A Face of Second Modernity: The Braun Design 1951–1957
29. Oktober 2019
Beitrag zur Ausstellung im China Design Museum of CAA (China Academy of Art), Hangzhou, 29. Oktober 2019 bis 29. Januar 2020
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Der Entwurf eines modernen Unternehmens. Otl Aichers Beitrag zum Braun-Design
Otl Aicher (geb. 1922 in Ulm; gest. 1991 in Günzburg) zählt zu den bedeutendsten Designern der westlichen Industrienationen im 20. Jahrhundert. Seine Bedeutung speist sich aus vier Faktoren: (1) seine Leistungen als Gestalter, (2) sein Engagement für die Gründung und den Betrieb der Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm und damit zur Formierung des immer noch aktuellen Berufsbilds im Design, (3) seine Beiträge zur Designtheorie und (4) sein Einfluss auf gegenwärtige Designer.
Historischer Kontext: Die Zerstörung der Welt durch das Irrationale Als Otl Aicher zehn Jahre alt war, gelangten die Nationalsozialisten an die Macht. Während seiner gesamten Jugend waren ihre körperliche Brutalität, unmenschliche Rücksichtslosigkeit und intellektuelle Beschränktheit allgegenwärtig. Aber das Regime der Nazis (1933 – 1945) war nicht einfach nur böse und niederträchtig. Denn die Nazis verstanden es, viele Facetten zu integrieren, die auf den ersten Blick gegensätzlich erscheinen. Für den Fortschritt der technischen Moderne (z.B. Radio, Auto, Flugzeug) fanden sie ebenso einen Platz wie auch für die Befriedigung der sentimentalen Sehnsucht vieler enttäuschter und verzweifelter Menschen nach einer überschaubaren und übersichtlichen »Volksgemeinschaft«, die einem angeblich mittelalterlichem Vorbild folgte. Die Nazis waren äußerst erfolgreich darin, das Bild einer solchen rückwärtsgewandten Utopie zu malen. Ihre Attraktivität bestand im Lösungsversprechen von einfachen Antworten und starken Sicherheiten für eine verwirrend komplexe und dynamische Gegenwart, in der sich der Einzelne schwach und machtlos ausgeliefert empfand. Otl Aicher hatte schon als Jugendlicher die Kraft, sich den permanenten und omnipräsenten Verlockungen der Nazi-Propaganda zu widersetzen. Er war auch dazu bereit, die Konsequenzen zu tragen: Als einer von nur sechs Schülern des Landes Württemberg weigerte er sich, der Organisation der Hitler-Jugend beizutreten. Deshalb durfte er das Abitur nicht ablegen. Zu den Jugendfreunden Otl Aichers zählten die Kinder der Familie Scholl in Ulm. Sophie Scholl bezeichnete er später als seine Jugendliebe. Sophie und ihr älterer Bruder Hans Scholl schlossen sich der Widerstandsgruppe »Die Weiße Rose« an. Sie verteilten Flugblätter in der Münchner Universität. Im Februar 1943 wurden sie dabei verhaftet. Wenige Tage später ermordeten die Nazis sie. Otl Aicher entging seiner eigenen Verhaftung – damit wohl auch seiner Ermordung – nur durch Glück um Haaresbreite. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs (1939 – 1945) lag die deutsche Gesellschaft in Trümmern. Die Häuser waren zerstört, die Straßen und Plätze der Städte voller Schutt und Asche. Das Land war von den vier führenden Siegermächten besetzt und aufgeteilt. Die Zerstörung erstreckte sich nicht nur auf die materielle Umwelt. Die Familien und Freunde beklagten ihre Toten und Vermissten. Darüber hinaus waren auch die geistigen Grundlagen der Gesellschaft fundamental beschädigt.
Theoretische Grundlagen: Rationale Gestaltung als politisch gebotene Moral Ohne die skizzierte Vorgeschichte ist die Geschichte der Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm und das Design Otl Aichers nicht verständlich. Denn die HfG wurde nicht gegründet, um ein ästhetisches Defizit zu beheben. Otl Aicher, Inge Scholl und Max Bill, den Gründern der HfG Ulm, ging es vielmehr darum, zur Entwicklung einer friedlichen, demokratischen und freien Gesellschaft beitragen. Otl Aicher war der Ansicht, dass die traditionelle Dominanz der Kunst für jegliche Formen der Gestaltung ein Irrtum war. Aichers Ziel bestand darin, eigenständige Kriterien für die Gestaltung von Gerätschaften und Botschaften zu formulieren, welche sich an eine breite Bevölkerung richteten. Aicher lehnte jeglichen Bezug auf historische Autoritäten und Sentimentalität als rückwärtsgewandt und politisch unverantwortlich ab. Deshalb kam es für ihn auch nicht in Frage, die Erscheinung von vornehmen Luxuswaren zu imitieren. Moderne Gebrauchsgüter sollten weder durch einen persönlichen Stil des Entwerfers, durch eine künstlerische Handschrift im Sinne einer Signatur, identifizierbar sein; noch sollten sie edle Materialien oder kostbare Verarbeitung durch Ornamente vortäuschen. Moderne Massenmedien sollten klar und deutlich informieren: Ein übersichtlicher Zugfahrplan und ein sachlich aufklärendes Plakat über die Notwendigkeit gesunder Ernährung waren aus Aichers Sicht gesellschaftlich relevanter als künstlerische Malerei. Die Qualitäten für die Gestaltung von solchen Dingen des täglichen Bedarfs für die breite Bevölkerung sollten aus einer sachlichen Analyse der Situation entwickelt werden. (Ähnliche Absichten waren zwar auch schon zuvor in der Moderne der 1920er Jahre postuliert worden, u.a. im Deutschen Werkbund und im Bauhaus Dessau. Doch Aicher sah diese Absichten nicht als realisiert an, denn letztlich hatte stets der Wertekanon der Kunst die Oberhand behalten.) Aicher strebte eine vernunftbasierte Gestaltung an, denn das Gefühl konnte als Bewertungsrahmen keine Legitimation beanspruchen: Weil die Nazis fortwährend an Emotionen appelliert hatten, war diese Dimension für Aicher diskreditiert. Aicher forderte von Gestaltung, dass sie die Menschen nicht durch Tricks manipulieren, sondern durch schlüssige Argumentation überzeugen sollte. Für die besseren Resultate sollten die besseren Gründe sprechen und nicht das Laute und Schrille, das kurzfristig Überraschende und der modische Effekt. Jegliche Tendenz zur Tarnung, zum Betrug und zur Lüge mit den Mitteln der Gestaltung lehnte er vehement ab. Der Begriff des Stils war ihm – wie allen zutiefst modernen Gestaltern – suspekt: Er wollte gerade nicht einen neuen Stil für eine neue Zeit entwickeln, wie es seit Arts and Crafts regelmäßig propagiert worden war, wodurch so absurde Etiketten wie Bauhausstil oder Maschinenstil zum Zweck der kurzfristigen Verkaufsförderung hervorgebracht wurden. Aicher beharrte darauf, dass die gesellschaftliche Verantwortung die Grundlage für die Beschäftigung mit Fragen der Gestaltung der Welt bildete. Welchen Beitrag muss Gestaltung leisten, damit die Menschen den Versuchungen eines tyrannischen, menschenverachtenden Regimes widerstehen werden? Damit etwas wie die Nazi-Zeit nicht wieder möglich wird? Aichers gestalterische Antwort auf diese Fragen könnten deshalb als eine Ästhetik der vernünftigen Sachlichkeit und des moralisch Angemessenen bezeichnet werden. An die Stelle von Symbolen und Parolen setzte Aicher das nüchterne, überzeugende Argument. Design sollte eine vernunftbasierte Tätigkeit sein. Es ging dabei nicht um Inspiration und sprudelnde Ideen, sondern um vorurteilfreies und gründliches Untersuchen des Kontexts einer Aufgabe; sachliches Gewichten und Abwägen der Analyseergebnisse; systematisches und interdisziplinäres Hervorbringen von Systemen anstelle von Unikaten. Naturwissenschaften und