Die Digitalisierung des Alltags ist nach der Mechanisierung und Elektrifizierung der größte technologische Trend der Moderne. In den 1960er Jahren, als die deutschen Haushalte mit allen möglichen Geräten fürs Kochen, Waschen, Bügeln und Fernsehen vollgestellt wurden, wurde der Computer langsam zu einem Thema, das die Designer elektrisierte. Es war allerdings noch lange nicht der Computer als Entwurfs- und Arbeitsmittel, der sie beschäftigte. Es war vielmehr die Science-Fiction-geschwängerte Vorstellung, die sie sich vom Leben in der Zukunft machten, worin Elektrogehirne eine irgendwie dominierende Rolle spielten. Eines der Bilder, das zur Ikone dieses imaginierten Lebens im Jahre 2001 im Weltall und auf Erden heranwuchs, war das berühmte Terminal der Fluglinie TWA von 1962 am New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen. Die Anzeigetafel war, ebenso wie das ganze Gebäude, organisch geformt. Die Informationen über die Abflüge wurden mit Buchstaben und Zahlen angezeigt, die in der Mitte geteilt waren und umklappten, wenn neue Daten gezeigt werden sollten. Diese Umklapptechnik mit dem dazugehörigen rauschenden Klappgeräusch wurde rasch zum Sinnbild des modernen Luftfahrtzeitalters. Die Informationen vermittelten sich nicht mehr analog, also mit einzelnen Buchstaben auf festen Tafeln, sondern sie hatten schon die Anmutung des Digitalen angenommen. Eine neue Ästhetik für eine neue Technik. Dahinter stand der norditalienische Hersteller Solari, der viel älter war als die Vereinigten Staaten von Amerika. Im ältesten Schriftstück des Unternehmens wird bezeugt, dass die Familie Solari in Udine schon 1725 als alteingesessener Hersteller von Rathaus- und Kirchturmuhren bekannt war. Aber erst in den 1950er Jahren wurden sie auch weltweit berühmt. Die Brüder Fermo und Remigio Solari leiteten damals den Familienbetrieb. Der passionierte Mechaniker Remigio entwickelte die Technik, die das Umklappen von Zahlen und Buchstaben auf Anzeigetafeln ermöglichte. Sein Bruder Fermo verstand es, die Entwicklung zu vermarkten. Dazu gehörte auch ein Instinkt für Märkte. Die Solari-Brüder beauftragten 1965 den Udineser Architekten Gino Valle mit der Gestaltung einer Tischuhr, die die Uhrzeit mit Hilfe der neuen Klapptechnik anzeigen sollte. Er entwarf eine etwa handbreite Röhre aus weißem Kunststoff, deren rundes Gehäuse an einer Längsseite klar und durchsichtig war. Dahinter war eine schwarze rechteckige Fläche, die als Hintergrund für weiße umklappende Ziffern diente. Die beiden ersten Ziffern zeigten die Stunden in einer etwas fetteren Schrift an als die beiden nachfolgenden Ziffern für die Minuten. Das war alles. Die jahrhundertealte Form des analogen, runden Ziffernblatts war mit einem energischen Handstreich durch die neue digitale Form ersetzt. Es war jetzt nicht mehr »kurz vor halb acht«, sondern präzise »7 Uhr und 27 Minuten«. Gino Valles Klappzahlenuhr mit dem Namen »Cifra 3« erhielt 1966 die größte Auszeichnung für italienisches Design, den Compasso d‘Oro, und wurde in die ständige Sammlung des Museum of Modern Art in New York aufgenommen. Dort steht sie immer noch, während die Tafel im JFK-Terminal schon längst durch den gesichtslosen Ersatz der digitalen Anzeige abgelöst wurde. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [205]
Die Digitalisierung des Alltags ist nach der Mechanisierung und Elektrifizierung der größte technologische Trend der Moderne. In den 1960er Jahren, als die deutschen Haushalte mit allen möglichen Geräten fürs Kochen, Waschen, Bügeln und Fernsehen vollgestellt wurden, wurde der Computer langsam zu einem Thema, das die Designer elektrisierte. Es war allerdings noch lange nicht der Computer als Entwurfs- und Arbeitsmittel, der sie beschäftigte. Es war vielmehr die Science-Fiction-geschwängerte Vorstellung, die sie sich vom Leben in der Zukunft machten, worin Elektrogehirne eine irgendwie dominierende Rolle spielten. Eines der Bilder, das zur Ikone dieses imaginierten Lebens im Jahre 2001 im Weltall und auf Erden heranwuchs, war das berühmte Terminal der Fluglinie TWA von 1962 am New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen. Die Anzeigetafel war, ebenso wie das ganze Gebäude, organisch geformt. Die Informationen über die Abflüge wurden mit Buchstaben und Zahlen angezeigt, die in der Mitte geteilt waren und umklappten, wenn neue Daten gezeigt werden sollten. Diese Umklapptechnik mit dem dazugehörigen rauschenden Klappgeräusch wurde rasch zum Sinnbild des modernen Luftfahrtzeitalters. Die Informationen vermittelten sich nicht mehr analog, also mit einzelnen Buchstaben auf festen Tafeln, sondern sie hatten schon die Anmutung des Digitalen angenommen. Eine neue Ästhetik für eine neue Technik. Dahinter stand der norditalienische Hersteller Solari, der viel älter war als die Vereinigten Staaten von Amerika. Im ältesten Schriftstück des Unternehmens wird bezeugt, dass die Familie Solari in Udine schon 1725 als alteingesessener Hersteller von Rathaus- und Kirchturmuhren bekannt war. Aber erst in den 1950er Jahren wurden sie auch weltweit berühmt. Die Brüder Fermo und Remigio Solari leiteten damals den Familienbetrieb. Der passionierte Mechaniker Remigio entwickelte die Technik, die das Umklappen von Zahlen und Buchstaben auf Anzeigetafeln ermöglichte. Sein Bruder Fermo verstand es, die Entwicklung zu vermarkten. Dazu gehörte auch ein Instinkt für Märkte. Die Solari-Brüder beauftragten 1965 den Udineser Architekten Gino Valle mit der Gestaltung einer Tischuhr, die die Uhrzeit mit Hilfe der neuen Klapptechnik anzeigen sollte. Er entwarf eine etwa handbreite Röhre aus weißem Kunststoff, deren rundes Gehäuse an einer Längsseite klar und durchsichtig war. Dahinter war eine schwarze rechteckige Fläche, die als Hintergrund für weiße umklappende Ziffern diente. Die beiden ersten Ziffern zeigten die Stunden in einer etwas fetteren Schrift an als die beiden nachfolgenden Ziffern für die Minuten. Das war alles. Die jahrhundertealte Form des analogen, runden Ziffernblatts war mit einem energischen Handstreich durch die neue digitale Form ersetzt. Es war jetzt nicht mehr »kurz vor halb acht«, sondern präzise »7 Uhr und 27 Minuten«. Gino Valles Klappzahlenuhr mit dem Namen »Cifra 3« erhielt 1966 die größte Auszeichnung für italienisches Design, den Compasso d‘Oro, und wurde in die ständige Sammlung des Museum of Modern Art in New York aufgenommen. Dort steht sie immer noch, während die Tafel im JFK-Terminal schon längst durch den gesichtslosen Ersatz der digitalen Anzeige abgelöst wurde. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.