Beitrag für: Diez Office. Full House. Katalog zur Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst, hg. von Sandra Hofmeister und Petra Hesse. Köln 2017.
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Christian Gärtner, Sie haben ab 1999 gemeinsam mit Robert Volhard in Frankfurt Stylepark aufgebaut. Wie sind Sie mit Stefan Diez in Kontakt gekommen?
Wir waren permanent auf der Suche nach jungen Gestaltern, die an spannenden Projekten arbeiteten. Deshalb haben wir uns unter anderem alles in der Szene angesehen, was uns interessant erschienen. Eine Ausstellung in der Neuen Sammlung in München, an der Stefan Diez beteiligt war, hat mich unmittelbar begeistert. Mir hat auch der Mensch als Typ sofort eingeleuchtet.
Wie kam es dann zum ersten gemeinsam Projekt?
Ab 2004 haben wir intensiv Strategieberatung für Designunternehmen durchgeführt, unter anderem für den Schalterhersteller Merten. Im Kern drehten sich unsere Überlegungen um die Frage: Wie integriert man die Herausforderungen, die durch neue Technologien und die Digitalisierung – bis hin zu beispielsweise smarten Partikeln – entstehen, so dass daraus sinnvolle Produkte hervorgehen? Die Antwort auf diese Frage kann ja gerade nicht darin bestehen, lediglich das Neue, Digitale bloß zum bereits Bestehende hinzuzufügen. Addition ist keine Integration. Wir waren damals davon überzeugt (und ich bin es noch heute), dass eine Transformation existierender Produkte zu einer neuen Typologie führen muss. Ganz einfach.
Ist das nicht immer die Frage im Design: Wann hat sich eine bestehende Typologie überholt, weil die Form nicht mehr den Anforderungen der Gegenwart genügt, sondern nur noch auf die Lösung früherer Anforderungen verweist?
So ist es. Und doch sieht die Wirklichkeit in vielen Unternehmen anders aus. Sie agieren zu oft nach dem Motto: »Add on!« Nächstes Feature draufpacken! Und etwas ganz anderes habe ich in der besagten Ausstellung gesehen: Da präsentierte sich Stefan Diez als ein Designer, der die Industrie an ihre Grenzen treibt. Der ihre Grenzen verschieben will. Sein Anspruch besteht darin, die tragenden, langfristigen Prozesse zu verändern. Das war damals schon sichtbar.
Stichwort Sichtbarkeit: Reden wir über die unsichtbaren Projekte von Stefan Diez. Was war die Aufgabe bei Merten?
Dieser Auftraggeber repräsentiert die klassische mittelständische Industrie: Hervorgegangen aus dem Werkzeugbau, tief lokal verwurzelt, hochstandardisierte Produkte, die durch Verordnung und Gesetze auf national scharf abgegrenzten und geschützten Märkten angeboten werden. Unsere Zusammenarbeit in diesem Projekt hat sich über fünf Jahre erstreckt. Am Anfang dieses Strategieprozesses, an dem auch Designer wie Konstantin Grcic oder Architekten wie Jürgen Mayer H. beteiligt waren, entwickelt die Unternehmensführung ein Verständnis dafür, dass sich der Schalter komplett verändert wird, weil die traditionelle Modularisierung durch die Digitalisierung unter Druck geraten würde. Der Schalter als Objekt würde sich auflösen und von Sensoren verdrängt werden, das zeichnete sich damals schon ab, und heute ist es längst offensichtlich. Die Lösung bestand in der Spezialisierung innerhalb einer Nische. Merten wollte sich in Richtung Architektur entwickeln. Schließlich wurde es augenscheinlich, dass das Unternehmen bis dahin im Grunde noch nie über seine Produkte bis zum Ende nachgedacht hatte. An diesem Punkt bezogen wir Stefan Diez mit der Frage ein, ob er sich vorstellen könnte, gemeinsam ein neues Schaltersortiment zu entwickeln. Angesichts des ungeheuren Umfangs aller Elemente war dieser Gedanke ziemlich ambitioniert. Nur ein Beispiel zur Veranschaulichung: Es gibt allein bis zu 270 unterschiedliche Funktionen, die durch modulare Einsätze in die Schalter realisiert werden müssen.
