»Das Objekt: Eine Zitruspresse. Ein tropfenförmiger, nach unten spitz zulaufender Körper mit Längsrillen aus Gussaluminium, davon abstehend drei langgezogene Ständer mit länglich-rechteckigem Querschnitt. Grundfläche: 14 cm, Höhe: 29 cm. Ein Ding mit so ausgeprägt eigenständiger Oberfläche, dass es sich zur Ikone eignet, zum Sinnbild des Zeitgeistes einer ganzen Dekade. Mit Design wird in diesem Zusammenhang ein Phänomen bezeichnet, das beim Fachmann kaltes Grauen hervorruft. Aber gerade dieses schrille Designverständnis hat bisweilen Objekte hervorgebracht, die von höchster formaler Könnerschaft zeugen. Sie zeichnen sich durch eine magische Anziehungskraft für den Konsumenten aus, durch einen unwiderstehlichen Haben-Wollen-Faktor, der bei jedem Marketingmensch massive Begehrlichkeit weckt. Die Zitruspresse des 1949 in Paris geborenen Franzosen Philippe Starck ist so ein Gegenstand. In ihm ist der Zeitgeist der 1990er Jahre geronnen. Es ist Materie gewordene Sucht nach alltäglichem Spaß und Luxus. Diese Zitruspresse verhöhnt alles, was jemals über Formen und ihre Funktionen theoretisiert wurde. Sie ist eine Kathedrale des Überflusses, die für ein paar Jahre in jeden Haushalt gehörte, der etwas auf sich hielt. Was gäbe es gegen diese berühmteste Zitruspresse der Welt schon einzuwenden? Dass sie nicht funktioniert? Lächerlich! Und wie sie funktioniert! Keine andere Zitruspresse funktioniert so gut. Ihre Funktion war es allerdings auch nie, dem Verbraucher dabei hilfreich zur Seite zu stehen, wenn er Zitrusfrüchte angenehm und effektiv auspressen, sie rasch und gründlich reinigen und platzsparend verstauen möchte. Dafür gibt es reichlich Angebote. Nein, Juicy Salif würde bei solch einem törichten Zeitgenossen nur dafür sorgen, dass der saure Saft überallhin spritzt, sobald man die Frucht feste auf sie presst, und dass sich die Füße scharf in den Holztisch bohren. Darum geht es überhaupt nicht. Die Funktion von Juicy Salif besteht darin, für Unterhaltung zu sorgen. Kommunikation ist die Funktion, der dieses Design folgt. Dieses Design-Ding sorgt für Gesprächsstoff in der Küche und am Esstisch, und es erzählt Geschichten über die glücklichen Haushalte derer, die sich diese Demonstration des guten Geschmacks leisten mögen. Da ist es nur folgerichtig, dass der italienische Hersteller zum zehnten Geburtstag des guten Stücks eine limitierte Auflage mit Goldbeschichtung herausbrachte – inklusive Warnung, sie jemals als Zitronenpresse zu gebrauchen, denn bei Kontakt mit säurehaltigen Substanzen könnte die Vergoldung Schaden erleiden.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [114]
»Das Objekt: Eine Zitruspresse. Ein tropfenförmiger, nach unten spitz zulaufender Körper mit Längsrillen aus Gussaluminium, davon abstehend drei langgezogene Ständer mit länglich-rechteckigem Querschnitt. Grundfläche: 14 cm, Höhe: 29 cm. Ein Ding mit so ausgeprägt eigenständiger Oberfläche, dass es sich zur Ikone eignet, zum Sinnbild des Zeitgeistes einer ganzen Dekade. Mit Design wird in diesem Zusammenhang ein Phänomen bezeichnet, das beim Fachmann kaltes Grauen hervorruft. Aber gerade dieses schrille Designverständnis hat bisweilen Objekte hervorgebracht, die von höchster formaler Könnerschaft zeugen. Sie zeichnen sich durch eine magische Anziehungskraft für den Konsumenten aus, durch einen unwiderstehlichen Haben-Wollen-Faktor, der bei jedem Marketingmensch massive Begehrlichkeit weckt. Die Zitruspresse des 1949 in Paris geborenen Franzosen Philippe Starck ist so ein Gegenstand. In ihm ist der Zeitgeist der 1990er Jahre geronnen. Es ist Materie gewordene Sucht nach alltäglichem Spaß und Luxus. Diese Zitruspresse verhöhnt alles, was jemals über Formen und ihre Funktionen theoretisiert wurde. Sie ist eine Kathedrale des Überflusses, die für ein paar Jahre in jeden Haushalt gehörte, der etwas auf sich hielt. Was gäbe es gegen diese berühmteste Zitruspresse der Welt schon einzuwenden? Dass sie nicht funktioniert? Lächerlich! Und wie sie funktioniert! Keine andere Zitruspresse funktioniert so gut. Ihre Funktion war es allerdings auch nie, dem Verbraucher dabei hilfreich zur Seite zu stehen, wenn er Zitrusfrüchte angenehm und effektiv auspressen, sie rasch und gründlich reinigen und platzsparend verstauen möchte. Dafür gibt es reichlich Angebote. Nein, Juicy Salif würde bei solch einem törichten Zeitgenossen nur dafür sorgen, dass der saure Saft überallhin spritzt, sobald man die Frucht feste auf sie presst, und dass sich die Füße scharf in den Holztisch bohren. Darum geht es überhaupt nicht. Die Funktion von Juicy Salif besteht darin, für Unterhaltung zu sorgen. Kommunikation ist die Funktion, der dieses Design folgt. Dieses Design-Ding sorgt für Gesprächsstoff in der Küche und am Esstisch, und es erzählt Geschichten über die glücklichen Haushalte derer, die sich diese Demonstration des guten Geschmacks leisten mögen. Da ist es nur folgerichtig, dass der italienische Hersteller zum zehnten Geburtstag des guten Stücks eine limitierte Auflage mit Goldbeschichtung herausbrachte – inklusive Warnung, sie jemals als Zitronenpresse zu gebrauchen, denn bei Kontakt mit säurehaltigen Substanzen könnte die Vergoldung Schaden erleiden.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.