Das war’s also: Hundert Jahre Bauhaus. Damit ist jetzt bald Schluss. Das Bauhaus-Jahr ist in wenigen Wochen abgelaufen. Was bleibt? Was hat es gebracht? Was haben wir gelernt, gesehen, gehört?
Zuerst haben wir in diesem Jahr des Jubiläums einen Satz so oft gehört wie keinen anderen: »Es gibt nicht nur ein Bauhaus«. Es gibt nicht »das« Bauhaus. Es gibt auch nicht nur die drei historischen Bauhäuser in Weimar, Dessau und Berlin. Sondern es gibt auch das Bauhaus der Regionen. Das internationale Bauhaus. Das Bauhaus der Moderne und das Bauhaus der Utopie. Das Bauhaus als Symbol, als Mythos, als Klassiker und als Marke. Das Bauhaus als Haltung, als Performance und als Zumutung. – Und dann gibt es noch das Bauhaus der Menschen, die sich sonst nicht mit dem Bauhaus beschäftigen
Ganz offensichtlich geht es beim Bauhaus irgendwie immer ums Haus und ums Bauen. Das wäre ja schonmal was: Ein gemeinsamer Nenner für die Experten und die weniger eingeweihte Bevölkerung. Was aber im Zentrum des Bauhauses steht, was sein Wesen oder seinen Kern ausmacht und was daran so besonders ist, dass wir ihm deshalb ein ganzes Jahr (und noch viel mehr) widmen – das ist heute keineswegs klarer zu benennen als vor einem Jahr. Ist es nun die Kunstschule? Die Architekturschmiede? Der Designstil? Die Gesellschaftsutopie? Die Werkstatt, in der die Frauen halt doch nicht befreit, sondern unterdrückt und klein gehalten wurden? Die Kultstätte der Moderne? Der Ausgangspunkt des International Style? Das starre Korsett für eine gutgemeinte Haltung? Oder der Sündenfall der Globalisierung durch Gestaltung?
Im Jubiläumsjahr wurden zwei zentrale Perspektiven aufs Bauhaus verknotet. Da ist zum einen die historische Perspektive. Hier ist deutlich geworden, dass nun nach 100 Jahren die Musealisierung des Bauhauses abgeschlossen ist. Alles Dingliche, was am Bauhaus entstanden ist, wurde katalogisiert. Diese historischen Relikte befinden sich weltweit in Sammlungen. Forschungsprojekte sind ihnen gewidmet, und ein hoher Stapel neuer Bücher verbreitet das aktuelle Wissen über diese Geschichte. Der Wissenschaft wird also in Zukunft der Gegenstand ihrer Forschung nicht ausgehen. Das könnte ganz einfach daran liegen, dass es so viele Bauhäuser gibt, wie Florian Stob von der Stiftung Bauhaus Dessau meint:
Um die persönlichen Hinterlassenschaften dieser großen Gemeinde kulturhistorisch aufzuarbeiten, sind jetzt gute Grundlagen gelegt. Denn das scheint eines der wichtigsten Ergebnisse des Bauhausjahrs zu sein: Florian Stob hat am vergangenen Donnerstag im Kölner Museum für Angewandte Kunst bei seiner Vorstellung einer Bilanz des Jubiläums aus Sicht der Stiftung betont, dass das Netz der Institutionen, die sich mit dem Bauhaus beschäftigen, gewachsen, und ihre Zusammenarbeit vielfältig gefestigt sei.
Als äußerlich sichtbares Kennzeichen dieser Verfestigung und Verstetigung des Themas Bauhaus steht ein zweites Ergebnis des Jubiläums fest: In diesem Jahr wurden gleich zwei neue Bauhaus-Museen eröffnet, in Weimar und in Dessau. Und in wenigen Jahren wird auch in Berlin ein Museumsneubau das Bauhaus-Archiv erweitern. Die Qualität der Gebäude und ihrer Ausstellungen wird zwar unterschiedlich bewertet. Aber im großen und ganzen ist die Tatsache, dass nun drei Museen in Deutschland das Bauhaus-Erbe bewahren, bemerkenswert.