Technik erschienen ihm aber nicht als Selbstzweck, ihn ihnen schlummert nur das Potenzial eines effizienten Instrument einer demokratischen, freiheitlichen Gesellschaft. Um es zu heben, dürfen Techniker, Wissenschaftler und Ingenieure keine Fachidioten sein, die sich nicht für die gesellschaftlichen Zusammenhängen interessieren und nur ihr Spezialwissen abgeschottet anhäufen. Diese Überlegungen gründeten erstens auf der Diagnose, dass die (westliche) Welt seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch den historischen Prozess der Industrialisierung eine technische geworden sei, und zweitens auf der Annahme, dass diese Welt gestaltet werden könne. In Abgrenzung zu den avantgardistischen Bewegung der Moderne zog Aicher den Schluss, dass die technische Zivilisation auf der Grundlage eines neuen Verständnisses von Kultur bewältigt werden müsse: Kultur sei nicht, was nur sonntags angelegt werde wie ein besonderes Kleid und nur wenige Bereiche des Lebens betreffe (insbesondere Lyrik, Theater, Oper, klassische Musik, Malerei, Bildhauerei und Philosophie), sondern umfasse schon längst sämtliche maschinell hergestellten Gegenstände und alltäglichen Handlungen. Die Gestaltung dieser Dinge und Zusammenhänge der Industriegesellschaft müsse deshalb als kulturelle Aufgabe behandelt werden. Er prägte dafür die programmatische Formel: Die kulturelle Bewältigung der technischen Zivilisation.
Praktische Anwendung: Systemdesign für Braun Die Zusammenarbeit zwischen Otl Aicher und der Firma Braun begann im Herbst 1954. Erwin Braun und Fritz Eichler waren auf die HfG Ulm aufmerksam geworden, weil sie nach Partnern für die Lösung von gestalterischen Aufgaben suchten. Am dringendsten erschien ihnen die Neugestaltung der bisherigen Radiogeräte. Sie wünschten sich etwas, wofür sie kein Vorbild fanden: Ihre elektrischen Geräte sollten sich in ihrer Erscheinung zurückhalten wie »unaufdringliche, stille Helfer und Diener«, und ihr Aussehen sollte dem »klare(n), möglichst natürliche(n) Ton« entsprechen. Aus dem ersten persönlichen Kontakt entwickelte sich eine intensive Kooperation zwischen Braun und der HfG Ulm, die von freundschaftlichen Zügen geprägt war. Hans Gugelot entwarf in den kommenden Jahren Radios und Fernseher, die in kürzester Zeit großes Aufsehen hervorriefen. Otl Aicher konzentrierte sich auf die visuelle Information.
Die Skalen der Radios »G11« und des »exporter 2«: Interfacedesign avant la lettre Hans Gugelot entwickelte innerhalb der ersten acht Monate des Jahres 1955 ein neues Geräteprogramm für die Firma Braun, das vom 26. August bis zum 4. September 1955 in Düsseldorf auf der Deutschen Rundfunk-, Fernseh- und Phonoausstellung präsentiert wurde. Dieser Messeauftritt gilt als der Moment, von dem an sich Braun durch seine Orientierung hin zu einer modernen gestalterischen Sprache von der gesamten Konkurrenz unterschied. Parallel zu Gugelots Arbeit organisierte Otl Aicher die Skalen der Geräte von Grund auf neu. In heutiger Terminologie handelt es sich dabei um das User Interface, bei dessen Gestaltung er sich am gelernten Gebrauch orientierte und ihn neu strukturierte. Beispielhaft wird seine Gestaltung an der Skala des Radios »G11« im Vergleich zu den vorherigen Geräten der Firma Braun und zu den gleichzeitig angebotenen Geräten der Konkurrenz deutlich. Aicher sammelte alle Elemente, die angeordnet werden müssen, hierarchisierte sie und platzierte sie auf einer orthogonalen Matrix (Gestaltungsraster). Dabei handelt es sich um zwei Typen von Interaktionselementen: Schalter (zum Drücken) und Regler (zum Drehen). Mit den Schaltern kann immer nur ein bipolarer Zustand erzeugt werden: Ein- oder ausgeschaltet. Mit den Reglern können stufenlose Nuancen eingestellt werden: Klangfarben und Lautstärke. Das Feedback des Geräts an den Anwender erfolgt bei den Schaltern unmittelbar sichtbar (sie rasten ein oder aus) und bei den Reglern hörbar, es gibt keine runde Skala zur visuellen Orientierung und auch keine Markierung an den Drehknöpfen. Ein weiterer Regler erzeugt ein visuelles Feedback in der zentralen Skala: Sie zeigt den eingestellten Radiosender an. Üblicherweise weist der Hörer der Wahl des Senders die höchste Priorität zu, denn der Sender bestimmt das Programm. Deshalb ordnete Aicher die Darstellung dieser Information präzise an. Vier schwarze Querbalken, die sich über die gesamte, formal nicht durch Rahmen eingefasste Skalenfläche erstrecken, erzeugen die Struktur auf der obersten Informationsebene: Den technisch bedingten Frequenzbereichen UKW, Kurzwelle, Mittelwelle und Langwelle. Diese schwarzen Balken werden durch Beschriftungen an den Rändern und durch Markierungen im Verlauf unterteilt. Dem Hörer, der nach seinem gewünschten Sender sucht, bieten sie eine schnelle Orientierungshilfe. Unterhalb der Balken befinden sich Markierungen einzelner Sender mit Ziffern für Frequenzen und Stationsnamen. Der Effekt ist verblüffend. Die verbale Beschreibung kapituliert vor der visuellen Schlichtheit. Die wenigen vorhandenen Elemente sind sinnvoll einander zugeordnet, ihre Hierarchie ist unmittelbar einleuchtend, ihre Platzierung ergibt sich aus der Anwendung – so lautet zumindest das Versprechen. Peter Kapos kommentierte diese Lesart mit folgenden Worten: »The designer’s compositional facility in achieving a compelling formal result is transferred to the utopian representation in which it appears as an apparent self-ordering of elements according to an internal principle.« Auf Aichers Skala ist nichts vorhanden, was den Blick ablenkt. Die Information ist so klar und eindeutig wie möglich dargestellt. (Allerdings handelt es sich auch um eine überschaubare Informationsfülle und um einen nicht komplexen Anwendungsfall.) Entscheidend im Vergleich mit zeitgenössischen Geräten anderer Hersteller ist die Sachlichkeit des Eindrucks, weil auf jeglichen störenden Effekt und repräsentative Gesten verzichtet wird. Ein weiterer Entwurf Otl Aichers betrifft das portable Radio »exporter 2« (1955). Zentral tritt hier ein einziges Bedienungselement in den Vordergrund: Eine runde Wählscheibe zur Bestimmung des Senders. Aicher überträgt die ausgestreckte Linearität einer üblichen Skala in eine imaginäre Kreislinie, an deren innerer und äußerer Linie Markierungen (Ziffern und Buchstaben) für die Frequenzen angebracht sind. Mit dem Drehregler stellt der Hörer den Sender ein und sieht zugleich den Stand seiner Wahl – was auf dem »G11« noch zwei Elemente erforderte (Bedienung und Anzeige), ist hier in einem einzigen Element integriert. Das Motiv einer kreisrunden, zentralen Scheibe zur Senderwahl war nicht neu. Schon das Kleinradio »SK2« (Entwurf: Artur Braun und Fritz Eichler, 1954/55) wurde damit bedient. Ein entscheidendes Detail unterscheidet aber diese von Aichers Gestaltung: Die Scheibe des »SK2« ist transparent und gestattet dadurch auf den Blick auf die darunter angebrachte Skala. Sie folgt der Erscheinungsweise einer Uhr oder eines Tachometers mit durchsichtigem Glas. Die graue Scheibe von Aichers »exporter 2« ist hingegen selbst die Skala. Dadurch reduzierte Aicher die Anzahl aller sichtbaren Teile mit dem Effekt, dass die Bedienung äußerst einfach wirkt. Diesen Effekt kennt jeder, der schon einmal einen Apple iPod bedient hat.
