»Das Produkt: Eine Schrift, bestehend aus 26 Groß- und 26 Kleinbuchstaben, 10 Ziffern und 385 Sonderzeichen. Die moderne Welt braucht eine moderne Schrift. Auf diese einfache Formel lässt sich die Entwicklung der Schrift Helvetica bringen. Die vormoderne Welt benutzte seit der Renaissance Schriften, die als besonders leicht lesbar gelten. Diese Antiqua-Schriften haben unterschiedliche Formen für Groß- und Kleinbuchstaben, variierende Strichstärken und – besonders charakteristisch – kleine Querstriche an der oberen und unteren Kante von senkrechten Strichen, sogenannte Serifen. Noch heute benutzen die Tageszeitungen diese Antiqua-Schriften für den größten Teil der Texte. Den modernen Menschen des Maschinenzeitalters jedoch waren diese feinen Nuancen ein Dorn im Auge. Unterschiede waren kompliziert, umständlich und festigten die gesellschaftliche Hierarchie. Rationalisierung bedeutete Vereinfachung, und eine wissenschaftlich vernünftige Gesellschaft brauchte eine passende Schrift. Die Gestalter des 19. Jahrhunderts fanden den Ausgangspunkt für die Neuentwicklung serifenloser Schriften in den Gravuren alter Münzen und Stempel. Denn nun gab es täglich mehr Maschinen und Motoren, die mit Typenschildern beschriftet und deren Namenszüge eingefräst oder eingegossen werden mussten. Maschinen beschrifteten Maschinen, und die passenden Industrie-Schriften waren nicht mehr von der Feder des Humanisten gezeichnet, sondern durch den Zirkel des Ingenieurs konstruiert. Und nicht nur das: Auch die passende Werbung musste gestaltet werden. Die Industrie brauchte also Schriftformen, die der Nüchternheit ihrer Technik Ausdruck verliehen – und die dem Publikum auffielen. »Grotesk!«, soll angeblich der erste Eindruck gewesen sein, den die neuen, sachlichen Schriften mit rundem O hervorriefen. Das große I nur eine schmucklose Senkrechte. Das A fast ein Dreieck. Jedenfalls werden die neuen, serifenlosen Schriften seit dem 20. Jahrhundert Grotesk-Schriften genannt. Die Helvetica, was wörtlich so viel heißt wie »die Schweizerische« oder »die Schweizerin«, stammt aus den späten 50er Jahren. Der Grafiker Max Miedinger und der Druckerei-Geschäftsführer Eduard Hoffmann bearbeiteten dafür eine Schrift, die schon seit 50 Jahren im Gebrauch war. Um auch auf dem internationalen Markt bestehen zu können, wurde sie 1960 »Helvetica« genannt. Sie war ein durchschlagender, weltweiter Erfolg – sicherlich auch, weil sie dem gestalterischen Ideal der 60er-Jahre-Avantgarde perfekt entsprach. Autohersteller, Fluglinien, U-Bahnen, Theater und Museen, Modefirmen und Zeitschriften verwenden sie seither. Wenn man einmal auf sie aufmerksam geworden ist, erkennt man sie plötzlich überall. Und das ist paradox, denn eigentlich soll sie so neutral wirken, dass sie universell einsetzbar ist. Aber dieses Schicksal teilt sie mit vielen anderen Designklassikern, die keinem Stil entsprechen sollten und gerade dadurch einen eigenen Stil begründet haben.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [144]
»Das Produkt: Eine Schrift, bestehend aus 26 Groß- und 26 Kleinbuchstaben, 10 Ziffern und 385 Sonderzeichen. Die moderne Welt braucht eine moderne Schrift. Auf diese einfache Formel lässt sich die Entwicklung der Schrift Helvetica bringen. Die vormoderne Welt benutzte seit der Renaissance Schriften, die als besonders leicht lesbar gelten. Diese Antiqua-Schriften haben unterschiedliche Formen für Groß- und Kleinbuchstaben, variierende Strichstärken und – besonders charakteristisch – kleine Querstriche an der oberen und unteren Kante von senkrechten Strichen, sogenannte Serifen. Noch heute benutzen die Tageszeitungen diese Antiqua-Schriften für den größten Teil der Texte. Den modernen Menschen des Maschinenzeitalters jedoch waren diese feinen Nuancen ein Dorn im Auge. Unterschiede waren kompliziert, umständlich und festigten die gesellschaftliche Hierarchie. Rationalisierung bedeutete Vereinfachung, und eine wissenschaftlich vernünftige Gesellschaft brauchte eine passende Schrift. Die Gestalter des 19. Jahrhunderts fanden den Ausgangspunkt für die Neuentwicklung serifenloser Schriften in den Gravuren alter Münzen und Stempel. Denn nun gab es täglich mehr Maschinen und Motoren, die mit Typenschildern beschriftet und deren Namenszüge eingefräst oder eingegossen werden mussten. Maschinen beschrifteten Maschinen, und die passenden Industrie-Schriften waren nicht mehr von der Feder des Humanisten gezeichnet, sondern durch den Zirkel des Ingenieurs konstruiert. Und nicht nur das: Auch die passende Werbung musste gestaltet werden. Die Industrie brauchte also Schriftformen, die der Nüchternheit ihrer Technik Ausdruck verliehen – und die dem Publikum auffielen. »Grotesk!«, soll angeblich der erste Eindruck gewesen sein, den die neuen, sachlichen Schriften mit rundem O hervorriefen. Das große I nur eine schmucklose Senkrechte. Das A fast ein Dreieck. Jedenfalls werden die neuen, serifenlosen Schriften seit dem 20. Jahrhundert Grotesk-Schriften genannt. Die Helvetica, was wörtlich so viel heißt wie »die Schweizerische« oder »die Schweizerin«, stammt aus den späten 50er Jahren. Der Grafiker Max Miedinger und der Druckerei-Geschäftsführer Eduard Hoffmann bearbeiteten dafür eine Schrift, die schon seit 50 Jahren im Gebrauch war. Um auch auf dem internationalen Markt bestehen zu können, wurde sie 1960 »Helvetica« genannt. Sie war ein durchschlagender, weltweiter Erfolg – sicherlich auch, weil sie dem gestalterischen Ideal der 60er-Jahre-Avantgarde perfekt entsprach. Autohersteller, Fluglinien, U-Bahnen, Theater und Museen, Modefirmen und Zeitschriften verwenden sie seither. Wenn man einmal auf sie aufmerksam geworden ist, erkennt man sie plötzlich überall. Und das ist paradox, denn eigentlich soll sie so neutral wirken, dass sie universell einsetzbar ist. Aber dieses Schicksal teilt sie mit vielen anderen Designklassikern, die keinem Stil entsprechen sollten und gerade dadurch einen eigenen Stil begründet haben.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.