»Das Produkt: Ein zylindrisches Trinkglas mit 0,2 Litern Fassungsvermögen, 15 cm hoch, 5 cm Durchmesser, 0,8 mm Wandstärke. Das Kölschglas, die sogenannte Kölner Stange oder auch kurz nur Stange genannt, ist keinesfalls mit einem Reagenzglas zu verwechseln. Derlei Verwechslungen finden sich vorzugsweise bei bayerischen Biertrinkern, deren Bierrationen bekanntlich um einiges größer bemessen sind. Dass Bier ein Grundnahrungsmittel ist, welches täglich genossen nicht nur der körperlichen Erbauung dient, ist seit dem Jahr 817 verbrieft. Damals wurde auf dem Aachener Konzil Bier offiziell zum christlichen Heiltrunk erhoben und somit zum festen Bestandteil klösterlicher Nahrung. Jedem Klosterbruder stand eine tägliche heilbringende Dosis von 5 Litern zu – wobei man wissen muss, dass Bier damals eher einem alkoholhaltigen Kräutergetränk glich. Kurz darauf, also seit Ende des 19. Jahrhunderts, wird Kölsch so gebraut, wie wir es kennen: Als helles, hochvergorenes, hopfenbetontes, blankes obergäriges Vollbier. Vollbier ist übrigens ein Fachbegriff, der keinesfalls im Gegensatz dazu steht, dass Kölsch einen Alkoholgehalt von 4,9 Promille aufweist. 1918 wirbt ein Kölner Unternehmen zum ersten Mal mit dem Begriff Kölsch für das Getränk, das sich da in seinen Kesseln zusammengebraut hat. Anfangs war es nicht sonderlich beliebt. Die Brauereien boten auch noch andere Sorten an: Weißes, Export, Pils und sogar – horribile dictu – Alt. Aber das änderte sich bald. Seit den 1950er Jahren bevorzugt der Kölner an sich und in sich Kölsch. Um das Design der Kölschstange ranken sich verschiedene Mythen. Es heißt, die Stange müsse so aussehen, weil Kölsch nur wenig Kohlensäure enthält, weil der Bierschaum nicht sehr stabil ist und weil Kölsch in großen, breiteren Gläsern schnell schal würde. Der geringe Durchmesser und der damit verbundene geringere Sauerstoffkontakt hält Kölsch angeblich etwas länger frisch. All dies klingt zwar sehr vernünftig, aber es nimmt der Stange ihre Würde. Recherchen haben ergeben, dass der Ursprung dieser Gerüchte im Düsseldorfer Raum zu suchen ist, und das vermindert ihre Glaubwürdigkeit. Zurück auf dem Boden der historischen Fakten, stellen wir fest, dass Kölsch bis zum ersten Weltkrieg in ganz normalen Trinkgläsern ausgeschenkt wurde, deren Durchmesser am Boden kleiner war als am Trinkrand. Bis zum zweiten Weltkrieg wurde auch einiges mehr aus einem Glas getrunken: das übliche Maß waren zwei Siebtel Liter. Die berühmte Stangenform ist aus der blanken Not entstanden. Der Glaszylinder war leicht und billig in Massen herzustellen, der flache Boden und der stabile Aufbau machten es standfest und gebrauchstauglich. Der Designer, falls es sich um eine einzelne Person gehandelt haben sollte, ist nicht überliefert. Es handelt sich also wie so oft um anonymes Alltagsdesign, das sich bewährt hat und eines schönen Tages nach drei Generationen als eigenständiger Sympathieträger die Herzen der Menschen erobert. Seit 1997 ist Kölsch übrigens eine anerkannte europäische Regionalspezialität wie Bordeaux und Champagner, worauf die Menschen in Bordeaux und in der Champagne stolz sein können.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [139]
»Das Produkt: Ein zylindrisches Trinkglas mit 0,2 Litern Fassungsvermögen, 15 cm hoch, 5 cm Durchmesser, 0,8 mm Wandstärke. Das Kölschglas, die sogenannte Kölner Stange oder auch kurz nur Stange genannt, ist keinesfalls mit einem Reagenzglas zu verwechseln. Derlei Verwechslungen finden sich vorzugsweise bei bayerischen Biertrinkern, deren Bierrationen bekanntlich um einiges größer bemessen sind. Dass Bier ein Grundnahrungsmittel ist, welches täglich genossen nicht nur der körperlichen Erbauung dient, ist seit dem Jahr 817 verbrieft. Damals wurde auf dem Aachener Konzil Bier offiziell zum christlichen Heiltrunk erhoben und somit zum festen Bestandteil klösterlicher Nahrung. Jedem Klosterbruder stand eine tägliche heilbringende Dosis von 5 Litern zu – wobei man wissen muss, dass Bier damals eher einem alkoholhaltigen Kräutergetränk glich. Kurz darauf, also seit Ende des 19. Jahrhunderts, wird Kölsch so gebraut, wie wir es kennen: Als helles, hochvergorenes, hopfenbetontes, blankes obergäriges Vollbier. Vollbier ist übrigens ein Fachbegriff, der keinesfalls im Gegensatz dazu steht, dass Kölsch einen Alkoholgehalt von 4,9 Promille aufweist. 1918 wirbt ein Kölner Unternehmen zum ersten Mal mit dem Begriff Kölsch für das Getränk, das sich da in seinen Kesseln zusammengebraut hat. Anfangs war es nicht sonderlich beliebt. Die Brauereien boten auch noch andere Sorten an: Weißes, Export, Pils und sogar – horribile dictu – Alt. Aber das änderte sich bald. Seit den 1950er Jahren bevorzugt der Kölner an sich und in sich Kölsch. Um das Design der Kölschstange ranken sich verschiedene Mythen. Es heißt, die Stange müsse so aussehen, weil Kölsch nur wenig Kohlensäure enthält, weil der Bierschaum nicht sehr stabil ist und weil Kölsch in großen, breiteren Gläsern schnell schal würde. Der geringe Durchmesser und der damit verbundene geringere Sauerstoffkontakt hält Kölsch angeblich etwas länger frisch. All dies klingt zwar sehr vernünftig, aber es nimmt der Stange ihre Würde. Recherchen haben ergeben, dass der Ursprung dieser Gerüchte im Düsseldorfer Raum zu suchen ist, und das vermindert ihre Glaubwürdigkeit. Zurück auf dem Boden der historischen Fakten, stellen wir fest, dass Kölsch bis zum ersten Weltkrieg in ganz normalen Trinkgläsern ausgeschenkt wurde, deren Durchmesser am Boden kleiner war als am Trinkrand. Bis zum zweiten Weltkrieg wurde auch einiges mehr aus einem Glas getrunken: das übliche Maß waren zwei Siebtel Liter. Die berühmte Stangenform ist aus der blanken Not entstanden. Der Glaszylinder war leicht und billig in Massen herzustellen, der flache Boden und der stabile Aufbau machten es standfest und gebrauchstauglich. Der Designer, falls es sich um eine einzelne Person gehandelt haben sollte, ist nicht überliefert. Es handelt sich also wie so oft um anonymes Alltagsdesign, das sich bewährt hat und eines schönen Tages nach drei Generationen als eigenständiger Sympathieträger die Herzen der Menschen erobert. Seit 1997 ist Kölsch übrigens eine anerkannte europäische Regionalspezialität wie Bordeaux und Champagner, worauf die Menschen in Bordeaux und in der Champagne stolz sein können.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.