Als Moderne werden viele Strömungen, Bewegungen und Initiativen in unterschiedlichen, sogar widersprüchlichen Ausdrucksformen bezeichnet, abhängig von den jeweiligen Akteuren. Über alle Unterschiede hinweg lassen sich aber einige grundlegende Gemeinsamkeiten identifizieren.
Dazu zählt die Einstellung, in der Gegenwart zu leben: Heute ist wichtiger als gestern. Die Modernen entsorgen die Vergangenheit zwar nicht als völlig belanglos auf dem Müllhaufen der Geschichte, denn der Blick zurück mag bisweilen erklären, wie es zum Jetzt gekommen ist, und aus dieser Erklärung lassen sich wichtige Wurzeln benennen, die zur Orientierung dienen können. Doch die Vergangenheit legitimiert nicht die Entscheidung darüber, wie in der Moderne das tägliche Leben gestaltet wird: Überlierungen und Traditionen bilden keine Autoritäten mehr.
Ihr radikales Bekenntnis zur Gegenwart kennzeichnet die Moderne. Vielen Zeitgenossen erscheint es als Zumutung, welche auch bisweilen dazu geführt hat, dass sich mutlose Menschen in der Moderne entwurzelt gefühlt haben. Diese folgten dann (und folgen bis heute) den Rattenfängern der Macht, die ihnen das honigsüße Lied vom einfachen, übersichtlichen, geordneten und verständlichen Leben vorgaukeln, wie es angeblich früher einmal gewesen sein soll.
Darum verachten die Modernen die Traditionalisten: Haben doch in ihren Augen die Formen der überkommenen Dinge und Rituale, an denen jene sich klammern, ihre Bedeutung für die Gegenwart längst verloren. Die Modernen wollen die Zukunft gestalten – eine bessere Zukunft, und Besserung ist nicht durch das Bewahren des Vergangenen in Sicht, sondern nur durch den Blick voraus.
In der Moderne war die Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG) diejenige Designhochschule, die sich wie keine zweite auf die Frage gegründet hat, welchen Beitrag die Gestalter zur Entwicklung der Gesellschaft leisten müssen, damit sich der zerstörerische Wahnsinn des Faschismus nicht wiederholen kann. Der Ausgangspunkt der HfG-Gründung war nicht das Motiv, die Welt schöner zu machen – sondern menschlicher, humaner und lebenswerter.
In ihrer kompromisslosen Zuspitzung wiesen die HfG-Akteure, allen voran Otl Aicher und Tomás Maldonado, die Frage nach dem Schönen der Domäne der Kunst zu. Damit sollte sich Design nicht vordringlich beschäftigen, also weder in erster Linie noch an erster Stelle.
Designaufgaben sollten durch den Verstand gelöst werden. Darin liegt eine zentrale Abgrenzung zum Bauhaus, das als Kunsthochschule wesentlich von Künstlern geprägt war und dessen Akteure unter dem Blickwinkel künstlerischer Fragestellungen an die Bearbeitung gestalterischer Aufgaben gingen. Die HfG Ulm nahm einen anderen Standpunkt ein: Das formalästhetische Resultat auf der Oberfläche war nur ein Aspekt unter vielen, der im Design zu berücksichtigen sei, und er galt keinesfalls als der dominierende.
An der HfG wurde die Perspektive des Designs auf den Einzelnen in seinem gesellschaftlichen Kontext gerichtet. Die Leistung eines so verstandenen Designs besteht darin, dass der Nutzen ausbalanciert werden muss zwischen den Wünschen und Bedürfnissen des Einzelnen und den Notwendigkeiten und Ansprüchen der Gesellschaft. Um diese komplexen Zusammenhänge zu erkennen, analysierten die HfG-Angehörigen ihre Aufgaben unter vielen Gesichtspunkten: materialkundlichen und fertigungstechnischen, ökonomischen und ökologisch, kulturellen und soziologischen, philosophischen und politischen. Allein an dieser Aufzählung der zugrunde gelegten Untersuchungen wird deutlich, dass die formalästhetischen Aspekte an der HfG nur einen Einflussfaktor unter vielen darstellten.