Diese ersten Arbeiten Gugelots und Aichers aus dem Jahr 1955 versammeln bereits sämtliche grundlegenden, wesensbildenden Aspekte der Gestaltung sowohl dieser beiden Designer als auch der beiden Organisationen HfG Ulm und Braun. Die Objekte werden nicht mehr als einzelne Erscheinungen betrachtet, sondern als kombinierbare Elemente eines zusammengehörigen Ganzen. Die Abmessungen ihrer orthogonalen Körper sind aufeinander abgestimmt. Dadurch ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der räumlichen Zuordnung und Kombination: Der Plattenspieler kann auf dem Radio oder unmittelbar daneben positioniert werden, es sind aber auch andere Lösungen denkbar, ohne dass dadurch der verbindende Zusammenhang der Objekte gelöst wird. Diese Freiheit, auf die situative Gegebenheiten angemessen reagieren zu können, ohne dass dadurch gestalterische Qualitäten eingebüßt werden, stellt eine wesentliche Qualität gelungener Systeme dar und bildet ein zentrales Leistungsversprechen des Systemdesigns. Äußerlich sind die neuen Objekte dadurch gekennzeichnet, dass dekorative Anteile (z.B. lackiertes Holz, Messingleisten, Stoffbahnen) entfernt sind. Ihre Silhouette ist begradigt. Es entstehen durch harte Kanten rechtwinklig abgegrenzte Körper aus industriell üblichen Materialien in unbunten Farben. Es sind bloß technische Gebrauchsgegenstände für die private Nutzung. Dank ihrer Schlichtheit fokussieren sie den Blick des Betrachters auf ihre Gebrauchsfunktion als Geräte zum Musikhören. Sie verbergen nichts und sie täuschten nichts vor. Technik ist hier als Erzeugnis industrieller Herkunft sichtbar geworden in einer eigenständigen ästhetischen Ausdrucksweise, die sich von historischen Formen ebenso emanzipiert wie sie für sich Autonomie von den Gütekriterien der akademischen Kunst in Anspruch nimmt.
Der Messestand »D55« als Präsentationsrahmen: »System Düsseldorf«, 1955 Otl Aicher und der HfG-Student Hans G. Conrad entwickelten für Braun einen neuen Messestand als »Raum und Rahmen, in dem sie [= die neuen Geräte; Anm. d. Verf.] atmen und wirken konnten«. Um den Effekt der neuen Entwürfe zu verstärken, räumten Aicher, Conrad und Gugelot in der Nacht vor der Eröffnung ohne Absprache sämtliche alten Modelle des Unternehmens vom Stand. Braun präsentierte sich dadurch in seinem vollständig neuen Messestand ausschließlich mit neuen Geräten, umgeben von wenigen Möbeln Harry Bertoias und Hans Gugelots, ein paar Blumen – und ganz viel Freiraum. Die Botschaft lautete unmissverständlich: Neue Formen für eine neue Zeit. Der Messestand wurde »D55« genannt, eine Anspielung an den Veranstaltungsort Düsseldorf und das Jahr 1955. Diese Terminologie erscheint geradezu ironisch, handelte es sich doch nicht um einen einzelnen Stand im Sinne einer Lösung für einen Einzelfall. Ganz im Gegenteil entwickelten Aicher und Conrad ein System, das jahrzehntelang in Gebrauch blieb. Seine Grundlage ist erneut eine orthogonale Matrix als Gestaltungsraster. Das System setzt sich aus einer kleinen Anzahl strukturbildender Elemente zusammen: Metallstützen konstruieren ein Gitternetz, in das Flächen aus Holz oder Glas montiert werden. Prinzipiell entstehen aus ihrer Kombination Anwendungen in unendlicher Anzahl der denkbaren Konfigurationen mit theoretisch unendlicher Ausdehnungsfläche. Unter ökonomischen Gesichtspunkten bietet das System hohe Vorteile, weil nur wenig Platz erforderlich ist, um die Elemente zu lagern und zu transportieren; weil es schnell aufgebaut und demontiert, für jede einzelne Situation eine optimierte Lösung flexibel entwickelt und seine konkrete Gestaltung innerhalb des allgemeinen Rahmens mithilfe von Bildern, Möbeln, Farben etc. variiert werden kann. Dieses System produziert den Raum eines transparenten Pavillons, der generisch unspezifisch auftritt – und paradoxerweise ist es genau dies, was ihn als spezifisch charakterisiert. Darin ist auch seine utopische Qualität zu sehen: »[…] the stand’s ultimate significance was stamped by its differential relation to the chaotic and rebarbative presentations that otherwise filled the hall, and into which, through this difference, the D 55 was ultimately absorbed.« Ein wenig später, 1958/59, knüpften Aicher und Conrad an den Entwurf des »D55« an und gestalteten einen permanenten Pavillon für Braun auf dem Freigelände der Frankfurter Messe, der viele Jahre in Gebrauch war.
Die Zeitgenossen waren von diesem kompromisslosen Auftritt überfordert. Innerhalb des gesellschaftlichen Kontextes war es damals für Unternehmen selbstverständlich, dass sie sich mit schmückenden Verzierungen umgaben. Es war üblich, die technischen Anteile eines Gegenstands hinter einer umhüllenden Fassade zu verbergen. Von einem Radio wurde also erwartet, dass es als Tonmöbel oder Klangtruhe in Erscheinung trat: Als eine wunderbare Schatzkiste, die den Zauber der Musik verkörperte, die ihren kulturellen Wert und das gesellschaftliche Ansehen des Musizierens adäquat repräsentierte. Der Messestand und das neue Geräteprogramm von Braun war demgegenüber ein Affront für das Publikum. Denn Braun stellte sich als bloßgelegte Konstruktion dar. Von einem der damals einflussreichsten Akteure der deutschen Wirtschaft, Max Grundig, ist überliefert, dass er den Stand von Braun bei seinem Rundgang über die Messe höhnisch kommentierte und den beiden jungen Erben Artur und Erwin Braun einen raschen Konkurs des Unternehmens, das sie ja erst kurz zuvor von ihren Vater geerbt hatten, prognostizierte. Das Unverständnis, das Braun provozierte, führte zu erheblich sinkenden Verkaufszahlen: Braun enttäuschte seine angestammte, konservative Käuferschaft auf dem Land und musste erst eine neue, urbane und geschmacklich gebildete Personenschicht für sich gewinnen.
