Das Produkt: Ein elektrischer Lichtschalter, kreisrunde Grundfläche, 9 cm Durchmesser Vom Verschwinden der Dinge lebt das Design. Oft unterschätzen aber die Designer, wie sehr uns die Dinge ans Herz gewachsen sind. Zum Beispiel die Glühbirne: Kaum droht sie zu verschwinden, schon berichten die Hersteller von Hamsterkäufen. Eine Glühbirne genügt aber nicht, um Licht in die Häuser zu tragen. Es braucht auch den Schalter an der Wand, um sie anzumachen. Vor 90 Jahren war dies normalerweise ein Schalter, dessen Griff wie ein zu beiden Enden leicht geschwungener Flügel auf einer runden Grundfläche hervorragt. Dreht man ihn 45 Grad im Uhrzeigersinn, so macht es Klack und das Licht geht an. Dreht man erneut, dann geht es wieder aus. Der Fachbegriff lautet: Drehknebelschalter. Seine typische Form erhielt der Drehknebelschalter bei einem sauerländischen Betrieb. Sein Gründer Robert Berker, als Techniker Autodidakt, wollte bei seinem ersten Arbeitgeber Schalter mit höherer Leistung entwickeln als mit den damals üblichen 4 bis 6 Ampere. Denn diese führten bei mehreren angeschlossenen Glühbirnen rasch zur Überlastung. Doch seinem Meister war die Idee zu verwegen. Daraufhin machte sich Berker 1919 zusammen mit seinem Bruder Hugo in Schalksmühle mit einer eigenen Werkstatt selbständig. Es gelang ihm, 10-Ampere-Schalter zu konstruieren. Es folgte geschäftlicher Erfolg und das Unternehmen spezialisierte sich auf elektrische Schalter für Industrie und Handwerk – unter anderem Drehknebelschalter in Weiß auf einer durchsichtigen Glasscheibe oder auch komplett aus schwarzem Bakelit. 1925 ließ Walter Gropius Berkers Lichtschalter in das neue Bauhaus-Gebäude in Dessau einbauen. Der junge Handwerksbetrieb war Teil der Avantgarde geworden. Auch die Wohnhäuser der Meister waren als Inbegriff des technischen Fortschritts konzipiert und durch und durch elektrifiziert. Die Dame des Hauses erhielt die Rolle einer Cheftechnikerin der Wohnmaschine. Der Drehknebelschalter war 50 Jahre lang die selbstverständliche Form eines Lichtschalters. Mitte der Sechziger Jahre verscheuchte das moderne Design auch diesen – fast – stummen Diener. Da genügte ein Tippen auf großflächige, rechteckige Kippschalter. Heute braucht es nur noch eine unmerkliche Geste in Richtung eines Bewegungssensors, um das Licht einer Energiesparlampe anschalten. Da wundert es nicht, dass sich mittlerweile viele Käufer für die wieder aufgelegten und zum Kult avancierten Drehknebelschalter interessieren. Das Lichtanschalten als bewusste Tätigkeit ist ein Beispiel für die Melancholie der Moderne, die verschwundene Dinge manchmal wieder aus der Versenkung hervorholt. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [166]
Das Produkt: Ein elektrischer Lichtschalter, kreisrunde Grundfläche, 9 cm Durchmesser Vom Verschwinden der Dinge lebt das Design. Oft unterschätzen aber die Designer, wie sehr uns die Dinge ans Herz gewachsen sind. Zum Beispiel die Glühbirne: Kaum droht sie zu verschwinden, schon berichten die Hersteller von Hamsterkäufen. Eine Glühbirne genügt aber nicht, um Licht in die Häuser zu tragen. Es braucht auch den Schalter an der Wand, um sie anzumachen. Vor 90 Jahren war dies normalerweise ein Schalter, dessen Griff wie ein zu beiden Enden leicht geschwungener Flügel auf einer runden Grundfläche hervorragt. Dreht man ihn 45 Grad im Uhrzeigersinn, so macht es Klack und das Licht geht an. Dreht man erneut, dann geht es wieder aus. Der Fachbegriff lautet: Drehknebelschalter. Seine typische Form erhielt der Drehknebelschalter bei einem sauerländischen Betrieb. Sein Gründer Robert Berker, als Techniker Autodidakt, wollte bei seinem ersten Arbeitgeber Schalter mit höherer Leistung entwickeln als mit den damals üblichen 4 bis 6 Ampere. Denn diese führten bei mehreren angeschlossenen Glühbirnen rasch zur Überlastung. Doch seinem Meister war die Idee zu verwegen. Daraufhin machte sich Berker 1919 zusammen mit seinem Bruder Hugo in Schalksmühle mit einer eigenen Werkstatt selbständig. Es gelang ihm, 10-Ampere-Schalter zu konstruieren. Es folgte geschäftlicher Erfolg und das Unternehmen spezialisierte sich auf elektrische Schalter für Industrie und Handwerk – unter anderem Drehknebelschalter in Weiß auf einer durchsichtigen Glasscheibe oder auch komplett aus schwarzem Bakelit. 1925 ließ Walter Gropius Berkers Lichtschalter in das neue Bauhaus-Gebäude in Dessau einbauen. Der junge Handwerksbetrieb war Teil der Avantgarde geworden. Auch die Wohnhäuser der Meister waren als Inbegriff des technischen Fortschritts konzipiert und durch und durch elektrifiziert. Die Dame des Hauses erhielt die Rolle einer Cheftechnikerin der Wohnmaschine. Der Drehknebelschalter war 50 Jahre lang die selbstverständliche Form eines Lichtschalters. Mitte der Sechziger Jahre verscheuchte das moderne Design auch diesen – fast – stummen Diener. Da genügte ein Tippen auf großflächige, rechteckige Kippschalter. Heute braucht es nur noch eine unmerkliche Geste in Richtung eines Bewegungssensors, um das Licht einer Energiesparlampe anschalten. Da wundert es nicht, dass sich mittlerweile viele Käufer für die wieder aufgelegten und zum Kult avancierten Drehknebelschalter interessieren. Das Lichtanschalten als bewusste Tätigkeit ist ein Beispiel für die Melancholie der Moderne, die verschwundene Dinge manchmal wieder aus der Versenkung hervorholt. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.