Die HfG-Angehörigen glaubten an die objektive Erkennbarkeit der Welt, und dass durch diesen Zugang die Welt für jeden Einzelnen zum Besseren gestaltet werden könnte. Diese Überzeugung kann als säkularer Humanismus bezeichnet werden. Die Aufgabe des Designs bestehe darin, auf dieser Grundlage Beiträge zur Entwicklung einer sozialen Moderne zu leisten – »sozial« nicht im Sinne von »karitativ«, sondern: »den Zusammenhalt der Gesellschaft stärkend«. Damit ist gemeint, was mit dem Begriff »Gemeinwohl« ausgedrückt wird: Was für die meisten Menschen und für ihr Zusammenleben langfristig am besten ist.
Einem solch umfassenden Anspruch an die Leistungsfähigkeit von Design wohnt ein utopisches Moment inne. Damit befindet sich die HfG Ulm in bester Gesellschaft mit älteren Reformbewegungen im internationalen Design: Dem englischen Arts and Crafts Movement, dem europäischen Jugendstil, dem deutschen Werkbund, dem niederländischen De Stijl und zuletzt dem Bauhaus. Design ist so verstanden eine Tätigkeit, in der die Grenzen der alten Disziplinen überwunden werden, um alle sachlich erforderlichen Erkenntnisse zu integrieren.
Dieses holistische Ideal wird durch den Begriff »Gestalt« zum Ausdruck gebracht. Nach der Gestalttheorie besteht die menschliche Wahrnehmung nicht aus der Addition einzelner, isolierter Impulse. Statt dessen nehmen wir unsere Umwelt als Gesamtwirkung wahr. »Gestaltung« ist deshalb die Praxis des ganzheitlichen In-Form-Bringens.
Auf der Grundlage dieser Überzeugung legt die Moderne Wert auf das Gemeinsame und Übergreifende, was alle Menschen verbindet. Denn aus der Erfahrung zweier Weltkriege zogen die Modernen die Schlussfolgerung, dass die Betonung des Einzigartigen und Besonderen die Menschen nur trennt und sie letztlich gegeneinander in Stellung bringt. So erklärt es sich, dass modernes Design einen Anspruch auf universelle Gültigkeit erhebt.
Kulturell spezifische Aspekte rücken bei dieser Betrachtungsweise an die Peripherie. Damit ist zwar nicht automatisch gemeint, dass kulturelle Eigenheiten unwichtig wären. Doch in der Konsequenz, und insbesondere in der jahrzehntelang geübten Praxis, hat es dazu geführt, dass die Resultate moderner Gestaltung in Architektur und Design von der Mehrheit der Bevölkerung überwiegend als austauschbar, anonym und abweisend erlebt wurden: als graue, rechteckige Fremdkörper, die von einer fernen, arroganten Abschussbasis abgefeuert werden. Durch ihren Einschlag in der eigenen Nachbarschaft zerstören sie die spezifische kulturelle Vielfalt unwiederbringlich. So hat sich die besserwisserische und abstrakte Moderne hat keine Freunde gemacht: eine tragende Voraussetzung für den Erfolg der albernen, unvernünftigen und fröhlichen Postmoderne.
Doch der universale Ansatz der Moderne erzeugt bis heute weltweit Anziehungskraft. Auf dem Höhepunkt ihrer Rezeption, in den beiden Dekaden zwischen der Mitte der 1950er und der 1970er Jahre, kam es beispielsweise in Indien zur Gründung des National Institute of Design (NID) in Ahmedabad. Der herausragende HfG-Dozent Hans Gugelot zählt zusammen mit Charles und Ray Eames zu wichtigen Impulsgebern für das NID. Hier wurde von Anfang an deutlich, dass eine Moderne untauglich ist, die wesentliche kulturelle Faktoren unberücksichtigt lässt. Die Integration universaler und spezifischer Aspekte zählt zu den wesentlichen Motiven für die Arbeit des NID, um eine zeitgemäße, soziale Moderne zu entwickeln.