Das jetzige Bauhausjubiläum war ja auch ein bisschen so von dem Gedanken beseelt, dass jetzt neue Impulse vom Bauhaus ausgehen sollten. Ich fand das sehr konstruiert und auch nicht realistisch. Die Schule kam aus nem Kontext, der völlig anders war. Die Gegenwart leidet nicht an schlechter Form, sondern sie leidet an mangelnden Erfindungen, um unsere aktuellen Herausforderungen zu lösen.
Auch wenn in hunderten Ausstellungen, Konferenzen, Vorträgen und Performances ein fein abgestuftes, facettenreiches Gesamtbild gezeichnet wurde, so dominieren doch immer noch die Klischees, Phrasen und der Kitsch das öffentliche Bild. Bauhaus-Farben sind Rot, Gelb und Blau. Bauhaus-Flächen sind Kreis, Dreieck und Quadrat. Bauhaus-Körper sind Kegel, Würfel, Zylinder und Kugel. Dann ist die Rede von: Bauhaus-Stil, Designklassiker, zeitlos, ikonische Möbel.
Das Bauhaus ist mittlerweile zu einem Label abgerutscht, das man kaufen kann. Man kauft Architektur, die so ein bisschen an Bauhaus angeähnelt ist, allerdings genau das Gegenteil von dem bietet, was das Bauhaus eigentlich wollte. Sprich: Die Befreiung des Menschen aus seinen Zwängen. Ich denke, das ist ein neuer Zwang. Wir haben hier eine Architektenmode: Bauhaus.
An den modischen Bauhaus-Klischees hat das Bauhausjahr nichts geändert. Das wäre auch zu viel verlangt. Genauso, wie die Moderne generell zu viel von uns verlangt hat. Sind wir etwa jemals modern gewesen?
Das Bauhaus war Avantgarde. Aber das ist Geschichte. Heute ist das Bauhaus Mainstream. Es ist Teil der internationalen Pop-Kultur. Pop heißt: Ein bestehendes Thema wird immer wieder in neuen Varianten gespielt. Der ursprüngliche Standard wird in jeder Iterationsschleife als Remix merkantil aufgefrischt und wiederbelebt. Der Stahlrohr-Sessel, jetzt auch neu mit farbigen Bezügen. Das Schachspiel, jetzt auch neu aus Metall. Hauptsache, auf dem Etikett prangt die Marke: Bauhaus. Das sind nur oberflächliche Anstriche an der Fassade der sogenannten Ikonen der sogenannten Klassischen Moderne: Zwei Formeln, die zu den liebsten Phrasen des Marketing zählen.
Das Dilemma: Soll jetzt jeder Mensch zur Avantgarde von vor 100 Jahren werden? Das wäre doch genau das Gegenteil der Bauhaus-Idee, dass wir nämlich in der Gegenwart leben sollen, um unsere Zukunft zu gestalten – und an der Vergangenheit sollten wir uns gerade nicht orientieren. Nach dieser Logik der Moderne wäre es heute völlig widersinnig, sich auf das Bauhaus als Autorität zu berufen. Wer sich also heute noch an die formalen Antworten von vor 100 Jahren klammert, an die Stahlrohr-Freischwinger und Schreibtischleuchten, der hat die Frage nicht verstanden.
