Was es auch sei: Wenn wir es nur 30 mal wiederholen, dann ist es verinnerlicht. Das gilt für Vokabeln gleichermaßen wie fürs Verhalten, vermeldet die Forschung. Lernen muss also nicht in der Schule enden. Auch im Möbelhaus lässt sich lernen, meint René Spitz. Veröffentlichung als Kolumne »Spot on Design« in md 2/2019.
Die Abbildung stammt von Geert Spekken, der sein wunderbares künstlerisches Projekt zur Dekonstruktion der Alltagsgegenstände veröffentlicht: https://www.deconstructionart.com/
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Ikea ist die Hauptstadt von Schweden. So die beherzte Aussage einer jungen Frau, die ihr Abitur erfolgreich bestanden hat und sich nun im dritten Semester ihrem Studium widmet.
Da gibt es nichts zu lachen. Das Gymnasium hat ihr Studierfähigkeit attestiert. Jammern über die Bildungsmisere ist an dieser Stelle genauso wohlfeil wie eine Bemerkung zum momentanen Wetter auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung, beides gehört zum guten Ton der gepflegten, weil folgenlosen Konversation.
Ikea ist die Hauptstadt von Schweden: Lassen Sie uns diese Aussage ernst nehmen. Vieles ist ja völlig korrekt. Vieles muss demnach in der Schullaufbahn richtig gelaufen sein.
Zuerst im Fach Deutsch: Grammatik, Orthographie und Interpunktion sind fehlerfrei. Das erscheint bemerkenswert, denn von 100 Bachelor- und Masterarbeiten sind kaum 5 unter diesem Gesichtspunkt fehlerfrei. –
Dann Geschichte: Auch hier ist kein Fehler zu beanstanden, denn die Situation wird ja völlig zutreffend als gegenwärtiger Zustand beschrieben. Ganz anders müsste die Bewertung ausfallen, wenn ein historischer Verlauf angedeutet würde, etwa: Ikea ist die NEUE Hauptstadt von Schweden, oder: Ikea WAR die Hauptstadt von Schweden. –
Mathematik: Ebenfalls eindeutig fehlerfrei, Ikea wird in der Einzahl benannt, es sind nicht 2 oder 3 oder gar 1,99. Außerdem Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik: Eine Umfrage in einer beliebigen deutschen Fußgängerzone über den Wahrheitsgehalt der Aussage brächte zweifelsfrei eine hohe Zustimmung und damit eine hohe Wahrscheinlichkeit ans Licht. –
Erdkunde: Dass Ikea absolut korrekt in Schweden zu verorten ist, bedarf keines weiteren Nachweises. Lobenswert erscheint in diesem Zusammenhang die hohe Genauigkeit der räumlichen Identifizierung, denn aus deutscher Perspektive kann diese ganze Region nördlich von Hamburg (Norden ist da, wohin man kommt, wenn man den Bildschirm nach oben scrollt) kompakt auch als Skandinavien durchgehen, gegliedert in seine Bundesländer Island, Grönland, Rentierland, Einhornland, Mückenland, Dänenland und Legoland. Zusatzpunkte erhält, wer weiß, ob Pippi Langstrumpf die Präsidentin oder die Königin von Skandinavien ist. Doppelte Zusatzpunkte erhält, wer den Unterschied zwischen Präsidentin und Königin beschreiben kann. –
Abschließend noch das Fach Informatik, auch hier gibt es nichts zu beanstanden. Die Aussage »Ikea ist die Hauptstadt von Schweden« wurde in Google eingetippt und in YouTube gecheckt. Den jungen Leuten macht ja bei diesem Internet niemand etwas vor.
