher gesteckt werden. Gewicht: 29,2 Kilo. Angenommen, Sie eröffnen ein Möbelgeschäft und hoffen, daß so viele Menschen wie möglich am ersten Tag kommen. Das Schlimmste, was Ihnen passieren könnte: Es kommt niemand. Was aber, wenn so viele Leute kommen, daß Ihr neuer Laden aus allen Nähten platzt? Sie könnten ihr Lager öffnen. Da steht doch all das herum, was die Käufer haben wollen. Vielleicht nicht so schick drapiert und arrangiert, aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an. So geschehen in Stockholm 1965. Der Besitzer des Geschäfts heißt Ingvar Kamprad, seinen Möbelhandel nennt er IKEA – abgekürzt für die Anfangsbuchstaben seines Vor- und Nachnamens, des elterlichen Bauernhofs und dessen Nachbarortes – und er hat soeben ein neues Verkaufsprinzip für seine Branche erfunden: Das Lager als Verkaufsraum. Dabei handelt es sich nicht um seine erste Erfindung, und es wird auch nicht seine letzte sein. Kamprad ist ein gerissener Kaufmann, ein Schlitzohr, der auch in Zukunft jede Krise des Unternehmens erfolgreich meistern wird. Er mag es einfach, das gilt nicht nur für die Möbel. Seine Produkte sind ebenso einfach wie modern und für jedermann verständlich. Mit der Geschichte über die Öffnung des Möbellagers für seine Kundschaft ist eigentlich auch schon alles über das Design des Bücherregals mit dem männlichen Vornamen Billy gesagt. Billy ist kein Design, sondern ein Geschäftsprinzip, könnte man meinen, aber damit ist der Kern des Phänomens Billy nicht allein getroffen. Gutes Design ist zugleich ein gutes Geschäft, und zwar nicht nur für den Hersteller, sondern auch für den Designer und für den Käufer. Zum Bücherregal Billy gibt es herzlich wenig zu sagen, getreu dem Motto: Gutes Design ist möglichst wenig Design. Billy ist ein Regal, ist ein Regal, ist ein Regal. Es geht kaum billiger, es ist basisdemokratischer Konsum. Es ist praktisch. Es ist in seiner Formensprache vollkommen neutral. Weniger Material wäre zwar möglich, zum Beispiel mit Metall statt Sperrholz im Lackmantel, aber dann wäre es schon mehr Design. Es gibt kaum einen Haushalt ohne Billy-Erfahrung. Selbst wohlbetuchte Ästheten bekennen sich zu Billy, denn dieses Regal kostet nur so viel wie ein gutes Buch – nicht wie die Befüllung eines ganzen Bücherregals. Kenner der Ikea-Szene bedauern allerdings die Umstellung der Regalbreite von früher 60 Zentimeter auf heute 40 und 80 Zentimeter, denn vollgestellt mit dem Brockhaus biegt sich das lange Regalbrett bedenklich. Das nach eigener Darstellung «unmögliche» Möbelhaus eroberte Deutschland 1974. Seit 1982 gibt es Billy, und als Billy 1991 für einige Monate aus dem Sortiment verschwunden war, gab es so heftigen Protest wie bei Brockdorf-Demonstrationen. Der schwedische Elch, das doppelt gebogene Schraubwerkzeug, die nachweihnachtliche Knut-Saison – all dies ist zum Bestandteil des bundesdeutschen Alltags geworden. Mehr als 40 Millionen Käufer zählen hier die Möbelgeschäfte alljährlich. Billy hat es sogar ins Unterhaltungsprogramm des deutschens Fernsehens gebracht: Legendär ist die Sendung aus dem Jahr 2002, als Harald Schmidts Mitarbeiter Manuel Andrack ein Billy-Regal vor laufender Kamera zusammenbaute– in 4 Minuten und 44 Sekunden. Wie es sich für einen echten Designklassiker gehört, floriert auch ein schwunghafter Handel mit Ergänzungen, Veränderungen, Plagiaten und Imitaten Billys. Dazu zählt auch eine nicht autorisierte Zutat, die das altehrwürdige Original parodiert. Ihr Name: Billy Wilder.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [109]