Vor diesem Hintergrund zeichnet sich die Arbeit Satyendra Pakhalés ab als ein Ansatz, die Werte, Vorstellungen und Überzeugungen einer sozialen Moderne für das 21. Jahrhundert zu formulieren. Pakhalés genoss seine Ausbildung bei Professor Nadkarni am Industrial Design Centre (IDC) des Indian Institute of Technology (IIT) in Mumbai/Bombay. Nadkarni wiederum hat sein Studium am NID absolviert. So sieht sich Pakhalé unmittelbar verbunden mit den Arbeiten der HfG Ulm und Hans Gugelots.
Satyendra Pakhalé besuchte nach seinem Studium am NID das Art Center in Lausanne. Dort geriet er in Kontakt mit einem lebensfrohen, schwungvollen, unbeschwerten und vornehmlich kommerziell ausgerichteten Designverständnis, in dessen Mittelpunkt der Dienst am Auftraggber steht. Die Euphorie des Machbaren und Verkaufbaren täuschte ihn aber nicht darüber hinweg, dass dieser Haltung eine grundlegende Kompentente fehlte: Die Auftraggeber aus der Industrie machten sich meist keine Gedanken über den kulturellen Kontext, das »big picture«, innerhalb dessen sie agierten und ihre Produkte auf den Markt brachten. Pakhalé vermisste, dass Visionen über gesellschaftliche Entwicklungen außen vor blieben, während der Fokus allein auf kurzfristige Effekte ausgerichtet war. Hier gelangte er zur Überzeugung, dass Design eine kulturell relevante Handlung ist, die nicht einzelne Facetten isoliert, sondern alle beteiligten Themen integriert.
Pakhalé definiert seine Aufgabe als Weiterentwicklung der Ulmer Schule. Zwei Anliegen rückt er in den Mittelpunkt seiner Arbeit: Zum einen müssen kulturelle Einflüsse heute stärker berücksichtigt werden als vor 50 Jahren. Deshalb geht er mit traditionellen Ausdrucksformen behutsamer um, damit ihr positiver Wert geschützt und genutzt werden kann. Und zum anderen revidiert er die Dominanz rationaler Aspekte gegenüber emotionalen und sensorischen. Damit ist nicht gemeint, die Vernunft aus dem Design zu entfernen, sondern vielmehr, dass Gefühle und Emotionen sich mit Verstand und Logik zum vollständigen Menschsein ergänzen. Es ist äußerst vernünftig, auch im Design das Fühlen zu berücksichtigen: Das verdeutlicht z.B. der jahrhundertealte Diskurs über Materialität, an dem sich auch Vertreter einer rationalistischen Moderne engagiert beteiligt haben. Und umgekehrt fühlen sich viele Menschen von der technischen Eleganz logisch-rationaler Entwürfe angesprochen. –
Aus der Zusammenführung beider Neubewertungen entwickelt Pakhalé eine eigenständige Haltung für eine aktuelle, in die Zukunft gerichtete soziale Moderne. Seine Arbeit erinnert an einen besonderen Moment in der Geschichte der HfG Ulm: Als Walter Gropius am 2.10.1955 die Festrede zur Einweihung der Hochschulgebäude auf dem Ulmer Kuhberg hielt, beschwor er die anwesenden Dozenten und Studenten, sie mögen in ihrer Verherrlichung des Verstandes und der Vernunft die Aspekte nicht vergessen, die sich unserem rationalen Zugriff entziehen. Gropius meinte damit »das Magische«, wie er es nannte.
Für diese Vision braucht man langen Atem, doch am Ende lohnt es sich: Design ist nur dann human, wenn es eine angemessene Balance bildet aus dem Rationalen und dem Magischen.
Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Die Ulmer Moderne und die Magie des Rationalen
Als Moderne werden viele Strömungen, Bewegungen und Initiativen in unterschiedlichen, sogar widersprüchlichen Ausdrucksformen bezeichnet, abhängig von den jeweiligen Akteuren. Über alle Unterschiede hinweg lassen sich aber einige grundlegende Gemeinsamkeiten identifizieren.
Dazu zählt die Einstellung, in der Gegenwart zu leben: Heute ist wichtiger als gestern. Die Modernen entsorgen die Vergangenheit zwar nicht als völlig belanglos auf dem Müllhaufen der Geschichte, denn der Blick zurück mag bisweilen erklären, wie es zum Jetzt gekommen ist, und aus dieser Erklärung lassen sich wichtige Wurzeln benennen, die zur Orientierung dienen können. Doch die Vergangenheit legitimiert nicht die Entscheidung darüber, wie in der Moderne das tägliche Leben gestaltet wird: Überlierungen und Traditionen bilden keine Autoritäten mehr.
Ihr radikales Bekenntnis zur Gegenwart kennzeichnet die Moderne. Vielen Zeitgenossen erscheint es als Zumutung, welche auch bisweilen dazu geführt hat, dass sich mutlose Menschen in der Moderne entwurzelt gefühlt haben. Diese folgten dann (und folgen bis heute) den Rattenfängern der Macht, die ihnen das honigsüße Lied vom einfachen, übersichtlichen, geordneten und verständlichen Leben vorgaukeln, wie es angeblich früher einmal gewesen sein soll.
Darum verachten die Modernen die Traditionalisten: Haben doch in ihren Augen die Formen der überkommenen Dinge und Rituale, an denen jene sich klammern, ihre Bedeutung für die Gegenwart längst verloren. Die Modernen wollen die Zukunft gestalten – eine bessere Zukunft, und Besserung ist nicht durch das Bewahren des Vergangenen in Sicht, sondern nur durch den Blick voraus.
In der Moderne war die Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG) diejenige Designhochschule, die sich wie keine zweite auf die Frage gegründet hat, welchen Beitrag die Gestalter zur Entwicklung der Gesellschaft leisten müssen, damit sich der zerstörerische Wahnsinn des Faschismus nicht wiederholen kann. Der Ausgangspunkt der HfG-Gründung war nicht das Motiv, die Welt schöner zu machen – sondern menschlicher, humaner und lebenswerter.
In ihrer kompromisslosen Zuspitzung wiesen die HfG-Akteure, allen voran Otl Aicher und Tomás Maldonado, die Frage nach dem Schönen der Domäne der Kunst zu. Damit sollte sich Design nicht vordringlich beschäftigen, also weder in erster Linie noch an erster Stelle.
Designaufgaben sollten durch den Verstand gelöst werden. Darin liegt eine zentrale Abgrenzung zum Bauhaus, das als Kunsthochschule wesentlich von Künstlern geprägt war und dessen Akteure unter dem Blickwinkel künstlerischer Fragestellungen an die Bearbeitung gestalterischer Aufgaben gingen. Die HfG Ulm nahm einen anderen Standpunkt ein: Das formalästhetische Resultat auf der Oberfläche war nur ein Aspekt unter vielen, der im Design zu berücksichtigen sei, und er galt keinesfalls als der dominierende.
An der HfG wurde die Perspektive des Designs auf den Einzelnen in seinem gesellschaftlichen Kontext gerichtet. Die Leistung eines so verstandenen Designs besteht darin, dass der Nutzen ausbalanciert werden muss zwischen den Wünschen und Bedürfnissen des Einzelnen und den Notwendigkeiten und Ansprüchen der Gesellschaft. Um diese komplexen Zusammenhänge zu erkennen, analysierten die HfG-Angehörigen ihre Aufgaben unter vielen Gesichtspunkten: materialkundlichen und fertigungstechnischen, ökonomischen und ökologisch, kulturellen und soziologischen, philosophischen und politischen. Allein an dieser Aufzählung der zugrunde gelegten Untersuchungen wird deutlich, dass die formalästhetischen Aspekte an der HfG nur einen Einflussfaktor unter vielen darstellten.
