Ein Auszug aus dieser Publikation:»Im Jahr 1958 befand sich die Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm in einer Phase des Übergangs. Der organisatorische und architektonische Aufbau war mit der offiziellen Einweihungsfeier des hochschuleigenen Gebäudekomplexes auf dem Oberen Kuhberg außerhalb der Stadt am 2. Oktober 1955 abgeschlossen. Daran hatte sich ein personeller und programmatischer Umbau angeschlossen, der im März 1957 zur Trennung vom Gründungsrektor Max Bill geführt hatte. Diese zwölf zermürbende Monate andauernde Krise hatte erhebliche Irritationen innerhalb der HfG, in den der HfG und ihrer Trägerinstitution, der Geschwister-Scholl-Stiftung, verbundenenen Kreisen und darüber hinaus in der Politik und der Presse hervorgerufen. Aber zu Beginn des Studienjahrs 1957/58, im Herbst 1957, zeichnete sich ab, dass HfG und Stiftung diese enorme Belastungsprobe überstehen würden – wenn auch nicht unbeschadet. Der Schaden bestand einerseits im Verlust des Vorschusses an Vertrauen (das in der Vergangenheit insbesondere an die Person Max Bills verknüpft gewesen war) und andererseits im Verlust des Wohlwollens großer Teile der Öffentlichkeit, welches sich aus den humanistischen Idealen des Gründungsimpulses speiste. Dennoch standen die Zeichen auf Konsolidierung. Beim Bemühen, sich als Sonderfall innerhalb des bundesdeutschen Bildungssystems zu etablieren, konnte bereits erste Erfolge verzeichnet werden. Dabei profitierte die HfG davon, dass das Thema Design zunehmend in Politik und der Wirtschaft als gemeinschaftliche, auch kulturell verstandene Aufgabe für Hochschulen wahrgenommen wurde: Es hieß bereits, dass den deutschen Betrieben qualifizierter Nachwuchs für die Gestaltung international konkurrenzfähiger Produkte fehle. In Baden-Württemberg reklamierte neben der HfG nur noch die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart die Ausbildung von Designern als Kompetenz. Die Akademie in Karlsruhe und die Technischen Hochschulen des Bundeslandes sahen hingegen keinen Handlungsbedarf. Unter dem Strich hatte Inge Aicher-Scholl es mit ihrem unermüdlichen Marsch durch die kulturpolitischen Instanzen erreicht, dass die finanziellen Zuschüsse der öffentlichen Hand (von mehreren Bundes- und Landesministerien sowie von der Stadt Ulm) seit 1957 nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt wurden. Nun wurde um so dringender gefordert, dass die Versprechen, welche die HfG-Gründer seit Jahren abgegeben hatten, eingelöst wurden: Dass sich die HfG tatsächlich als die neue Einrichtung erweisen müsste, als die sie apostrophiert wurde und die sie im Selbstbild ihrer Protagonisten auch darstellte. Anders gesagt: Was die HfG wollte, hatte man leidlich verstanden. Was die HfG machte, wollte man nun verstehen. Die HfG musste ihren eigenen Anspruch an Vermittlungsleistung, an verlustfreie zielgerichtete Kommunikation einlösen. Abgesehen von dieser Erwartung von außen: Die Ulmer Protagonisten waren auch von einem Mitteilungsbedürfnis motiviert, sie waren schließlich erfüllt von der Überzeugung, dass sie etwas zu sagen und zu zeigen hatten. Vor diesem Hintergrund muss die Herausgabe der HfG-eigenen Zeitschrift »ulm« gesehen werden: als Organ der Selbstinszenierung und Medium der Selbstvergewisserung, dessen identitätsstiftende Wirkung kaum zu überschätzen ist – wenigstens in der Retrospektive. Dass es sich bei dieser Wahrnehmung ex post um eine krasse Verzerrung handeln kann, ist allen Artefakten gemein, die die HfG hervorgebracht hat, und dies sind schlussendlich doch so überschaubar wenige, dass sie durch die eigengesetzliche Kraft der Rezeptionsgeschichte längst zu sogenannten »Ikonen« stilisiert wurden, zu Naturalisierungen des Strebens der Moderne nach vernunftgetriebenem Design: Ulmer Hocker, Schneewittchensarg, unorientierbare Fläche, Lufthansa-Erscheinungsbild, Braun Sixtant, Braun Caroussel und autonova fam. Längst hat diese Hervorbringungen auch das Schicksal der Dinge ereilt, von den Profiteuren des Markts der symbolischen Werte als »moderne Klassiker« und Repräsentanten »ewiger Aktualität« vereinnahmt und merkantil instrumentalisiert zu werden, welches Gerda Breuer für die signifikantesten Hervorbringungen der Bauhaus-Ära nachgezeichnet hatte. So wurde 2012 auf der Kunstmesse »art Cologne« ein durch die Patina jahrzehntelangen achtlosen, alltäglichen Gebrauchs gezeichneter, aber mit der Aura der Authentizität gesegneter »originaler« Ulmer Hocker für 3.000 EUR offeriert.« […] Den vollständigen Beitrag finden Sie im Buch. Wenn Sie diese Publikation kommentieren oder mehr wissen möchten,können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [377]
