Wissenschaft ist nach allgemeinem Verständnis ein System zur Produktion, Verbreitung und Austausch von interessegeleiteten, nachträglich gesicherten und zugleich vorläufigen (vgl. Popper 1993) Erkenntnissen. Die jeweilige Praxis wird als Forschung, Lehre und Diskurs bezeichnet. Dem Selbstbild dieses Systems ist zu eigen, dass Wissenschaft über staatliche, kulturelle und disziplinäre Grenzen hinweg Gültigkeit beansprucht. Für die Designwissenschaft ergeben sich daraus unmittelbar grundlegende Herausforderungen.
Erstens ist der Designbegriff selbst strittig, sowohl innerhalb des deutschsprachigen Kulturraums als auch im internationalen und interkulturellen Vergleich.
Zweitens ist das Verständnis von Wissenschaft uneinheitlich: die an Humboldt ausgerichteten und auf universale Allgemeinbildung abzielenden Institutionen sind nicht deckungsgleich mit einem tendenziell anglo-amerikanischen Traditionen folgenden Geschäftsmodell, das auf unmittelbare Anwendbarkeit von angeeigneten Fakten und Fertigkeiten beruht.
Damit gehen drittens Abweichungen im Verständnis von der wissenschaftlichen Praxis des Forschens (engl. research) einher.
Viertens bestehen auch Differenzen in der Bedeutung und Priorisierung sämtlicher strukturbildender Elemente, die das System Wissenschaft etablieren: Den Codes (Terminologie), Ritualen (Konferenzen), Hierarchien (akademische Grade und Titel), Legitimiationen (Themen) etc.
Fünftens ist die Situation kennzeichnend für die Designwissenschaft, dass die Auseinandersetzung über diese vier zuvor genannten Aspekte nicht nur innerhalb der scientific community der Designwissenschaftler/-innen geführt wird, sondern zudem auch mit Wissenschaftlern anderer Fachgebiete sowie darüber hinaus mit Vertretern von Behörden, der Politik und Öffentlichkeit. Im Grunde dreht sich die seit langem geführte Debatte um die beiden Fragen, welches spezifische Wissen durch Designwissenschaft hervorgebracht werde und welche spezifischen Methoden dafür angewandt würden.
Die Auslegung dieser Begriffe wird kontinuierlich im Wissenschaftsbetrieb verhandelt. Sein Gravitationszentrum bildet die Institution Hochschule. Erneut handelt es sich hierbei nicht um eine monolithische Erscheinung. Sie wird definiert als „Oberbegriff für verschiedene wissenschaftliche, wissenschaftlich-anwendungsorientierte, künstlerisch-wissenschaftliche oder künstlerische Einrichtungen des tertiären Bildungsbereichs“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2017). Mit tertiärem Bildungsbereich sind die drei höchsten Qualifikationsstufen gemeint, die zu akademischen Abschlüssen führen und nach dem Reglement der UNESCO auf Bachelorniveau (Level 6), Masterniveau (Level 7) und Doktorniveau (Level 8) liegen (ISCED 2012, 51-61). Hochschulen „dienen der Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre und Studium und bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden oder die Fähigkeit zur künstlerischen Gestaltung erfordern“ (Statistisches Bundesamt 2016, 12).
Das Fach Design wird in Hochschulen angeboten, die sich organisatorisch nach ihrer Trägerschaft und der Hochschulart unterscheiden. Sowohl in Europa als auch in Asien und (Nord- und Süd-) Amerika befindet sich die Mehrheit der Hochschulen mit Designangeboten in staatlicher Trägerschaft, die übrigen werden von privaten Einrichtungen getragen; von einer Hochschule mit Designangebot in kirchlicher Trägerschaft ist dem Verfasser nichts bekannt, aber auch das wäre möglich. Mit Blick auf die Hochschularten ist Design sowohl in Universitäten, Technischen und Kunsthochschulen (mit Promotionsrecht) als auch in Fachhochschulen (ohne Promotionsrecht) zu finden, wobei letztere die Mehrheit bilden.
Aufgrund dieser vorstehenden Definitionen – die trotz aller Unzulänglichkeit hier zur Verständigungsgrundlage herangezogen werden sollen – ergibt sich folgende Feststellung: Seit Design überhaupt zum Gegenstand der Lehre an Hochschulen erhoben ist, wird zumindest mit diesem lehrenden Anteil Designwissenschaft praktiziert. Das gilt bereits für die ersten Einrichtungen ihrer Art, wenn sie auch unter bestimmten Blickwinkeln präziser als Proto-Designhochschulen bezeichnet werden sollten, wie die Glasgow School of Art (seit 1845), das Royal College of Art in London (seit 1837/1896), Wchutemas in Moskau (1920-1927/30) und insbesondere das Staatliche Bauhaus (1919-1933).
