Reden wir über Bach. Reden wir über sein Wohltemperiertes Klavier. Über Beethoven, Leonard Bernstein und Alban Berg. Dafür begeben wir uns in die Küche. Auf dem Weg dorthin reden wir noch über Andrea Branzi, den italienischen Praktiker und Theoretiker revidierter moderner Gestaltung.
Denn manches Design ist berühmt für sein entschiedenes: »Entweder – oder!«. Der Stuhl, der nur aus Kunststoff gefertigt ist. Das Gerät, das pures High Tech verkörkpern möchte. Das Ding als revolutionärerer Appell, die Barrikaden zu überwinden.
Demgegenüber ist Design in der medialen Inszenierung benachteiligt, das sich eher abwägend gibt. Das vermeintliche Widersprüche durch Integration aufheben will. In dem sich sowohl der eine extreme Pol als auch sein Gegenpol versöhnlich aufeinander zubewegen.
Bisweilen erscheint gerade solches Design, wenn es gelungen ist, sanfter und offener, weniger entschlossen und abgeschottet. Möglicherweise ist es humaner. Das ist zumindest die Perspektive von Koray Malhan, Mitglied des Vorstands sowie Design- und Markendirektor des türkischen Möbelherstellers Koleksyion mit Sitz in Istanbul.
Diese Ansicht verbindet ihn z.B. mit Andrea Branzi aus Mailand, der die Utopie einer schwachen, vielfältigen und reversiblen Moderne formuliert hat – eine gestalterische Entwicklungsstufe als Erkenntnis aus der Beobachtung, dass die einfältig weißen und grauen Quadratklötze der Moderne nicht nur banale Monotonie, sondern auch dauerhaft brachialen Schaden hervorgebracht haben.
So verstanden, plädiert Branzi für Design als Potenzial, flexibel auf die Anforderungen zu reagieren und gleichzeitig alle wesentlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Design, das nicht dominiert, sondern respektiert und reagiert.
Zugegeben, dieses Plädoyer klingt reichlich abstrakt: Akademische Gedankenspiele. Aber auf den belebten Straßen und Plätzen einer mediterranen Metropole ist diese Haltung permanent gegenwärtig: Menschen reagieren nonstop auf das, was gerade in ihrem unmittelbaren Umfeld geschieht, ohne dass es allzu strikt formalisiert wäre. So werden etwa Geschwindigkeitsvorgaben als unverbindliche Empfehlung aufgefasst, und der Parkraum hängt von der individuellen Konstruktionsleistung des Parkplatzsuchenden (Geschicklichkeit und Vorstellungskraft) ab. Wir nennen es Wirklichkeit, und es lässt sich nicht nur in den Metropolen erleben, sondern auch in jedem kleinen Gemeinwesen, im antiken Sinn: in jeder Polis.
Eine mediterrane Polis ist organisiert wie eine lebendige Küche: Was auf den Tisch oder die politische Agenda kommt, hängt davon ab, was gerade zur Verfügung steht, was gebraucht wird und welche Rezepte zur Hand sind. Ob das Ergebnis allen schmeckt, wird wesentlich bestimmt von einem beweglichen, angemessen anpassungsfähigen Umgang mit dem, was gerade erforderlich scheint.
Wer Koray Malhan kennenlernen will, wird sich voraussichtlich bei einem Gespräch wiederfinden, dass in Malhans »Küche« stattfindet (oder an einem Ort, dessen Atmosphäre an eine Küche erinnert, z.B. während Veranstaltungen in seinen Niederlassungen in Düsseldorf, London, New York, Chicago oder Dubai).
Koray Malhan nennt sein offenes Büro »seine Küche«. Es befindet sich auf der zweiten Ebene einer ehemaligen Kranfabrik, die heute von Koleksyion als Showroom genutzt wird. Dieses Vorstandsbüro gliedert sich unaufdringlich in die Inszenierung der Exponate ein. Dem Besucher fällt beim flüchtigen Vorbeigehen kaum auf, dass es sich bei diesem lichten Raum hinter einer deckenhohen Glasscheibe nicht um einen Teil der Ausstellung handelt, sondern dass dort wirklich gearbeitet wird.
Malhans Arbeit besteht zum großen Teil darin, mit Menschen zu sprechen. Bekanntlich entspinnen sich in der Küche die besten Gespräche. So ist es kein Zufall, sondern geschickte und kluge Fügung, dass sich an der Wirkstätte Malhans die einzelnen Stränge verbinden, die seine Arbeit prägen: Gesprächskultur, Musik, Architektur und Design.
