In den USA ist der politische Wahlkampf vor allem ein Kampf zwischen Personen, die sich um ein Mandat bewerben. Ihre Partei steht dabei nicht so sehr im Vordergrund wie in Deutschland. Diese Personalisierung hat unmittelbare Folgen für die Gestaltung des Wahlkampfs in Bildern und Parolen.
Zum amerikanischen Mythos gehört der Imperativ: Rally around the flag, das heißt: Versammeln wir uns um unsere Fahne! Auf der Fahne steht das, wofür die Kontrahenten stehen. In seinem ersten Wahlkampf hatte Barack Obama die Parole ausgegeben: »Yes, we can!« Joe Biden beschwört die Nation heute: »Battle for the soul of the nation.« Und bei Trump heißt es seit Jahren: »Keep America great again.«
Eine Parole mobilisiert. Sie bewegt alle dazu, die ihr folgen, sich auf den Weg zu machen. Das Ziel der Bewegung ist die Versammlung, im wörtlichen Sinne. Bei der Zusammenkunft im Stadion oder der Arena vergewissern sich Zehntausende Anhänger, dass sie viele sind und auf der richtigen Seite stehen. Sie glauben, dass der Erfolg ihnen recht gibt, denn in der Demokratie hat das Lager Erfolg, das in der Überzahl ist. Deshalb bilden diese Live-Versammlungen, die rallies, die zentralen Ereignisse im US- Wahlkampf. Sie halten die Anhänger bei der Stange und produzieren für die Unentschlossenen Bilder riesiger Menschenmassen – wie bei einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
Rallies sind choreografisch bis ins kleinste Detail komponierte Bühnenshows. Menschen strömen an einen Ort wie zu einem Rockkonzert oder Basketballspiel. Auf den Straßen und in den Hallen schwenken sie ihre Fahnen, sie halten Schilder mit den Namen ihrer Idole hoch. Laute Musik heizt ihnen ein. Die Liste der Redner ist dramaturgisch ausgeklügelt: Eine Gruppe von Menschen wie du und ich. Weggefährten. Die Familie des Kandidaten – und dann noch Prominente. Lichteffekte lenken die Blicke des Publikums. Stars and Stripes, Blau und Rot dominieren den Raum, die Luft glitzert voller glänzendem Konfetti. Die Stimmung wird aufgepeitscht bis zum Höhepunkt, dem Auftritt des Main Acts. Politik hat hier das Format eines Unterhaltungsprogramms angenommen. Die Teilnehmer sind keine räsonierenden Bürger, sondern johlende und grölende Fans. Sie erleben sich in einem Moment unmittelbarer Interaktion mit ihrem Star und gehen auf Tuchfühlung mit ihresgleichen.
Für europäische Beobachter erscheint ein solches Event verstörend. Nach den Erfahrungen mit Inszenierungen des Nazi-Regimes durch Reichsparteitage, Aufmärsche und Fackelumzüge bei Nacht gelten in Deutschland emotionale Überwältigungsstrategien als unangebracht für eine vernunftbasierte Demokratie. In der Politik ist die Lage immer ernst, und um sie zu meistern, braucht es andere Fähigkeiten als die eines Entertainers. Das wird in den USA anders bewertet. Wie sehr sich dort die gesamte Wahlkampfführung um die Zusammenkünfte großer Menschenmassen dreht, zeigt sich gerade in diesem Jahr, in dem genau das angesichts der Corona-Pandemie nicht mehr so möglich ist wie bisher. Joe Bidens Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat wurde auf dem Bildschirm vollzogen, im Rahmen einer schnöden Videokonferenz. Eva Longoria moderierte das Geschehen auf den zusammengeschalteten Bildschirmen, im Grunde handelte es sich um eine Art Mitmach-Fernsehen.
Verglichen mit einer Live-Veranstaltung wirkt eine Videokonferenz wie eine dürftige Notlösung, denn das technische Medium unterbindet Stürme der Begeisterung, Aufschäumen von Wut und tosende Zustimmung im Kollektiv. Weil Donald Trump sein Publikum beherrscht, sobald er auf der Bühne steht, wollte er auf dieses Wahlkampf-Instrument nicht verzichten. Aller Empörung zum Trotz, lud er im Juni seine Anhänger nach dem Lockdown zu einer ersten großen Kundgebung in die Arena von Tulsa, Oklahoma, ein. Millionen Karten sollen reserviert worden sein, doch nur wenig tausend Menschen erschienen tatsächlich, Trump trat vor leeren Rängen auf. Ein Desaster für den Showmaster.