Worin bestand die Ambition, und wie hat Stefan Diez darauf reagiert?
Zur ersten Frage: Wir wollten das Design als Hebel für die gesamte Strategie des Unternehmens einsetzen. Das Design sollte nicht der Verhübscher von Oberflächen am Ende des Prozesses sein, sondern als integraler Bestandteil des Unternehmens wirken. Aus herkömmlicher betriebswirtschaftlicher Sicht klingt dieser Anspruch wie unverhohlener Größenwahn. Aber diesen Anspruch teilt Stefan Diez. Somit zur zweiten Frage: Stefan Diez strahlte die Botschaft an alle Beteiligten aus: »Wir ziehen das bis zum Ende durch. Wir stehen alle Höhen und Tiefen durch.« Er verfügt allerdings auch über die notwendigen persönlichen Ressourcen, vor allem Durchsetzungswille und Entscheidungskraft, damit solche Projekte realisiert werden können. Widerstände von Ingenieuren etwa, die ganz natürlich sind, wurden rasch ad acta gelegt, weil Stefan Diez einen erfrischenden, ansteckenden Pragmatismus an den Tag legt. Unter dem Stichwort des Unsichtbaren steht für mich hier unter dem Strich: Stefan Diez hat einen Spirit im Unternehmen entfesselt, der sich mit der Aufbruchstimmung der 1970er Jahre vergleichen lässt, als im Zuge der Modularisierung erstmals darüber nachgedacht wurde, das Produkt grundsätzlich neu und weiter zu entwickeln. Gemeinsam konnten wir immer wieder den Unternehmern und Managern verdeutlichen, warum sie dieses Risiko eines komplett neuen Weges eingehen müssen. Diese Kombination habe ich mit keinem anderen Designer erlebt. Es ist wie bei Körperspannung: Wie hält man den Enthusiasmus so aufrecht, dass alle Stakeholder an die Vision glauben und sich durch Zweifel, Kosten, Scheitern und Mühen nicht vom gemeinsamen Weg abbringen lassen? Das geht bis zum Selbstbetrug: Wir haben uns an vielen Stellen im Projekt die Situation schön geredet, um nicht aufzugeben, so dass die Euphorie alle weiter getragen hat.
Warum wurde das Projekt nicht abgeschlossen?
Das Unternehmen wurde an einen Konzern verkauft. In einer solchen Organisation herrscht eine andere, vom Controlling dominierte Logik. Für unsere strategischen Ambitionen ernteten wir nur Unverständnis.
Für Vorwerk haben Sie gemeinsam fast sechs Jahre gearbeitet. Worin bestand das Projekt?
Es ging um den Sortimentsaufbau. Die Umstände dafür sind äußerst herausfordernd, denn Vorwerk hat durch seinen direkten Vertriebsweg im Laufe der Jahrzehnte Produktklassiker geschaffen. Das kann man sich nur mit einem schiefen Vergleich klarmachen: Als ob der Porsche 911 nur deshalb so lange produziert worden wäre, weil er auf eine bestimmte Art vertrieben würde. Die Voraussetzung für einen erfolgreichen Verkauf beim Direktvertrieb lautet: Man sollte nie mehr als ein Produkt dabei haben, denn dann könnte der Kunde sagen: »Ich muss mir das nochmal überlegen und entscheide mich später.« Es gibt also nur den einen Kobold und den einen Thermomix, technisch perfekte Geräte.
Worin bestand dann noch ein Spielraum fürs Design?
Es war schon klar, dass die Produkte ihre klare Linie verloren hatten. Ästhetisch lag manches im argen, aber das ist ja nur die Oberfläche, im Grund ging es doch um andere Themen. Wir haben einen rigorosen Prozess eröffnet, um Designprinzipien erneut zu verankern, die der Klassik des Produktes auch entsprechen: Unpassende Farbentscheidungen wurden aufgehoben, typografische Details wurden geklärt. Es hatten sich schlichtweg im Laufe der Jahre viele Kleinigkeiten angesammelt, die der technischen Qualität des Produkts nicht mehr die angemessene äußere Darstellung boten. Es hatte auch dazu geführt, dass die Semantik nicht mehr eindeutig und unmittelbar verständlich war.
