»Das Produkt: Eine Hautcreme in runder Metalldose, blau mit weißer Schrift, 11 cm Durchmesser, 4 cm hoch. Design fasziniert so viele Menschen, weil es ein ständiges Spiel ist zwischen beruhigender Beständigkeit und beunruhigender Erneuerung. Wenn etwas so bleibt, wie wir es gewohnt sind, während sich um uns herum die Welt schneller und schneller verändert. Denn es gibt uns das angenehme Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit. Im Design ist genau dies das höchste anzustrebende Ziel. Erst dann ist ein Kultobjekt entstanden. Dafür braucht es aber viele Jahrzehnte, was bedeutet, dass die meisten Designer die Früchte ihrer Arbeit nicht mehr selbst ernten können. Dass es so wenig Kultobjekte gibt, liegt aber auch am Wesen des Designers selbst. Denn das Bewahren des Bestehenden ist in der Regel nicht sein Ziel. Der Reiz des Neuen ist da wesentlich stärker. Sture Ausdauer ist allerdings gefragt, wenn man zum Beispiel einen Fels in der Brandung des Kosmetikregals erschaffen will wie die Niveadose. Dabei gäbe es die Niveacreme nicht, wenn es ihren Erfinder Oscar Troplowitz nicht in den Fingern gejuckt hätte und wenn er nicht auf der Suche nach Verbesserung und Erneuerung gewesen wäre. Nach dem Studium der Pharmazie kauft er 1890, im Alter von 27 Jahren, in Hamburg eine kleine, noch junge Firma mit nur 11 Mitarbeitern, die Präparate für die Hautpflege herstellt. Troplowitz erfindet 1901 einen Klebeverband, den er Leukoplast nennt. Acht Jahre später bringt er einen Lippenpflegestift mit dem Namen Labello auf den Markt. Und 1911 gelingt es ihm als Erstem auf der Welt, eine Creme zu entwickeln, die fettend und feucht zugleich ist. Denn die beiden Bestandteile Fett und Feuchtigkeit lassen sich nur dann zu einem harmonischen Ganzen als Salbe in eine Tube oder Dose fügen, wenn ihnen ein dritter Teil hilfreich zur Seite steht: Erst als dieser Emulgator namens Eucerit gefunden war, konnte die Niveacreme hergestellt werden. Die unternehmerische Leistung von Oscar Troplowitz besteht darin, dass er das Forschungsergebnis Eucerit aus der Medizin in die Kosmetik übertragen hat. Den Produktnamen hat er, wie es damals üblich war, aus dem lateinischen Wort für Schnee entlehnt, wahrscheinlich um damit auf die schneeweiße Farbe der Creme anzuspielen. Eine andere Farbe ist allerdings wichtiger für das Design und auch für den märchenhaften Geschäftserfolg, den wir mit Nivea verbinden: Blau. Die ersten Dosen waren zwar schon rund, hatten aber einen gelben Grund und waren schwarz beschriftet. Im Jahr 1925, also vierzehn Jahre nach ihrem Start, gab es eine grundlegende Erneuerung, diesmal nicht in der Substanz, sondern bei der Verpackung. Die gelb-schwarz dekorierte Dose wurde sachlich und modern aufgeräumt, einzig der Schriftzug Niveacreme prangt seither in Großbuchstaben auf blauem Grund. Wenn wir heute vor dem Supermarktregal stehen, strahlt uns die vertraute blaue Dose mit weißer Schrift an, und die Unterschiede zu ihrem Ursprung vor 85 Jahren sind so gering, dass die Generationen unserer Mütter, Großmütter und Urgroßmütter sie im Lauf der Jahrzehnte nicht als Veränderung, sondern als Beständigkeit empfunden haben. Das ist ein so wohltuendes Gefühl, dass das Versprechen der Niveacreme auch für unsere geplagten Wahrnehmungsorgane gelten könnte: Sanfte Pflege.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [134]