Vermutlich haben sich unzählige Jugendliche auf der Online-Plattform Tiktok dazu verabredet, Karten zu reservieren und sie verfallen zu lassen. Der an der Nase herumgeführte Präsident rächte sich, indem er Tiktok verbieten ließ. Eine Episode, die nicht nur ein Licht auf sein Verständnis vom Rechtsstaat wirft, sondern auch auf sein Verständnis von Interaktion in digitalen Medien.
Trump nutzt Twitter so, wie er es als Fernseh-Darsteller gelernt hat, das heißt: Er ist im Monolog auf Dauersendung. Jegliche Form der Rückmeldung, auch die Zurückweisung, deutet er nur als Verstärkung seiner Lautstärke.
Dass aber zukünftige Wahlkämpfe über das Smartphone entschieden werden und dass dafür der tatsächliche Austausch ausschlaggebend ist, beweist der Erfolg einer neuen Politiker-Generation. Ihre Galionsfigur ist die energiegeladene Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez aus dem New Yorker Wahlbezirk Bronx und Queens. In kurzen Filmen, die sie mit ihrem eigenen Smartphone aufnimmt, richtet sie sich direkt an ihr Publikum. Virtuos gelingt es ihr, mit persönlichen Geschichten den Eindruck von Nähe und unmittelbarem Austausch von Mensch zu Mensch zu erzeugen. So mobilisiert sie Freiwillige, die ihre Politik nicht nur in Worten und mit Geld während des Wahlkampfs unterstützen, sondern auch danach noch vor Ort umsetzen. Ihre Botschaft könnte nicht amerikanischer sein: »What ever it is you want to do in life, you can move towards it. You can! You can!«
Design im US-Wahlkampf: Interaktion
In den USA ist der politische Wahlkampf vor allem ein Kampf zwischen Personen, die sich um ein Mandat bewerben. Ihre Partei steht dabei nicht so sehr im Vordergrund wie in Deutschland. Diese Personalisierung hat unmittelbare Folgen für die Gestaltung des Wahlkampfs in Bildern und Parolen.
Zum amerikanischen Mythos gehört der Imperativ: Rally around the flag, das heißt: Versammeln wir uns um unsere Fahne! Auf der Fahne steht das, wofür die Kontrahenten stehen. In seinem ersten Wahlkampf hatte Barack Obama die Parole ausgegeben: »Yes, we can!« Joe Biden beschwört die Nation heute: »Battle for the soul of the nation.« Und bei Trump heißt es seit Jahren: »Keep America great again.«
Eine Parole mobilisiert. Sie bewegt alle dazu, die ihr folgen, sich auf den Weg zu machen. Das Ziel der Bewegung ist die Versammlung, im wörtlichen Sinne. Bei der Zusammenkunft im Stadion oder der Arena vergewissern sich Zehntausende Anhänger, dass sie viele sind und auf der richtigen Seite stehen. Sie glauben, dass der Erfolg ihnen recht gibt, denn in der Demokratie hat das Lager Erfolg, das in der Überzahl ist. Deshalb bilden diese Live-Versammlungen, die rallies, die zentralen Ereignisse im US- Wahlkampf. Sie halten die Anhänger bei der Stange und produzieren für die Unentschlossenen Bilder riesiger Menschenmassen – wie bei einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
Rallies sind choreografisch bis ins kleinste Detail komponierte Bühnenshows. Menschen strömen an einen Ort wie zu einem Rockkonzert oder Basketballspiel. Auf den Straßen und in den Hallen schwenken sie ihre Fahnen, sie halten Schilder mit den Namen ihrer Idole hoch. Laute Musik heizt ihnen ein. Die Liste der Redner ist dramaturgisch ausgeklügelt: Eine Gruppe von Menschen wie du und ich. Weggefährten. Die Familie des Kandidaten – und dann noch Prominente. Lichteffekte lenken die Blicke des Publikums. Stars and Stripes, Blau und Rot dominieren den Raum, die Luft glitzert voller glänzendem Konfetti. Die Stimmung wird aufgepeitscht bis zum Höhepunkt, dem Auftritt des Main Acts. Politik hat hier das Format eines Unterhaltungsprogramms angenommen. Die Teilnehmer sind keine räsonierenden Bürger, sondern johlende und grölende Fans. Sie erleben sich in einem Moment unmittelbarer Interaktion mit ihrem Star und gehen auf Tuchfühlung mit ihresgleichen.