Der Gestalter wird 1972 in Ankara geboren und wächst in einem bildungsbürgerlichen Elternhaus auf. Sein Vater, Faruk Malhan, hatte Architektur bei Fritz Janeba an der TU Ankara studiert, eine Soziologin geheiratet und das Unternehmen Koleksyion gegründet. Die Eheleute führen einen polyglotten Salon, ihr Haus steht Künstlern und Schauspielern, Film- und Theaterregisseuren, Musikern und Choreographen, Architekten und Wissenschaftlern offen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich Korays Entscheidung für eine gestalterische Ausrichtung wie von selbst. Sein Studium des Industrial Design nimmt er an der Mimar Sinan Hochschule der bildenden Künste in Istanbul auf, den Abschluss als Möbeldesigner legt er 1995 im Ravensbourne College of Design and Communication in London ab.
Seine intellektuelle Erkundung der Welt endet aber nicht mit seiner Zeit an der Hochschule. Vier Jahre lang studiert er Bach. Er untersucht die Strukturen und Ebenen des Wohltemperierten Klaviers. Am Ende überträgt diese Organisation des Klangraums in Farbräume und geometrische Formen. Malhan entwickelt daraus Parameter für Bühnen und gelangt zu der Erkenntnis, dass sowohl Musik als auch Formen von den gleichen Ordnungsprinzipien gegliedert werden: Musik ist ihm eine universelle Sprache.
In seiner »Küche« umgibt er sich mit Musik. Sie liegt zum Hören auf Tischen aus (Schallplatten, CD) und steht zum Lesen in den Regalen (Bücher). Vor allem Schriften zur Musiktheorie interessieren ihn. Daneben weitere Theorien: Soziologische, linguistische, semiotische, philosophische, urbanistische und architektonische.
Die erstaunliche Handbibliothek, die Malhan hier um sich versammelt, hat er nach einem klaren Prinzip sortiert: Daten oder Zukunft? Unter die Rubrik »Daten« fallen Berichte, Statistiken, Projektdokumentationen und Faktensammlungen, vorwiegend über Architektur und Arbeitsräume. Daten, so Malhans Überzeugung, erläutern nur die Geschichte.
Ganz anders die Rubrik »Zukunft«. In dieser Sparte findet sich aber nichts über Trends. Malhan glaubt nicht an Trends. Auf diesen Regalen stehen Theorien, denn sie helfen uns dabei, so Malhan, die Zukunft zu erkennen: Weil die Frage, wie die Zukunft aussehen wird, nicht mit Sicherheit beantwortet werden kann, brauchen wir Theorien, um zu einer schlüssigen Vermutung zu gelangen. Diese Werke bilden den Resonanzraum für seine Leidenschaft, das Nachdenken über die Zukunft auf der Grundlage einer weitgespannten humanistischen Bildung.
Seit 15 Jahren beschäftigt er sich insbesondere mit Arbeitsplätzen und Büros. Er vertritt die Ansicht, dass die Entscheidungen, die unsere Zuhause betreffen, aufgrund der Privatheit viel stärker dem subjektiven Empfinden unterliegen. Demgegenüber betreffen Entscheidungen, die für die Gestaltung von Arbeitsplätzen getroffen werden, sehr viel mehr Menschen.
An diese Überlegung knüpfen seine soziologischen Kenntnisse an: Den Soziologen im Gestalter Koray Malhan reizt es, sich mit den Verbindungen des Menschen mit seinen Produkten auseinander zu setzen. Die Arten der Erzeugung und des Verbrauchs der Güter bestimmen die Kultur. Wenn in den frühen nomadischen Gesellschaften der Mensch als Jäger und Sammler kaum Produkte hervorgebracht hat, wenn in den folgenden Agrargesellschaften die sesshaften Bauern nur kaum mehr als für ihren unmittelbaren Bedarf nötig war produziert haben, und wenn in den modernen Industriegesellschaften die Arbeiter Produkte erstmals völlig unabhängig von ihrem Verbrauch erzeugt haben: Wie wird dann die Kultur des Morgen aussehen, des neuen Zeitalters, das nun schon angebrochen ist?
Wir können nur spekulieren. Koray Malhan will diese Kultur mitgestalten. Seine Grundlage bilden die Theorien, die er zu einem übergreifenden Programm integriert hat.
In den Mittelpunkt rückt er den Menschen, der seine individuellen Bedürfnisse im gesellschaftlichen Zusammenhang kontinuierlich verhandelt. Dies geschieht durch Dialoge, den persönlichen Austausch von Angesicht zu Angesicht. Seine Lehrer in Fragen der Gesprächsführung sind Sokrates und Aristoteles.