Im Haushalt hat sich ja nicht nur Technik geändert. Die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit heute ist doch in wesentlichen Aspekten anders als vor zwei, drei Jahrzehnten. Welchen Einfluss haben diese Veränderungen auf Euren Designprozess ausgeübt?
Vorwerk ist traditionell verankert im Klischee der Haushaltsführung durch eine Hausfrau. Man könnte Loriot zur Illustration bemühen. Aber genauso, wie eine junge Generation darüber nicht mehr lachen kann, ist auch die Grundlage des ehemals gültigen Verständnisses von Haushalt erodiert. Darum bestand die eigentliche Aufgabe darin, die Qualität von Vorwerk in ein aktuelles Bild des – im weiteren Sinne – familiären Zusammenlebens zu überführen. Diesem Anspruch steht der völlig berechtigte Stolz des Unternehmens auf seinen Erfolg entgegen. Um aber neue Erfolge einzufahren, müssen bewährte Kategorien aufgebrochen werden.
Wie hat Stefan Diez dann die Kernthemen von Vorwerk (Familie und Qualität) neu interpretiert?
Es war offensichtlich, wo er ansetzen musste: Beim Thermomix. Diese digitale Kochmaschine mit zwölf Funktionen unter einer Haube hat eine große Fangemeinde, die sich über Rezepte austauschen – allein in Spanien gibt es dazu fast ein Dutzend Zeitschriften. Wir haben lange kreuz und quer untereinander darüber gestritten, ob es eigentlich ein Handwerksgerät ist oder eine App. Viele Spitzenköche arbeiten mit dem Thermomix. Ist das Gerät also für diejenigen gedacht, die kochen können, oder für diejenigen, die es gerade nicht können? Muss es intuitiv zu bedienen sein oder setzt es Fachwissen voraus? Heute ist es klar: Der Kernnutzen besteht in der aktuellen Version darin, dass ich Rezepte digital laden kann und das Produkt leitet mich durch den Kochprozess. Frisches und gesundes Essen wie aus der Generation unserer Mütter und Großmütter ohne deren Vorkenntnisse und Erfahrungen. Denn in den letzten drei Jahrzehnten beherrschen viele Frauen insbesondere in Südeuropa durch ihre Berufstätigkeit das Kochen nicht mehr so, wie es aber das gesellschaftliche Ideal immer noch postuliert. Deshalb wollte Stefan Diez beim Thermomix mit den überholten Typologien des Kochutensils brechen: Der Topf sollte nicht betont, das Handwerkliche nicht konturiert werden. Der Topf ist völlig irrelevant, entscheidend ist die Integration des Digitalen. Diese Botschaft hat Vorwerk intern aufgenommen, und einige dieser Impulse sind beim aktuellen Gerät auch noch sichtbar.
Ist das Ende der Zusammenarbeit erneut auf Unverständnis zurückzuführen?
Keineswegs, ganz im Gegenteil! Aber jede Organisation hat ein Immunsystem, und Designer oder Berater von außen bleiben Fremdkörper. Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die innere Hygiene einer Organisation dafür sorgt, dass man keinen Platz mehr hat, und das muss man auch akzeptieren. Mangelndes Verständnis, oder vielleicht genauer: fehlende Weitsicht hat aber dazu geführt, dass aus einem dritten gemeinsamen Projekt außer wunderschönen Skizzen von Stefan Diez nichts geworden ist. Er hat einen Hersteller von Kaffeefiltern schon 2009 mit der Vorhersage konfrontiert, dass die Zeremonie des Kaffeekochens mit Filtern wieder entdeckt werden würde. Dass der Kaffee aus seiner Commodity-Kapsel befreit werden müsse. Leider wollte das Unternehmen das nicht hören, sie wollten ein Designkonzept für eine Kapselmaschine von ihm haben. Sehr schade, denn drei Jahre später hat der Filterkaffee weltweit seine Wiederauferstehung gefeiert – der Entwurf von Stefan Diez wäre zum perfekten Zeitpunkt auf dem Markt gewesen. Oft sind seine Ambitionen größer als der Veränderungswille der Unternehmen.
