»Das Produkt: Ein Paar Salz- und Pfefferstreuer aus gläsernem Doppelkegel mit Cromargan-Deckel, 55 mm hoch. Max und Moritz, diese beiden, stehen frech auf dem Frühstückstisch herum. Ein Salz- und ein Pfefferstreuer, zwei gleiche Burschen, die sich nur durch ihre Mütze – sprich: ihren Metalldeckel – unterscheiden: Der Salzstreuer hat ein paar Löcher mehr als der Pfefferstreuer. Wilhelm Wagenfeld ist der bekannteste unter den unbekannten deutschen Designgrößen. Seine Produkte sind millionenfach verkaufte Gegenstände für den täglichen Gebrauch: Trinkgläser, Auflaufformen, Butterdosen, Bestecke und eben auch Salz- und Pfefferstreuer, die üblicherweise auf einem kleinen Metalltablett ihren Platz finden. Seine Arbeit steht für beides, wofür auch deutsches Design berühmt ist: Einerseits teure, strenge, stilbildende Produkte wie die Tischleuchte, die er am Bauhaus entwickelt hatte, und andererseits nützliche, praktische Helferlein des Alltags, für jedermann erschwinglich. Es heißt, dass er seine Produkte als Diener gesehen habe, die nicht vorlaut sein dürften. Wilhelm Wagenfeld, geboren 1900 und nach 60 Jahren gestalterischer Arbeit für die Industrie 1990 gestorben, steht auch für eine typisch deutsche Designhaltung. Er bemühte sich stets darum, das Eigentliche eines Produktes, das unter dem Dekor der überlieferten Oberfläche verborgen ist, wieder sichtbar zu machen. Er sprach vom Entschnörkeln. Das war 1948 noch das Programm einer Avantgarde, zu der er als Bauhausschüler zählte. Heute ist dieses Entwurfsprinzip brandaktuell. Nach seiner Ausbildung als Technischer Zeichner, danach zum Silberschmied und seiner anschließenden Zeit am Bauhaus wird Wagenfeld 1935 künstlerischer Leiter der Vereinigten Lausitzer Glaswerke, damals die größte Glashütte Europas. 60.000 Artikel werden hier produziert, nahezu alles, was man aus Glas blasen oder pressen kann. Wagenfeld kümmert sich aus Überzeugung besonders um die billigen, millionenfach hergestellten Massenprodukte. Er weigert sich hartnäckig, der NSDAP beizutreten, wird daraufhin 1944 an die Ostfront abkommandiert und kehrt 1945 krank aus sowjetischer Gefangenschaft zurück. Nach einer Professur, die er 1947 in Berlin antritt, beginnt 1950 die Zusammenarbeit mit dem schwäbischen Haushaltsgerätehersteller WMF. Es wird eine wechselvolle zwanzigjährige Zusammenarbeit. WMF profitiert in den Jahren des Wiederaufbaus vom Vorkriegs-Monopol auf die Alleinverwendung des von Krupp entwickelten V2-A-Stahls zur Herstellung von Haus- und Küchengeräten. Für diese Produkte wurde das Warenzeichen «Cromargan» eingetragen, das zum Synonym für rostfreien Edelstahl geworden ist. In den 1950er und 1960er Jahren verdient das Unternehmen am Nachholbedarf der privaten Haushalte infolge der Kriegsjahre. Die Salz- und Pfefferstreuer beruhen auf der Kombination aus Wagenfelds Erfahrung für Glasprodukte mit dieser Unternehmens-Expertise. Die zierlichen, griffgerechten, wie eine Sanduhr taillierten Glaskörper mit Cromargandeckel entstehen 1954. Am Anfang skizziert Wagenfeld seinen Entwurf nur briefmarkengroß. Seine Mitarbeiter vergrößern die Skizze und formen danach dreidimensionale Modelle im Maßstab eins zu eins aus Ton oder Gips. Wagenfeld ist berüchtigt für seine scharfen, unerbittlichen Kontrollen: Modelle, an denen tagelang gearbeitet wurde, fegt der Meister bei kleinsten Beanstandungen mit einem Handstreich vom Tisch. Das Faszinierende an Max und Moritz ist, dass man in ihnen zwar eindeutig die 50er Jahre erkennt. Aber sie passen auch heute noch in einen modernen Haushalt. Letztlich bringen sie etwas zum Ausdruck, was Wagenfeld als Schönheit bezeichnet hätte.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [146]