»Das Produkt: Ein Regal. Material: Sperrholz, mit weißem Acryllack ummantelt. Außenmaße 2,02 Meter Höhe, 40 Zentimeter Breite, 28 Zentimeter Tiefe. Fünf Regalböden, bis 15 Kilo belastbar. Ein Boden in der Mitte festgeschraubt. Die übrigen liegen auf je 4 Metallknöpfen, welche in vorgebohrte Löcher gesteckt werden. Gewicht: 29,2 Kilo. Angenommen, Sie eröffnen ein Möbelgeschäft und hoffen, daß so viele Menschen wie möglich am ersten Tag kommen. Das Schlimmste, was Ihnen passieren könnte: Es kommt niemand. Was aber, wenn so viele Leute kommen, daß Ihr neuer Laden aus allen Nähten platzt? Sie könnten ihr Lager öffnen. Da steht doch all das herum, was die Käufer haben wollen. Vielleicht nicht so schick drapiert und arrangiert, aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an. So geschehen in Stockholm 1965. Der Besitzer des Geschäfts heißt Ingvar Kamprad, seinen Möbelhandel nennt er IKEA – abgekürzt für die Anfangsbuchstaben seines Vor- und Nachnamens, des elterlichen Bauernhofs und dessen Nachbarortes – und er hat soeben ein neues Verkaufsprinzip für seine Branche erfunden: Das Lager als Verkaufsraum. Dabei handelt es sich nicht um seine erste Erfindung, und es wird auch nicht seine letzte sein. Kamprad ist ein gerissener Kaufmann, ein Schlitzohr, der auch in Zukunft jede Krise des Unternehmens erfolgreich meistern wird. Er mag es einfach, das gilt nicht nur für die Möbel. Seine Produkte sind ebenso einfach wie modern und für jedermann verständlich. Mit der Geschichte über die Öffnung des Möbellagers für seine Kundschaft ist eigentlich auch schon alles über das Design des Bücherregals mit dem männlichen Vornamen Billy gesagt. Billy ist kein Design, sondern ein Geschäftsprinzip, könnte man meinen, aber damit ist der Kern des Phänomens Billy nicht allein getroffen. Gutes Design ist zugleich ein gutes Geschäft, und zwar nicht nur für den Hersteller, sondern auch für den Designer und für den Käufer. Zum Bücherregal Billy gibt es herzlich wenig zu sagen, getreu dem Motto: Gutes Design ist möglichst wenig Design. Billy ist ein Regal, ist ein Regal, ist ein Regal. Es geht kaum billiger, es ist basisdemokratischer Konsum. Es ist praktisch. Es ist in seiner Formensprache vollkommen neutral. Weniger Material wäre zwar möglich, zum Beispiel mit Metall statt Sperrholz im Lackmantel, aber dann wäre es schon mehr Design. Es gibt kaum einen Haushalt ohne Billy-Erfahrung. Selbst wohlbetuchte Ästheten bekennen sich zu Billy, denn dieses Regal kostet nur so viel wie ein gutes Buch – nicht wie die Befüllung eines ganzen Bücherregals. Kenner der Ikea-Szene bedauern allerdings die Umstellung der Regalbreite von früher 60 Zentimeter auf heute 40 und 80 Zentimeter, denn vollgestellt mit dem Brockhaus biegt sich das lange Regalbrett bedenklich. Das nach eigener Darstellung «unmögliche» Möbelhaus eroberte Deutschland 1974. Seit 1982 gibt es Billy, und als Billy 1991 für einige Monate aus dem Sortiment verschwunden war, gab es so heftigen Protest wie bei Brockdorf-Demonstrationen. Der schwedische Elch, das doppelt gebogene Schraubwerkzeug, die nachweihnachtliche Knut-Saison – all dies ist zum Bestandteil des bundesdeutschen Alltags geworden. Mehr als 40 Millionen Käufer zählen hier die Möbelgeschäfte alljährlich. Billy hat es sogar ins Unterhaltungsprogramm des deutschens Fernsehens gebracht: Legendär ist die Sendung aus dem Jahr 2002, als Harald Schmidts Mitarbeiter Manuel Andrack ein Billy-Regal vor laufender Kamera zusammenbaute– in 4 Minuten und 44 Sekunden. Wie es sich für einen echten Designklassiker gehört, floriert auch ein schwunghafter Handel mit Ergänzungen, Veränderungen, Plagiaten und Imitaten Billys. Dazu zählt auch eine nicht autorisierte Zutat, die das altehrwürdige Original parodiert. Ihr Name: Billy Wilder.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.