»Das Produkt: Eine Hautcreme in runder Metalldose, blau mit weißer Schrift, 11 cm Durchmesser, 4 cm hoch. Design fasziniert so viele Menschen, weil es ein ständiges Spiel ist zwischen beruhigender Beständigkeit und beunruhigender Erneuerung. Wenn etwas so bleibt, wie wir es gewohnt sind, während sich um uns herum die Welt schneller und schneller verändert. Denn es gibt uns das angenehme Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit. Im Design ist genau dies das höchste anzustrebende Ziel. Erst dann ist ein Kultobjekt entstanden. Dafür braucht es aber viele Jahrzehnte, was bedeutet, dass die meisten Designer die Früchte ihrer Arbeit nicht mehr selbst ernten können. Dass es so wenig Kultobjekte gibt, liegt aber auch am Wesen des Designers selbst. Denn das Bewahren des Bestehenden ist in der Regel nicht sein Ziel. Der Reiz des Neuen ist da wesentlich stärker. Sture Ausdauer ist allerdings gefragt, wenn man zum Beispiel einen Fels in der Brandung des Kosmetikregals erschaffen will wie die Niveadose. Dabei gäbe es die Niveacreme nicht, wenn es ihren Erfinder Oscar Troplowitz nicht in den Fingern gejuckt hätte und wenn er nicht auf der Suche nach Verbesserung und Erneuerung gewesen wäre. Nach dem Studium der Pharmazie kauft er 1890, im Alter von 27 Jahren, in Hamburg eine kleine, noch junge Firma mit nur 11 Mitarbeitern, die Präparate für die Hautpflege herstellt. Troplowitz erfindet 1901 einen Klebeverband, den er Leukoplast nennt. Acht Jahre später bringt er einen Lippenpflegestift mit dem Namen Labello auf den Markt. Und 1911 gelingt es ihm als Erstem auf der Welt, eine Creme zu entwickeln, die fettend und feucht zugleich ist. Denn die beiden Bestandteile Fett und Feuchtigkeit lassen sich nur dann zu einem harmonischen Ganzen als Salbe in eine Tube oder Dose fügen, wenn ihnen ein dritter Teil hilfreich zur Seite steht: Erst als dieser Emulgator namens Eucerit gefunden war, konnte die Niveacreme hergestellt werden. Die unternehmerische Leistung von Oscar Troplowitz besteht darin, dass er das Forschungsergebnis Eucerit aus der Medizin in die Kosmetik übertragen hat. Den Produktnamen hat er, wie es damals üblich war, aus dem lateinischen Wort für Schnee entlehnt, wahrscheinlich um damit auf die schneeweiße Farbe der Creme anzuspielen. Eine andere Farbe ist allerdings wichtiger für das Design und auch für den märchenhaften Geschäftserfolg, den wir mit Nivea verbinden: Blau. Die ersten Dosen waren zwar schon rund, hatten aber einen gelben Grund und waren schwarz beschriftet. Im Jahr 1925, also vierzehn Jahre nach ihrem Start, gab es eine grundlegende Erneuerung, diesmal nicht in der Substanz, sondern bei der Verpackung. Die gelb-schwarz dekorierte Dose wurde sachlich und modern aufgeräumt, einzig der Schriftzug Niveacreme prangt seither in Großbuchstaben auf blauem Grund. Wenn wir heute vor dem Supermarktregal stehen, strahlt uns die vertraute blaue Dose mit weißer Schrift an, und die Unterschiede zu ihrem Ursprung vor 85 Jahren sind so gering, dass die Generationen unserer Mütter, Großmütter und Urgroßmütter sie im Lauf der Jahrzehnte nicht als Veränderung, sondern als Beständigkeit empfunden haben. Das ist ein so wohltuendes Gefühl, dass das Versprechen der Niveacreme auch für unsere geplagten Wahrnehmungsorgane gelten könnte: Sanfte Pflege.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.