Wenn die Bedeutung des Bauhauses für uns heute nicht mehr in den Dingen liegt, die es hervorgebracht hat (dem Teekännchen und dem Flachdach-Bungalow), sondern wenn die Bedeutung des Bauhauses in der Haltung besteht, die dazu führt, dass die Zukunft mutig und kritisch, frei und offen gestaltet wird – dann ist das Bauhausjahr mit einem riesigen Fehler gestartet: Am 6. November 2018 sollte die Punkband Feine Sahne Fischfilet im Bauhaus Dessau auf Einladung des ZDF ein Konzert geben. Aber aus Angst vor rechten Krawallmachern, die im Internet dagegen Mobilmachung angedroht hatten, sagte die Bauhaus-Stiftung die Veranstaltung kurzfristig ab. Rainer Cobra, der Kultusminister von Sachsen Anhalt, rechtfertigte die Absage am 24. Oktober 2018 im Landtag von Sachsen-Anhalt:
»Nach Erörterung mit dem ZDF und dem Vorsitzenden des Stiftungsrats, also mir, hat die Stiftung Bauhaus Dessau am 18. Oktober aus Sorge, zum Ort unmittelbarer Konfrontation zwischen Rechts- und Linksextremen zu werden, und in ihrer Verantwortung für die Bewahrung der dadurch (diese Konfrontation) in ihrer Substanz und Wertigkeit gefährdeten UNESCO-Welterbestätte das ZDF gebeten, von dem Konzert Abstand zu nehmen.«
Diese Entscheidung war ein großer Fehler. Doch der Skandal entstand erst durch die Begründung, das Bauhaus sei ein unpolitischer Ort. Wenn das so wäre, wenn restaurierte Farbe auf der verputzten Außenwand des historischen Gebäudes wichtiger wäre als das Eintreten für gesellschaftliche Freiheit, kulturelle Vielfalt und friedliches Miteinander, dann wäre das Bauhausgebäude auch nur eine hohle Fassade, deren Welterbe-Glanz davon ablenkt, dass sich dahinter lediglich konservierter Staub befindet, den 100 Jahre Beschwörung in einen Fetisch verwandelt haben. Die Diskussion über diesen Skandal wurde geführt, und bisher ist es zu keiner zweiten Probe aufs Exempel gekommen. – Florian Stob von der Stiftung Bauhaus Dessau hat völlig zutreffend darauf hingewiesen, dass jede Geschichte vor allem auch etwas über diejenigen aussagt, die sie verfassen: Wir erzählen uns mindestens genauso viel über uns wie über das historische Bauhaus.
Ein Jubiläumsjahr ist Fluch und Segen zugleich. Es bringt Aufmerksamkeit und erzeugt Überdruss. Ganz ehrlich, die meiste Aufmerksamkeit hat in diesem Jahr kein Bauhäusler auf sich gezogen. Sondern Luigi Colani, und der hatte nun wirklich nichts, aber auch gar nichts mit dem Bauhaus zu tun. Andererseits: Soviel Resonanz, wie sein Tod hervorgerufen hat, ergibt sich daraus auch Potenzial für ein eigenes Colani-Jahr.
Das Bauhausjahr 2019 war eines der längsten Jahre, das man sich vorstellen kann. Es hat schon im Herbst 2018 begonnen, weil keiner zu spät und alle zuerst auf dem Markt der Aufmerksamkeiten präsent sein wollten. Im Frühjahr hat allein das Aussprechen des Begriffs Bauhaus genervtes Augenrollen provoziert, so omnipräsent war das Thema. Dann kamen die Sommerferien. Im Herbst ist betriebsame Normalität eingekehrt. Und jetzt: Ganz ehrlich, heute finde ich das Bauhausjahr großartig. Ich werde es im nächsten Jahr vermissen. Ich vermisse es jetzt schon. Pragmatischer Vorschlag: Einfach verlängern, einfach noch ein Jahr dranhängen. Nein, noch viel besser: Jedes Jahr sollte ein Bauhausjahr sein. Die Gestaltung unserer Welt durch Architektur, Design und Kunst ist so einflussreich für unseren Alltag, dass wir uns jeden Tag intensiv damit beschäftigen sollten. Das wäre doch wirklich im Sinne des Bauhauses.