Über die Lehre hinaus greift die berühmte Losung des Bauhausdirektors Walter Gropius (1883-1969) die Forschung als zweite Säule wissenschaftlicher Praxis auf: „Ein Ding ist bestimmt durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, dass es richtig funktioniert […], muß sein Wesen zuerst erforscht werden […]. Diese Wesensforschung führt zu dem Ergebnis, daß durch die entschlossene Berücksichtigung aller modernen Herstellungsmethoden, Konstruktionen und Materialien Formen entstehen, die, von der Überlieferung abweisend, oft ungewohnt und überraschend wirken“ (Gropius 1925, 5 f.). Das utopische Ethos des Wissenschaftlers als eines nüchtern analysisierenden, auf Basis von belegten Tatsachen in schlüssiger Weise argumentierenden, keine Autoriäten der Tradition anerkennenden und unerschrocken das Neue hervorbringenden Akteurs wird mit dieser Aussage auf die Gestaltung übertragen. Es handelt sich zweifellos nicht um eine deckungsgleiche Übertragung von vermeintlich ‚exakten‘ Naturwissenschaften unmittelbar aufs Design – das wäre so sehr verkürzt, dass es verfälschend wäre. Aber das Anklingen eines mathematisch-technisch fundierten Glaubens an die Möglichkeit objektiver Erkennbarkeit und sachlich-logischer Lösbarkeit von lediglich vorgefundenen Aufgaben ist unüberhörbar. Am Bauhaus wurde zweifellos geforscht, indem Erkenntnisse aus anderen wissenschaftlichen Bereichen auf das künstlerische Ziel bezogen und in experimentellen Versuchen und Beobachtungen überprüft wurden (vgl. Jaeggi/Oswalt/Seemann 2009). Inwiefern diese Praxis als Designforschung zu bezeichnen wäre, hängt vor allem von den Definitionen ab, die als Maßstäbe angelegt werden, und sagt deshalb mehr aus über das jeweilige Verständnis derer, die diese Aussagen treffen, als über die historische Wirklichkeit vor 100 Jahren.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass es einzelnen bestimmenden Akteuren der Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm (1953-1968) vorbehalten gewesen ist, diesen Kurzschluss vom Design zu einer Wissenschaft, die sie für objektiv gehalten haben, für einen begrenzten Zeitraum in größtmöglicher Konsequenz zu vollziehen (vgl. Spitz 2015). Die maßgebliche Intention, welche die HfG-Gründung motivierte, bestand darin, einen Beitrag zum Aufbau einer neuen Gesellschaft zu leisten, die von Demokratie, Emanzipation, Gleichberechtigung und Internationalität geprägt sein sollte. In den Entwicklungen und Kräften, die als wissenschaftlicher und technischer Fortschritt gedeutet wurden, sah insbesondere der Mit-Initiator Otl Aicher (1922-1991) einen wesentlichen Bezugspunkt für den Aufbau des Neuen. Hingegen erwartete er von den Bereichen, die er der Kunst zuordnete, keinerlei substantielle Impulse für einen Neuanfang jenseits solcher Denk- und Handlungsmuster, welche er für die Verbreitung des Nationalsozialismus mitverantwortlich machte: Das Persönliche, Atmosphärische und Gefühlvolle war nach seiner Auffassung durch die emotionale Überwältigung der NS-Gesellschaft diskreditiert, wo der Einzelne auf sein Subjekt-Sein zugunsten des Aufgehobenseins in einem angeblich größeren Ganzen verzichtete hatte. Darum bemühte sich Aicher um eine scharfe Abgrenzung zum Bauhaus als Kunsthochschule und eine Hinwendung zur Wissenschaft in jeglicher Ausprägung, denn er sah in ihrer Rationalität die Lösung für universale Probleme. Mit der Berufung Tomás Maldonados (geb. 1922) im Jahr 1954 gewann Aicher einen Unterstützer seines Konzepts, so dass nach der Trennung von Max Bill (1908-1994) ab 1957 das explizite Programm der ‚Verwissenschaftlichung‘ des Designs an der HfG umgesetzt wurde, indem neben den bestehenden kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer nun auch natur- und ingenieurwissenschaftliche Fächer in den Unterricht ingegriert wurden, z.B. Kybernetik, Semiotik, Ästhetik, Soziologie, Statistik, Stochastik, Informatik, Mechanik, Material- und Konstruktionslehre, Kulturgeschichte, Ethnologie und Psychologie. Dadurch unterschied sich die HfG substantiell von allen Designhochschulen ihrer Zeit. Allerdings revidierte Aicher nur eine Studentengeneration später seine Ansichten: Ab 1961 vertrat er die Position, dass Design keine objektive, wertfreie Wissenschaft sein könne, weil sie Entscheidungen im Kontext des Ästhetischen erfordere, die wertbasiert seien, im Unterschied zu wissenschaftlichen Entscheidungen, die Wertfreiheit anstreben. Anders gewendet: Weil Input den Output formt, werde durch eine naturwissenschaftlich entwickelte Formel als Entscheidungsmechanismus nur der Zeitpunkt der Entscheidung nach vorne geschoben, aber nicht aufgehoben. Design findet dann, so lässt sich schlussfolgern, auf der nächst höheren Ebene in der Formung der Rahmenbedinungen statt – und wird unsichtbar (Lucius Burckhardt, 1925-2003). Aichers Antagonist, gegen den er sich 1962 durchsetzte, war der Mathematiker und intellektuell überragende Dozent Horst Rittel (1930-1990), dessen Theorie der wicked problems mittlerweile zum geläufigen Repertoire der Designtheorie zählt (vgl. Rittel 2013).
Für die Landschaft der internationalen Designhochschulen ist der Einfluss der HfG – insbesondere durch ihre Hinwendung zu Wissenschaften und ihre Ablehnung der Kunst als Orientierungsrahmen – prägend geworden. Dies begründet sich nicht nur in der Tatsache, dass die internationale Welle von Neu- und Umgründungen der heutigen Designhochschulen in den späten 1960er Jahren einsetzte, unmittelbar im Anschluss an das Ende der HfG, deren Absolventen vielfach als Multiplikatoren wirkten. Es resultiert auch aus der Attraktivität von Aichers sog. Ulmer Modell, in dem er die Humboldt’sche Praxis der Hochschulen aus Forschung und Lehre um eine dritte Komponente erweiterte, die er Entwicklung nannte. Mit diesem Begriff bezeichnete er die Arbeit an Prototypen für die Serienfertigung, die sich einerseits aus der Forschung speiste und andererseits Teil der Lehre war, so dass ein Rückkopplungszirkel aus Akteuren der Industrie und Hochschule entstand. Dieses Modell stand vielfach Pate für Designhochschulen weltweit. Darüber hinaus beruhte der Zugriff der HfG aufs Design, den wir wissenschaftlich nennen können, auch auf dem Paradigma, dass Design nicht die Tätigkeit des Spezialisten (in der abschätzigen Konnotation: Fachidiot), sondern des Verbindenden, inter- und transdisziplinär praktisch tätigen Generalisten zu sein habe.