Von Noam Chomsky übernimmt Malhan die Annahme, dass Grammatik uns zeigt, wie das menschliche Gehirn arbeitet. Sein Interesse ist es, die Gemeinsamkeiten, das Verbindende und Universelle in den Blick zu nehmen. Und seine Beobachtung lautet, dass Design heute dieser Erkenntnis noch zu oft widerspricht, weil es separiert, wo es integrieren sollte, und weil es die Menschen nicht als handelnde Partner involviert, sondern zum duldsamen Konsumenten degradiert.
Umberto Ecos These vom offenen Kunstwerk überträgt er aufs Design: So wie ein Roman erst durch die mentale Konstruktion beim Lesen entsteht, so sollte auch Design die Nutzer zur Mitgestaltung einladen. Koray Malhan will den Menschen ins tägliche Spiel einbeziehen und verweist dafür erneut auf einen Wissenschaftler, den Universalgelehrten Herrmann von Helmholtz und seine Resonanztheorie.
Wie also sieht der Arbeitsplatz aus, der dem Menschen nicht als hermetisch abgeschlossenes »Werk« vom Designer als Maestro vorgesetzt wird, sondern der ein offenes Angebot zur Teilhabe darstellt?
Wie öffnen wir die Komposition, so wie die moderne Musik von Schönberg, Stockhausen oder Miles Davis die klassischen Notationen geöffnet hat, fragt Malhan. Und schließt daran an: Es geht doch im Grunde überhaupt nicht ums Möbel, sondern um den Dialog. Der Reichtum unserer humanen Existenz entsteht in der Performance, ob in der Küche, auf der Straße oder am Arbeitsplatz: Je strikter und geschlossener die Handlungsanweisungen, desto mehr wird der Arbeitsplatz zum Gefängnis und Design zum Hindernis, wo es eigentlich den Handlungsspielraum erweitern und Möglichkeiten eröffnen sollte. Diesen Weg hat Koleksiyon eingeschlagen: Wir gestalten Dialoge, sagt Koray Malhan. Der Macher, der ein Denker ist.
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Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Universal Dialogue Culture: Die universelle Kultur des Dialogs
»Universal Design Culture« in md 5/2017, 30-38.
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Reden wir über Bach. Reden wir über sein Wohltemperiertes Klavier. Über Beethoven, Leonard Bernstein und Alban Berg. Dafür begeben wir uns in die Küche. Auf dem Weg dorthin reden wir noch über Andrea Branzi, den italienischen Praktiker und Theoretiker revidierter moderner Gestaltung.
Denn manches Design ist berühmt für sein entschiedenes: »Entweder – oder!«. Der Stuhl, der nur aus Kunststoff gefertigt ist. Das Gerät, das pures High Tech verkörkpern möchte. Das Ding als revolutionärerer Appell, die Barrikaden zu überwinden.
Demgegenüber ist Design in der medialen Inszenierung benachteiligt, das sich eher abwägend gibt. Das vermeintliche Widersprüche durch Integration aufheben will. In dem sich sowohl der eine extreme Pol als auch sein Gegenpol versöhnlich aufeinander zubewegen.
Bisweilen erscheint gerade solches Design, wenn es gelungen ist, sanfter und offener, weniger entschlossen und abgeschottet. Möglicherweise ist es humaner. Das ist zumindest die Perspektive von Koray Malhan, Mitglied des Vorstands sowie Design- und Markendirektor des türkischen Möbelherstellers Koleksyion mit Sitz in Istanbul.
Diese Ansicht verbindet ihn z.B. mit Andrea Branzi aus Mailand, der die Utopie einer schwachen, vielfältigen und reversiblen Moderne formuliert hat – eine gestalterische Entwicklungsstufe als Erkenntnis aus der Beobachtung, dass die einfältig weißen und grauen Quadratklötze der Moderne nicht nur banale Monotonie, sondern auch dauerhaft brachialen Schaden hervorgebracht haben.
So verstanden, plädiert Branzi für Design als Potenzial, flexibel auf die Anforderungen zu reagieren und gleichzeitig alle wesentlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Design, das nicht dominiert, sondern respektiert und reagiert.