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Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Das Bauhausjahr. Eine Bilanz
Das war’s also: Hundert Jahre Bauhaus. Damit ist jetzt bald Schluss. Das Bauhaus-Jahr ist in wenigen Wochen abgelaufen. Was bleibt? Was hat es gebracht? Was haben wir gelernt, gesehen, gehört?
Zuerst haben wir in diesem Jahr des Jubiläums einen Satz so oft gehört wie keinen anderen: »Es gibt nicht nur ein Bauhaus«. Es gibt nicht »das« Bauhaus. Es gibt auch nicht nur die drei historischen Bauhäuser in Weimar, Dessau und Berlin. Sondern es gibt auch das Bauhaus der Regionen. Das internationale Bauhaus. Das Bauhaus der Moderne und das Bauhaus der Utopie. Das Bauhaus als Symbol, als Mythos, als Klassiker und als Marke. Das Bauhaus als Haltung, als Performance und als Zumutung. – Und dann gibt es noch das Bauhaus der Menschen, die sich sonst nicht mit dem Bauhaus beschäftigen
Ganz offensichtlich geht es beim Bauhaus irgendwie immer ums Haus und ums Bauen. Das wäre ja schonmal was: Ein gemeinsamer Nenner für die Experten und die weniger eingeweihte Bevölkerung. Was aber im Zentrum des Bauhauses steht, was sein Wesen oder seinen Kern ausmacht und was daran so besonders ist, dass wir ihm deshalb ein ganzes Jahr (und noch viel mehr) widmen – das ist heute keineswegs klarer zu benennen als vor einem Jahr. Ist es nun die Kunstschule? Die Architekturschmiede? Der Designstil? Die Gesellschaftsutopie? Die Werkstatt, in der die Frauen halt doch nicht befreit, sondern unterdrückt und klein gehalten wurden? Die Kultstätte der Moderne? Der Ausgangspunkt des International Style? Das starre Korsett für eine gutgemeinte Haltung? Oder der Sündenfall der Globalisierung durch Gestaltung?
Im Jubiläumsjahr wurden zwei zentrale Perspektiven aufs Bauhaus verknotet. Da ist zum einen die historische Perspektive. Hier ist deutlich geworden, dass nun nach 100 Jahren die Musealisierung des Bauhauses abgeschlossen ist. Alles Dingliche, was am Bauhaus entstanden ist, wurde katalogisiert. Diese historischen Relikte befinden sich weltweit in Sammlungen. Forschungsprojekte sind ihnen gewidmet, und ein hoher Stapel neuer Bücher verbreitet das aktuelle Wissen über diese Geschichte. Der Wissenschaft wird also in Zukunft der Gegenstand ihrer Forschung nicht ausgehen. Das könnte ganz einfach daran liegen, dass es so viele Bauhäuser gibt, wie Florian Stob von der Stiftung Bauhaus Dessau meint:
Um die persönlichen Hinterlassenschaften dieser großen Gemeinde kulturhistorisch aufzuarbeiten, sind jetzt gute Grundlagen gelegt. Denn das scheint eines der wichtigsten Ergebnisse des Bauhausjahrs zu sein: Florian Stob hat am vergangenen Donnerstag im Kölner Museum für Angewandte Kunst bei seiner Vorstellung einer Bilanz des Jubiläums aus Sicht der Stiftung betont, dass das Netz der Institutionen, die sich mit dem Bauhaus beschäftigen, gewachsen, und ihre Zusammenarbeit vielfältig gefestigt sei.
Als äußerlich sichtbares Kennzeichen dieser Verfestigung und Verstetigung des Themas Bauhaus steht ein zweites Ergebnis des Jubiläums fest: In diesem Jahr wurden gleich zwei neue Bauhaus-Museen eröffnet, in Weimar und in Dessau. Und in wenigen Jahren wird auch in Berlin ein Museumsneubau das Bauhaus-Archiv erweitern. Die Qualität der Gebäude und ihrer Ausstellungen wird zwar unterschiedlich bewertet. Aber im großen und ganzen ist die Tatsache, dass nun drei Museen in Deutschland das Bauhaus-Erbe bewahren, bemerkenswert.