Während Aicher an der HfG ab 1961 schon wieder die Kehrtwende weg von der Verwissenschaftlichung des Designs einleitete, fokussierte in den 1960er Jahren im anglo-amerikanischen design methods movement eine interdisziplinäre Community auf die Beziehungen zwischen Design und Wissenschaft. Im Unterschied zu Aicher, der im Kern ethisch-moralisch argumentierte, differenzierten nun Forscher wie Sydney A. Gregory – R. Buckminster Fullers (1895-1983) 1957 euphorisch eingeführte Formel von der design science decade aufnehmend – oder Herbert A. Simon (1916-2001) zwischen der typischerweise synthetisierenden, Elemente zusammenführenden Grundtendenz des Design in Abgrenzung zur analysierenden, Elemente isolierenden Methode in den Naturwissenschaften (vgl. Gregory 1966; Simon 1969). Diese grob vereinfachende, Klischees bemühende Deutung ist längst obsolet. Die Bedeutung des Einflusses von Fuller oder Simon auf das Design ist offensichtlich, aber im Zusammenhang von Designwissenschaft und Hochschulen ist bemerkenswert, dass beide keinesfalls mit einschlägigen Designhochschulen fest verbunden waren – zweifellos ein Hinweis auf die Stichhaltigkeit der These Michel Foucaults (1926-1984), an die Claudia Mareis (geb. 1974) erinnert, wonach sich Wissensentwicklungen nicht innerhalb von akademischen Disziplinengrenzen, sondern an der Wissensperipherie entfalten (Mareis 2013, 349 ff.).
Heute lässt sich feststellen, dass mit den aufgeworfenen Themen aus der HfG und dem design methods movement ein großer Teil der kanonischen Grundlage für die akademische Forschung gelegt war, die in den Hochschulen ab den 1980er Jahren aufkam. In Anknüpfung an Ludwig Fleck (1896-1961) steht zu vermuten, dass somit das erforderliche Vokabular für das sich nun international manifestierende Denkkollektiv bereitstand, um designwissenschaftliche Tatsachen zu entwickeln.
Eine Bestandsaufnahme zur aktuellen Situation der Designwissenschaft an den Hochschulen eröffnet eine vielgestaltiges und facettenreiches Bild, das in seiner Disparität, verstanden als Gleichzeitigkeit ungleicher Phänomene, der Erscheinung des Designs selbst in nichts nachsteht. Die in den 1960er Jahren in Schüben einsetzende Transformation des Design von einer gewerblichen, aufs Produkt konzentrierten Tätigkeit in eine neue „Wissenskultur“ (vgl. Mareis 2011; dies. 2013) ist bei weitem nicht abgeschlossen, vielmehr überwiegend nur ansatzweise vollzogen.
Mit Bezug auf die eingangs gelieferte begriffliche Eingrenzung wird deutlich, dass zweifellos an allen Designhochschulen in irgendeiner Form gelehrt wird, doch der forschende Anteil, der für eine Erfüllung des designwissenschaftlichen Anspruchs ebenfalls erfüllt werden muss, ist weitaus unschärfer zu fassen.
Zum einen mag diese Unschärfe ein Charakteristikum des Designs ausmachen: „Im Unterschied zu etablierteren Wissenschaften, die ihre Gegenstände deutlicher und dauerhafter fixieren können, bleiben die Gegenstände von Designwissenschaft unscharf. Sie umfassen das Verstehen der Artefakte (Ästhetik), des Designprozesses (Logik) und der menschlichen Erfahrung (Ethik) sowie das Verbessern des Prozesses“ (Jonas 2010, 81). Diesen Gedanken weiter führend: „Ich nenne den disziplinären Zusammenhang einer solchen Theorie eine ‚praxeologische‘ Designwissenschaft, da sie methodologisch wie epistemologisch sozusagen ‚zwischen den Stühlen‘ sitzt: zwischen Kunst-, Medien- und Kulturwissenschaften und ebenso zwischen Philosophie, Soziologie und Zeichentheorie“ (Ruf 2015, 20).
Zum anderen besteht große Uneinigkeit darüber, was im Einzelfall mit Designforschung gemeint sei, von einer flächendeckenden statistischen Erfassung ganz zu schweigen. Beispielsweise wird Design im Jahr 2016 laut der amtlichen Statistik Chinas an 935 chinesischen Hochschulen gelehrt, aber nur 17 davon rangieren als eigenständige Kunst- und Designhochschulen und weitere 11 verfügen über eine renommierte Designfakultät bzw. Design School. Es spricht viel dafür, davon auszugehen, dass an den übrigen 907 chinesischen Hochschulen Designforschung höchstens in einem rudimentären Ausmaß betrieben wird. Vergleichbare Verhältnisse sind für die USA plausibel. Für West- und Mitteleuropa sowie in Skandinavien kann unterstellt werden, dass Designforschung an Hochschulen verhältnismäßig häufiger praktiziert wird, und zwar tendenziell überall dort, wo Masterstudiengänge angeboten werden. Es kann gleichfalls nicht ausgeschlossen werden, dass auch in Bachelorstudiengängen geforscht wird, aber mit Blick auf die Hochschullandschaft nach der Bologna-Reform erscheint es wahrscheinlich, dass forschende Praxis eher dem Master-Qualifikation zugewiesen wird.