Die Ordnung der Information: Drucksachen und Werbung Seit 1952 arbeitete Wolfgang Schmittel für Braun an grafischen Aufgaben. Zu seinen ersten Arbeiten zählt das Redesign des Unternehmens-Schriftzugs. Schmittel überführte die bis dahin verwendete Vorlage Will Münchs in die berühmt gewordene Form, die erstmals im Mai 1953 eingesetzt wurde. Otl Aicher lieferte ihm in den folgenden Jahren grundlegende Anweisungen für die systematische Kodifizierung von Zuordnungen anstelle von willkürlichen Einzelfallentscheidungen. Das gesamte Erscheinungsbild des Unternehmens, wie es sich in Briefbögen und Visitenkarten, Katalogen und Prospekten, Kartons und Schildern darstellte, definierten die »Richtlinien für visuelle Gestaltung von Information und Werbung«. Im Kern ging Aicher hier so vor, wie er es auch bei der Skalengestaltung der Geräte getan hatte: Er systematisierte, hierarchisierte und platzierte die erforderlichen Informationen in Gestaltungsrastern mit strenger Konsequenz. Ein weiterer Anwendungsfall war die Gestaltung von Schaufenstern. Das Unternehmen präsentierte sich in eigenen Geschäften und bei Händlern ab 1958 mit einem Displaysystem, das der gleichen Logik wie der Messestand »D55« folgte: Eine kleine Anzahl grundlegender Elemente produziert in kurzer Zeit mit hoher Flexibilität eine potenziell unendliche Anzahl konkreter Anwendungen. Im Unterschied zum Messestand ist die tragende Konstruktion direkt in die Flächen integriert: Spezialschrauben verbinden quadratische oder rechteckige Platten, die beidseitig mit Texten, Fotos oder Farben beklebt werden. Es gibt nur drei Plattenformate: 29 x 29 cm, 29 x 60 cm und 60 x 60 cm. Bis zu fünf Platten können vertikal montiert werden, in der Horizontalen gibt es keine Beschränkung. Daraus entstehen selbsttragende Wände, in die auch Produktpräsentationen integriert und Blickflächen ausgespart werden können. Dieses System war ebenfalls jahrzehntelang in Gebrauch. Inhaltlich folgte die Kommunikation der bereits erläuterten Devise: Dem Publikum wurde Mündigkeit und Intelligenz unterstellt, so dass sich Effekthascherei verbaten. Die produkt- und gebrauchsbezogenen Botschaften sollten sachlich und vernünftig begründet formuliert werden. Die Interessenten, so die Hoffnung, wollten klug überzeugt und nicht emotional überredet werden. Zuletzt ist in diesem Abriss auch der Hinweis auf die Diplomarbeit Hans G. Conrads angebracht. Conrad entwickelte einen Bus für Braun, der die mobilen Qualitäten eines Messestandes mit den merkantilen Qualitäten eines Schaufensters kombinierte. Dieses Projekt wurde nicht realisiert, aber vielfach präsentiert.
Ausblick: Aichers gestalterische Doktrin von 1962 und seine Sicht auf der Verhältnis von Design und Wissenschaft Das Unternehmen Braun war der erste größere und in seiner prestigeträchtigen Wirkung kaum zu überschätzende Auftraggeber sowohl für Otl Aicher als auch für die HfG Ulm. Insofern war Braun auch der erste »proof of concept« für Aichers gestaltungstheoretische Haltung. Verglichen mit späteren Aufträgen – z.B. das Erscheinungsbild der Lufthansa, die Olympischen Spiele 1972 in München, die Stadt Isny sowie die Unternehmen Münchner Rück und ERCO – fehlt einigen seiner Braun-Arbeiten die radikale Schärfe, die für die folgenden Jahre zunehmend charakteristisch wurde. Zu der Zeit, als Aicher für Braun arbeitete, waren an der HfG Ulm zuerst noch Max Bill und seine Haltung präsent (bis März 1957). Daran schloss sich eine Phase der Hinwendung zur sogenannten Verwissenschaftlichung des Designs an (1957 bis 1963). Aicher vertrat am Ende dieser Phase eine signifikant unterscheidbare Position und artikulierte dies auch. Dabei hat Aicher 1962 seine Position dezidiert als moralisch-gesellschaftspolitisch fundierte Doktrin bezeichnet. Explizit stellt er sich in diesem Jahr, nach den ersten Erfahrungen an der HfG Ulm mit dem Konflikt zwischen den Kulturen der Natur- und Geisteswissenschaftler, den Ansprüchen der Naturwissenschaftler entgegen. Nach seiner Ansicht würden letztere die gestalterischen Resultate als objektive, zwangsläufige Ergebnisse aus der Kalkulation eines Input-Output-Algorithmus missverstehen. Auch wenn der Designer gleichberechtigter Partner der Ingenieure und Wissenschaftler sei und erst rationale Methoden konzeptionelles Denken legitim machten, so erweise sich Design doch immer in der Einzelentscheidung, am einzelnen Objekt, während Wissenschaft nach allgemeingültigen Erkenntnissen suche, so Aicher. Design münde in den konkreten Fall, Wissenschaft in die Abstraktion. Am Ende der interpretierenden Entwurfstätigkeit Design stehe keine analytische Konklusion, sondern eine Konzeption, die sich aus Vorstellungen aufgebaut habe. Design beruhe auf Sinn- und Zweckbegründungen, die sich mit Hilfe von statistisch-mathematischen Methoden nicht geben ließen. Es sei letztlich eine moralische, wertende Tätigkeit auf der Grundlage kultureller und gesellschaftlicher Werte. Eine formalästhetische Definition enthält Aichers Doktrin nicht, weshalb es auch irrig wäre, ihm einen Stilwillen oder zu unterstellen. Aicher plädierte stets darauf, dass Design in der situativen Anwendung erweisen müsse, und diese Qualität zeichnet seine Entwürfe für Braun aus.
Weiterführende Literatur Aicher, Otl (1991): die welt als entwurf. Berlin. Kapos, Peter (2016): Art and Design: The Ulm Model. Part 1: History. Part 2: Contradictions of Utopia. http://ravenrow.org/exhibition/the_ulm_model/ [zuletzt abgerufen am 5.9.2019] Moser, Eva (2011): Otl Aicher: Gestalter. Eine Biographie. Ostfildern 2011. Spitz, René (2014): HfG Ulm. Kurze Geschichte der Hochschule für Gestaltung. Concise History of the Ulm School of Design. Hg. von Jens Müller. (= A5, Bd. 6) Zürich. Wachsmann, Christiane (2018): Vom Bauhaus beflügelt. Menschen und Ideen an der Hochschule für Gestaltung Ulm. Stuttgart.
