Wie sieht Musik aus? Musik, die nicht live gespielt wird, sondern konserviert ist? Seit der ersten Serienfertigung von Schallplatten in Thüringen und Mannheim 1890 und dem kommerziellen Durchbruch der Schellack-Platten ab 1900 werden diese Tonträger in braunes Kartonpapier eingepackt. Es gibt auch noch keine spezialisierten Geschäfte. Die Platten werden meist in Haushaltsgeräteläden verkauft. Sie stecken in separaten Papiertaschen, von denen mehrere zusammen zwischen zwei Pappdeckeln wie ein Buch gebunden werden. Sie werden deshalb offiziell auch Album, umgangssprachlich aber »tombstones« genannt, Grabsteine, weil sie mit dem schmalen Rücken nach außen im Regal stehen: Dunkel, kalt und abweisend. Man kann die Musik in dieser Verpackung nur anhand der Bindung in verschiedenen Farben und der Titel unterscheiden, die darauf in Gold oder Silber eingeprägt sind. 1938 wird der New Yorker Designer Alex Steinweiss im Alter von 23 Jahren künstlerischer Leiter der amerikanischen Firma »Columbia Records«. Er ahnt, dass in den bisherigen Verpackungen noch jede Menge Potential für die werbliche Förderung des Verkaufs steckt, das noch nicht ausgeschöpft ist. Er stellt sich eine bunte, plakatartige Gestaltung vor, die die im Album enthaltene Musik veranschaulicht. Die Geschäftsführung jedoch scheut die erheblich höheren Anlauf- und Druckkosten im Vergleich zu den damals üblichen Grabstein-Einbänden. Dennoch bekommt Steinweiss seine Chance. Und tatsächlich schnellen die Verkaufszahlen von Plattenalben, die er gestaltet, in ungeahnte Höhen. Beethovens »Eroica« unter der Leitung Bruno Walters verkauft sich im Vergleich zur gleichen Pressung mit der herkömmlichen Verpackung um sagenhafte 895 Prozent besser. 1 1948 bekommt die Karriere von Steinweiss noch einmal einen Schub: Peter Goldmark erfindet die Langspielplatte. Auf diesen weichen Vinylplatten, die nicht mehr durch einen einfachen Sturz zerbrechen, sind 25 Minuten Musik pro Seite gespeichert – das ist fünfmal länger als bisher. Ein bahnbrechender Fortschritt. Aber ihre feinen Rillen sind auch empfindlicher, und es gibt für sie noch keine geeigneten Hüllen. Steinweiss wird um Rat gefragt, und er entwickelt die Schallplattenhülle, wie sie dann 40 Jahre lang üblich ist. Die Rechte an seinem Patent erhält allerdings sein Arbeitgeber. In den 60er Jahren gerät sein Name in Vergessenheit – und ironischerweise erlangt er erst Berühmtheit, als sich die Historiker mit der Geschichte der Langspielplatte und ihrer visuellen Kultur beschäftigen. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [259]
Wie sieht Musik aus? Musik, die nicht live gespielt wird, sondern konserviert ist? Seit der ersten Serienfertigung von Schallplatten in Thüringen und Mannheim 1890 und dem kommerziellen Durchbruch der Schellack-Platten ab 1900 werden diese Tonträger in braunes Kartonpapier eingepackt. Es gibt auch noch keine spezialisierten Geschäfte. Die Platten werden meist in Haushaltsgeräteläden verkauft. Sie stecken in separaten Papiertaschen, von denen mehrere zusammen zwischen zwei Pappdeckeln wie ein Buch gebunden werden. Sie werden deshalb offiziell auch Album, umgangssprachlich aber »tombstones« genannt, Grabsteine, weil sie mit dem schmalen Rücken nach außen im Regal stehen: Dunkel, kalt und abweisend. Man kann die Musik in dieser Verpackung nur anhand der Bindung in verschiedenen Farben und der Titel unterscheiden, die darauf in Gold oder Silber eingeprägt sind. 1938 wird der New Yorker Designer Alex Steinweiss im Alter von 23 Jahren künstlerischer Leiter der amerikanischen Firma »Columbia Records«. Er ahnt, dass in den bisherigen Verpackungen noch jede Menge Potential für die werbliche Förderung des Verkaufs steckt, das noch nicht ausgeschöpft ist. Er stellt sich eine bunte, plakatartige Gestaltung vor, die die im Album enthaltene Musik veranschaulicht. Die Geschäftsführung jedoch scheut die erheblich höheren Anlauf- und Druckkosten im Vergleich zu den damals üblichen Grabstein-Einbänden. Dennoch bekommt Steinweiss seine Chance. Und tatsächlich schnellen die Verkaufszahlen von Plattenalben, die er gestaltet, in ungeahnte Höhen. Beethovens »Eroica« unter der Leitung Bruno Walters verkauft sich im Vergleich zur gleichen Pressung mit der herkömmlichen Verpackung um sagenhafte 895 Prozent besser. 1 1948 bekommt die Karriere von Steinweiss noch einmal einen Schub: Peter Goldmark erfindet die Langspielplatte. Auf diesen weichen Vinylplatten, die nicht mehr durch einen einfachen Sturz zerbrechen, sind 25 Minuten Musik pro Seite gespeichert – das ist fünfmal länger als bisher. Ein bahnbrechender Fortschritt. Aber ihre feinen Rillen sind auch empfindlicher, und es gibt für sie noch keine geeigneten Hüllen. Steinweiss wird um Rat gefragt, und er entwickelt die Schallplattenhülle, wie sie dann 40 Jahre lang üblich ist. Die Rechte an seinem Patent erhält allerdings sein Arbeitgeber. In den 60er Jahren gerät sein Name in Vergessenheit – und ironischerweise erlangt er erst Berühmtheit, als sich die Historiker mit der Geschichte der Langspielplatte und ihrer visuellen Kultur beschäftigen. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.