Diese Hinweise beziehen sich lediglich auf die Breite der Durchdringung, nicht auf deren Tiefe bzw. das erreichte Niveau der Erforschung, der Verbreitung und des Austauschs von Erkenntnissen darüber, „was in diesen Prozessen zwischen Mensch, Maschine, Gesellschaft/Kultur, Wahrnehmung, Artefakt, Technik, Entwurf, dem eigenen Körper usw. überhaupt geschieht“ (Ruf 2015, 20). Wenn Promotion und Habilitation als höchste Qualifikationsstufe der akademischen Hierarchie betrachtet werden, so lässt sich beispielsweise die Situation auch danach einschätzen, dass gemäß der jüngsten Statistik in Deutschland 2014 von insgesamt 28.147 Promotionen nur 306 in der sog. Fächergruppe Kunst abgelegt wurden (ohne Differenzierung zwischen Kunst- und Designwissenschaften) sowie nur 20 von insgesamt 1.627 Habilitationen (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2016, 64). Das bedeutet, dass die Zahl derer, die ihr Designstudium in Deutschland mit der Promotion absolvieren, im Promille-Bereich liegt (Studierende im WS 2015/16: 31.004, davon 25.905 in staatlicher und 5.099 in privater Trägerschaft; Statistisches Bundesamt 2017, 47). Diese Zahlen verweisen nicht nur darauf, welche Rolle Designwissenschaft derzeit im akademischen Reigen der etablierten Wissenschaften spielt, einschließlich aller strukturbildenden Aspekte, sondern erneut auch auf die mangelhafte Vergleichbarkeit im internationalen Kontext, wo der Abschluss PhD im Design schon weiter verbreitet ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der insbesondere Hochschulen, welche anglo-amerikanischen Traditionen verpflichtet sind, die Breite und Tiefe der bei ihnen praktizierten design research inszenieren, ist mit europäischen Gepflogenheiten nur teilweise kompatibel.
Jenseits von kommerziell motivierten Ranglisten und statistischen Strichlisten erscheint es angebracht, das atomisierte Mosaik der Designwissenschaft an Hochschulen danach zu untersuchen, inwiefern es sich dabei um Designwissenschaft über Hochschulen (z.B. Breuer/Bartelsheim/Oestereich 2012; Vetter 2016), durch Hochschulen (damit wären alle wissenschaftlichen Praktiken gemeint, die durch Hochschulangehörige in Hochschulen durchgeführt werden) und mit Hochschulen handelt – wobei diese letzte Kategorie den Horizont auf solche Akteure ausdehnt, die den Hochschulen nicht dauerhaft oder nur partiell verbunden sind. Zieht man in Betracht, wie sehr das Design durch zeitweilige Kooperationen und Unbestimmtheiten charakterisiert ist, wird deutlich, dass gerade dort, in der akademischen Peripherie, eine hohe und produktive Dynamik zu finden ist. Dabei kann es sich um einzelne Personen handeln, um private Institute, Verlage, Galerien, Museen und Unternehmen, die mit ihren Impulsen zur Designwissenschaft beitragen.
Eine unveröffentlichte Studie des Verfassers, in der 2016 die Qualitäten der Lehre an 30 weltweit führenden Designhochschulen untersucht wurde, hat als Diagnose einen überwiegend desolaten Status zutage gefördert, wenn der Anspruch an Designwissenschaft an der praktizierten Wirklichkeit gemessen wird. Trotz aller gegenteiligen Bekundungen dominieren der Blick zurück, das Festhalten am Etablierten und Erwartbaren, sowie der Fokus auf das unmittelbar als nächstes zu Bewältigende. Es ist bislang keine Institution sichtbar, die einen tatsächlich rundum nicht nur zeitgemäßen, sondern in die Zukunft gerichteten Ansatz ins Werk setzen wollte, und zwar mit einer Vehemenz und Verve, wie sie nostalgisch wehleidig dem Bauhaus und der HfG Ulm zugeschrieben werden, und das müsste heute bedeuten: Bauhaus und Ulm endlich zu überwinden.
Bachmann-Medick, Doris: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek 2009.
Breuer, Gerda/Bartelsheim, Sabine/Oestereich, Christopher (Hg.): Lehre und Lehrer an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen. Von den Anfängen bis 1972. Tübingen, Berlin 2012.
Burke, Peter: Die Explosion des Wissens. Von der Encyclopédie bis Wikipedia. Berlin 2014 (engl. 2012).
Brandes, Uta: „Forschung“. In: Erlhoff, Michael/Marshall, Tim (Hg.): Wörterbuch Design. Begriffliche Perspektiven im Design. Basel, Boston, Berlin 2008, 147-151
Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hg.): Bildung und Forschung in Zahlen. Ausgewählte Fakten aus dem Daten-Portal des BMBF. Berlin 2016.
Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hg.): Datenportal, Glossar, http://www.datenportal.bmbf.de/portal/de/glossary-h.html (12.1.2017).
Fleks, Ludwig: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Hg. von Lothar Schäfer und Thomas Schnelle. [Basel 1935] Frankfurt am Main 102015.
Humboldt, Wilhelm von: Werke in fünf Bänden. Bd. 4: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Hg. von Andreas Flitner und Klaus Giel. Darmstadt 1982.
Jaeggi, Annemarie/Oswalt, Philipp/Seemann, Hellmut (Hg.): Modell Bauhaus. Ostfildern 2009.
Jaspers, Karl: Die Idee der Universität. Heidelberg, Berlin 1946.
