»Das Produkt: Ein Parfum. Ein Parfum ist ein Luxusprodukt. Das war es erst recht vor mehr als 100 Jahren. Damals konnte der Duft nur aus natürlichen Zutaten gewonnen werden. Etwa 200 Riechstoffe von Blüten, Früchten, Gewürzen und Gräsern stehen dafür zur Verfügung. Die Natur produziert noch viel mehr Riechstoffe, aber viele können ihren Trägern nicht abgerungen werden. Zum Beispiel behält eine in freier Natur wachsende Tulpe ihren intensiven Duft für sich – darum ziert sie das Wappen der französischen Parfumeursinnung als Sinnbild des ewigen Strebens nach dem Unerreichbaren. Design ist ein Phänomen, das eng mit dem Versuch verbunden ist, Luxusprodukte durch industrielle Massenproduktion für jedermann erschwinglich zu machen. Auch beim Parfum ist das gelungen. Die Voraussetzung dafür: Die natürlichen Riechstoffe mussten – zumindest teilweise – durch synthetische ersetzt werden, also durch Stoffe, die in der Chemiefabrik hergestellt werden können. Eines der ersten Parfums, das einen synthetischen Riechstoff enthält, ist Chanel No. 5. Die französische Modeschöpferin Coco Chanel lernte Anfang der 1920er Jahre den russischen Großfürsten Dimitri Pawlowitsch Romanow kennen. Sie sollen eine Affäre gehabt haben. Der Fürst vermittelte sie an Ernest Beaux, den ehemaligen Hofparfumeur des Zaren. Gabrielle, genannt Coco, Chanel beauftragte ihn damit, ein Parfum zu entwickeln, das zu ihrer Vorstellung von Mode paßt: Es sollte etwas Gemachtes, bewußt Komponiertes ausstrahlen. Zugleich sollte es sehr teuer sein und puren Luxus repräsentieren. Der teuerste Bestandteil zur damaligen Zeit war Jasminöl. Ernest Beaux stellte Coco Chanel in Monte Carlo 1921 mehrere Düfte vor. Sie entschied sich für den fünften Vorschlag mit den Worten, dass sie ihn am 5. Mai der Öffentlichkeit vorstellen wolle und dass ihr die Nummer 5 wohl Glück bringen werde. Ihr Duft besteht aus 80 Ingredienzien. Jasmin aus dem französischen Parfumort Grasse und Mairose zählen zu den Trägern der Duftnote. Synthetische Aldehyde wirken als Verstärker. Zu rund 80% besteht die Flüssigkeit im rechteckigen, schnörkellosen Flacon aus Alkohol. Alles an diesem Produkt ist Abstraktion: Der Duft, die Verpackung, der Schriftzug. Ein zentrale Eigenschaft jedes industriellen Produkts ist es, dass es immer gleich bleibt, auch wenn es millionenfach und jahrzehntelang hergestellt wird. Bei der Produktgruppe der Parfums mutet genau dies absurd an: Wir wünschen uns den Duft der Natur, aber er soll über Jahrzehnte hinweg identisch sein – auch wenn die Ernte jährlichen Schwankungen unterworfen ist. Die Kunst des Parfumeurs besteht darin, diese Schwankungen durch Veränderung der Mischungen auszugleichen. Die Kunst des Vermarktens besteht darin, die Käufer im Glauben zu bestärken, das Parfum vermittle ihnen den Hauch einer Verbindung zu Menschen, die zu Legenden geworden sind. 98 Prozent aller neu auf den Markt geworfenen Parfums gibt es nach zwei Jahren schon nicht mehr. Die Käufer greifen lieber zu Marken, die mindestens seit 20 Jahren angeboten werden. Chanel No. 5 – das übrigens meist von Männern als Geschenk gekauft wird, die nichts falsch machen wollen und die diesen Duft mit verbundenen Augen auch nicht identifizieren können – ist der Prototyp des authentischen Produkts, das mit legendären Persönlichkeiten verbunden wird. Zum Beispiel mit Marylin Monroe, die 1954 sagte, sie brauche für die Nacht nichts anderes anzulegen als ein paar Tropfen Chanel No. 5.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.