Für europäische Beobachter erscheint ein solches Event verstörend. Nach den Erfahrungen mit Inszenierungen des Nazi-Regimes durch Reichsparteitage, Aufmärsche und Fackelumzüge bei Nacht gelten in Deutschland emotionale Überwältigungsstrategien als unangebracht für eine vernunftbasierte Demokratie. In der Politik ist die Lage immer ernst, und um sie zu meistern, braucht es andere Fähigkeiten als die eines Entertainers. Das wird in den USA anders bewertet. Wie sehr sich dort die gesamte Wahlkampfführung um die Zusammenkünfte großer Menschenmassen dreht, zeigt sich gerade in diesem Jahr, in dem genau das angesichts der Corona-Pandemie nicht mehr so möglich ist wie bisher. Joe Bidens Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat wurde auf dem Bildschirm vollzogen, im Rahmen einer schnöden Videokonferenz. Eva Longoria moderierte das Geschehen auf den zusammengeschalteten Bildschirmen, im Grunde handelte es sich um eine Art Mitmach-Fernsehen.
Verglichen mit einer Live-Veranstaltung wirkt eine Videokonferenz wie eine dürftige Notlösung, denn das technische Medium unterbindet Stürme der Begeisterung, Aufschäumen von Wut und tosende Zustimmung im Kollektiv. Weil Donald Trump sein Publikum beherrscht, sobald er auf der Bühne steht, wollte er auf dieses Wahlkampf-Instrument nicht verzichten. Aller Empörung zum Trotz, lud er im Juni seine Anhänger nach dem Lockdown zu einer ersten großen Kundgebung in die Arena von Tulsa, Oklahoma, ein. Millionen Karten sollen reserviert worden sein, doch nur wenig tausend Menschen erschienen tatsächlich, Trump trat vor leeren Rängen auf. Ein Desaster für den Showmaster.
Vermutlich haben sich unzählige Jugendliche auf der Online-Plattform Tiktok dazu verabredet, Karten zu reservieren und sie verfallen zu lassen. Der an der Nase herumgeführte Präsident rächte sich, indem er Tiktok verbieten ließ. Eine Episode, die nicht nur ein Licht auf sein Verständnis vom Rechtsstaat wirft, sondern auch auf sein Verständnis von Interaktion in digitalen Medien.
Trump nutzt Twitter so, wie er es als Fernseh-Darsteller gelernt hat, das heißt: Er ist im Monolog auf Dauersendung. Jegliche Form der Rückmeldung, auch die Zurückweisung, deutet er nur als Verstärkung seiner Lautstärke.
Dass aber zukünftige Wahlkämpfe über das Smartphone entschieden werden und dass dafür der tatsächliche Austausch ausschlaggebend ist, beweist der Erfolg einer neuen Politiker-Generation. Ihre Galionsfigur ist die energiegeladene Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez aus dem New Yorker Wahlbezirk Bronx und Queens. In kurzen Filmen, die sie mit ihrem eigenen Smartphone aufnimmt, richtet sie sich direkt an ihr Publikum. Virtuos gelingt es ihr, mit persönlichen Geschichten den Eindruck von Nähe und unmittelbarem Austausch von Mensch zu Mensch zu erzeugen. So mobilisiert sie Freiwillige, die ihre Politik nicht nur in Worten und mit Geld während des Wahlkampfs unterstützen, sondern auch danach noch vor Ort umsetzen. Ihre Botschaft könnte nicht amerikanischer sein: »What ever it is you want to do in life, you can move towards it. You can! You can!«
WDR 3: Kultur am Mittag
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