Das jetzige Bauhausjubiläum war ja auch ein bisschen so von dem Gedanken beseelt, dass jetzt neue Impulse vom Bauhaus ausgehen sollten. Ich fand das sehr konstruiert und auch nicht realistisch. Die Schule kam aus nem Kontext, der völlig anders war. Die Gegenwart leidet nicht an schlechter Form, sondern sie leidet an mangelnden Erfindungen, um unsere aktuellen Herausforderungen zu lösen.
Auch wenn in hunderten Ausstellungen, Konferenzen, Vorträgen und Performances ein fein abgestuftes, facettenreiches Gesamtbild gezeichnet wurde, so dominieren doch immer noch die Klischees, Phrasen und der Kitsch das öffentliche Bild. Bauhaus-Farben sind Rot, Gelb und Blau. Bauhaus-Flächen sind Kreis, Dreieck und Quadrat. Bauhaus-Körper sind Kegel, Würfel, Zylinder und Kugel. Dann ist die Rede von: Bauhaus-Stil, Designklassiker, zeitlos, ikonische Möbel.
Das Bauhaus ist mittlerweile zu einem Label abgerutscht, das man kaufen kann. Man kauft Architektur, die so ein bisschen an Bauhaus angeähnelt ist, allerdings genau das Gegenteil von dem bietet, was das Bauhaus eigentlich wollte. Sprich: Die Befreiung des Menschen aus seinen Zwängen. Ich denke, das ist ein neuer Zwang. Wir haben hier eine Architektenmode: Bauhaus.
An den modischen Bauhaus-Klischees hat das Bauhausjahr nichts geändert. Das wäre auch zu viel verlangt. Genauso, wie die Moderne generell zu viel von uns verlangt hat. Sind wir etwa jemals modern gewesen?
Das Bauhaus war Avantgarde. Aber das ist Geschichte. Heute ist das Bauhaus Mainstream. Es ist Teil der internationalen Pop-Kultur. Pop heißt: Ein bestehendes Thema wird immer wieder in neuen Varianten gespielt. Der ursprüngliche Standard wird in jeder Iterationsschleife als Remix merkantil aufgefrischt und wiederbelebt. Der Stahlrohr-Sessel, jetzt auch neu mit farbigen Bezügen. Das Schachspiel, jetzt auch neu aus Metall. Hauptsache, auf dem Etikett prangt die Marke: Bauhaus. Das sind nur oberflächliche Anstriche an der Fassade der sogenannten Ikonen der sogenannten Klassischen Moderne: Zwei Formeln, die zu den liebsten Phrasen des Marketing zählen.
Das Dilemma: Soll jetzt jeder Mensch zur Avantgarde von vor 100 Jahren werden? Das wäre doch genau das Gegenteil der Bauhaus-Idee, dass wir nämlich in der Gegenwart leben sollen, um unsere Zukunft zu gestalten – und an der Vergangenheit sollten wir uns gerade nicht orientieren. Nach dieser Logik der Moderne wäre es heute völlig widersinnig, sich auf das Bauhaus als Autorität zu berufen. Wer sich also heute noch an die formalen Antworten von vor 100 Jahren klammert, an die Stahlrohr-Freischwinger und Schreibtischleuchten, der hat die Frage nicht verstanden.
