Wenn der Druck auf die Räume steigt und die Wohnungen in urbanen Lagen deswegen schrumpfen, steht weniger Platz für die Dinge zur Verfügung. Ihr Verschwinden ins Digitale hat bereits begonnen. René Spitz kommentiert die Folgen dieser Transformation. Veröffentlichung als Kolumne »Spot on Design« in md 1/2018.
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Jetzt ist also Mikro dran. Auch Mikro wird von der Retro-Klatsche erlegt werden, wie schon so vieles zuvor: Was die Retro-Klatsche erwischt, wird nochmal aus der Versenkung hervorgeholt und auf den Sockel gestellt, unters Scheinwerferlicht gerückt, durch den güldenen Schimmer der Nostalgie aufgewärmt – aber dann schwappt die Retrowelle weiter, spült das nächste Etikett aus dem Atlantis von vorgestern an die Oberflächen von heute, und so weiter.
Jetzt also Mikro. Mikrofilme, Mikrocomputer und Mikroprozessoren waren mal technische Avantgarde, Vorboten eines Fortschritts, der sich längst selbst überholt hat. Es waren staunenswerte Verkleinerungen modernster Möglichkeiten: So viel Errungenschaften der Ingenieure auf so wenig Platz! Und wo das wohl hinführt, wenn das alles immer kleiner und kleiner wird?
Im Design haben die Theoretikerinnen und Theoretiker schon lange über das Verschwinden der Dinge gesprochen. Aber ihre Reden verhallten, wenn auch nicht ungehört, so doch ohne Resonanz. Gedanken über das Verschwinden der Dinge waren einfach nicht verständlich. Gab es nicht ganz im Gegenteil immer mehr Dinge, sogar zuviel Dinge, war nicht das Anwachsen der Müllberge aus weggeworfenen Dingen offensichtlich? Das Verschwinden der Dinge wurde erst begreiflich, als die Geräte des Alltags plötzlich ohne die vertrauten handgreiflichen Steuerungen zu bedienen waren: Telefone ohne Tasten, Herde ohne Knöpfe, Beleuchtungen ohne Schalter, Türen ohne Griffe. Die Ironie dieser Geschichte: Erst in dem Moment, als auch das Interface verschwand, verstanden die meisten Menschen, was die Designerinnen und Designer mit ihrer Rede vom Interface die ganze Zeit über gemeint hatten (allerdings ist »Schnittstelle der Mensch-Maschine-Interaktion« nicht wirklich eingängig).
Von den Dingen wird heute immer weniger gesprochen. Denn sie verschwinden auch begrifflich zunehmend hinter ihrem Nutzen, ihrer hilfreichen, freudespendenden oder unterhaltenden Anwendung. Die flache Glasscheibe in unser aller Hosentasche ist zugleich, was einmal Schreibmaschine, Fotokamera, Filmkamera, Telefon, Spielbrett, Lautsprecher, Radio, Tonbandgerät und Einkaufswagen waren. Deren materielle Erscheinungen sind verschwunden, aber ihre Anwendungen werden als visuelle Projektionen mit einem einzigen Fingerstreich herbei- und fortgewischt. Die vielen Alltagsdinge sind ersetzt durch wenige Fetische, denen wir verfallen sind und im permanenten Ritual als kultischer Handlung huldigen. –
Der nächste große Ort, der durch das Verschwinden der Dinge transformiert wird, ist die Wohnung. Micro Housing, die Miniaturisierung des privaten Lebensraums, beschreibt nur die letzte Schwundstufe einer überkommenen Vorstellung von Privatsphäre. Die Räume werden nicht verschwinden. Aber ihre Oberflächen werden in einer Weise transformiert werden, deren neue Eigenheitens wir erst dann begreifen können, wenn die Transformation abgeschlossen und unumkehrbar sein wird. Wie es beim Interface war.
Im Moment spricht alles dafür, dass dieser neue Zustand auch durch die Auflösung der Privatsphäre gekennzeichnet sein wird. Die Mikrowohnung, der technologisch aufgerüstete, sozusagen intelligente Wohnraum auf geschrumpfter Fläche, scheint das Gebot der Stunde zu sein angesichts der dramatischen Situation auf den Immobilienmärkten in vielen Städten. Und doch spricht vieles dafür, dass es sich bei dieser Vokabel um das rhetorische trojanische Pferd für dein Einzug neuer Technologien mit disruptiver Energie handelt. Danach werden wir unsere Wohnungen nicht mehr wiedererkennen.
Kein Grund für Retro-Sentimentalität! Intelligent wäre es nur, wenn wir bis dahin aus dem Verschwinden der Dinge und dem Verschwinden der Begriffe noch rechtzeitig so viel gelernt haben, dass am Ende nicht auch unser Vertrauen in ein gedeihliches Zusammenleben der Gesellschaft verschwunden sein wird.
Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Spot on Design: Mit einem Wisch ist alles weg
Wenn der Druck auf die Räume steigt und die Wohnungen in urbanen Lagen deswegen schrumpfen, steht weniger Platz für die Dinge zur Verfügung. Ihr Verschwinden ins Digitale hat bereits begonnen. René Spitz kommentiert die Folgen dieser Transformation. Veröffentlichung als Kolumne »Spot on Design« in md 1/2018.
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Jetzt ist also Mikro dran. Auch Mikro wird von der Retro-Klatsche erlegt werden, wie schon so vieles zuvor: Was die Retro-Klatsche erwischt, wird nochmal aus der Versenkung hervorgeholt und auf den Sockel gestellt, unters Scheinwerferlicht gerückt, durch den güldenen Schimmer der Nostalgie aufgewärmt – aber dann schwappt die Retrowelle weiter, spült das nächste Etikett aus dem Atlantis von vorgestern an die Oberflächen von heute, und so weiter.
Jetzt also Mikro. Mikrofilme, Mikrocomputer und Mikroprozessoren waren mal technische Avantgarde, Vorboten eines Fortschritts, der sich längst selbst überholt hat. Es waren staunenswerte Verkleinerungen modernster Möglichkeiten: So viel Errungenschaften der Ingenieure auf so wenig Platz! Und wo das wohl hinführt, wenn das alles immer kleiner und kleiner wird?
Im Design haben die Theoretikerinnen und Theoretiker schon lange über das Verschwinden der Dinge gesprochen. Aber ihre Reden verhallten, wenn auch nicht ungehört, so doch ohne Resonanz. Gedanken über das Verschwinden der Dinge waren einfach nicht verständlich. Gab es nicht ganz im Gegenteil immer mehr Dinge, sogar zuviel Dinge, war nicht das Anwachsen der Müllberge aus weggeworfenen Dingen offensichtlich?
Das Verschwinden der Dinge wurde erst begreiflich, als die Geräte des Alltags plötzlich ohne die vertrauten handgreiflichen Steuerungen zu bedienen waren: Telefone ohne Tasten, Herde ohne Knöpfe, Beleuchtungen ohne Schalter, Türen ohne Griffe. Die Ironie dieser Geschichte: Erst in dem Moment, als auch das Interface verschwand, verstanden die meisten Menschen, was die Designerinnen und Designer mit ihrer Rede vom Interface die ganze Zeit über gemeint hatten (allerdings ist »Schnittstelle der Mensch-Maschine-Interaktion« nicht wirklich eingängig).
Von den Dingen wird heute immer weniger gesprochen. Denn sie verschwinden auch begrifflich zunehmend hinter ihrem Nutzen, ihrer hilfreichen, freudespendenden oder unterhaltenden Anwendung. Die flache Glasscheibe in unser aller Hosentasche ist zugleich, was einmal Schreibmaschine, Fotokamera, Filmkamera, Telefon, Spielbrett, Lautsprecher, Radio, Tonbandgerät und Einkaufswagen waren. Deren materielle Erscheinungen sind verschwunden, aber ihre Anwendungen werden als visuelle Projektionen mit einem einzigen Fingerstreich herbei- und fortgewischt. Die vielen Alltagsdinge sind ersetzt durch wenige Fetische, denen wir verfallen sind und im permanenten Ritual als kultischer Handlung huldigen. –
Der nächste große Ort, der durch das Verschwinden der Dinge transformiert wird, ist die Wohnung. Micro Housing, die Miniaturisierung des privaten Lebensraums, beschreibt nur die letzte Schwundstufe einer überkommenen Vorstellung von Privatsphäre. Die Räume werden nicht verschwinden. Aber ihre Oberflächen werden in einer Weise transformiert werden, deren neue Eigenheitens wir erst dann begreifen können, wenn die Transformation abgeschlossen und unumkehrbar sein wird. Wie es beim Interface war.
Im Moment spricht alles dafür, dass dieser neue Zustand auch durch die Auflösung der Privatsphäre gekennzeichnet sein wird. Die Mikrowohnung, der technologisch aufgerüstete, sozusagen intelligente Wohnraum auf geschrumpfter Fläche, scheint das Gebot der Stunde zu sein angesichts der dramatischen Situation auf den Immobilienmärkten in vielen Städten. Und doch spricht vieles dafür, dass es sich bei dieser Vokabel um das rhetorische trojanische Pferd für dein Einzug neuer Technologien mit disruptiver Energie handelt. Danach werden wir unsere Wohnungen nicht mehr wiedererkennen.
Kein Grund für Retro-Sentimentalität! Intelligent wäre es nur, wenn wir bis dahin aus dem Verschwinden der Dinge und dem Verschwinden der Begriffe noch rechtzeitig so viel gelernt haben, dass am Ende nicht auch unser Vertrauen in ein gedeihliches Zusammenleben der Gesellschaft verschwunden sein wird.
Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.