Publikation # [145]
»Das Produkt: Ein Parfum. Ein Parfum ist ein Luxusprodukt. Das war es erst recht vor mehr als 100 Jahren. Damals konnte der Duft nur aus natürlichen Zutaten gewonnen werden. Etwa 200 Riechstoffe von Blüten, Früchten, Gewürzen und Gräsern stehen dafür zur Verfügung. Die Natur produziert noch viel mehr Riechstoffe, aber viele können ihren Trägern nicht abgerungen werden. Zum Beispiel behält eine in freier Natur wachsende Tulpe ihren intensiven Duft für sich – darum ziert sie das Wappen der französischen Parfumeursinnung als Sinnbild des ewigen Strebens nach dem Unerreichbaren. Design ist ein Phänomen, das eng mit dem Versuch verbunden ist, Luxusprodukte durch industrielle Massenproduktion für jedermann erschwinglich zu machen. Auch beim Parfum ist das gelungen. Die Voraussetzung dafür: Die natürlichen Riechstoffe mussten – zumindest teilweise – durch synthetische ersetzt werden, also durch Stoffe, die in der Chemiefabrik hergestellt werden können. Eines der ersten Parfums, das einen synthetischen Riechstoff enthält, ist Chanel No. 5. Die französische Modeschöpferin Coco Chanel lernte Anfang der 1920er Jahre den russischen Großfürsten Dimitri Pawlowitsch Romanow kennen. Sie sollen eine Affäre gehabt haben. Der Fürst vermittelte sie an Ernest Beaux, den ehemaligen Hofparfumeur des Zaren. Gabrielle, genannt Coco, Chanel beauftragte ihn damit, ein Parfum zu entwickeln, das zu ihrer Vorstellung von Mode paßt: Es sollte etwas Gemachtes, bewußt Komponiertes ausstrahlen. Zugleich sollte es sehr teuer sein und puren Luxus repräsentieren. Der teuerste Bestandteil zur damaligen Zeit war Jasminöl. Ernest Beaux stellte Coco Chanel in Monte Carlo 1921 mehrere Düfte vor. Sie entschied sich für den fünften Vorschlag mit den Worten, dass sie ihn am 5. Mai der Öffentlichkeit vorstellen wolle und dass ihr die Nummer 5 wohl Glück bringen werde. Ihr Duft besteht aus 80 Ingredienzien. Jasmin aus dem französischen Parfumort Grasse und Mairose zählen zu den Trägern der Duftnote. Synthetische Aldehyde wirken als Verstärker. Zu rund 80% besteht die Flüssigkeit im rechteckigen, schnörkellosen Flacon aus Alkohol. Alles an diesem Produkt ist Abstraktion: Der Duft, die Verpackung, der Schriftzug. Ein zentrale Eigenschaft jedes industriellen Produkts ist es, dass es immer gleich bleibt, auch wenn es millionenfach und jahrzehntelang hergestellt wird. Bei der Produktgruppe der Parfums mutet genau dies absurd an: Wir wünschen uns den Duft der Natur, aber er soll über Jahrzehnte hinweg identisch sein – auch wenn die Ernte jährlichen Schwankungen unterworfen ist. Die Kunst des Parfumeurs besteht darin, diese Schwankungen durch Veränderung der Mischungen auszugleichen. Die Kunst des Vermarktens besteht darin, die Käufer im Glauben zu bestärken, das Parfum vermittle ihnen den Hauch einer Verbindung zu Menschen, die zu Legenden geworden sind. 98 Prozent aller neu auf den Markt geworfenen Parfums gibt es nach zwei Jahren schon nicht mehr. Die Käufer greifen lieber zu Marken, die mindestens seit 20 Jahren angeboten werden. Chanel No. 5 – das übrigens meist von Männern als Geschenk gekauft wird, die nichts falsch machen wollen und die diesen Duft mit verbundenen Augen auch nicht identifizieren können – ist der Prototyp des authentischen Produkts, das mit legendären Persönlichkeiten verbunden wird. Zum Beispiel mit Marylin Monroe, die 1954 sagte, sie brauche für die Nacht nichts anderes anzulegen als ein paar Tropfen Chanel No. 5.« Wenn Sie zu dieser Publikation eine Frage haben oder mehr wissen möchten, können Sie mir gerne eine E-Mail senden.