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A Face of Second Modernity: The Braun Design 1951–1957
Beitrag zur Ausstellung im China Design Museum of CAA (China Academy of Art), Hangzhou, 29. Oktober 2019 bis 29. Januar 2020
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Der Entwurf eines modernen Unternehmens. Otl Aichers Beitrag zum Braun-Design
Otl Aicher (geb. 1922 in Ulm; gest. 1991 in Günzburg) zählt zu den bedeutendsten Designern der westlichen Industrienationen im 20. Jahrhundert. Seine Bedeutung speist sich aus vier Faktoren: (1) seine Leistungen als Gestalter, (2) sein Engagement für die Gründung und den Betrieb der Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm und damit zur Formierung des immer noch aktuellen Berufsbilds im Design, (3) seine Beiträge zur Designtheorie und (4) sein Einfluss auf gegenwärtige Designer.
Historischer Kontext: Die Zerstörung der Welt durch das Irrationale
Als Otl Aicher zehn Jahre alt war, gelangten die Nationalsozialisten an die Macht. Während seiner gesamten Jugend waren ihre körperliche Brutalität, unmenschliche Rücksichtslosigkeit und intellektuelle Beschränktheit allgegenwärtig. Aber das Regime der Nazis (1933 – 1945) war nicht einfach nur böse und niederträchtig. Denn die Nazis verstanden es, viele Facetten zu integrieren, die auf den ersten Blick gegensätzlich erscheinen. Für den Fortschritt der technischen Moderne (z.B. Radio, Auto, Flugzeug) fanden sie ebenso einen Platz wie auch für die Befriedigung der sentimentalen Sehnsucht vieler enttäuschter und verzweifelter Menschen nach einer überschaubaren und übersichtlichen »Volksgemeinschaft«, die einem angeblich mittelalterlichem Vorbild folgte. Die Nazis waren äußerst erfolgreich darin, das Bild einer solchen rückwärtsgewandten Utopie zu malen. Ihre Attraktivität bestand im Lösungsversprechen von einfachen Antworten und starken Sicherheiten für eine verwirrend komplexe und dynamische Gegenwart, in der sich der Einzelne schwach und machtlos ausgeliefert empfand.
Otl Aicher hatte schon als Jugendlicher die Kraft, sich den permanenten und omnipräsenten Verlockungen der Nazi-Propaganda zu widersetzen. Er war auch dazu bereit, die Konsequenzen zu tragen: Als einer von nur sechs Schülern des Landes Württemberg weigerte er sich, der Organisation der Hitler-Jugend beizutreten. Deshalb durfte er das Abitur nicht ablegen.
Zu den Jugendfreunden Otl Aichers zählten die Kinder der Familie Scholl in Ulm. Sophie Scholl bezeichnete er später als seine Jugendliebe. Sophie und ihr älterer Bruder Hans Scholl schlossen sich der Widerstandsgruppe »Die Weiße Rose« an. Sie verteilten Flugblätter in der Münchner Universität. Im Februar 1943 wurden sie dabei verhaftet. Wenige Tage später ermordeten die Nazis sie. Otl Aicher entging seiner eigenen Verhaftung – damit wohl auch seiner Ermordung – nur durch Glück um Haaresbreite.
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs (1939 – 1945) lag die deutsche Gesellschaft in Trümmern. Die Häuser waren zerstört, die Straßen und Plätze der Städte voller Schutt und Asche. Das Land war von den vier führenden Siegermächten besetzt und aufgeteilt. Die Zerstörung erstreckte sich nicht nur auf die materielle Umwelt. Die Familien und Freunde beklagten ihre Toten und Vermissten. Darüber hinaus waren auch die geistigen Grundlagen der Gesellschaft fundamental beschädigt.
Theoretische Grundlagen: Rationale Gestaltung als politisch gebotene Moral
Ohne die skizzierte Vorgeschichte ist die Geschichte der Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm und das Design Otl Aichers nicht verständlich. Denn die HfG wurde nicht gegründet, um ein ästhetisches Defizit zu beheben. Otl Aicher, Inge Scholl und Max Bill, den Gründern der HfG Ulm, ging es vielmehr darum, zur Entwicklung einer friedlichen, demokratischen und freien Gesellschaft beitragen.
Otl Aicher war der Ansicht, dass die traditionelle Dominanz der Kunst für jegliche Formen der Gestaltung ein Irrtum war. Aichers Ziel bestand darin, eigenständige Kriterien für die Gestaltung von Gerätschaften und Botschaften zu formulieren, welche sich an eine breite Bevölkerung richteten. Aicher lehnte jeglichen Bezug auf historische Autoritäten und Sentimentalität als rückwärtsgewandt und politisch unverantwortlich ab. Deshalb kam es für ihn auch nicht in Frage, die Erscheinung von vornehmen Luxuswaren zu imitieren. Moderne Gebrauchsgüter sollten weder durch einen persönlichen Stil des Entwerfers, durch eine künstlerische Handschrift im Sinne einer Signatur, identifizierbar sein; noch sollten sie edle Materialien oder kostbare Verarbeitung durch Ornamente vortäuschen. Moderne Massenmedien sollten klar und deutlich informieren: Ein übersichtlicher Zugfahrplan und ein sachlich aufklärendes Plakat über die Notwendigkeit gesunder Ernährung waren aus Aichers Sicht gesellschaftlich relevanter als künstlerische Malerei.
Die Qualitäten für die Gestaltung von solchen Dingen des täglichen Bedarfs für die breite Bevölkerung sollten aus einer sachlichen Analyse der Situation entwickelt werden. (Ähnliche Absichten waren zwar auch schon zuvor in der Moderne der 1920er Jahre postuliert worden, u.a. im Deutschen Werkbund und im Bauhaus Dessau. Doch Aicher sah diese Absichten nicht als realisiert an, denn letztlich hatte stets der Wertekanon der Kunst die Oberhand behalten.) Aicher strebte eine vernunftbasierte Gestaltung an, denn das Gefühl konnte als Bewertungsrahmen keine Legitimation beanspruchen: Weil die Nazis fortwährend an Emotionen appelliert hatten, war diese Dimension für Aicher diskreditiert.
Aicher forderte von Gestaltung, dass sie die Menschen nicht durch Tricks manipulieren, sondern durch schlüssige Argumentation überzeugen sollte. Für die besseren Resultate sollten die besseren Gründe sprechen und nicht das Laute und Schrille, das kurzfristig Überraschende und der modische Effekt. Jegliche Tendenz zur Tarnung, zum Betrug und zur Lüge mit den Mitteln der Gestaltung lehnte er vehement ab. Der Begriff des Stils war ihm – wie allen zutiefst modernen Gestaltern – suspekt: Er wollte gerade nicht einen neuen Stil für eine neue Zeit entwickeln, wie es seit Arts and Crafts regelmäßig propagiert worden war, wodurch so absurde Etiketten wie Bauhausstil oder Maschinenstil zum Zweck der kurzfristigen Verkaufsförderung hervorgebracht wurden.
Aicher beharrte darauf, dass die gesellschaftliche Verantwortung die Grundlage für die Beschäftigung mit Fragen der Gestaltung der Welt bildete. Welchen Beitrag muss Gestaltung leisten, damit die Menschen den Versuchungen eines tyrannischen, menschenverachtenden Regimes widerstehen werden? Damit etwas wie die Nazi-Zeit nicht wieder möglich wird? Aichers gestalterische Antwort auf diese Fragen könnten deshalb als eine Ästhetik der vernünftigen Sachlichkeit und des moralisch Angemessenen bezeichnet werden.