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Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Unsichtbare Ambition
Beitrag für: Diez Office. Full House. Katalog zur Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst, hg. von Sandra Hofmeister und Petra Hesse. Köln 2017.
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Christian Gärtner, Sie haben ab 1999 gemeinsam mit Robert Volhard in Frankfurt Stylepark aufgebaut. Wie sind Sie mit Stefan Diez in Kontakt gekommen?
Wir waren permanent auf der Suche nach jungen Gestaltern, die an spannenden Projekten arbeiteten. Deshalb haben wir uns unter anderem alles in der Szene angesehen, was uns interessant erschienen. Eine Ausstellung in der Neuen Sammlung in München, an der Stefan Diez beteiligt war, hat mich unmittelbar begeistert. Mir hat auch der Mensch als Typ sofort eingeleuchtet.
Wie kam es dann zum ersten gemeinsam Projekt?
Ab 2004 haben wir intensiv Strategieberatung für Designunternehmen durchgeführt, unter anderem für den Schalterhersteller Merten. Im Kern drehten sich unsere Überlegungen um die Frage: Wie integriert man die Herausforderungen, die durch neue Technologien und die Digitalisierung – bis hin zu beispielsweise smarten Partikeln – entstehen, so dass daraus sinnvolle Produkte hervorgehen? Die Antwort auf diese Frage kann ja gerade nicht darin bestehen, lediglich das Neue, Digitale bloß zum bereits Bestehende hinzuzufügen. Addition ist keine Integration. Wir waren damals davon überzeugt (und ich bin es noch heute), dass eine Transformation existierender Produkte zu einer neuen Typologie führen muss. Ganz einfach.
Ist das nicht immer die Frage im Design: Wann hat sich eine bestehende Typologie überholt, weil die Form nicht mehr den Anforderungen der Gegenwart genügt, sondern nur noch auf die Lösung früherer Anforderungen verweist?
So ist es. Und doch sieht die Wirklichkeit in vielen Unternehmen anders aus. Sie agieren zu oft nach dem Motto: »Add on!« Nächstes Feature draufpacken! Und etwas ganz anderes habe ich in der besagten Ausstellung gesehen: Da präsentierte sich Stefan Diez als ein Designer, der die Industrie an ihre Grenzen treibt. Der ihre Grenzen verschieben will. Sein Anspruch besteht darin, die tragenden, langfristigen Prozesse zu verändern. Das war damals schon sichtbar.
Stichwort Sichtbarkeit: Reden wir über die unsichtbaren Projekte von Stefan Diez. Was war die Aufgabe bei Merten?
Dieser Auftraggeber repräsentiert die klassische mittelständische Industrie: Hervorgegangen aus dem Werkzeugbau, tief lokal verwurzelt, hochstandardisierte Produkte, die durch Verordnung und Gesetze auf national scharf abgegrenzten und geschützten Märkten angeboten werden. Unsere Zusammenarbeit in diesem Projekt hat sich über fünf Jahre erstreckt. Am Anfang dieses Strategieprozesses, an dem auch Designer wie Konstantin Grcic oder Architekten wie Jürgen Mayer H. beteiligt waren, entwickelt die Unternehmensführung ein Verständnis dafür, dass sich der Schalter komplett verändert wird, weil die traditionelle Modularisierung durch die Digitalisierung unter Druck geraten würde. Der Schalter als Objekt würde sich auflösen und von Sensoren verdrängt werden, das zeichnete sich damals schon ab, und heute ist es längst offensichtlich. Die Lösung bestand in der Spezialisierung innerhalb einer Nische. Merten wollte sich in Richtung Architektur entwickeln. Schließlich wurde es augenscheinlich, dass das Unternehmen bis dahin im Grunde noch nie über seine Produkte bis zum Ende nachgedacht hatte. An diesem Punkt bezogen wir Stefan Diez mit der Frage ein, ob er sich vorstellen könnte, gemeinsam ein neues Schaltersortiment zu entwickeln. Angesichts des ungeheuren Umfangs aller Elemente war dieser Gedanke ziemlich ambitioniert. Nur ein Beispiel zur Veranschaulichung: Es gibt allein bis zu 270 unterschiedliche Funktionen, die durch modulare Einsätze in die Schalter realisiert werden müssen.