Jonas, Wolfgang: „Designwissenschaft als Netz von Theorien und Akteuren“. In: Romero-Tejedor, Felicidad/Ders. (Hg.): Positionen zur Designwissenschaft. Kassel 2010, 79-85.
Kuhn, Thomas S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt am Main 242014 (engl. 1962).
Mareis, Claudia: Design als Wissenskultur. Interferenzen zwischen Design- und Wissensdiskursen seit 1960. Bielefeld 2011.
Dies.: Wissen gestalten: Ansichten zu Design als Wissenskultur. In: Milev, Yana (Hg.): Design Kulturen. Der erweiterte Designbegriff im Entwurfsfeld der Kulturwissenschaften. München 2013, 299-309.
OECD (Hg.): Frascati Manual 2015. Guidelines for Collecting and Reporting Data on Research and Experimental Development. Paris 2015.
Popper, Karl: Objektive Erkenntnis. Frankfurt am Main 1993 (engl. 1973).
Rittel, Horst: Thinking Design. Transdisziplinäre Konzepte für Planer und Entwerfer. Hg. von Wolf D. Reuter und Wolfgang Jonas. Basel 2013.
Rüegg, Walter (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Bd. 4: Vom Zweiten Weltkrieg bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. München 2010.
Ruf, Oliver: „Diesseits des Ästhetischen“. In: Öffnungszeiten, Papiere zur Designwissenschaft 29 (2015), 18-28.
Schäffner, Wolfgang: „The Design Turn. Eine wissenschaftliche Revolution im Geiste der Gestaltung“. In: Mareis, Claudia/Joost, Gesche/Kimpel, Kora (Hg.): entwerfen wissen produzieren. Designforschung im Anwendungskontext. Bielefeld 2010, 33-45.
Statistisches Bundesamt (Hg.): Bildung und Kultur. Studierende an Hochschulen, Wintersemester 2015/2016. Wiesbaden 2016.
Simon, Herbert A.: The Sciences of the Artificial. Cambridge/Mass., London 1969.
Spitz, René: „Design Is Not a Science: Otl Aicher’s Constitutional Putsch at the HfG Ulm and His Credo for the Social Responsibility of Designers“. In: Design Issues 31 (2015), 7-17.
Stappers, Pieter Jan: „Design Thinking in Research: The Role of Design Skills in Research and Vice Versa“. In: Mareis, Claudia/Held, Matthias/Joost, Gesche (Hg.): Wer gestaltet die Gestaltung? Praxis, Theorie und Geschichte des partizipatorischen Designs. Bielefeld 2013, 105-116.
UNESCO Institute for Statistics (Hg.): International Standard Classification of Education ISCED 2011. Montreal 2012.
Vetter, Peter: „History of the Kunstgewerbeschule Zürich and Following Institutions“. In: Lzicar, Robert/Fornari, Davide (Hg): Mapping Graphic Design History in Switzerland. Zürich 2016, 95-112.
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Gestaltungshochschulen, Gestaltungsfakultäten, gestalterische Studiengänge
Wissenschaft ist nach allgemeinem Verständnis ein System zur Produktion, Verbreitung und Austausch von interessegeleiteten, nachträglich gesicherten und zugleich vorläufigen (vgl. Popper 1993) Erkenntnissen. Die jeweilige Praxis wird als Forschung, Lehre und Diskurs bezeichnet. Dem Selbstbild dieses Systems ist zu eigen, dass Wissenschaft über staatliche, kulturelle und disziplinäre Grenzen hinweg Gültigkeit beansprucht. Für die Designwissenschaft ergeben sich daraus unmittelbar grundlegende Herausforderungen.
Die Auslegung dieser Begriffe wird kontinuierlich im Wissenschaftsbetrieb verhandelt. Sein Gravitationszentrum bildet die Institution Hochschule. Erneut handelt es sich hierbei nicht um eine monolithische Erscheinung. Sie wird definiert als „Oberbegriff für verschiedene wissenschaftliche, wissenschaftlich-anwendungsorientierte, künstlerisch-wissenschaftliche oder künstlerische Einrichtungen des tertiären Bildungsbereichs“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2017). Mit tertiärem Bildungsbereich sind die drei höchsten Qualifikationsstufen gemeint, die zu akademischen Abschlüssen führen und nach dem Reglement der UNESCO auf Bachelorniveau (Level 6), Masterniveau (Level 7) und Doktorniveau (Level 8) liegen (ISCED 2012, 51-61). Hochschulen „dienen der Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre und Studium und bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden oder die Fähigkeit zur künstlerischen Gestaltung erfordern“ (Statistisches Bundesamt 2016, 12).
Das Fach Design wird in Hochschulen angeboten, die sich organisatorisch nach ihrer Trägerschaft und der Hochschulart unterscheiden. Sowohl in Europa als auch in Asien und (Nord- und Süd-) Amerika befindet sich die Mehrheit der Hochschulen mit Designangeboten in staatlicher Trägerschaft, die übrigen werden von privaten Einrichtungen getragen; von einer Hochschule mit Designangebot in kirchlicher Trägerschaft ist dem Verfasser nichts bekannt, aber auch das wäre möglich. Mit Blick auf die Hochschularten ist Design sowohl in Universitäten, Technischen und Kunsthochschulen (mit Promotionsrecht) als auch in Fachhochschulen (ohne Promotionsrecht) zu finden, wobei letztere die Mehrheit bilden.
