Gastronomien sind hervorragende, meist unterschätzte Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen.Wie ein sensibel eingestellter Seismograph reagieren sie auf neue Strömungen, die sich anfangs nur aus wenigen, isolierten Impulsen speisen. Ein feinfühliger Gastronom nimmt diese Veränderungen im Verhalten, den Vorlieben und Wünschen von zuerst wenigen Menschen wahr und übersetzt sie synthetisierend in einen Ort, der diesem Neuen mit allen Sinnen einen Raum bietet.
Gleichzeitig verstärken Gastronomien diese Einflüsse auch, sie machen sie sichtbar, greifbar und erlebbar, so dass sie innerhalb kurzer Zeit für ein breiteres Publikum attraktiv werden. Ein Trend entsteht. Denn in der Gastronomie muss der Umsatz an jedem Tag stimmen, und Abwanderung der Kundschaft macht sich augenblicklich bemerkbar. Andere Branchen können eine schwächere Saison verkraften, in der Gastronomie leitet aber ein Rückgang der Beliebtheit bei der Kernzielgruppe eine Spirale des Niedergangs ein.
Gegenwärtig ist der Trend unübersehbar, dass die Gastronomie zum Wohnzimmer mutiert. Großmutters Sofa mit Tapete und nierenförmigem Couchtisch hat den traditionellen Wirtshaus-Esstisch mit oder ohne Tischdecke für zwei oder vier Personen abgelöst. Daran ist zweierlei bemerkenswert.
Erstens sagt es sehr viel über unser gegenwärtiges Verhältnis von privater und öffentlicher Sphäre aus. Das Öffentliche wird jetzt inszeniert wie das Private. Dabei handelt es sich aber gerade nicht um eine zeitgenössische Inszenierung. Das überrascht, denn traditionell war die Moderne darauf ausgerichtet, in der Gegenwart stattzufinden: das Jetzt war wichtiger als das Vorher, und das Jetzt wurde verstanden als ein Schritt ins Morgen, der möglichst schnell zurückgelegt werden sollte. Warum noch auf die Zukunft warten? Viel wichtiger als das Herkommen war der Moderne das Hinkommen, das Gestalten einer besseren Zukunft. Wir lernen daraus, dass die Moderne längst hinter uns liegt. (Das gilt auch für die Postmoderne, die sich nur als Variation bzw. Korrektur der Moderne verstanden hat.) – Dass die Kulisse der Gastronomie aus Versatzstücken besteht, die der Vergangenheit entrissen sind, verdeutlicht, wie wichtig uns das Vertraute geworden ist (anstelle des Ungewissen der Zukunft). Allerdings sind es nicht die Dinge, die wir von unseren Eltern kennen, sondern von unseren Großeltern. Sie entstammen einer Zeit, in der die Dimensionen des Einflusses und der Auswirkungen noch überschaubar waren: Die Zeit war noch nicht so beschleunigt wie heute, die Informationen wurden noch per Brief übermittelt, und für eine Reaktion hatte man ein paar Tage Aufschub. Selbstverständlich ist uns bewusst, dass diese Zeit unwiederbringlich vorüber ist. Doch die Dinge, die damit verknüpft sind, erinnern uns daran, wie gemütlich das aus heutiger Sicht gewesen ist. Diese Nostalgie mag ironisch gebrochen oder sentimental ernst gemeint sein, in jedem Fall verweist sie darauf, dass wir uns angesichts der Komplexität unserer Gegenwart lieber an die Messingleisten der Vergangenheit schmiegen als dass wir uns der Verantwortung stellen, die Zukunft auch dadurch zu gestalten, dass wir für die neuen Erscheinungsformen z.B. des Digitalen auch neue kulturelle Formen finden. – Wie sehr die Sphären des Privaten und des Öffentlichen zunehmend verschmelzen, zeigt sich auch an den Verhaltensweisen: Kleidung undUmgangsformen des Privaten verdrängen solche, die dem öffentlichen und gesellschaftlichen Ritual vorbehalten waren. Dadurch entsteht heute immer dann eine peinliche Unsicherheit, was zu tragen und was zu tun sei, wenn man zu einem immer seltener gewordenen Anlass zusammenkommt, bei dem diese traditionellen Formen noch erwartet werden (z.B. Hochzeiten oder Absolventenfeiern). –
Zweitens sagt das Café im Wohnzimmerlook sehr viel über unser gegenwärtiges Verhältnis von Arbeit und Freizeit aus. Vor einer Dekade lösten sich die gefestigten Strukturen der Dienstleistungsarbeit so weit auf, dass Home Office in der Breite möglich wurde. Jetzt sind die technischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Zusammenhänge so weit atomisiert und von einander entkoppelt, dass das Office in die Gastronomie als einen Bereich verlagert wird, der bis dato der Freizeit vorbehalten war.Wir beobachten staunend die Ökonomisierung des Minutentakts by public demand. Solange im Café Brot (mit Kaffee) und Spiele (via W-LAN) zur geboten werden, erliegt diese Generation der Selbstausbeuter der Illusion, sie verwirkliche ihre Interessen. Ein Blick in den Wirtschaftsteil der Zeitung könnte hier eine neue Sichtweise eröffnen.
