Es ist ein Klischee, dass jeder Architekt und jeder Designer, der etwas auf sich hält, zumindest einmal in seinem Leben einen Stuhl entworfen haben muss. Und so seltsam es auch klingen mag: Dieses Klischee entspricht tatsächlich der Wirklichkeit. Meistens jedoch denken die Gestalter nur über die Form des Stuhls nach, nicht aber über das Sitzen selbst. Darum auch kommt nur in den seltensten Fällen ein Stuhl heraus, der das Zeug zum Klassiker hat. In den späten 60er Jahren wurden sämtliche Traditionen kritisch hinterfragt. So stellten die Designer zum Beispiel fest, dass das Sitzen ein Sinnbild der Autorität der Mächtigen ist und dass Stühle auch in der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts dem Urbild des Throns nachempfunden waren. Prompt entwarfen sie Säcke, auf denen man sich knapp über dem Boden lümmelte. Sie entwarfen transparente, aufblasbare Parodien auf alte Ledersessel und Plexiglaskugeln, die von der Decke herabschwebten. Alles schön und gut, aber nicht wirklich praktisch, wenn man gemeinsam mit Kind und Kegel am Tisch sitzen möchte. Einen für diesen Zweck bestens geeigneten und zugleich antiautoritären Stuhl entwarf 1972 der Norwegische Designer Peter Opsvik. Im Alter von 28 Jahren hatte er 1967 für die norwegische Firma Stokke sein erstes Möbel entwickelt, das in Serie hergestellt wurde: Einen bequem gepolsterten Sessel, dessen Rückenlehne in vielen Stufen so weit nach unten verstellt werden kann, dass er sogar als Liege funktioniert. Diesen Gedanken der Anpassbarkeit an die jeweilige Situation vertiefte er drei Jahre später. Mit einem Stipendium besuchte Peter Opsvik 1970 für ein Gastsemester die Folkwangschule in Essen. Er entwarf in diesem Jahr einen Stuhl, dessen Sitzfläche höhenverstellbar ist und sich deshalb für Kinder, Jugendliche und Erwachsenen gleichermaßen eignet. Er steht nicht auf vier Beinen, sondern auf zwei stabilen Naturholzkufen, die sich ununterbrochen als seitliche Wangen nach oben biegen und Einkerbungen haben, in denen die rote Sitzfläche eingeschoben wird. Das passte zum Geist der Zeit, denn nun konnten gleichberechtigt und ohne Unterschiede alle Alters- und Gesellschaftsschichten beisammen sitzen. Das zweijährige Kleinkind brauchte keine Sonderlösung und der sechsjährige Erstklässler musste sich keine Kissen mehr unter den Hintern schieben lassen, wenn er auf demselben Stuhl wie die Erwachsenen sitzen wollte. Dieses Prinzip arbeitete Peter Opsvik 1972 für den Stuhl weiter aus, der als Tripp-Trapp auf den Markt kam. Hier ließen sich erstmals die Sitzfläche ebenso wie die Fußstütze in der Höhe verstellen, um sie an das Alter und die Tischhöhe anzupassen. Die Kleinkinder essen seither nicht von einem separaten, vormontierten Tablett, sondern sitzen gemeinsam mit allen Familienmitgliedern direkt mit am Tisch. Der Tripp-Trapp ist eine der seltenen Ausnahmen im Design, bei denen geplante Multifunktionalität und Anpassungsfähigkeit wirklich funktionieren. Das Kleinkind sitzt ebenso gut auf ihm wie der Erwachsene, und dadurch hat Peter Opsvik mehr für das moderne Familienglück in aller Welt geleistet als die meisten Designutopien. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [187]
Es ist ein Klischee, dass jeder Architekt und jeder Designer, der etwas auf sich hält, zumindest einmal in seinem Leben einen Stuhl entworfen haben muss. Und so seltsam es auch klingen mag: Dieses Klischee entspricht tatsächlich der Wirklichkeit. Meistens jedoch denken die Gestalter nur über die Form des Stuhls nach, nicht aber über das Sitzen selbst. Darum auch kommt nur in den seltensten Fällen ein Stuhl heraus, der das Zeug zum Klassiker hat. In den späten 60er Jahren wurden sämtliche Traditionen kritisch hinterfragt. So stellten die Designer zum Beispiel fest, dass das Sitzen ein Sinnbild der Autorität der Mächtigen ist und dass Stühle auch in der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts dem Urbild des Throns nachempfunden waren. Prompt entwarfen sie Säcke, auf denen man sich knapp über dem Boden lümmelte. Sie entwarfen transparente, aufblasbare Parodien auf alte Ledersessel und Plexiglaskugeln, die von der Decke herabschwebten. Alles schön und gut, aber nicht wirklich praktisch, wenn man gemeinsam mit Kind und Kegel am Tisch sitzen möchte. Einen für diesen Zweck bestens geeigneten und zugleich antiautoritären Stuhl entwarf 1972 der Norwegische Designer Peter Opsvik. Im Alter von 28 Jahren hatte er 1967 für die norwegische Firma Stokke sein erstes Möbel entwickelt, das in Serie hergestellt wurde: Einen bequem gepolsterten Sessel, dessen Rückenlehne in vielen Stufen so weit nach unten verstellt werden kann, dass er sogar als Liege funktioniert. Diesen Gedanken der Anpassbarkeit an die jeweilige Situation vertiefte er drei Jahre später. Mit einem Stipendium besuchte Peter Opsvik 1970 für ein Gastsemester die Folkwangschule in Essen. Er entwarf in diesem Jahr einen Stuhl, dessen Sitzfläche höhenverstellbar ist und sich deshalb für Kinder, Jugendliche und Erwachsenen gleichermaßen eignet. Er steht nicht auf vier Beinen, sondern auf zwei stabilen Naturholzkufen, die sich ununterbrochen als seitliche Wangen nach oben biegen und Einkerbungen haben, in denen die rote Sitzfläche eingeschoben wird. Das passte zum Geist der Zeit, denn nun konnten gleichberechtigt und ohne Unterschiede alle Alters- und Gesellschaftsschichten beisammen sitzen. Das zweijährige Kleinkind brauchte keine Sonderlösung und der sechsjährige Erstklässler musste sich keine Kissen mehr unter den Hintern schieben lassen, wenn er auf demselben Stuhl wie die Erwachsenen sitzen wollte. Dieses Prinzip arbeitete Peter Opsvik 1972 für den Stuhl weiter aus, der als Tripp-Trapp auf den Markt kam. Hier ließen sich erstmals die Sitzfläche ebenso wie die Fußstütze in der Höhe verstellen, um sie an das Alter und die Tischhöhe anzupassen. Die Kleinkinder essen seither nicht von einem separaten, vormontierten Tablett, sondern sitzen gemeinsam mit allen Familienmitgliedern direkt mit am Tisch. Der Tripp-Trapp ist eine der seltenen Ausnahmen im Design, bei denen geplante Multifunktionalität und Anpassungsfähigkeit wirklich funktionieren. Das Kleinkind sitzt ebenso gut auf ihm wie der Erwachsene, und dadurch hat Peter Opsvik mehr für das moderne Familienglück in aller Welt geleistet als die meisten Designutopien. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.