Zugegeben, dieses Plädoyer klingt reichlich abstrakt: Akademische Gedankenspiele. Aber auf den belebten Straßen und Plätzen einer mediterranen Metropole ist diese Haltung permanent gegenwärtig: Menschen reagieren nonstop auf das, was gerade in ihrem unmittelbaren Umfeld geschieht, ohne dass es allzu strikt formalisiert wäre. So werden etwa Geschwindigkeitsvorgaben als unverbindliche Empfehlung aufgefasst, und der Parkraum hängt von der individuellen Konstruktionsleistung des Parkplatzsuchenden (Geschicklichkeit und Vorstellungskraft) ab. Wir nennen es Wirklichkeit, und es lässt sich nicht nur in den Metropolen erleben, sondern auch in jedem kleinen Gemeinwesen, im antiken Sinn: in jeder Polis.
Eine mediterrane Polis ist organisiert wie eine lebendige Küche: Was auf den Tisch oder die politische Agenda kommt, hängt davon ab, was gerade zur Verfügung steht, was gebraucht wird und welche Rezepte zur Hand sind. Ob das Ergebnis allen schmeckt, wird wesentlich bestimmt von einem beweglichen, angemessen anpassungsfähigen Umgang mit dem, was gerade erforderlich scheint.
Wer Koray Malhan kennenlernen will, wird sich voraussichtlich bei einem Gespräch wiederfinden, dass in Malhans »Küche« stattfindet (oder an einem Ort, dessen Atmosphäre an eine Küche erinnert, z.B. während Veranstaltungen in seinen Niederlassungen in Düsseldorf, London, New York, Chicago oder Dubai).
Koray Malhan nennt sein offenes Büro »seine Küche«. Es befindet sich auf der zweiten Ebene einer ehemaligen Kranfabrik, die heute von Koleksyion als Showroom genutzt wird. Dieses Vorstandsbüro gliedert sich unaufdringlich in die Inszenierung der Exponate ein. Dem Besucher fällt beim flüchtigen Vorbeigehen kaum auf, dass es sich bei diesem lichten Raum hinter einer deckenhohen Glasscheibe nicht um einen Teil der Ausstellung handelt, sondern dass dort wirklich gearbeitet wird.
Malhans Arbeit besteht zum großen Teil darin, mit Menschen zu sprechen. Bekanntlich entspinnen sich in der Küche die besten Gespräche. So ist es kein Zufall, sondern geschickte und kluge Fügung, dass sich an der Wirkstätte Malhans die einzelnen Stränge verbinden, die seine Arbeit prägen: Gesprächskultur, Musik, Architektur und Design.
Der Gestalter wird 1972 in Ankara geboren und wächst in einem bildungsbürgerlichen Elternhaus auf. Sein Vater, Faruk Malhan, hatte Architektur bei Fritz Janeba an der TU Ankara studiert, eine Soziologin geheiratet und das Unternehmen Koleksyion gegründet. Die Eheleute führen einen polyglotten Salon, ihr Haus steht Künstlern und Schauspielern, Film- und Theaterregisseuren, Musikern und Choreographen, Architekten und Wissenschaftlern offen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich Korays Entscheidung für eine gestalterische Ausrichtung wie von selbst. Sein Studium des Industrial Design nimmt er an der Mimar Sinan Hochschule der bildenden Künste in Istanbul auf, den Abschluss als Möbeldesigner legt er 1995 im Ravensbourne College of Design and Communication in London ab.
Seine intellektuelle Erkundung der Welt endet aber nicht mit seiner Zeit an der Hochschule. Vier Jahre lang studiert er Bach. Er untersucht die Strukturen und Ebenen des Wohltemperierten Klaviers. Am Ende überträgt diese Organisation des Klangraums in Farbräume und geometrische Formen. Malhan entwickelt daraus Parameter für Bühnen und gelangt zu der Erkenntnis, dass sowohl Musik als auch Formen von den gleichen Ordnungsprinzipien gegliedert werden: Musik ist ihm eine universelle Sprache.
In seiner »Küche« umgibt er sich mit Musik. Sie liegt zum Hören auf Tischen aus (Schallplatten, CD) und steht zum Lesen in den Regalen (Bücher). Vor allem Schriften zur Musiktheorie interessieren ihn. Daneben weitere Theorien: Soziologische, linguistische, semiotische, philosophische, urbanistische und architektonische.
Die erstaunliche Handbibliothek, die Malhan hier um sich versammelt, hat er nach einem klaren Prinzip sortiert: Daten oder Zukunft? Unter die Rubrik »Daten« fallen Berichte, Statistiken, Projektdokumentationen und Faktensammlungen, vorwiegend über Architektur und Arbeitsräume. Daten, so Malhans Überzeugung, erläutern nur die Geschichte.