Aufgrund dieser vorstehenden Definitionen – die trotz aller Unzulänglichkeit hier zur Verständigungsgrundlage herangezogen werden sollen – ergibt sich folgende Feststellung: Seit Design überhaupt zum Gegenstand der Lehre an Hochschulen erhoben ist, wird zumindest mit diesem lehrenden Anteil Designwissenschaft praktiziert. Das gilt bereits für die ersten Einrichtungen ihrer Art, wenn sie auch unter bestimmten Blickwinkeln präziser als Proto-Designhochschulen bezeichnet werden sollten, wie die Glasgow School of Art (seit 1845), das Royal College of Art in London (seit 1837/1896), Wchutemas in Moskau (1920-1927/30) und insbesondere das Staatliche Bauhaus (1919-1933).
Über die Lehre hinaus greift die berühmte Losung des Bauhausdirektors Walter Gropius (1883-1969) die Forschung als zweite Säule wissenschaftlicher Praxis auf: „Ein Ding ist bestimmt durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, dass es richtig funktioniert […], muß sein Wesen zuerst erforscht werden […]. Diese Wesensforschung führt zu dem Ergebnis, daß durch die entschlossene Berücksichtigung aller modernen Herstellungsmethoden, Konstruktionen und Materialien Formen entstehen, die, von der Überlieferung abweisend, oft ungewohnt und überraschend wirken“ (Gropius 1925, 5 f.). Das utopische Ethos des Wissenschaftlers als eines nüchtern analysisierenden, auf Basis von belegten Tatsachen in schlüssiger Weise argumentierenden, keine Autoriäten der Tradition anerkennenden und unerschrocken das Neue hervorbringenden Akteurs wird mit dieser Aussage auf die Gestaltung übertragen. Es handelt sich zweifellos nicht um eine deckungsgleiche Übertragung von vermeintlich ‚exakten‘ Naturwissenschaften unmittelbar aufs Design – das wäre so sehr verkürzt, dass es verfälschend wäre. Aber das Anklingen eines mathematisch-technisch fundierten Glaubens an die Möglichkeit objektiver Erkennbarkeit und sachlich-logischer Lösbarkeit von lediglich vorgefundenen Aufgaben ist unüberhörbar. Am Bauhaus wurde zweifellos geforscht, indem Erkenntnisse aus anderen wissenschaftlichen Bereichen auf das künstlerische Ziel bezogen und in experimentellen Versuchen und Beobachtungen überprüft wurden (vgl. Jaeggi/Oswalt/Seemann 2009). Inwiefern diese Praxis als Designforschung zu bezeichnen wäre, hängt vor allem von den Definitionen ab, die als Maßstäbe angelegt werden, und sagt deshalb mehr aus über das jeweilige Verständnis derer, die diese Aussagen treffen, als über die historische Wirklichkeit vor 100 Jahren.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass es einzelnen bestimmenden Akteuren der Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm (1953-1968) vorbehalten gewesen ist, diesen Kurzschluss vom Design zu einer Wissenschaft, die sie für objektiv gehalten haben, für einen begrenzten Zeitraum in größtmöglicher Konsequenz zu vollziehen (vgl. Spitz 2015). Die maßgebliche Intention, welche die HfG-Gründung motivierte, bestand darin, einen Beitrag zum Aufbau einer neuen Gesellschaft zu leisten, die von Demokratie, Emanzipation, Gleichberechtigung und Internationalität geprägt sein sollte. In den Entwicklungen und Kräften, die als wissenschaftlicher und technischer Fortschritt gedeutet wurden, sah insbesondere der Mit-Initiator Otl Aicher (1922-1991) einen wesentlichen Bezugspunkt für den Aufbau des Neuen. Hingegen erwartete er von den Bereichen, die er der Kunst zuordnete, keinerlei substantielle Impulse für einen Neuanfang jenseits solcher Denk- und Handlungsmuster, welche er für die Verbreitung des Nationalsozialismus mitverantwortlich machte: Das Persönliche, Atmosphärische und Gefühlvolle war nach seiner Auffassung durch die emotionale Überwältigung der NS-Gesellschaft diskreditiert, wo der Einzelne auf sein Subjekt-Sein zugunsten des Aufgehobenseins in einem angeblich größeren Ganzen verzichtete hatte. Darum bemühte sich Aicher um eine scharfe Abgrenzung zum Bauhaus als Kunsthochschule und eine Hinwendung zur Wissenschaft in jeglicher Ausprägung, denn er sah in ihrer Rationalität die Lösung für universale Probleme. Mit der Berufung Tomás Maldonados (geb. 1922) im Jahr 1954 gewann Aicher einen Unterstützer seines Konzepts, so dass nach der Trennung von Max Bill (1908-1994) ab 1957 das explizite Programm der ‚Verwissenschaftlichung‘ des Designs an der HfG umgesetzt wurde, indem neben den bestehenden kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer nun auch natur- und ingenieurwissenschaftliche Fächer in den Unterricht ingegriert wurden, z.B. Kybernetik, Semiotik, Ästhetik, Soziologie, Statistik, Stochastik, Informatik, Mechanik, Material- und Konstruktionslehre, Kulturgeschichte, Ethnologie und Psychologie. Dadurch unterschied sich die HfG substantiell von allen Designhochschulen ihrer Zeit. Allerdings revidierte Aicher nur eine Studentengeneration später seine Ansichten: Ab 1961 vertrat er die Position, dass Design keine objektive, wertfreie Wissenschaft sein könne, weil sie Entscheidungen im Kontext des Ästhetischen erfordere, die wertbasiert seien, im Unterschied zu wissenschaftlichen Entscheidungen, die Wertfreiheit anstreben. Anders gewendet: Weil Input den Output formt, werde durch eine naturwissenschaftlich entwickelte Formel als Entscheidungsmechanismus nur der Zeitpunkt der Entscheidung nach vorne geschoben, aber nicht aufgehoben. Design findet dann, so lässt sich schlussfolgern, auf der nächst höheren Ebene in der Formung der Rahmenbedinungen statt – und wird unsichtbar (Lucius Burckhardt, 1925-2003). Aichers Antagonist, gegen den er sich 1962 durchsetzte, war der Mathematiker und intellektuell überragende Dozent Horst Rittel (1930-1990), dessen Theorie der wicked problems mittlerweile zum geläufigen Repertoire der Designtheorie zählt (vgl. Rittel 2013).