An die Stelle von Symbolen und Parolen setzte Aicher das nüchterne, überzeugende Argument. Design sollte eine vernunftbasierte Tätigkeit sein. Es ging dabei nicht um Inspiration und sprudelnde Ideen, sondern um vorurteilfreies und gründliches Untersuchen des Kontexts einer Aufgabe; sachliches Gewichten und Abwägen der Analyseergebnisse; systematisches und interdisziplinäres Hervorbringen von Systemen anstelle von Unikaten. Naturwissenschaften und Technik erschienen ihm aber nicht als Selbstzweck, ihn ihnen schlummert nur das Potenzial eines effizienten Instrument einer demokratischen, freiheitlichen Gesellschaft. Um es zu heben, dürfen Techniker, Wissenschaftler und Ingenieure keine Fachidioten sein, die sich nicht für die gesellschaftlichen Zusammenhängen interessieren und nur ihr Spezialwissen abgeschottet anhäufen.
Diese Überlegungen gründeten erstens auf der Diagnose, dass die (westliche) Welt seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch den historischen Prozess der Industrialisierung eine technische geworden sei, und zweitens auf der Annahme, dass diese Welt gestaltet werden könne. In Abgrenzung zu den avantgardistischen Bewegung der Moderne zog Aicher den Schluss, dass die technische Zivilisation auf der Grundlage eines neuen Verständnisses von Kultur bewältigt werden müsse: Kultur sei nicht, was nur sonntags angelegt werde wie ein besonderes Kleid und nur wenige Bereiche des Lebens betreffe (insbesondere Lyrik, Theater, Oper, klassische Musik, Malerei, Bildhauerei und Philosophie), sondern umfasse schon längst sämtliche maschinell hergestellten Gegenstände und alltäglichen Handlungen. Die Gestaltung dieser Dinge und Zusammenhänge der Industriegesellschaft müsse deshalb als kulturelle Aufgabe behandelt werden. Er prägte dafür die programmatische Formel: Die kulturelle Bewältigung der technischen Zivilisation.
Praktische Anwendung: Systemdesign für Braun
Die Zusammenarbeit zwischen Otl Aicher und der Firma Braun begann im Herbst 1954. Erwin Braun und Fritz Eichler waren auf die HfG Ulm aufmerksam geworden, weil sie nach Partnern für die Lösung von gestalterischen Aufgaben suchten. Am dringendsten erschien ihnen die Neugestaltung der bisherigen Radiogeräte. Sie wünschten sich etwas, wofür sie kein Vorbild fanden: Ihre elektrischen Geräte sollten sich in ihrer Erscheinung zurückhalten wie »unaufdringliche, stille Helfer und Diener«, und ihr Aussehen sollte dem »klare(n), möglichst natürliche(n) Ton« entsprechen.
Aus dem ersten persönlichen Kontakt entwickelte sich eine intensive Kooperation zwischen Braun und der HfG Ulm, die von freundschaftlichen Zügen geprägt war. Hans Gugelot entwarf in den kommenden Jahren Radios und Fernseher, die in kürzester Zeit großes Aufsehen hervorriefen. Otl Aicher konzentrierte sich auf die visuelle Information.
Die Skalen der Radios »G11« und des »exporter 2«: Interfacedesign avant la lettre
Hans Gugelot entwickelte innerhalb der ersten acht Monate des Jahres 1955 ein neues Geräteprogramm für die Firma Braun, das vom 26. August bis zum 4. September 1955 in Düsseldorf auf der Deutschen Rundfunk-, Fernseh- und Phonoausstellung präsentiert wurde. Dieser Messeauftritt gilt als der Moment, von dem an sich Braun durch seine Orientierung hin zu einer modernen gestalterischen Sprache von der gesamten Konkurrenz unterschied.
Parallel zu Gugelots Arbeit organisierte Otl Aicher die Skalen der Geräte von Grund auf neu. In heutiger Terminologie handelt es sich dabei um das User Interface, bei dessen Gestaltung er sich am gelernten Gebrauch orientierte und ihn neu strukturierte. Beispielhaft wird seine Gestaltung an der Skala des Radios »G11« im Vergleich zu den vorherigen Geräten der Firma Braun und zu den gleichzeitig angebotenen Geräten der Konkurrenz deutlich.
Aicher sammelte alle Elemente, die angeordnet werden müssen, hierarchisierte sie und platzierte sie auf einer orthogonalen Matrix (Gestaltungsraster). Dabei handelt es sich um zwei Typen von Interaktionselementen: Schalter (zum Drücken) und Regler (zum Drehen). Mit den Schaltern kann immer nur ein bipolarer Zustand erzeugt werden: Ein- oder ausgeschaltet. Mit den Reglern können stufenlose Nuancen eingestellt werden: Klangfarben und Lautstärke. Das Feedback des Geräts an den Anwender erfolgt bei den Schaltern unmittelbar sichtbar (sie rasten ein oder aus) und bei den Reglern hörbar, es gibt keine runde Skala zur visuellen Orientierung und auch keine Markierung an den Drehknöpfen.
Ein weiterer Regler erzeugt ein visuelles Feedback in der zentralen Skala: Sie zeigt den eingestellten Radiosender an. Üblicherweise weist der Hörer der Wahl des Senders die höchste Priorität zu, denn der Sender bestimmt das Programm. Deshalb ordnete Aicher die Darstellung dieser Information präzise an. Vier schwarze Querbalken, die sich über die gesamte, formal nicht durch Rahmen eingefasste Skalenfläche erstrecken, erzeugen die Struktur auf der obersten Informationsebene: Den technisch bedingten Frequenzbereichen UKW, Kurzwelle, Mittelwelle und Langwelle. Diese schwarzen Balken werden durch Beschriftungen an den Rändern und durch Markierungen im Verlauf unterteilt. Dem Hörer, der nach seinem gewünschten Sender sucht, bieten sie eine schnelle Orientierungshilfe. Unterhalb der Balken befinden sich Markierungen einzelner Sender mit Ziffern für Frequenzen und Stationsnamen.
Der Effekt ist verblüffend. Die verbale Beschreibung kapituliert vor der visuellen Schlichtheit. Die wenigen vorhandenen Elemente sind sinnvoll einander zugeordnet, ihre Hierarchie ist unmittelbar einleuchtend, ihre Platzierung ergibt sich aus der Anwendung – so lautet zumindest das Versprechen. Peter Kapos kommentierte diese Lesart mit folgenden Worten: »The designer’s compositional facility in achieving a compelling formal result is transferred to the utopian representation in which it appears as an apparent self-ordering of elements according to an internal principle.« Auf Aichers Skala ist nichts vorhanden, was den Blick ablenkt. Die Information ist so klar und eindeutig wie möglich dargestellt. (Allerdings handelt es sich auch um eine überschaubare Informationsfülle und um einen nicht komplexen Anwendungsfall.) Entscheidend im Vergleich mit zeitgenössischen Geräten anderer Hersteller ist die Sachlichkeit des Eindrucks, weil auf jeglichen störenden Effekt und repräsentative Gesten verzichtet wird.