»Das Produkt: Ein Paar Salz- und Pfefferstreuer aus gläsernem Doppelkegel mit Cromargan-Deckel, 55 mm hoch. Max und Moritz, diese beiden, stehen frech auf dem Frühstückstisch herum. Ein Salz- und ein Pfefferstreuer, zwei gleiche Burschen, die sich nur durch ihre Mütze – sprich: ihren Metalldeckel – unterscheiden: Der Salzstreuer hat ein paar Löcher mehr als der Pfefferstreuer. Wilhelm Wagenfeld ist der bekannteste unter den unbekannten deutschen Designgrößen. Seine Produkte sind millionenfach verkaufte Gegenstände für den täglichen Gebrauch: Trinkgläser, Auflaufformen, Butterdosen, Bestecke und eben auch Salz- und Pfefferstreuer, die üblicherweise auf einem kleinen Metalltablett ihren Platz finden. Seine Arbeit steht für beides, wofür auch deutsches Design berühmt ist: Einerseits teure, strenge, stilbildende Produkte wie die Tischleuchte, die er am Bauhaus entwickelt hatte, und andererseits nützliche, praktische Helferlein des Alltags, für jedermann erschwinglich. Es heißt, dass er seine Produkte als Diener gesehen habe, die nicht vorlaut sein dürften. Wilhelm Wagenfeld, geboren 1900 und nach 60 Jahren gestalterischer Arbeit für die Industrie 1990 gestorben, steht auch für eine typisch deutsche Designhaltung. Er bemühte sich stets darum, das Eigentliche eines Produktes, das unter dem Dekor der überlieferten Oberfläche verborgen ist, wieder sichtbar zu machen. Er sprach vom Entschnörkeln. Das war 1948 noch das Programm einer Avantgarde, zu der er als Bauhausschüler zählte. Heute ist dieses Entwurfsprinzip brandaktuell. Nach seiner Ausbildung als Technischer Zeichner, danach zum Silberschmied und seiner anschließenden Zeit am Bauhaus wird Wagenfeld 1935 künstlerischer Leiter der Vereinigten Lausitzer Glaswerke, damals die größte Glashütte Europas. 60.000 Artikel werden hier produziert, nahezu alles, was man aus Glas blasen oder pressen kann. Wagenfeld kümmert sich aus Überzeugung besonders um die billigen, millionenfach hergestellten Massenprodukte. Er weigert sich hartnäckig, der NSDAP beizutreten, wird daraufhin 1944 an die Ostfront abkommandiert und kehrt 1945 krank aus sowjetischer Gefangenschaft zurück. Nach einer Professur, die er 1947 in Berlin antritt, beginnt 1950 die Zusammenarbeit mit dem schwäbischen Haushaltsgerätehersteller WMF. Es wird eine wechselvolle zwanzigjährige Zusammenarbeit. WMF profitiert in den Jahren des Wiederaufbaus vom Vorkriegs-Monopol auf die Alleinverwendung des von Krupp entwickelten V2-A-Stahls zur Herstellung von Haus- und Küchengeräten. Für diese Produkte wurde das Warenzeichen «Cromargan» eingetragen, das zum Synonym für rostfreien Edelstahl geworden ist. In den 1950er und 1960er Jahren verdient das Unternehmen am Nachholbedarf der privaten Haushalte infolge der Kriegsjahre. Die Salz- und Pfefferstreuer beruhen auf der Kombination aus Wagenfelds Erfahrung für Glasprodukte mit dieser Unternehmens-Expertise. Die zierlichen, griffgerechten, wie eine Sanduhr taillierten Glaskörper mit Cromargandeckel entstehen 1954. Am Anfang skizziert Wagenfeld seinen Entwurf nur briefmarkengroß. Seine Mitarbeiter vergrößern die Skizze und formen danach dreidimensionale Modelle im Maßstab eins zu eins aus Ton oder Gips. Wagenfeld ist berüchtigt für seine scharfen, unerbittlichen Kontrollen: Modelle, an denen tagelang gearbeitet wurde, fegt der Meister bei kleinsten Beanstandungen mit einem Handstreich vom Tisch. Das Faszinierende an Max und Moritz ist, dass man in ihnen zwar eindeutig die 50er Jahre erkennt. Aber sie passen auch heute noch in einen modernen Haushalt. Letztlich bringen sie etwas zum Ausdruck, was Wagenfeld als Schönheit bezeichnet hätte.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.