Worin bestand die Ambition, und wie hat Stefan Diez darauf reagiert?
Zur ersten Frage: Wir wollten das Design als Hebel für die gesamte Strategie des Unternehmens einsetzen. Das Design sollte nicht der Verhübscher von Oberflächen am Ende des Prozesses sein, sondern als integraler Bestandteil des Unternehmens wirken. Aus herkömmlicher betriebswirtschaftlicher Sicht klingt dieser Anspruch wie unverhohlener Größenwahn. Aber diesen Anspruch teilt Stefan Diez. Somit zur zweiten Frage: Stefan Diez strahlte die Botschaft an alle Beteiligten aus: »Wir ziehen das bis zum Ende durch. Wir stehen alle Höhen und Tiefen durch.« Er verfügt allerdings auch über die notwendigen persönlichen Ressourcen, vor allem Durchsetzungswille und Entscheidungskraft, damit solche Projekte realisiert werden können. Widerstände von Ingenieuren etwa, die ganz natürlich sind, wurden rasch ad acta gelegt, weil Stefan Diez einen erfrischenden, ansteckenden Pragmatismus an den Tag legt. Unter dem Stichwort des Unsichtbaren steht für mich hier unter dem Strich: Stefan Diez hat einen Spirit im Unternehmen entfesselt, der sich mit der Aufbruchstimmung der 1970er Jahre vergleichen lässt, als im Zuge der Modularisierung erstmals darüber nachgedacht wurde, das Produkt grundsätzlich neu und weiter zu entwickeln. Gemeinsam konnten wir immer wieder den Unternehmern und Managern verdeutlichen, warum sie dieses Risiko eines komplett neuen Weges eingehen müssen. Diese Kombination habe ich mit keinem anderen Designer erlebt. Es ist wie bei Körperspannung: Wie hält man den Enthusiasmus so aufrecht, dass alle Stakeholder an die Vision glauben und sich durch Zweifel, Kosten, Scheitern und Mühen nicht vom gemeinsamen Weg abbringen lassen? Das geht bis zum Selbstbetrug: Wir haben uns an vielen Stellen im Projekt die Situation schön geredet, um nicht aufzugeben, so dass die Euphorie alle weiter getragen hat.
Warum wurde das Projekt nicht abgeschlossen?
Das Unternehmen wurde an einen Konzern verkauft. In einer solchen Organisation herrscht eine andere, vom Controlling dominierte Logik. Für unsere strategischen Ambitionen ernteten wir nur Unverständnis.
Für Vorwerk haben Sie gemeinsam fast sechs Jahre gearbeitet. Worin bestand das Projekt?
Es ging um den Sortimentsaufbau. Die Umstände dafür sind äußerst herausfordernd, denn Vorwerk hat durch seinen direkten Vertriebsweg im Laufe der Jahrzehnte Produktklassiker geschaffen. Das kann man sich nur mit einem schiefen Vergleich klarmachen: Als ob der Porsche 911 nur deshalb so lange produziert worden wäre, weil er auf eine bestimmte Art vertrieben würde. Die Voraussetzung für einen erfolgreichen Verkauf beim Direktvertrieb lautet: Man sollte nie mehr als ein Produkt dabei haben, denn dann könnte der Kunde sagen: »Ich muss mir das nochmal überlegen und entscheide mich später.« Es gibt also nur den einen Kobold und den einen Thermomix, technisch perfekte Geräte.
Worin bestand dann noch ein Spielraum fürs Design?
Es war schon klar, dass die Produkte ihre klare Linie verloren hatten. Ästhetisch lag manches im argen, aber das ist ja nur die Oberfläche, im Grund ging es doch um andere Themen. Wir haben einen rigorosen Prozess eröffnet, um Designprinzipien erneut zu verankern, die der Klassik des Produktes auch entsprechen: Unpassende Farbentscheidungen wurden aufgehoben, typografische Details wurden geklärt. Es hatten sich schlichtweg im Laufe der Jahre viele Kleinigkeiten angesammelt, die der technischen Qualität des Produkts nicht mehr die angemessene äußere Darstellung boten. Es hatte auch dazu geführt, dass die Semantik nicht mehr eindeutig und unmittelbar verständlich war.