Ein weiterer Entwurf Otl Aichers betrifft das portable Radio »exporter 2« (1955). Zentral tritt hier ein einziges Bedienungselement in den Vordergrund: Eine runde Wählscheibe zur Bestimmung des Senders. Aicher überträgt die ausgestreckte Linearität einer üblichen Skala in eine imaginäre Kreislinie, an deren innerer und äußerer Linie Markierungen (Ziffern und Buchstaben) für die Frequenzen angebracht sind. Mit dem Drehregler stellt der Hörer den Sender ein und sieht zugleich den Stand seiner Wahl – was auf dem »G11« noch zwei Elemente erforderte (Bedienung und Anzeige), ist hier in einem einzigen Element integriert. Das Motiv einer kreisrunden, zentralen Scheibe zur Senderwahl war nicht neu. Schon das Kleinradio »SK2« (Entwurf: Artur Braun und Fritz Eichler, 1954/55) wurde damit bedient. Ein entscheidendes Detail unterscheidet aber diese von Aichers Gestaltung: Die Scheibe des »SK2« ist transparent und gestattet dadurch auf den Blick auf die darunter angebrachte Skala. Sie folgt der Erscheinungsweise einer Uhr oder eines Tachometers mit durchsichtigem Glas. Die graue Scheibe von Aichers »exporter 2« ist hingegen selbst die Skala. Dadurch reduzierte Aicher die Anzahl aller sichtbaren Teile mit dem Effekt, dass die Bedienung äußerst einfach wirkt. Diesen Effekt kennt jeder, der schon einmal einen Apple iPod bedient hat.
Diese ersten Arbeiten Gugelots und Aichers aus dem Jahr 1955 versammeln bereits sämtliche grundlegenden, wesensbildenden Aspekte der Gestaltung sowohl dieser beiden Designer als auch der beiden Organisationen HfG Ulm und Braun.
Die Objekte werden nicht mehr als einzelne Erscheinungen betrachtet, sondern als kombinierbare Elemente eines zusammengehörigen Ganzen. Die Abmessungen ihrer orthogonalen Körper sind aufeinander abgestimmt. Dadurch ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der räumlichen Zuordnung und Kombination: Der Plattenspieler kann auf dem Radio oder unmittelbar daneben positioniert werden, es sind aber auch andere Lösungen denkbar, ohne dass dadurch der verbindende Zusammenhang der Objekte gelöst wird. Diese Freiheit, auf die situative Gegebenheiten angemessen reagieren zu können, ohne dass dadurch gestalterische Qualitäten eingebüßt werden, stellt eine wesentliche Qualität gelungener Systeme dar und bildet ein zentrales Leistungsversprechen des Systemdesigns.
Äußerlich sind die neuen Objekte dadurch gekennzeichnet, dass dekorative Anteile (z.B. lackiertes Holz, Messingleisten, Stoffbahnen) entfernt sind. Ihre Silhouette ist begradigt. Es entstehen durch harte Kanten rechtwinklig abgegrenzte Körper aus industriell üblichen Materialien in unbunten Farben. Es sind bloß technische Gebrauchsgegenstände für die private Nutzung. Dank ihrer Schlichtheit fokussieren sie den Blick des Betrachters auf ihre Gebrauchsfunktion als Geräte zum Musikhören. Sie verbergen nichts und sie täuschten nichts vor.
Technik ist hier als Erzeugnis industrieller Herkunft sichtbar geworden in einer eigenständigen ästhetischen Ausdrucksweise, die sich von historischen Formen ebenso emanzipiert wie sie für sich Autonomie von den Gütekriterien der akademischen Kunst in Anspruch nimmt.
Der Messestand »D55« als Präsentationsrahmen: »System Düsseldorf«, 1955
Otl Aicher und der HfG-Student Hans G. Conrad entwickelten für Braun einen neuen Messestand als »Raum und Rahmen, in dem sie [= die neuen Geräte; Anm. d. Verf.] atmen und wirken konnten«. Um den Effekt der neuen Entwürfe zu verstärken, räumten Aicher, Conrad und Gugelot in der Nacht vor der Eröffnung ohne Absprache sämtliche alten Modelle des Unternehmens vom Stand. Braun präsentierte sich dadurch in seinem vollständig neuen Messestand ausschließlich mit neuen Geräten, umgeben von wenigen Möbeln Harry Bertoias und Hans Gugelots, ein paar Blumen – und ganz viel Freiraum. Die Botschaft lautete unmissverständlich: Neue Formen für eine neue Zeit.
Der Messestand wurde »D55« genannt, eine Anspielung an den Veranstaltungsort Düsseldorf und das Jahr 1955. Diese Terminologie erscheint geradezu ironisch, handelte es sich doch nicht um einen einzelnen Stand im Sinne einer Lösung für einen Einzelfall. Ganz im Gegenteil entwickelten Aicher und Conrad ein System, das jahrzehntelang in Gebrauch blieb.
Seine Grundlage ist erneut eine orthogonale Matrix als Gestaltungsraster. Das System setzt sich aus einer kleinen Anzahl strukturbildender Elemente zusammen: Metallstützen konstruieren ein Gitternetz, in das Flächen aus Holz oder Glas montiert werden. Prinzipiell entstehen aus ihrer Kombination Anwendungen in unendlicher Anzahl der denkbaren Konfigurationen mit theoretisch unendlicher Ausdehnungsfläche. Unter ökonomischen Gesichtspunkten bietet das System hohe Vorteile, weil nur wenig Platz erforderlich ist, um die Elemente zu lagern und zu transportieren; weil es schnell aufgebaut und demontiert, für jede einzelne Situation eine optimierte Lösung flexibel entwickelt und seine konkrete Gestaltung innerhalb des allgemeinen Rahmens mithilfe von Bildern, Möbeln, Farben etc. variiert werden kann.
Dieses System produziert den Raum eines transparenten Pavillons, der generisch unspezifisch auftritt – und paradoxerweise ist es genau dies, was ihn als spezifisch charakterisiert. Darin ist auch seine utopische Qualität zu sehen: »[…] the stand’s ultimate significance was stamped by its differential relation to the chaotic and rebarbative presentations that otherwise filled the hall, and into which, through this difference, the D 55 was ultimately absorbed.«
Ein wenig später, 1958/59, knüpften Aicher und Conrad an den Entwurf des »D55« an und gestalteten einen permanenten Pavillon für Braun auf dem Freigelände der Frankfurter Messe, der viele Jahre in Gebrauch war.
Die Zeitgenossen waren von diesem kompromisslosen Auftritt überfordert. Innerhalb des gesellschaftlichen Kontextes war es damals für Unternehmen selbstverständlich, dass sie sich mit schmückenden Verzierungen umgaben. Es war üblich, die technischen Anteile eines Gegenstands hinter einer umhüllenden Fassade zu verbergen. Von einem Radio wurde also erwartet, dass es als Tonmöbel oder Klangtruhe in Erscheinung trat: Als eine wunderbare Schatzkiste, die den Zauber der Musik verkörperte, die ihren kulturellen Wert und das gesellschaftliche Ansehen des Musizierens adäquat repräsentierte. Der Messestand und das neue Geräteprogramm von Braun war demgegenüber ein Affront für das Publikum. Denn Braun stellte sich als bloßgelegte Konstruktion dar. Von einem der damals einflussreichsten Akteure der deutschen Wirtschaft, Max Grundig, ist überliefert, dass er den Stand von Braun bei seinem Rundgang über die Messe höhnisch kommentierte und den beiden jungen Erben Artur und Erwin Braun einen raschen Konkurs des Unternehmens, das sie ja erst kurz zuvor von ihren Vater geerbt hatten, prognostizierte. Das Unverständnis, das Braun provozierte, führte zu erheblich sinkenden Verkaufszahlen: Braun enttäuschte seine angestammte, konservative Käuferschaft auf dem Land und musste erst eine neue, urbane und geschmacklich gebildete Personenschicht für sich gewinnen.