In welche Richtung sich die gegenwärtige gestalterische Tendenz entwickeln wird, ist nicht vorhersehbar. Viele Indizien sprechen für die Annahme, dass sich mittelfristig nur an der Oberfläche ein paar Änderungen vollzogen werden, während sich substantiell auf längere Zeit kaum etwas ändern wird, weil die zugrunde liegenden Faktoren (Ziele, Wünsche, Erwartungen und Sehnsüchte der Menschen) sich im Kollektiv nur langsam bewegen.
Mir persönlich ist die Qualität des Espressos wichtiger als die gastronomische Inszenierung. Ich arbeite etwa ein Drittel meiner Arbeitszeit außerhalb meines Schreibtischs. Zwischen Terminen an der Hochschule, bei Auftraggebern, bei Gesprächspartnern und beim WDR verbringe ich viel Zeit in unterschiedlichsten Formen der Gastronomie, vom Zugrestaurant über die Eckkneipe bis zum Szene-Café. Solange das Heißgetränk stimmt, kann ich meinen Gedanken und Aufgaben im Stehen an der Theke oder auch im Sitzen (mit oder ohne Tisch) nachgehen. Ich kann mich mit meinen Kopfhörern vollständig darauf konzentrieren und jegliches Umfeld ausblenden. Deshalb nehme ich für einen herausragenden Espresso sämtliche Abstriche in Kauf, die denkbar sind: schlechter Service, unbequeme Stühle, keine Tische, kein W-LAN, Lärm, unverschämte Preise.
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Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Hauptgang: Biedermeier
Aktuelle Tendenzen des Designs in der Gastronomie
Gastronomien sind hervorragende, meist unterschätzte Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen. Wie ein sensibel eingestellter Seismograph reagieren sie auf neue Strömungen, die sich anfangs nur aus wenigen, isolierten Impulsen speisen. Ein feinfühliger Gastronom nimmt diese Veränderungen im Verhalten, den Vorlieben und Wünschen von zuerst wenigen Menschen wahr und übersetzt sie synthetisierend in einen Ort, der diesem Neuen mit allen Sinnen einen Raum bietet.
Gleichzeitig verstärken Gastronomien diese Einflüsse auch, sie machen sie sichtbar, greifbar und erlebbar, so dass sie innerhalb kurzer Zeit für ein breiteres Publikum attraktiv werden. Ein Trend entsteht. Denn in der Gastronomie muss der Umsatz an jedem Tag stimmen, und Abwanderung der Kundschaft macht sich augenblicklich bemerkbar. Andere Branchen können eine schwächere Saison verkraften, in der Gastronomie leitet aber ein Rückgang der Beliebtheit bei der Kernzielgruppe eine Spirale des Niedergangs ein.
Gegenwärtig ist der Trend unübersehbar, dass die Gastronomie zum Wohnzimmer mutiert. Großmutters Sofa mit Tapete und nierenförmigem Couchtisch hat den traditionellen Wirtshaus-Esstisch mit oder ohne Tischdecke für zwei oder vier Personen abgelöst. Daran ist zweierlei bemerkenswert.