Ikea ist die Hauptstadt von Schweden: Auch wenn wir feststellen konnten, dass ganz viel daran richtig ist, so eröffnen sich doch auch vereinzelte Lernfelder, auf die hinzuweisen es die pädagogische Sorgfaltspflicht gebietet, verbunden mit einer herzlichen Einladung, diese Felder eigenverantwortlich und im Vertrauen auf die erworbenen Kompetenzen bei Gelegenheit frohgemut zu erkunden. Dieser Hinweis sollte keineswegs als Kritik missverstanden werden. –
Religion: Zu diskutieren wäre, ob der Glaube an Fakten noch zeitgemäß ist. Niemand wird bestreiten, dass man an Fakten glauben kann oder auch nicht. Weiterhin wird niemand bestreiten, dass es auch eine Frage des Glaubens ist, ob Menschen überhaupt dazu in der Lage sind, Fakten zu erkennen. Zuletzt erscheint der Glaube an Fakten auch unter Karrieregesichtspunkten eher hinderlich, wer dieser Glaubensrichtung nicht folgt, kann immerhin Präsident der USA werden, das ist sowas wie der König von Amerika. –
Dann Sozialwissenschaft: Es gibt gute Gründe, anzuzweifeln, ob Ikea tatsächlich in Schweden liegt oder nicht doch in der Schweiz. Diese beiden Länder werden oft verwechselt. Sie grenzen beide an Deutschland, irgendwie, sie klingen ähnlich, es gibt hüben wie drüben viel Schnee, und wenn man die Finanzen untersucht, dann könnte Ikea auch die heimliche Hauptstadt der Schweiz sein. Es gibt dort einen kleinen Ortsteil Kamprad, bitte also nochmal recherchieren.
Feigheit und Faulheit sind die Ursachen der Unmündigkeit, sagt Kant. An dieser Stelle ist eine Frage an die Lernenden erforderlich: Wer oder was ist Kant, ein deutscher Philosoph oder ein Beistelltisch von Ikea? Und noch eine Frage: Wer oder was ist ein Philosoph, ein Geisteswissenschaftler oder ein Beistelltisch von Ikea?
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Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Spot on Design: Singen, Klatschen, Tanzen
Was es auch sei: Wenn wir es nur 30 mal wiederholen, dann ist es verinnerlicht. Das gilt für Vokabeln gleichermaßen wie fürs Verhalten, vermeldet die Forschung. Lernen muss also nicht in der Schule enden. Auch im Möbelhaus lässt sich lernen, meint René Spitz. Veröffentlichung als Kolumne »Spot on Design« in md 2/2019.
Die Abbildung stammt von Geert Spekken, der sein wunderbares künstlerisches Projekt zur Dekonstruktion der Alltagsgegenstände veröffentlicht: https://www.deconstructionart.com/
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Ikea ist die Hauptstadt von Schweden. So die beherzte Aussage einer jungen Frau, die ihr Abitur erfolgreich bestanden hat und sich nun im dritten Semester ihrem Studium widmet.
Da gibt es nichts zu lachen. Das Gymnasium hat ihr Studierfähigkeit attestiert. Jammern über die Bildungsmisere ist an dieser Stelle genauso wohlfeil wie eine Bemerkung zum momentanen Wetter auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung, beides gehört zum guten Ton der gepflegten, weil folgenlosen Konversation.
Ikea ist die Hauptstadt von Schweden: Lassen Sie uns diese Aussage ernst nehmen. Vieles ist ja völlig korrekt. Vieles muss demnach in der Schullaufbahn richtig gelaufen sein.