Für die Landschaft der internationalen Designhochschulen ist der Einfluss der HfG – insbesondere durch ihre Hinwendung zu Wissenschaften und ihre Ablehnung der Kunst als Orientierungsrahmen – prägend geworden. Dies begründet sich nicht nur in der Tatsache, dass die internationale Welle von Neu- und Umgründungen der heutigen Designhochschulen in den späten 1960er Jahren einsetzte, unmittelbar im Anschluss an das Ende der HfG, deren Absolventen vielfach als Multiplikatoren wirkten. Es resultiert auch aus der Attraktivität von Aichers sog. Ulmer Modell, in dem er die Humboldt’sche Praxis der Hochschulen aus Forschung und Lehre um eine dritte Komponente erweiterte, die er Entwicklung nannte. Mit diesem Begriff bezeichnete er die Arbeit an Prototypen für die Serienfertigung, die sich einerseits aus der Forschung speiste und andererseits Teil der Lehre war, so dass ein Rückkopplungszirkel aus Akteuren der Industrie und Hochschule entstand. Dieses Modell stand vielfach Pate für Designhochschulen weltweit. Darüber hinaus beruhte der Zugriff der HfG aufs Design, den wir wissenschaftlich nennen können, auch auf dem Paradigma, dass Design nicht die Tätigkeit des Spezialisten (in der abschätzigen Konnotation: Fachidiot), sondern des Verbindenden, inter- und transdisziplinär praktisch tätigen Generalisten zu sein habe.
Während Aicher an der HfG ab 1961 schon wieder die Kehrtwende weg von der Verwissenschaftlichung des Designs einleitete, fokussierte in den 1960er Jahren im anglo-amerikanischen design methods movement eine interdisziplinäre Community auf die Beziehungen zwischen Design und Wissenschaft. Im Unterschied zu Aicher, der im Kern ethisch-moralisch argumentierte, differenzierten nun Forscher wie Sydney A. Gregory – R. Buckminster Fullers (1895-1983) 1957 euphorisch eingeführte Formel von der design science decade aufnehmend – oder Herbert A. Simon (1916-2001) zwischen der typischerweise synthetisierenden, Elemente zusammenführenden Grundtendenz des Design in Abgrenzung zur analysierenden, Elemente isolierenden Methode in den Naturwissenschaften (vgl. Gregory 1966; Simon 1969). Diese grob vereinfachende, Klischees bemühende Deutung ist längst obsolet. Die Bedeutung des Einflusses von Fuller oder Simon auf das Design ist offensichtlich, aber im Zusammenhang von Designwissenschaft und Hochschulen ist bemerkenswert, dass beide keinesfalls mit einschlägigen Designhochschulen fest verbunden waren – zweifellos ein Hinweis auf die Stichhaltigkeit der These Michel Foucaults (1926-1984), an die Claudia Mareis (geb. 1974) erinnert, wonach sich Wissensentwicklungen nicht innerhalb von akademischen Disziplinengrenzen, sondern an der Wissensperipherie entfalten (Mareis 2013, 349 ff.).
Heute lässt sich feststellen, dass mit den aufgeworfenen Themen aus der HfG und dem design methods movement ein großer Teil der kanonischen Grundlage für die akademische Forschung gelegt war, die in den Hochschulen ab den 1980er Jahren aufkam. In Anknüpfung an Ludwig Fleck (1896-1961) steht zu vermuten, dass somit das erforderliche Vokabular für das sich nun international manifestierende Denkkollektiv bereitstand, um designwissenschaftliche Tatsachen zu entwickeln.
Eine Bestandsaufnahme zur aktuellen Situation der Designwissenschaft an den Hochschulen eröffnet eine vielgestaltiges und facettenreiches Bild, das in seiner Disparität, verstanden als Gleichzeitigkeit ungleicher Phänomene, der Erscheinung des Designs selbst in nichts nachsteht. Die in den 1960er Jahren in Schüben einsetzende Transformation des Design von einer gewerblichen, aufs Produkt konzentrierten Tätigkeit in eine neue „Wissenskultur“ (vgl. Mareis 2011; dies. 2013) ist bei weitem nicht abgeschlossen, vielmehr überwiegend nur ansatzweise vollzogen.
Mit Bezug auf die eingangs gelieferte begriffliche Eingrenzung wird deutlich, dass zweifellos an allen Designhochschulen in irgendeiner Form gelehrt wird, doch der forschende Anteil, der für eine Erfüllung des designwissenschaftlichen Anspruchs ebenfalls erfüllt werden muss, ist weitaus unschärfer zu fassen.
Zum einen mag diese Unschärfe ein Charakteristikum des Designs ausmachen: „Im Unterschied zu etablierteren Wissenschaften, die ihre Gegenstände deutlicher und dauerhafter fixieren können, bleiben die Gegenstände von Designwissenschaft unscharf. Sie umfassen das Verstehen der Artefakte (Ästhetik), des Designprozesses (Logik) und der menschlichen Erfahrung (Ethik) sowie das Verbessern des Prozesses“ (Jonas 2010, 81). Diesen Gedanken weiter führend: „Ich nenne den disziplinären Zusammenhang einer solchen Theorie eine ‚praxeologische‘ Designwissenschaft, da sie methodologisch wie epistemologisch sozusagen ‚zwischen den Stühlen‘ sitzt: zwischen Kunst-, Medien- und Kulturwissenschaften und ebenso zwischen Philosophie, Soziologie und Zeichentheorie“ (Ruf 2015, 20).
