Wenn wir durch die Fußgängerzonen schlendern und darüber schimpfen, dass die Geschäfte heute überall gleich aussehen, dann erleben wir nur die Kehrseite der Medaille, die Vereinheitlichung heißt und eine prägende Kraft der Moderne ist. Im Unterschied dazu zeichnete sich die Vormoderne gerade durch Uneinheitlichkeit in allen Lebensbereichen aus – besonders auch in den praktischen Belangen des Alltags. Ein Stück Holz von 23,6 mm Länge zum Beispiel entsprach 1869 in Sachsen exakt einem Zoll. Aber das gleiche Stück schrumpfte, sobald es nach Österreich eingeführt wurde, auf etwas weniger als einen Zoll, weil dieses Maß in Österreich 26,3 mm lang war. Und so ging es über die Landesgrenzen hinweg weiter: Der bayerische Zoll von 24,3 mm Länge entsprach in England 25,4 mm, in Frankreich 27 mm und in Baden 30 mm. Die industrialisierte Moderne bereitete diesem Chaos ein Ende: 1872 trat der überall gleichlange Meter seinen Siegeszug von Preußen aus an. Und der aufmerksame Zeitgenosse entdeckte seine Chance in der Marktlücke, die sich auftat und die mit einem Serienprodukt gefüllt werden konnte. So geschehen mit dem sogenannten Gelenkmaßstab mit Federsperre, den die Brüder Franz und Anton Ullrich 1885 erfanden. Dieses praktische Werkzeug heißt bis heute umgangssprachlich »Zollstock«. Seit der Antike dienten der menschliche Körper und seine Gliedmaßen als Einheit für Längenmaße: Fuß, Elle und Daumenbreite. Die Maßstäbe dafür fertigten sich die Handwerker selbst. Als 1885 Franz und Anton Ullrich einen Schreiner dabei beobachteten, fiel ihnen auf, wie unpraktisch es ist, mehrere Ellen zusammenzustecken, um längere Strecken waagerecht, schräg oder senkrecht abzumessen. Sie entwickelten einen klappbaren Maßstab, der aus mehreren gleichlangen Elementen besteht, die durch Federgelenke verbunden werden. Im folgenden Jahr erhielten sie ein Patent für dieses Gelenk, das seine Glieder mit einer Federsperre fest arretiert und leicht wieder zugeklappt werden kann. 1889 gründete Gustav Ullrich, ein Sohn von Franz Ullrich, für die Fabrikation im pfälzischen Annweiler eine eigene Firma, die noch heute unter dem Namen Stabila besteht. Im gleichen Jahr wurde der neuartige Zollstock auf der Weltausstellung in Paris präsentiert. Auch wenn seitdem viele Details weiterentwickelt wurden, so ist doch im Wesentlichen der Ur-Zollstock von 1885 bis heute unverändert geblieben – und aus keinem Haushalt wegzudenken. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [256]
Wenn wir durch die Fußgängerzonen schlendern und darüber schimpfen, dass die Geschäfte heute überall gleich aussehen, dann erleben wir nur die Kehrseite der Medaille, die Vereinheitlichung heißt und eine prägende Kraft der Moderne ist. Im Unterschied dazu zeichnete sich die Vormoderne gerade durch Uneinheitlichkeit in allen Lebensbereichen aus – besonders auch in den praktischen Belangen des Alltags. Ein Stück Holz von 23,6 mm Länge zum Beispiel entsprach 1869 in Sachsen exakt einem Zoll. Aber das gleiche Stück schrumpfte, sobald es nach Österreich eingeführt wurde, auf etwas weniger als einen Zoll, weil dieses Maß in Österreich 26,3 mm lang war. Und so ging es über die Landesgrenzen hinweg weiter: Der bayerische Zoll von 24,3 mm Länge entsprach in England 25,4 mm, in Frankreich 27 mm und in Baden 30 mm. Die industrialisierte Moderne bereitete diesem Chaos ein Ende: 1872 trat der überall gleichlange Meter seinen Siegeszug von Preußen aus an. Und der aufmerksame Zeitgenosse entdeckte seine Chance in der Marktlücke, die sich auftat und die mit einem Serienprodukt gefüllt werden konnte. So geschehen mit dem sogenannten Gelenkmaßstab mit Federsperre, den die Brüder Franz und Anton Ullrich 1885 erfanden. Dieses praktische Werkzeug heißt bis heute umgangssprachlich »Zollstock«. Seit der Antike dienten der menschliche Körper und seine Gliedmaßen als Einheit für Längenmaße: Fuß, Elle und Daumenbreite. Die Maßstäbe dafür fertigten sich die Handwerker selbst. Als 1885 Franz und Anton Ullrich einen Schreiner dabei beobachteten, fiel ihnen auf, wie unpraktisch es ist, mehrere Ellen zusammenzustecken, um längere Strecken waagerecht, schräg oder senkrecht abzumessen. Sie entwickelten einen klappbaren Maßstab, der aus mehreren gleichlangen Elementen besteht, die durch Federgelenke verbunden werden. Im folgenden Jahr erhielten sie ein Patent für dieses Gelenk, das seine Glieder mit einer Federsperre fest arretiert und leicht wieder zugeklappt werden kann. 1889 gründete Gustav Ullrich, ein Sohn von Franz Ullrich, für die Fabrikation im pfälzischen Annweiler eine eigene Firma, die noch heute unter dem Namen Stabila besteht. Im gleichen Jahr wurde der neuartige Zollstock auf der Weltausstellung in Paris präsentiert. Auch wenn seitdem viele Details weiterentwickelt wurden, so ist doch im Wesentlichen der Ur-Zollstock von 1885 bis heute unverändert geblieben – und aus keinem Haushalt wegzudenken. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.