Etwas, das dem heutigen Stuttgart 21 recht nahe kommt, gab es schon vor mehr als 50 Jahren. Mitten im blühenden Aufschwung des deutschen Wirtschaftswunders plante der Duisburger Unternehmer Helmut Horten 1959 sein Warenhaus in der Stuttgarter Innenstadt. Er musste dafür aber das, nach seinen Vorbesitzern so genannte, Kaufhaus Schocken abreißen. Und damit eines der wenigen Gebäude des Architekten Erich Mendelssohn, das den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschädigt überstanden hatte. Gegen den Abriss protestierten Größen wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Richard Neutra und Max Bill. Dagegen stand aber, dass das alte Haus von 1928 nicht mehr auf der Höhe der Zeit war. Die mittlerweile verwöhnte Kundschaft verlangte nun nach den Segnungen komfortablen Shoppens: Rolltreppen, breite Flanierwege, eine leistungsstarke Klimaanlage. Die bisherige Kaufhaus-Architektur steckte aber in einer merkantilen Sackgasse. Entweder opferten die Kaufhäuser viel Verkaufsfläche zugunsten eines zentralen Lichthofs, um genügend Tageslicht in die Räume scheinen zu lassen. Oder sie hatten raumhohe Fensterbänder und verzichteten dafür auf wertvolle Regalflächen an den Wänden. Der Architekt Egon Eiermann setzte dagegen auf einen radikal neuen Architektur-Typus. Sein Vorbild war das gerade erst 1957 eröffnete Kaufhaus »Der Bienenkorb« Marcel Breuers in Rotterdam: Ein autarker Monolith, der keinerlei gestalterische Rücksicht auf seine historisch gewachsene Umgebung nimmt, weil seine Fassade von einer geometrischen Wabenstruktur überzogen ist. Egon Eiermann plante 1959 einen neuen Kubus anstelle des abzureißenden alten Kaufhauses Schocken, der künstlich belüftet und belichtet wurde. Er verzichtete auf Tageslicht. Das Einkaufen vollzog sich abgeschottet, alle natürlichen Einflüsse wurden kontrolliert. Für die Fassade entwickelte Eiermann ein quadratisches Element aus Aluminiumguss mit 50 Zentimeter Kantenlänge und 20 Zentimetern Tiefe. An zwei gegenüberliegenden inneren Kanten reichen Dreiecke bis zur Mitte, wo sie sich berühren. Die gesamte Fassade bestand aus etwa 2.000 Elementen, die der Volksmund bis heute Hortenkacheln nennt. In den folgenden Jahren übernahm der Horten-Konzern diese serielle Fassade als Markenzeichen für alle 51 Warenhäuser. Seine Wettbewerber folgten diesem Prinzip. Das Ergebnis war, wie so oft in der Moderne, ein zwiespältiges. Aus Sicht der Unternehmen entstanden Gebäude mit bisher nicht dagewesener Wiedererkennung, die innen optimal auf die Präsentation und den Verkauf der Waren ausgerichtet werden konnten. Der öffentliche Raum in den Städten wurde jedoch de facto rücksichtslos den Anforderungen eines warenästhetisch verdichteten Partikularinteresses unterworfen. Daran änderten auch schon die Proteste von 1959 nichts. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [238]
Etwas, das dem heutigen Stuttgart 21 recht nahe kommt, gab es schon vor mehr als 50 Jahren. Mitten im blühenden Aufschwung des deutschen Wirtschaftswunders plante der Duisburger Unternehmer Helmut Horten 1959 sein Warenhaus in der Stuttgarter Innenstadt. Er musste dafür aber das, nach seinen Vorbesitzern so genannte, Kaufhaus Schocken abreißen. Und damit eines der wenigen Gebäude des Architekten Erich Mendelssohn, das den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschädigt überstanden hatte. Gegen den Abriss protestierten Größen wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Richard Neutra und Max Bill. Dagegen stand aber, dass das alte Haus von 1928 nicht mehr auf der Höhe der Zeit war. Die mittlerweile verwöhnte Kundschaft verlangte nun nach den Segnungen komfortablen Shoppens: Rolltreppen, breite Flanierwege, eine leistungsstarke Klimaanlage. Die bisherige Kaufhaus-Architektur steckte aber in einer merkantilen Sackgasse. Entweder opferten die Kaufhäuser viel Verkaufsfläche zugunsten eines zentralen Lichthofs, um genügend Tageslicht in die Räume scheinen zu lassen. Oder sie hatten raumhohe Fensterbänder und verzichteten dafür auf wertvolle Regalflächen an den Wänden. Der Architekt Egon Eiermann setzte dagegen auf einen radikal neuen Architektur-Typus. Sein Vorbild war das gerade erst 1957 eröffnete Kaufhaus »Der Bienenkorb« Marcel Breuers in Rotterdam: Ein autarker Monolith, der keinerlei gestalterische Rücksicht auf seine historisch gewachsene Umgebung nimmt, weil seine Fassade von einer geometrischen Wabenstruktur überzogen ist. Egon Eiermann plante 1959 einen neuen Kubus anstelle des abzureißenden alten Kaufhauses Schocken, der künstlich belüftet und belichtet wurde. Er verzichtete auf Tageslicht. Das Einkaufen vollzog sich abgeschottet, alle natürlichen Einflüsse wurden kontrolliert. Für die Fassade entwickelte Eiermann ein quadratisches Element aus Aluminiumguss mit 50 Zentimeter Kantenlänge und 20 Zentimetern Tiefe. An zwei gegenüberliegenden inneren Kanten reichen Dreiecke bis zur Mitte, wo sie sich berühren. Die gesamte Fassade bestand aus etwa 2.000 Elementen, die der Volksmund bis heute Hortenkacheln nennt. In den folgenden Jahren übernahm der Horten-Konzern diese serielle Fassade als Markenzeichen für alle 51 Warenhäuser. Seine Wettbewerber folgten diesem Prinzip. Das Ergebnis war, wie so oft in der Moderne, ein zwiespältiges. Aus Sicht der Unternehmen entstanden Gebäude mit bisher nicht dagewesener Wiedererkennung, die innen optimal auf die Präsentation und den Verkauf der Waren ausgerichtet werden konnten. Der öffentliche Raum in den Städten wurde jedoch de facto rücksichtslos den Anforderungen eines warenästhetisch verdichteten Partikularinteresses unterworfen. Daran änderten auch schon die Proteste von 1959 nichts. Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.