Ganz anders die Rubrik »Zukunft«. In dieser Sparte findet sich aber nichts über Trends. Malhan glaubt nicht an Trends. Auf diesen Regalen stehen Theorien, denn sie helfen uns dabei, so Malhan, die Zukunft zu erkennen: Weil die Frage, wie die Zukunft aussehen wird, nicht mit Sicherheit beantwortet werden kann, brauchen wir Theorien, um zu einer schlüssigen Vermutung zu gelangen. Diese Werke bilden den Resonanzraum für seine Leidenschaft, das Nachdenken über die Zukunft auf der Grundlage einer weitgespannten humanistischen Bildung.
Seit 15 Jahren beschäftigt er sich insbesondere mit Arbeitsplätzen und Büros. Er vertritt die Ansicht, dass die Entscheidungen, die unsere Zuhause betreffen, aufgrund der Privatheit viel stärker dem subjektiven Empfinden unterliegen. Demgegenüber betreffen Entscheidungen, die für die Gestaltung von Arbeitsplätzen getroffen werden, sehr viel mehr Menschen.
An diese Überlegung knüpfen seine soziologischen Kenntnisse an: Den Soziologen im Gestalter Koray Malhan reizt es, sich mit den Verbindungen des Menschen mit seinen Produkten auseinander zu setzen. Die Arten der Erzeugung und des Verbrauchs der Güter bestimmen die Kultur. Wenn in den frühen nomadischen Gesellschaften der Mensch als Jäger und Sammler kaum Produkte hervorgebracht hat, wenn in den folgenden Agrargesellschaften die sesshaften Bauern nur kaum mehr als für ihren unmittelbaren Bedarf nötig war produziert haben, und wenn in den modernen Industriegesellschaften die Arbeiter Produkte erstmals völlig unabhängig von ihrem Verbrauch erzeugt haben: Wie wird dann die Kultur des Morgen aussehen, des neuen Zeitalters, das nun schon angebrochen ist?
Wir können nur spekulieren. Koray Malhan will diese Kultur mitgestalten. Seine Grundlage bilden die Theorien, die er zu einem übergreifenden Programm integriert hat.
In den Mittelpunkt rückt er den Menschen, der seine individuellen Bedürfnisse im gesellschaftlichen Zusammenhang kontinuierlich verhandelt. Dies geschieht durch Dialoge, den persönlichen Austausch von Angesicht zu Angesicht. Seine Lehrer in Fragen der Gesprächsführung sind Sokrates und Aristoteles.
Von Noam Chomsky übernimmt Malhan die Annahme, dass Grammatik uns zeigt, wie das menschliche Gehirn arbeitet. Sein Interesse ist es, die Gemeinsamkeiten, das Verbindende und Universelle in den Blick zu nehmen. Und seine Beobachtung lautet, dass Design heute dieser Erkenntnis noch zu oft widerspricht, weil es separiert, wo es integrieren sollte, und weil es die Menschen nicht als handelnde Partner involviert, sondern zum duldsamen Konsumenten degradiert.
Umberto Ecos These vom offenen Kunstwerk überträgt er aufs Design: So wie ein Roman erst durch die mentale Konstruktion beim Lesen entsteht, so sollte auch Design die Nutzer zur Mitgestaltung einladen. Koray Malhan will den Menschen ins tägliche Spiel einbeziehen und verweist dafür erneut auf einen Wissenschaftler, den Universalgelehrten Herrmann von Helmholtz und seine Resonanztheorie.
Wie also sieht der Arbeitsplatz aus, der dem Menschen nicht als hermetisch abgeschlossenes »Werk« vom Designer als Maestro vorgesetzt wird, sondern der ein offenes Angebot zur Teilhabe darstellt?
Wie öffnen wir die Komposition, so wie die moderne Musik von Schönberg, Stockhausen oder Miles Davis die klassischen Notationen geöffnet hat, fragt Malhan. Und schließt daran an: Es geht doch im Grunde überhaupt nicht ums Möbel, sondern um den Dialog. Der Reichtum unserer humanen Existenz entsteht in der Performance, ob in der Küche, auf der Straße oder am Arbeitsplatz: Je strikter und geschlossener die Handlungsanweisungen, desto mehr wird der Arbeitsplatz zum Gefängnis und Design zum Hindernis, wo es eigentlich den Handlungsspielraum erweitern und Möglichkeiten eröffnen sollte. Diesen Weg hat Koleksiyon eingeschlagen: Wir gestalten Dialoge, sagt Koray Malhan. Der Macher, der ein Denker ist.
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