Wenn die Bedeutung des Bauhauses für uns heute nicht mehr in den Dingen liegt, die es hervorgebracht hat (dem Teekännchen und dem Flachdach-Bungalow), sondern wenn die Bedeutung des Bauhauses in der Haltung besteht, die dazu führt, dass die Zukunft mutig und kritisch, frei und offen gestaltet wird – dann ist das Bauhausjahr mit einem riesigen Fehler gestartet: Am 6. November 2018 sollte die Punkband Feine Sahne Fischfilet im Bauhaus Dessau auf Einladung des ZDF ein Konzert geben. Aber aus Angst vor rechten Krawallmachern, die im Internet dagegen Mobilmachung angedroht hatten, sagte die Bauhaus-Stiftung die Veranstaltung kurzfristig ab. Rainer Cobra, der Kultusminister von Sachsen Anhalt, rechtfertigte die Absage am 24. Oktober 2018 im Landtag von Sachsen-Anhalt:
»Nach Erörterung mit dem ZDF und dem Vorsitzenden des Stiftungsrats, also mir, hat die Stiftung Bauhaus Dessau am 18. Oktober aus Sorge, zum Ort unmittelbarer Konfrontation zwischen Rechts- und Linksextremen zu werden, und in ihrer Verantwortung für die Bewahrung der dadurch (diese Konfrontation) in ihrer Substanz und Wertigkeit gefährdeten UNESCO-Welterbestätte das ZDF gebeten, von dem Konzert Abstand zu nehmen.«
Diese Entscheidung war ein großer Fehler. Doch der Skandal entstand erst durch die Begründung, das Bauhaus sei ein unpolitischer Ort. Wenn das so wäre, wenn restaurierte Farbe auf der verputzten Außenwand des historischen Gebäudes wichtiger wäre als das Eintreten für gesellschaftliche Freiheit, kulturelle Vielfalt und friedliches Miteinander, dann wäre das Bauhausgebäude auch nur eine hohle Fassade, deren Welterbe-Glanz davon ablenkt, dass sich dahinter lediglich konservierter Staub befindet, den 100 Jahre Beschwörung in einen Fetisch verwandelt haben. Die Diskussion über diesen Skandal wurde geführt, und bisher ist es zu keiner zweiten Probe aufs Exempel gekommen. – Florian Stob von der Stiftung Bauhaus Dessau hat völlig zutreffend darauf hingewiesen, dass jede Geschichte vor allem auch etwas über diejenigen aussagt, die sie verfassen: Wir erzählen uns mindestens genauso viel über uns wie über das historische Bauhaus.
Ein Jubiläumsjahr ist Fluch und Segen zugleich. Es bringt Aufmerksamkeit und erzeugt Überdruss. Ganz ehrlich, die meiste Aufmerksamkeit hat in diesem Jahr kein Bauhäusler auf sich gezogen. Sondern Luigi Colani, und der hatte nun wirklich nichts, aber auch gar nichts mit dem Bauhaus zu tun. Andererseits: Soviel Resonanz, wie sein Tod hervorgerufen hat, ergibt sich daraus auch Potenzial für ein eigenes Colani-Jahr.
Das Bauhausjahr 2019 war eines der längsten Jahre, das man sich vorstellen kann. Es hat schon im Herbst 2018 begonnen, weil keiner zu spät und alle zuerst auf dem Markt der Aufmerksamkeiten präsent sein wollten. Im Frühjahr hat allein das Aussprechen des Begriffs Bauhaus genervtes Augenrollen provoziert, so omnipräsent war das Thema. Dann kamen die Sommerferien. Im Herbst ist betriebsame Normalität eingekehrt. Und jetzt: Ganz ehrlich, heute finde ich das Bauhausjahr großartig. Ich werde es im nächsten Jahr vermissen. Ich vermisse es jetzt schon. Pragmatischer Vorschlag: Einfach verlängern, einfach noch ein Jahr dranhängen. Nein, noch viel besser: Jedes Jahr sollte ein Bauhausjahr sein. Die Gestaltung unserer Welt durch Architektur, Design und Kunst ist so einflussreich für unseren Alltag, dass wir uns jeden Tag intensiv damit beschäftigen sollten. Das wäre doch wirklich im Sinne des Bauhauses.
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