Ein Auszug aus dieser Publikation:»Im Jahr 1958 befand sich die Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm in einer Phase des Übergangs. Der organisatorische und architektonische Aufbau war mit der offiziellen Einweihungsfeier des hochschuleigenen Gebäudekomplexes auf dem Oberen Kuhberg außerhalb der Stadt am 2. Oktober 1955 abgeschlossen. Daran hatte sich ein personeller und programmatischer Umbau angeschlossen, der im März 1957 zur Trennung vom Gründungsrektor Max Bill geführt hatte. Diese zwölf zermürbende Monate andauernde Krise hatte erhebliche Irritationen innerhalb der HfG, in den der HfG und ihrer Trägerinstitution, der Geschwister-Scholl-Stiftung, verbundenenen Kreisen und darüber hinaus in der Politik und der Presse hervorgerufen. Aber zu Beginn des Studienjahrs 1957/58, im Herbst 1957, zeichnete sich ab, dass HfG und Stiftung diese enorme Belastungsprobe überstehen würden – wenn auch nicht unbeschadet. Der Schaden bestand einerseits im Verlust des Vorschusses an Vertrauen (das in der Vergangenheit insbesondere an die Person Max Bills verknüpft gewesen war) und andererseits im Verlust des Wohlwollens großer Teile der Öffentlichkeit, welches sich aus den humanistischen Idealen des Gründungsimpulses speiste. Dennoch standen die Zeichen auf Konsolidierung. Beim Bemühen, sich als Sonderfall innerhalb des bundesdeutschen Bildungssystems zu etablieren, konnte bereits erste Erfolge verzeichnet werden. Dabei profitierte die HfG davon, dass das Thema Design zunehmend in Politik und der Wirtschaft als gemeinschaftliche, auch kulturell verstandene Aufgabe für Hochschulen wahrgenommen wurde: Es hieß bereits, dass den deutschen Betrieben qualifizierter Nachwuchs für die Gestaltung international konkurrenzfähiger Produkte fehle. In Baden-Württemberg reklamierte neben der HfG nur noch die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart die Ausbildung von Designern als Kompetenz. Die Akademie in Karlsruhe und die Technischen Hochschulen des Bundeslandes sahen hingegen keinen Handlungsbedarf. Unter dem Strich hatte Inge Aicher-Scholl es mit ihrem unermüdlichen Marsch durch die kulturpolitischen Instanzen erreicht, dass die finanziellen Zuschüsse der öffentlichen Hand (von mehreren Bundes- und Landesministerien sowie von der Stadt Ulm) seit 1957 nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt wurden. Nun wurde um so dringender gefordert, dass die Versprechen, welche die HfG-Gründer seit Jahren abgegeben hatten, eingelöst wurden: Dass sich die HfG tatsächlich als die neue Einrichtung erweisen müsste, als die sie apostrophiert wurde und die sie im Selbstbild ihrer Protagonisten auch darstellte. Anders gesagt: Was die HfG wollte, hatte man leidlich verstanden. Was die HfG machte, wollte man nun verstehen. Die HfG musste ihren eigenen Anspruch an Vermittlungsleistung, an verlustfreie zielgerichtete Kommunikation einlösen. Abgesehen von dieser Erwartung von außen: Die Ulmer Protagonisten waren auch von einem Mitteilungsbedürfnis motiviert, sie waren schließlich erfüllt von der Überzeugung, dass sie etwas zu sagen und zu zeigen hatten. Vor diesem Hintergrund muss die Herausgabe der HfG-eigenen Zeitschrift »ulm« gesehen werden: als Organ der Selbstinszenierung und Medium der Selbstvergewisserung, dessen identitätsstiftende Wirkung kaum zu überschätzen ist – wenigstens in der Retrospektive. Dass es sich bei dieser Wahrnehmung ex post um eine krasse Verzerrung handeln kann, ist allen Artefakten gemein, die die HfG hervorgebracht hat, und dies sind schlussendlich doch so überschaubar wenige, dass sie durch die eigengesetzliche Kraft der Rezeptionsgeschichte längst zu sogenannten »Ikonen« stilisiert wurden, zu Naturalisierungen des Strebens der Moderne nach vernunftgetriebenem Design: Ulmer Hocker, Schneewittchensarg, unorientierbare Fläche, Lufthansa-Erscheinungsbild, Braun Sixtant, Braun Caroussel und autonova fam. Längst hat diese Hervorbringungen auch das Schicksal der Dinge ereilt, von den Profiteuren des Markts der symbolischen Werte als »moderne Klassiker« und Repräsentanten »ewiger Aktualität« vereinnahmt und merkantil instrumentalisiert zu werden, welches Gerda Breuer für die signifikantesten Hervorbringungen der Bauhaus-Ära nachgezeichnet hatte. So wurde 2012 auf der Kunstmesse »art Cologne« ein durch die Patina jahrzehntelangen achtlosen, alltäglichen Gebrauchs gezeichneter, aber mit der Aura der Authentizität gesegneter »originaler« Ulmer Hocker für 3.000 EUR offeriert.« […] Den vollständigen Beitrag finden Sie im Buch. Wenn Sie diese Publikation kommentieren oder mehr wissen möchten,können Sie mir gerne eine E-Mail senden.