Erstens sagt es sehr viel über unser gegenwärtiges Verhältnis von privater und öffentlicher Sphäre aus. Das Öffentliche wird jetzt inszeniert wie das Private. Dabei handelt es sich aber gerade nicht um eine zeitgenössische Inszenierung. Das überrascht, denn traditionell war die Moderne darauf ausgerichtet, in der Gegenwart stattzufinden: das Jetzt war wichtiger als das Vorher, und das Jetzt wurde verstanden als ein Schritt ins Morgen, der möglichst schnell zurückgelegt werden sollte. Warum noch auf die Zukunft warten? Viel wichtiger als das Herkommen war der Moderne das Hinkommen, das Gestalten einer besseren Zukunft. Wir lernen daraus, dass die Moderne längst hinter uns liegt. (Das gilt auch für die Postmoderne, die sich nur als Variation bzw. Korrektur der Moderne verstanden hat.) – Dass die Kulisse der Gastronomie aus Versatzstücken besteht, die der Vergangenheit entrissen sind, verdeutlicht, wie wichtig uns das Vertraute geworden ist (anstelle des Ungewissen der Zukunft). Allerdings sind es nicht die Dinge, die wir von unseren Eltern kennen, sondern von unseren Großeltern. Sie entstammen einer Zeit, in der die Dimensionen des Einflusses und der Auswirkungen noch überschaubar waren: Die Zeit war noch nicht so beschleunigt wie heute, die Informationen wurden noch per Brief übermittelt, und für eine Reaktion hatte man ein paar Tage Aufschub. Selbstverständlich ist uns bewusst, dass diese Zeit unwiederbringlich vorüber ist. Doch die Dinge, die damit verknüpft sind, erinnern uns daran, wie gemütlich das aus heutiger Sicht gewesen ist. Diese Nostalgie mag ironisch gebrochen oder sentimental ernst gemeint sein, in jedem Fall verweist sie darauf, dass wir uns angesichts der Komplexität unserer Gegenwart lieber an die Messingleisten der Vergangenheit schmiegen als dass wir uns der Verantwortung stellen, die Zukunft auch dadurch zu gestalten, dass wir für die neuen Erscheinungsformen z.B. des Digitalen auch neue kulturelle Formen finden. – Wie sehr die Sphären des Privaten und des Öffentlichen zunehmend verschmelzen, zeigt sich auch an den Verhaltensweisen: Kleidung und Umgangsformen des Privaten verdrängen solche, die dem öffentlichen und gesellschaftlichen Ritual vorbehalten waren. Dadurch entsteht heute immer dann eine peinliche Unsicherheit, was zu tragen und was zu tun sei, wenn man zu einem immer seltener gewordenen Anlass zusammenkommt, bei dem diese traditionellen Formen noch erwartet werden (z.B. Hochzeiten oder Absolventenfeiern). –
Zweitens sagt das Café im Wohnzimmerlook sehr viel über unser gegenwärtiges Verhältnis von Arbeit und Freizeit aus. Vor einer Dekade lösten sich die gefestigten Strukturen der Dienstleistungsarbeit so weit auf, dass Home Office in der Breite möglich wurde. Jetzt sind die technischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Zusammenhänge so weit atomisiert und von einander entkoppelt, dass das Office in die Gastronomie als einen Bereich verlagert wird, der bis dato der Freizeit vorbehalten war. Wir beobachten staunend die Ökonomisierung des Minutentakts by public demand. Solange im Café Brot (mit Kaffee) und Spiele (via W-LAN) zur geboten werden, erliegt diese Generation der Selbstausbeuter der Illusion, sie verwirkliche ihre Interessen. Ein Blick in den Wirtschaftsteil der Zeitung könnte hier eine neue Sichtweise eröffnen.
In welche Richtung sich die gegenwärtige gestalterische Tendenz entwickeln wird, ist nicht vorhersehbar. Viele Indizien sprechen für die Annahme, dass sich mittelfristig nur an der Oberfläche ein paar Änderungen vollzogen werden, während sich substantiell auf längere Zeit kaum etwas ändern wird, weil die zugrunde liegenden Faktoren (Ziele, Wünsche, Erwartungen und Sehnsüchte der Menschen) sich im Kollektiv nur langsam bewegen.
Mir persönlich ist die Qualität des Espressos wichtiger als die gastronomische Inszenierung. Ich arbeite etwa ein Drittel meiner Arbeitszeit außerhalb meines Schreibtischs. Zwischen Terminen an der Hochschule, bei Auftraggebern, bei Gesprächspartnern und beim WDR verbringe ich viel Zeit in unterschiedlichsten Formen der Gastronomie, vom Zugrestaurant über die Eckkneipe bis zum Szene-Café. Solange das Heißgetränk stimmt, kann ich meinen Gedanken und Aufgaben im Stehen an der Theke oder auch im Sitzen (mit oder ohne Tisch) nachgehen. Ich kann mich mit meinen Kopfhörern vollständig darauf konzentrieren und jegliches Umfeld ausblenden. Deshalb nehme ich für einen herausragenden Espresso sämtliche Abstriche in Kauf, die denkbar sind: schlechter Service, unbequeme Stühle, keine Tische, kein W-LAN, Lärm, unverschämte Preise.
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Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.