Die HfG-Angehörigen glaubten an die objektive Erkennbarkeit der Welt, und dass durch diesen Zugang die Welt für jeden Einzelnen zum Besseren gestaltet werden könnte. Diese Überzeugung kann als säkularer Humanismus bezeichnet werden. Die Aufgabe des Designs bestehe darin, auf dieser Grundlage Beiträge zur Entwicklung einer sozialen Moderne zu leisten – »sozial« nicht im Sinne von »karitativ«, sondern: »den Zusammenhalt der Gesellschaft stärkend«. Damit ist gemeint, was mit dem Begriff »Gemeinwohl« ausgedrückt wird: Was für die meisten Menschen und für ihr Zusammenleben langfristig am besten ist.
Einem solch umfassenden Anspruch an die Leistungsfähigkeit von Design wohnt ein utopisches Moment inne. Damit befindet sich die HfG Ulm in bester Gesellschaft mit älteren Reformbewegungen im internationalen Design: Dem englischen Arts and Crafts Movement, dem europäischen Jugendstil, dem deutschen Werkbund, dem niederländischen De Stijl und zuletzt dem Bauhaus. Design ist so verstanden eine Tätigkeit, in der die Grenzen der alten Disziplinen überwunden werden, um alle sachlich erforderlichen Erkenntnisse zu integrieren.
Dieses holistische Ideal wird durch den Begriff »Gestalt« zum Ausdruck gebracht. Nach der Gestalttheorie besteht die menschliche Wahrnehmung nicht aus der Addition einzelner, isolierter Impulse. Statt dessen nehmen wir unsere Umwelt als Gesamtwirkung wahr. »Gestaltung« ist deshalb die Praxis des ganzheitlichen In-Form-Bringens.
Auf der Grundlage dieser Überzeugung legt die Moderne Wert auf das Gemeinsame und Übergreifende, was alle Menschen verbindet. Denn aus der Erfahrung zweier Weltkriege zogen die Modernen die Schlussfolgerung, dass die Betonung des Einzigartigen und Besonderen die Menschen nur trennt und sie letztlich gegeneinander in Stellung bringt. So erklärt es sich, dass modernes Design einen Anspruch auf universelle Gültigkeit erhebt.
Kulturell spezifische Aspekte rücken bei dieser Betrachtungsweise an die Peripherie. Damit ist zwar nicht automatisch gemeint, dass kulturelle Eigenheiten unwichtig wären. Doch in der Konsequenz, und insbesondere in der jahrzehntelang geübten Praxis, hat es dazu geführt, dass die Resultate moderner Gestaltung in Architektur und Design von der Mehrheit der Bevölkerung überwiegend als austauschbar, anonym und abweisend erlebt wurden: als graue, rechteckige Fremdkörper, die von einer fernen, arroganten Abschussbasis abgefeuert werden. Durch ihren Einschlag in der eigenen Nachbarschaft zerstören sie die spezifische kulturelle Vielfalt unwiederbringlich. So hat sich die besserwisserische und abstrakte Moderne hat keine Freunde gemacht: eine tragende Voraussetzung für den Erfolg der albernen, unvernünftigen und fröhlichen Postmoderne.
Doch der universale Ansatz der Moderne erzeugt bis heute weltweit Anziehungskraft. Auf dem Höhepunkt ihrer Rezeption, in den beiden Dekaden zwischen der Mitte der 1950er und der 1970er Jahre, kam es beispielsweise in Indien zur Gründung des National Institute of Design (NID) in Ahmedabad. Der herausragende HfG-Dozent Hans Gugelot zählt zusammen mit Charles und Ray Eames zu wichtigen Impulsgebern für das NID. Hier wurde von Anfang an deutlich, dass eine Moderne untauglich ist, die wesentliche kulturelle Faktoren unberücksichtigt lässt. Die Integration universaler und spezifischer Aspekte zählt zu den wesentlichen Motiven für die Arbeit des NID, um eine zeitgemäße, soziale Moderne zu entwickeln.