Die Ordnung der Information: Drucksachen und Werbung
Seit 1952 arbeitete Wolfgang Schmittel für Braun an grafischen Aufgaben. Zu seinen ersten Arbeiten zählt das Redesign des Unternehmens-Schriftzugs. Schmittel überführte die bis dahin verwendete Vorlage Will Münchs in die berühmt gewordene Form, die erstmals im Mai 1953 eingesetzt wurde.
Otl Aicher lieferte ihm in den folgenden Jahren grundlegende Anweisungen für die systematische Kodifizierung von Zuordnungen anstelle von willkürlichen Einzelfallentscheidungen. Das gesamte Erscheinungsbild des Unternehmens, wie es sich in Briefbögen und Visitenkarten, Katalogen und Prospekten, Kartons und Schildern darstellte, definierten die »Richtlinien für visuelle Gestaltung von Information und Werbung«. Im Kern ging Aicher hier so vor, wie er es auch bei der Skalengestaltung der Geräte getan hatte: Er systematisierte, hierarchisierte und platzierte die erforderlichen Informationen in Gestaltungsrastern mit strenger Konsequenz.
Ein weiterer Anwendungsfall war die Gestaltung von Schaufenstern. Das Unternehmen präsentierte sich in eigenen Geschäften und bei Händlern ab 1958 mit einem Displaysystem, das der gleichen Logik wie der Messestand »D55« folgte: Eine kleine Anzahl grundlegender Elemente produziert in kurzer Zeit mit hoher Flexibilität eine potenziell unendliche Anzahl konkreter Anwendungen. Im Unterschied zum Messestand ist die tragende Konstruktion direkt in die Flächen integriert: Spezialschrauben verbinden quadratische oder rechteckige Platten, die beidseitig mit Texten, Fotos oder Farben beklebt werden. Es gibt nur drei Plattenformate: 29 x 29 cm, 29 x 60 cm und 60 x 60 cm. Bis zu fünf Platten können vertikal montiert werden, in der Horizontalen gibt es keine Beschränkung. Daraus entstehen selbsttragende Wände, in die auch Produktpräsentationen integriert und Blickflächen ausgespart werden können. Dieses System war ebenfalls jahrzehntelang in Gebrauch.
Inhaltlich folgte die Kommunikation der bereits erläuterten Devise: Dem Publikum wurde Mündigkeit und Intelligenz unterstellt, so dass sich Effekthascherei verbaten. Die produkt- und gebrauchsbezogenen Botschaften sollten sachlich und vernünftig begründet formuliert werden. Die Interessenten, so die Hoffnung, wollten klug überzeugt und nicht emotional überredet werden.
Zuletzt ist in diesem Abriss auch der Hinweis auf die Diplomarbeit Hans G. Conrads angebracht. Conrad entwickelte einen Bus für Braun, der die mobilen Qualitäten eines Messestandes mit den merkantilen Qualitäten eines Schaufensters kombinierte. Dieses Projekt wurde nicht realisiert, aber vielfach präsentiert.
Ausblick: Aichers gestalterische Doktrin von 1962 und seine Sicht auf der Verhältnis von Design und Wissenschaft
Das Unternehmen Braun war der erste größere und in seiner prestigeträchtigen Wirkung kaum zu überschätzende Auftraggeber sowohl für Otl Aicher als auch für die HfG Ulm. Insofern war Braun auch der erste »proof of concept« für Aichers gestaltungstheoretische Haltung. Verglichen mit späteren Aufträgen – z.B. das Erscheinungsbild der Lufthansa, die Olympischen Spiele 1972 in München, die Stadt Isny sowie die Unternehmen Münchner Rück und ERCO – fehlt einigen seiner Braun-Arbeiten die radikale Schärfe, die für die folgenden Jahre zunehmend charakteristisch wurde. Zu der Zeit, als Aicher für Braun arbeitete, waren an der HfG Ulm zuerst noch Max Bill und seine Haltung präsent (bis März 1957). Daran schloss sich eine Phase der Hinwendung zur sogenannten Verwissenschaftlichung des Designs an (1957 bis 1963). Aicher vertrat am Ende dieser Phase eine signifikant unterscheidbare Position und artikulierte dies auch.
Dabei hat Aicher 1962 seine Position dezidiert als moralisch-gesellschaftspolitisch fundierte Doktrin bezeichnet. Explizit stellt er sich in diesem Jahr, nach den ersten Erfahrungen an der HfG Ulm mit dem Konflikt zwischen den Kulturen der Natur- und Geisteswissenschaftler, den Ansprüchen der Naturwissenschaftler entgegen. Nach seiner Ansicht würden letztere die gestalterischen Resultate als objektive, zwangsläufige Ergebnisse aus der Kalkulation eines Input-Output-Algorithmus missverstehen. Auch wenn der Designer gleichberechtigter Partner der Ingenieure und Wissenschaftler sei und erst rationale Methoden konzeptionelles Denken legitim machten, so erweise sich Design doch immer in der Einzelentscheidung, am einzelnen Objekt, während Wissenschaft nach allgemeingültigen Erkenntnissen suche, so Aicher. Design münde in den konkreten Fall, Wissenschaft in die Abstraktion. Am Ende der interpretierenden Entwurfstätigkeit Design stehe keine analytische Konklusion, sondern eine Konzeption, die sich aus Vorstellungen aufgebaut habe. Design beruhe auf Sinn- und Zweckbegründungen, die sich mit Hilfe von statistisch-mathematischen Methoden nicht geben ließen. Es sei letztlich eine moralische, wertende Tätigkeit auf der Grundlage kultureller und gesellschaftlicher Werte.
Eine formalästhetische Definition enthält Aichers Doktrin nicht, weshalb es auch irrig wäre, ihm einen Stilwillen oder zu unterstellen. Aicher plädierte stets darauf, dass Design in der situativen Anwendung erweisen müsse, und diese Qualität zeichnet seine Entwürfe für Braun aus.
Weiterführende Literatur
Aicher, Otl (1991): die welt als entwurf. Berlin.
Kapos, Peter (2016): Art and Design: The Ulm Model. Part 1: History. Part 2: Contradictions of Utopia. http://ravenrow.org/exhibition/the_ulm_model/ [zuletzt abgerufen am 5.9.2019]
Moser, Eva (2011): Otl Aicher: Gestalter. Eine Biographie. Ostfildern 2011.
Spitz, René (2014): HfG Ulm. Kurze Geschichte der Hochschule für Gestaltung. Concise History of the Ulm School of Design. Hg. von Jens Müller. (= A5, Bd. 6) Zürich.
Wachsmann, Christiane (2018): Vom Bauhaus beflügelt. Menschen und Ideen an der Hochschule für Gestaltung Ulm. Stuttgart.
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