Zum anderen besteht große Uneinigkeit darüber, was im Einzelfall mit Designforschung gemeint sei, von einer flächendeckenden statistischen Erfassung ganz zu schweigen. Beispielsweise wird Design im Jahr 2016 laut der amtlichen Statistik Chinas an 935 chinesischen Hochschulen gelehrt, aber nur 17 davon rangieren als eigenständige Kunst- und Designhochschulen und weitere 11 verfügen über eine renommierte Designfakultät bzw. Design School. Es spricht viel dafür, davon auszugehen, dass an den übrigen 907 chinesischen Hochschulen Designforschung höchstens in einem rudimentären Ausmaß betrieben wird. Vergleichbare Verhältnisse sind für die USA plausibel. Für West- und Mitteleuropa sowie in Skandinavien kann unterstellt werden, dass Designforschung an Hochschulen verhältnismäßig häufiger praktiziert wird, und zwar tendenziell überall dort, wo Masterstudiengänge angeboten werden. Es kann gleichfalls nicht ausgeschlossen werden, dass auch in Bachelorstudiengängen geforscht wird, aber mit Blick auf die Hochschullandschaft nach der Bologna-Reform erscheint es wahrscheinlich, dass forschende Praxis eher dem Master-Qualifikation zugewiesen wird.
Diese Hinweise beziehen sich lediglich auf die Breite der Durchdringung, nicht auf deren Tiefe bzw. das erreichte Niveau der Erforschung, der Verbreitung und des Austauschs von Erkenntnissen darüber, „was in diesen Prozessen zwischen Mensch, Maschine, Gesellschaft/Kultur, Wahrnehmung, Artefakt, Technik, Entwurf, dem eigenen Körper usw. überhaupt geschieht“ (Ruf 2015, 20). Wenn Promotion und Habilitation als höchste Qualifikationsstufe der akademischen Hierarchie betrachtet werden, so lässt sich beispielsweise die Situation auch danach einschätzen, dass gemäß der jüngsten Statistik in Deutschland 2014 von insgesamt 28.147 Promotionen nur 306 in der sog. Fächergruppe Kunst abgelegt wurden (ohne Differenzierung zwischen Kunst- und Designwissenschaften) sowie nur 20 von insgesamt 1.627 Habilitationen (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2016, 64). Das bedeutet, dass die Zahl derer, die ihr Designstudium in Deutschland mit der Promotion absolvieren, im Promille-Bereich liegt (Studierende im WS 2015/16: 31.004, davon 25.905 in staatlicher und 5.099 in privater Trägerschaft; Statistisches Bundesamt 2017, 47). Diese Zahlen verweisen nicht nur darauf, welche Rolle Designwissenschaft derzeit im akademischen Reigen der etablierten Wissenschaften spielt, einschließlich aller strukturbildenden Aspekte, sondern erneut auch auf die mangelhafte Vergleichbarkeit im internationalen Kontext, wo der Abschluss PhD im Design schon weiter verbreitet ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der insbesondere Hochschulen, welche anglo-amerikanischen Traditionen verpflichtet sind, die Breite und Tiefe der bei ihnen praktizierten design research inszenieren, ist mit europäischen Gepflogenheiten nur teilweise kompatibel.
Jenseits von kommerziell motivierten Ranglisten und statistischen Strichlisten erscheint es angebracht, das atomisierte Mosaik der Designwissenschaft an Hochschulen danach zu untersuchen, inwiefern es sich dabei um Designwissenschaft über Hochschulen (z.B. Breuer/Bartelsheim/Oestereich 2012; Vetter 2016), durch Hochschulen (damit wären alle wissenschaftlichen Praktiken gemeint, die durch Hochschulangehörige in Hochschulen durchgeführt werden) und mit Hochschulen handelt – wobei diese letzte Kategorie den Horizont auf solche Akteure ausdehnt, die den Hochschulen nicht dauerhaft oder nur partiell verbunden sind. Zieht man in Betracht, wie sehr das Design durch zeitweilige Kooperationen und Unbestimmtheiten charakterisiert ist, wird deutlich, dass gerade dort, in der akademischen Peripherie, eine hohe und produktive Dynamik zu finden ist. Dabei kann es sich um einzelne Personen handeln, um private Institute, Verlage, Galerien, Museen und Unternehmen, die mit ihren Impulsen zur Designwissenschaft beitragen.
Eine unveröffentlichte Studie des Verfassers, in der 2016 die Qualitäten der Lehre an 30 weltweit führenden Designhochschulen untersucht wurde, hat als Diagnose einen überwiegend desolaten Status zutage gefördert, wenn der Anspruch an Designwissenschaft an der praktizierten Wirklichkeit gemessen wird. Trotz aller gegenteiligen Bekundungen dominieren der Blick zurück, das Festhalten am Etablierten und Erwartbaren, sowie der Fokus auf das unmittelbar als nächstes zu Bewältigende. Es ist bislang keine Institution sichtbar, die einen tatsächlich rundum nicht nur zeitgemäßen, sondern in die Zukunft gerichteten Ansatz ins Werk setzen wollte, und zwar mit einer Vehemenz und Verve, wie sie nostalgisch wehleidig dem Bauhaus und der HfG Ulm zugeschrieben werden, und das müsste heute bedeuten: Bauhaus und Ulm endlich zu überwinden.
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