Zuerst im Fach Deutsch: Grammatik, Orthographie und Interpunktion sind fehlerfrei. Das erscheint bemerkenswert, denn von 100 Bachelor- und Masterarbeiten sind kaum 5 unter diesem Gesichtspunkt fehlerfrei. –
Dann Geschichte: Auch hier ist kein Fehler zu beanstanden, denn die Situation wird ja völlig zutreffend als gegenwärtiger Zustand beschrieben. Ganz anders müsste die Bewertung ausfallen, wenn ein historischer Verlauf angedeutet würde, etwa: Ikea ist die NEUE Hauptstadt von Schweden, oder: Ikea WAR die Hauptstadt von Schweden. –
Mathematik: Ebenfalls eindeutig fehlerfrei, Ikea wird in der Einzahl benannt, es sind nicht 2 oder 3 oder gar 1,99. Außerdem Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik: Eine Umfrage in einer beliebigen deutschen Fußgängerzone über den Wahrheitsgehalt der Aussage brächte zweifelsfrei eine hohe Zustimmung und damit eine hohe Wahrscheinlichkeit ans Licht. –
Erdkunde: Dass Ikea absolut korrekt in Schweden zu verorten ist, bedarf keines weiteren Nachweises. Lobenswert erscheint in diesem Zusammenhang die hohe Genauigkeit der räumlichen Identifizierung, denn aus deutscher Perspektive kann diese ganze Region nördlich von Hamburg (Norden ist da, wohin man kommt, wenn man den Bildschirm nach oben scrollt) kompakt auch als Skandinavien durchgehen, gegliedert in seine Bundesländer Island, Grönland, Rentierland, Einhornland, Mückenland, Dänenland und Legoland. Zusatzpunkte erhält, wer weiß, ob Pippi Langstrumpf die Präsidentin oder die Königin von Skandinavien ist. Doppelte Zusatzpunkte erhält, wer den Unterschied zwischen Präsidentin und Königin beschreiben kann. –
Abschließend noch das Fach Informatik, auch hier gibt es nichts zu beanstanden. Die Aussage »Ikea ist die Hauptstadt von Schweden« wurde in Google eingetippt und in YouTube gecheckt. Den jungen Leuten macht ja bei diesem Internet niemand etwas vor.
Ikea ist die Hauptstadt von Schweden: Auch wenn wir feststellen konnten, dass ganz viel daran richtig ist, so eröffnen sich doch auch vereinzelte Lernfelder, auf die hinzuweisen es die pädagogische Sorgfaltspflicht gebietet, verbunden mit einer herzlichen Einladung, diese Felder eigenverantwortlich und im Vertrauen auf die erworbenen Kompetenzen bei Gelegenheit frohgemut zu erkunden. Dieser Hinweis sollte keineswegs als Kritik missverstanden werden. –
Religion: Zu diskutieren wäre, ob der Glaube an Fakten noch zeitgemäß ist. Niemand wird bestreiten, dass man an Fakten glauben kann oder auch nicht. Weiterhin wird niemand bestreiten, dass es auch eine Frage des Glaubens ist, ob Menschen überhaupt dazu in der Lage sind, Fakten zu erkennen. Zuletzt erscheint der Glaube an Fakten auch unter Karrieregesichtspunkten eher hinderlich, wer dieser Glaubensrichtung nicht folgt, kann immerhin Präsident der USA werden, das ist sowas wie der König von Amerika. –
Dann Sozialwissenschaft: Es gibt gute Gründe, anzuzweifeln, ob Ikea tatsächlich in Schweden liegt oder nicht doch in der Schweiz. Diese beiden Länder werden oft verwechselt. Sie grenzen beide an Deutschland, irgendwie, sie klingen ähnlich, es gibt hüben wie drüben viel Schnee, und wenn man die Finanzen untersucht, dann könnte Ikea auch die heimliche Hauptstadt der Schweiz sein. Es gibt dort einen kleinen Ortsteil Kamprad, bitte also nochmal recherchieren.
Feigheit und Faulheit sind die Ursachen der Unmündigkeit, sagt Kant. An dieser Stelle ist eine Frage an die Lernenden erforderlich: Wer oder was ist Kant, ein deutscher Philosoph oder ein Beistelltisch von Ikea? Und noch eine Frage: Wer oder was ist ein Philosoph, ein Geisteswissenschaftler oder ein Beistelltisch von Ikea?
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Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.