Vor diesem Hintergrund zeichnet sich die Arbeit Satyendra Pakhalés ab als ein Ansatz, die Werte, Vorstellungen und Überzeugungen einer sozialen Moderne für das 21. Jahrhundert zu formulieren. Pakhalés genoss seine Ausbildung bei Professor Nadkarni am Industrial Design Centre (IDC) des Indian Institute of Technology (IIT) in Mumbai/Bombay. Nadkarni wiederum hat sein Studium am NID absolviert. So sieht sich Pakhalé unmittelbar verbunden mit den Arbeiten der HfG Ulm und Hans Gugelots.
Satyendra Pakhalé besuchte nach seinem Studium am NID das Art Center in Lausanne. Dort geriet er in Kontakt mit einem lebensfrohen, schwungvollen, unbeschwerten und vornehmlich kommerziell ausgerichteten Designverständnis, in dessen Mittelpunkt der Dienst am Auftraggber steht. Die Euphorie des Machbaren und Verkaufbaren täuschte ihn aber nicht darüber hinweg, dass dieser Haltung eine grundlegende Kompentente fehlte: Die Auftraggeber aus der Industrie machten sich meist keine Gedanken über den kulturellen Kontext, das »big picture«, innerhalb dessen sie agierten und ihre Produkte auf den Markt brachten. Pakhalé vermisste, dass Visionen über gesellschaftliche Entwicklungen außen vor blieben, während der Fokus allein auf kurzfristige Effekte ausgerichtet war. Hier gelangte er zur Überzeugung, dass Design eine kulturell relevante Handlung ist, die nicht einzelne Facetten isoliert, sondern alle beteiligten Themen integriert.
Pakhalé definiert seine Aufgabe als Weiterentwicklung der Ulmer Schule. Zwei Anliegen rückt er in den Mittelpunkt seiner Arbeit: Zum einen müssen kulturelle Einflüsse heute stärker berücksichtigt werden als vor 50 Jahren. Deshalb geht er mit traditionellen Ausdrucksformen behutsamer um, damit ihr positiver Wert geschützt und genutzt werden kann. Und zum anderen revidiert er die Dominanz rationaler Aspekte gegenüber emotionalen und sensorischen. Damit ist nicht gemeint, die Vernunft aus dem Design zu entfernen, sondern vielmehr, dass Gefühle und Emotionen sich mit Verstand und Logik zum vollständigen Menschsein ergänzen. Es ist äußerst vernünftig, auch im Design das Fühlen zu berücksichtigen: Das verdeutlicht z.B. der jahrhundertealte Diskurs über Materialität, an dem sich auch Vertreter einer rationalistischen Moderne engagiert beteiligt haben. Und umgekehrt fühlen sich viele Menschen von der technischen Eleganz logisch-rationaler Entwürfe angesprochen. –
Aus der Zusammenführung beider Neubewertungen entwickelt Pakhalé eine eigenständige Haltung für eine aktuelle, in die Zukunft gerichtete soziale Moderne. Seine Arbeit erinnert an einen besonderen Moment in der Geschichte der HfG Ulm: Als Walter Gropius am 2.10.1955 die Festrede zur Einweihung der Hochschulgebäude auf dem Ulmer Kuhberg hielt, beschwor er die anwesenden Dozenten und Studenten, sie mögen in ihrer Verherrlichung des Verstandes und der Vernunft die Aspekte nicht vergessen, die sich unserem rationalen Zugriff entziehen. Gropius meinte damit »das Magische«, wie er es nannte.
Für diese Vision braucht man langen Atem, doch am Ende lohnt es sich: Design ist nur dann human, wenn es eine angemessene Balance bildet aus dem Rationalen und dem Magischen.
Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.