Im Haushalt hat sich ja nicht nur Technik geändert. Die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit heute ist doch in wesentlichen Aspekten anders als vor zwei, drei Jahrzehnten. Welchen Einfluss haben diese Veränderungen auf Euren Designprozess ausgeübt?
Vorwerk ist traditionell verankert im Klischee der Haushaltsführung durch eine Hausfrau. Man könnte Loriot zur Illustration bemühen. Aber genauso, wie eine junge Generation darüber nicht mehr lachen kann, ist auch die Grundlage des ehemals gültigen Verständnisses von Haushalt erodiert. Darum bestand die eigentliche Aufgabe darin, die Qualität von Vorwerk in ein aktuelles Bild des – im weiteren Sinne – familiären Zusammenlebens zu überführen. Diesem Anspruch steht der völlig berechtigte Stolz des Unternehmens auf seinen Erfolg entgegen. Um aber neue Erfolge einzufahren, müssen bewährte Kategorien aufgebrochen werden.
Wie hat Stefan Diez dann die Kernthemen von Vorwerk (Familie und Qualität) neu interpretiert?
Es war offensichtlich, wo er ansetzen musste: Beim Thermomix. Diese digitale Kochmaschine mit zwölf Funktionen unter einer Haube hat eine große Fangemeinde, die sich über Rezepte austauschen – allein in Spanien gibt es dazu fast ein Dutzend Zeitschriften. Wir haben lange kreuz und quer untereinander darüber gestritten, ob es eigentlich ein Handwerksgerät ist oder eine App. Viele Spitzenköche arbeiten mit dem Thermomix. Ist das Gerät also für diejenigen gedacht, die kochen können, oder für diejenigen, die es gerade nicht können? Muss es intuitiv zu bedienen sein oder setzt es Fachwissen voraus? Heute ist es klar: Der Kernnutzen besteht in der aktuellen Version darin, dass ich Rezepte digital laden kann und das Produkt leitet mich durch den Kochprozess. Frisches und gesundes Essen wie aus der Generation unserer Mütter und Großmütter ohne deren Vorkenntnisse und Erfahrungen. Denn in den letzten drei Jahrzehnten beherrschen viele Frauen insbesondere in Südeuropa durch ihre Berufstätigkeit das Kochen nicht mehr so, wie es aber das gesellschaftliche Ideal immer noch postuliert. Deshalb wollte Stefan Diez beim Thermomix mit den überholten Typologien des Kochutensils brechen: Der Topf sollte nicht betont, das Handwerkliche nicht konturiert werden. Der Topf ist völlig irrelevant, entscheidend ist die Integration des Digitalen. Diese Botschaft hat Vorwerk intern aufgenommen, und einige dieser Impulse sind beim aktuellen Gerät auch noch sichtbar.
Ist das Ende der Zusammenarbeit erneut auf Unverständnis zurückzuführen?
Keineswegs, ganz im Gegenteil! Aber jede Organisation hat ein Immunsystem, und Designer oder Berater von außen bleiben Fremdkörper. Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die innere Hygiene einer Organisation dafür sorgt, dass man keinen Platz mehr hat, und das muss man auch akzeptieren. Mangelndes Verständnis, oder vielleicht genauer: fehlende Weitsicht hat aber dazu geführt, dass aus einem dritten gemeinsamen Projekt außer wunderschönen Skizzen von Stefan Diez nichts geworden ist. Er hat einen Hersteller von Kaffeefiltern schon 2009 mit der Vorhersage konfrontiert, dass die Zeremonie des Kaffeekochens mit Filtern wieder entdeckt werden würde. Dass der Kaffee aus seiner Commodity-Kapsel befreit werden müsse. Leider wollte das Unternehmen das nicht hören, sie wollten ein Designkonzept für eine Kapselmaschine von ihm haben. Sehr schade, denn drei Jahre später hat der Filterkaffee weltweit seine Wiederauferstehung gefeiert – der Entwurf von Stefan Diez wäre zum perfekten Zeitpunkt auf dem Markt gewesen. Oft sind seine Ambitionen größer als der Veränderungswille der Unternehmen.
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